Montag, 2. Dezember 2024

Ausblick und Rückblick


 

Predigt Erster Adventssonntag C 2024 | Hamburg

Les: Jer 33,14-16; 1Thess 3,12-4,2; Lk 21,25-28.34-36

Der Philosoph Sören Kierkegaard sagte einmal: „Verstehen kann man das Leben rückwärts, leben muss man es aber vorwärts.“

Die ganze Bibel ist auf die Zukunft und die kommende Welt hin orientiert, ohne die Zukunft vorherzusagen oder wahrzusagen. Die Propheten im Alten Testament und die heiligen Schriften im Neuen Testament erinnern unermüdlich daran, dass die letzte Zukunft des Menschen und des Universums in den Händen des lebendigen Gottes liegt.

1/ Zukunft

An diesem ersten Adventssonntag hören wir aus dem Buch des Propheten Jeremias, aus den Briefen des Apostels Paulus und aus dem Evangelium nach Lukas. Alle drei Texte bezeugen, dass Gott seinen Verheißungen treu bleibt, auch wenn die Ereignisse scheinbar etwas anderes nahe legen. Sie sprechen von dem, was vor uns liegt, was kommen wird.

Was auf uns zukommt ist das Gericht! Gott wird Gerechtigkeit schaffen. Das ist unsere Hoffnung. Das ist keine Drohung, denn Gott ist nicht der Ankläger, sondern der Richter. Er wird aufrichten, was zerbrochen ist, er wird die verwundeten Herzen heilen. Und er wir für Recht und Gerechtigkeit sorgen.

Alle drei Texte sprechen von dieser Hoffnung. Im Buch Jeremia wird Israel und Juda ein Nachfahre versprochen, der für Recht und Gerechtigkeit im Land sorgen wird. Der Apostel Paulus spricht von der Ankunft des Herrn mit allen seinen Engeln und Heiligen. Und das Evangelium schließlich spricht von jenem Tag, der über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen wird, dann nämlich, wenn der Menschensohn auf einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.

Wie genau jener Tag sein wird, bleibt offen. Klar ist aber, dass es ein Augenblick der Freude ist, der Erlösung! Deshalb ist das der Blick in die Zukunft nicht von Angst geprägt, sondern von Hoffnung. Entscheidend ist für die Texte allerdings die Zeit bis dahin. Sie stellen uns vor die Frage: Wenn das alles kommt, wie möchte ich dann gelebt haben - im Rückblick sozusagen? Die Lesungen bieten uns ein paar sehr konkrete Hinweise, was helfen kann in dieser Situation, wenn wir darauf vertrauen, dass Gott seinen Verheißungen treu bleibt.

2/ Bis dahin: wachsen in der Liebe  - und wachen und beten

Im Brief an die Gemeinde in Thessaloniki lädt Paulus die Christen ein, in der Liebe zueinander und zu allen Menschen zu wachsen. Das ist ihr eigentlicher Reichtum! Warum? Weil die Liebe die Herzen stärkt. Sie lässt unsere Herzen weit werden und stark – und das hilft dabei, aufrecht, aufrichtig vor dem Herrn zu stehen: „untadelig in Heiligkeit vor Gott unserem Vater, bei der Ankunft Jesu, unseres Herrn.“

Das Evangelium ruft uns auf, zu wachen und zu beten: Was bedeutet es eigentlich zu wachen bzw. wach zu sein?

  • achtsam sein für das, was geschieht, nicht in Gedanken oder Sorgen zu versinken.
  • bei mir selbst sein, nicht mich in die Arbeit oder das reine tun zu verlieren
  • aufmerksam sein für den Moment und das was und wer mir begegnet; nicht zu träumen, was alles sein könnte
  • kritisch zu sein und zu hinterfragen, was andere behaupten oder tun
  • sich zu engagieren, innerlich bei einer Sache dabei zu sein

Das alles hört sich ziemlich anstrengend an - und dann soll man auch noch beten! Wäre es nicht viel schöner und einfacher loszulassen den lieben Gott einen guten Mann sein lassen? Relaxen und genießen?

Das Beten kommt aber, so glaube ich, beim Wachen nicht zusätzlich hinzu, als sollte man zwei Dinge tun, sondern es ist mit dem Wachen verbunden, es ist der Inhalt des Wachens und es gibt die Haltung des Wachens an: nämlich zu vertrauen! Deshalb ist wachen und beten hier nicht doppelte Kraftanstrengung, sondern die halbe!

Beten ist die Kunst, Gott etwas anzuvertrauen, ihm zu vertrauen, in den Dialog mit ihm zu treten und zu wissen, dass ich nicht allein bin.

