Montag, 26. September 2022

Wie wollen wir heute leben?

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Wie wollen wir heute leben?

"Du musst Dein Leben ändern!" Predigt – 26. Sonntag im Jahreskreis C – Manresa 2022

Liebe Geschwister, wenn Sie dieses Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus hören, was geschieht dann? Bekommen Sie Mitleid mit Lazarus - oder mit dem Reichen? Werden sie ärgerlich über den Reichen - oder über Abraham, der alle drei Bitten des Reichen einfach ablehnt? Fangen Sie an, über ihren eigenen Lebensstil nachzudenken? Fühlen sich möglicherweise unangenehm berührt angesichts der Perspektive von Himmel und Hölle und dem unüberwindlich in Abgrund dazwischen? Identifizieren Sie sich eher mit Lazarus oder mit dem Reichen? 

Die Reaktion auf dieses Gleichnis wird unterschiedlich sein, so wie die Menschen unterschiedlich sind und ihre Lebenssituation. Jeder aber, der sich auf die Erzählung einlässt, wird provoziert, denn sie lebt von den Gegensätzen. 

/Der arme Lazarus, der im Leben nur Schlechtes erhalten hat, sein Leib voller Geschwüre, eklig und stinkend. Er saß allein und einsam vor der Türe, nur die Hunde kümmerten sich um ihn. Er wird getröstet und ist in Abrahams Schoß. Nach seinem Tod wird er im Himmel Gutes erfahren. Ist das ein Trost? Oder eine billige Vertröstungen aufs Jenseits? 

/Der reiche Lebemann, der in Geld und Luxus schwelgt, feine Klamotten liebt und zu feiern, wusste Tag für Tag. So einen können wir uns vorstellen, in Mallorca oder in seinem dicken SUV, ganz egal. Er hat auf Erden kein Mitleid gezeigt, in der Hölle fleht er vergebens um Mitleid, denn er hat auf der Erde seinen Anteil am Guten schon erhalten.

/Dann der unüberwindliche Abgrund. Er führt uns eindeutig aus unserer spirituellen Komfortzone heraus. Wird der Reiche im Gleichnis wegen seines Reichtums verdammt oder wegen seines Mangels an Barmherzigkeit? Kann eigentlich überhaupt ein reicher Mensch in der Himmel kommen? 

Das Gleichnis provoziert, aber nicht um bloßzustellen, sondern um ins Nachdenken zu bringen. Es entwirft eine ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits. Es führt uns damit in die Entscheidung: auf welcher Seite stehe ich? Und wo möchte ich leben? Wie wollen wir heute leben? Und was braucht es, um das Leben zu ändern? 

Jesus mahnt uns darin eindringlich, die Not anderer Menschen wahrzunehmen. 

„Du musst dein Leben ändern!“ – so ruft mir das Gleichnis zu, wenn ich es an mich heranlasse. Die Kluft zwischen Arm und Reich schreit zum Himmel. Global gesehen gibt es immer krassere Armut von vielen, die dem ungeheuren Reichtum von wenigen gegenübersteht. Die vielen Armen sehen wir nicht. Das sind nicht die paar Obdachlosen hier in Hamburg. Die Armen leben nicht vor unserer Tür. Oder doch? In einer globalisierten Welt, in der wir mal eben Urlaub in Thailand machen oder zur Safari nach Afrika fahren, irgendwie schon.

„Du musst dein Leben ändern!“ - Das sagt uns heute ja nicht nur die Kirche, das hören wir überall. Wir sollen Energie sparen, wie sollen auf die Ressource achten, wir sollen so leben, dass wir auf unseren ökologischen Fußabdruck achten. 

Und da spielt tatsächlich Reichtum und Eigentum eine große Rolle. Denn Gott hat die Erde allen Menschen geschenkt, ohne jemanden auszuschließen oder zu bevorzugen, auf dass sie alle ernähre. Deshalb ist das „Prinzip der gemeinsamen Nutznießung der für alle geschaffenen Güter“ das „Grundprinzip der ganzen sozialethischen Ordnung“ (FT 120). 

Ein kurzer geschichtlicher Rückblick im Blick auf die Frage nach Reichtum und „Eigentum“:

1/ Die Kirche hat im Mittelalter nichts gegen Reichtum gehabt, weder für sich selbst noch für andere. Reichtum konnte dazu dienen, den Armen etwas abzugeben, und das wurde gelobt. Privates Eigentum wird deshalb im Mittelalter geschätzt. Thomas von Aquin zum Beispiel ist in dieser Hinsicht klar: Zwar gehört dem Menschen als Geschöpf Gottes von Natur aus nichts Konkretes, genauso wenig wie den anderen Geschöpfen. Gott hat die Erde für alle geschaffen. Doch als mit Vernunft begabte Geschöpfe erkennen wir, dass nicht alle gut mit dem Eigentum umgehen und mit anderen teilen. Deshalb ist es sinnvoll, dass die Menschen im Blick auf die effiziente und friedliche Nutzung der Güter Privateigentum erwerben können. Thomas begründet das Recht auf Eigentum mit dem natürlichen Rechts der Völker von Alters her und mit dem Gebot „du sollst nicht stehlen“; denn auch die zehn Gebote setzten offenbar Eigentum voraus. Im Zusammenleben und weil wir offenbar nicht immer altruistisch handeln, ist es durchaus sinnvoll und realistisch, Eigentum zu haben. 

2/ Ende des 19. Jahrhunderts hat die Kirche dann mit der aufkommenden Industrialisierung und dem neuen Reichtum die Verbindung von Eigentum und Arbeit hervorgehoben. Gott hat die Güter zum Nutzen aller Menschen geschaffen, aber aus Gründen des wirtschaftlichen Fortschritts ist Privateigentum von Nutzen. Es ist die berühmte „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“, die in den Sozialenzykliken von der Kirche benannt wird. Man hat entdeckt, dass das gemeinsame Gut der Menschheit durch Arbeit nicht vermindert wird, sondern im Gegenteil vermehrt wird. Privateigentum ist ein Mittel der Wertschöpfung. 

Sozialpflichtigkeit meint nicht, dass bestimmte Arten von Eigentum der öffentlichen Hand oder dem Staat vorzubehalten sind, so wie man jetzt zum Beispiel die Gasbetriebe verstaatlichen wird aus sozialen Gründen. Sozialpflichtigkeit meint vielmehr, dass Privateigentum als privates Eigentum wertschöpfendend eingesetzt wird und so letztendlich allen zugutekommt. 

Es braucht die ordnende Funktion des Staates, so dass es kein Missbrauch der unternehmerischen Freiheit gibt, dass es gleiche Ausgangsbedingungen gibt, dass die Arbeiter nicht ausgebeutet werden, etc. Aber grundsätzlich gibt es eine Wertschätzung von Eigentum an Produktionsmitteln: Nicht für die Verwendung im karitativen sind, sondern um es mit unternehmerischer Kreativität für die Wertschöpfung einzusetzen, d.h. für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller.

3/ Diese Sichtweise auf das Privateigentum kommt aber nun im 21. Jahrhundert an eine Grenze, insofern es nicht mehr nur um Arbeit und Produktionsmittel, sondern um die Ressourcen dieser Erde geht. Das Versprechen vom „Wohlstand für alle durch Fortschritt“ erweist sich angesichts der Belastungen für die Umwelt als trügerisch. Wenn alle so leben würden, wie wir hier im reichen Europa, dann ist es mit dem Leben auf dieser Erde bald zu Ende. Das wird uns immer mehr bewusst. Wir leben auf Kosten der Armen. Das zeigt sich in vielen kleinen Dingen: von den seltenen Erden in den Handys, die unter unwürdigen Bedingungen abgebaut werden, über die Energie- und den Wasserverbrauch bis zu unseren Lebensmitteln, die weggeworfen werden. 

Deshalb kommt heute die „universale Bestimmung der geschaffenen Güter“ wieder neu in den Blick, besonders deutlich zuletzt in der Enzyklika Fratelli Tutti von Papst Franziskus. Dort heißt es in Kapitel 3 „Die soziale Funktion des Eigentums neu denken“.

Der Papst fordert eine neue Weise der Verteilung der Güter und eine neue Art und Weise der Aufmerksamkeit für die Benachteiligten, ja sogar eine neue Wirtschaftsordnung. Das erscheint uns vielleicht merkwürdig, weil wir auf der Sonnenseite des Lebens stehen und ja tatsächlich mit unserer sozialen Marktwirtschaft in Deutschland zufrieden sind, viele Vorteile sehen.

In den ersten Jahrhunderten des Christentums predigte man in der Kirche den Reichen, sie sollten etwas für die Armen abgeben, weil für alle genug da sei: Wenn jemand nicht das Notwendige zu einem Leben in Würde hat, liegt das daran, dass ein anderer sich dessen bemächtigt hat. 

Man hatte das Ideal der Gütergemeinschaft vor Augen. Der heilige Johannes Chrysostomus fasst dies mit den Worten zusammen: „Den Armen nicht einen Teil seiner Güter zu geben bedeutet, von den Armen zu stehlen, es bedeutet, sie ihres Lebens zu berauben; und was wir besitzen, gehört nicht uns, sondern ihnen“. Ähnlich drückt sich der heilige Gregor der Große aus: „Wenn wir den Armen etwas geben, geben wir nicht etwas von uns, sondern wir geben ihnen zurück, was ihnen gehört“. (FT 119) 

„Du musst dein Leben ändern!“ – Du musst die Not anderer Menschen wahrnehmen. Doch welche Ressource, welche Motivation habe ich dazu?

Der Reichtum als Ressource wird hier deshalb abgelehnt, weil er leicht zu Überheblichkeit, zu Hochmut und Gier führt. Die eigentliche Ressource unseres Lebens ist die Großzügigkeit. 

Ein kleiner Hinweis aus der Kirchengeschichte mag uns dazu helfen. Der hl. Benedikt schreibt in seiner Regel im 6. Jahrhundert über die Zuteilung des Notwendigen in der Gemeinschaft: Jeder solle so viel bekommen, wie er brauche (RB 34). Der eine braucht wahrscheinlich etwas mehr, der andere etwas weniger. Der eine braucht zwei Decken in der Nacht, der andere nur eine. Der eine braucht etwas mehr zu essen, weil er körperlich schwer arbeitet, der andere nicht. Es wird also Unterschiede geben. Nicht jeder bekommt das Gleiche, sondern jeder das Seinige. Das wird zu Neid führen. Warum hat der andere mehr als ich? Was soll man dann machen? Benedikt antwortet klug: Wer weniger braucht, danke Gott dafür und sei nicht traurig.

„Du musst dein Leben ändern!“ - Zufrieden sein, wenn man hat, was man braucht. Großzügig sein. Bereit sein, dass eigene Leben zu ändern, wenn es nicht so ist. Und die Barmherzigkeit mit den anderen nicht vergessen. Das ist mal ein Anfang. Amen.