„Beten konfrontiert uns mit der eigenen Wahrheit. Es wird alles auftauchen, was uns innerlich bewegt. Es tauchen die Konflikte der Vergangenheit auf, die Verletzungen und Wunden unserer Kindheit. Es kommt das in uns hoch, was uns gerade beschäftigt: die Sorgen um die finanzielle Zukunft, das Bangen um die Entwicklung der Kinder, das Leiden an den eigenen Ängsten, die innere Unzufriedenheit, die Unruhe. Beten ist keine Flucht vor der Wirklichkeit. Im Gebet wird die Wahrheit meines Lebens offenbar. Viele fliehen vor der Stille des Gebets. Das Gebet, in dem unsere Wahrheit offenbar wird, ist aber ein Gebet der Stille, in dem wir uns schutzlos Gott aussetzen, in dem wir alles, was in uns ist, vor Gott bringen, damit er es verwandle und heile.“ (Anselm Grün)

3/ Advent

Der Advent ist eine Zeit, in der wir nach vorne schauen und in der wir zurückblicken können. Wir können voll Hoffnung und Vertrauen nach vorne blicken. Und wir können innerlich zurückblicken und uns am Beginn der Adventszeit fragen: Wenn ich dereinst nicht mehr auf Erden bin: Wofür möchte ich gelebt haben? Wofür möchte ich wach gewesen sein? Für wen möchte ich wach geblieben sein? Hoffentlich mag uns das Beten dabei helfen. Amen.

Montag, 25. November 2024

Christ-Königs-Gesellschaft

(c) Christ-Königs-Institut, Meitingen

Predigt 34. Sonntag im Jahreskreis B, Christkönig 2024 | Hamburg

Les: Dan 7,2a.13b-14; Offb 1,5b-8; Joh 18,33b-37

Vor einer Woche, am 17. November 2024, wurde Max Josef Metzger in Freiburg selig gesprochen. Er starb vor 80 Jahren im Gefängnis der NS-Justiz in Brandenburg-Görden durch die Enthauptung. Dem Todesurteil vorangegangen war ein Prozess gegen ihn vor dem Berliner Volksgerichtshof. Er wurde verurteilt wegen Hochverrats und Einsatz für den Frieden und für die Völkerverständigung.

Max Josef Metzger, 1887 in Schopfheim bei Lörrach im Bistum Freiburg geboren, studierte Theologie und wurde Diözesan-Priester. Sein Einsatz als Feldgeistlicher im ersten Weltkrieg und die Erfahrungen dort von der Grausamkeit des Krieges und dem „nutzlosen Blutvergießen auf den Schlachtfeldern“ führten ihn dazu, sich für die Völkerverständigung in Europa einzusetzen.

Er gründete 1918 den Friedensbund deutscher Katholiken, der sich „Weltfriedensbund vom weißen Kreuz“ nannte, nach dem weißen Kreuz auf der heiligen Hostie. Dieser Bund wollte an der Versöhnung und Verständigung der Menschheit durch geistliche Erneuerung des ganzen Menschen arbeiten. 

„Metzgers Grundeinsicht lautete, dass es Frieden nur dann gibt, wenn sich die Menschen ändern. Deswegen achtet er auf den Friedenskongressen nicht nur darauf, auf welche Bedingungen für Frieden zwischen Staaten man sich einigte, sondern auch, ob man ein Wort über die geistige Notlage der Menschen verlor.“ (Henze, 34)

Die politischen Erfahrungen in der Weimarer Republik, die Erkenntnis, dass die deutschen Generäle die Reichstagsresolution nicht achteten, der Versailler Vertrag kein Friedensvertrag war und alle Länder weiter aufrüsteten, ließen ihn auf dem Internationalen Kriegsdienst-Gegner-Tag 1929 in Den Haag sagen, dass der gerechte Krieg, „wenn es ihn je gegeben hat, jedenfalls heute nur noch in der Theorie existiert. Dass der Krieg, wie er heute in Frage kommt, infolgedessen ohne Einschränkung ein Verbrechen genannt werden kann, den man mit allen nur möglichen Mitteln entgegen gesteuert werden muss.“

Nottue, den modernen Götzenstaat seines Götzentums zu entkleiden und ihn auf seine natur-rechtlich gegebenen Gewalten und Rechte zu beschränken, wozu auch die Abschaffung der allgemeinen Kriegsdienst-Pflicht gehöre. Den „radikalen Aktivismus“ für den Frieden und gegen den Krieg müsse die Friedensbewegung auf sich nehmen, „aus der Überzeugung von der göttlichen Kraft heiliger Gewaltlosigkeit im Dienst des Reiches Gottes aus der heiligen Entschlossenheit, zur Verwirklichung dieses Reiches Gottes auf der ganzen Linie. Das ist es, was den Frieden bringt, dieser Geist der letzten persönlichen Selbstaufopferung, auch um den Preis des eigenen Lebens, wie in Christus am Kreuz zahlte“, so Max Josef Metzger im Jahr 1929. 

Diese Überzeugung, Entschlossenheit und Selbstaufopferung verlangte er von sich selbst. Um wirksam zu werden, musste diese Überzeugung aber Kreise ziehen. Daher sein Bemühen um Verbündete.

Geistesverwandte fand Metzger in der ökumenischen Bewegung. Wenn der Frieden geistig vorbereitet werden muss und das Vorbild und die Ressourcen dafür im Christentum liegen, dann lag es für Metzger nahe, dass Christinnen und Christen gemeinsam auftreten und den Streit zwischen den Konfession beilegen müssten. So nahm er an den ökumenischen Versammlungen jener Zeit teil und vertrat der Überzeugung, dass alle Menschen, die ihrem Gewissen folgen und gut zu leben, versuchten, bereits in einer unsichtbaren Form mit der Kirche Christi verbunden sein.

Er gehörte zur Gründungsgeneration der „Una-Santa-Bewegung“, die damals von der katholischen Kirche noch nicht unterstützt wurde.

Er gründete eine Missionsgesellschaft, eben jene „Missionsgesellschaft vom weißen Kreuz“, ein Säkular-Institut, d.h. einen damals neuen Typ gemeinschaftlichen religiösen Lebens. Einerseits schloss sie diese Gesellschaft an die die damals zeitgenössischen Frömmigkeits¬formen an, andererseits wurde sie mit einem neuen Blick auf die Welt verknüpft. 

Die Verehrung der Hostie, der weißen Hostie mit dem weißen Kreuz, bzw. die Eucharistie-Frömmigkeit verband er mit dem Christus-König-Gedanken, also dem Bewusstsein in der Welt mithelfen zu dürfen, dass Jesus Christus in allem herrscht. 

Nach der Einführung des Christkönigfestes durch Papst Pius XI. 1925, also von nun bald 100 Jahren, wurde folgerichtig die „Missionsgesellschaft vom weißen Kreuz“ 1927 umbenannt in „Christ-Königs-Gesellschaft“. Sie gibt es bis heute als Säkularinstitut in Meitingen bei Augsburg.

Das Leben der Christ-Königs-Gesellschaft wurde genährt durch Anregungen aus der Bibel¬bewegung und der liturgischen Bewegung. Metzger war überzeugt, dass das gemeinsame Lesen der Heiligen Schrift und die Aussprache darüber am ehesten zur Innerlichkeit führen - und erst aus wahrer Innerlichkeit erwächst bekanntlich, fruchtbares Apostolat. 

In der in der Christ-Königs-Gesellschaft angeregte Christ-Königs-Verehrung, standen drei Glaubens-Einsichten im Zentrum: 

1. Christus ist der eigentliche Herrscher der Welt, nicht die scheinbar Mächtigen. 

2. Christus ist gegenwärtig in der Liturgie der Eucharistie.

3. Christus wirkt und regiert in meinem alltäglichen Leben.

Diese drei Gedanken, wenn sie tatsächlich im Leben ergriffen und angenommen werden, setzen eine große Kraft frei. Viele Menschen aus dieser Zeit setzten sich für den Frieden und die Völkerverständigung ein, einige taten es aus dieser Motivation und aus dieser Spiritualität.

Was bedeutet das für uns heute – fast 100 Jahre nach der Einführung des Hochfestes in der ganzen römisch-katholischen Kirche?

1/ Wenn Christus der eigentliche Herrscher der Welt ist, dann bedeutet das Fest Christkönig keine Absage an die politische Form Demokratie, sondern dann geht es eigentlich darum, dass sich niemand an die Stelle Gottes setzen darf, auch kein Politiker.

2/ Dann bedeutet das Fest Christkönig, dass das Zentrum unseres Glaubens die Gegenwart des Herrn in seiner Kirche, aber auch in der Welt ist, in meinem alltäglichen Leben ist - und dass alles in meinem Leben durch seine Weise des Herrschens und des Dienens geprägt sein soll.

Mögen wir uns dieser Gegenwart des Herrn immer wieder bewusst werden! Der Herr ist da!


Zitate und Anregungen aus: Barbara Henze, Zeuge einer anderen Welt. Zur Seligsprechung von Max Josef Metzger, in HK 11/2024, S. 33-36.


Montag, 18. November 2024

Auf der Bühne, vor dem Vorhang


Predigt Manresa, Hamburg 2024 - Dreiunddreißigster Sonntag B

Les: Dan 12,1-3; Hebr 10,11-14.18; Mk 13,23-32

In diesen Tagen geschehen auf der großen politischen Bühne viele Veränderungen, die ich nicht verstehe und nicht durchschauen kann. In Amerika wird ein Präsident gewählt, obwohl viele Intellektuelle und Manager vor ihm warnen. In Deutschland zerbricht die bisherige Regierung und es soll bald neu gewählt werden, obwohl vieles noch zu entscheiden ist in diesem Jahr. In Baku tagt die Weltklimakonferenz zum 29. Mal, obwohl nicht klar ist, welche Folgen die internationalen Entscheidungen überhaupt haben. Wer hat mit wem telefoniert? Ich weiß es nicht.

Dieser Eindruck, dass ich vieles, was auf der politischen Bühne läuft, nicht verstehe und durchschaue, kann zu unterschiedlichen Reaktionen führen. 

1/ Entweder ich bekomme Angst und sehe in all den Krisenmeldungen die Zeichen einer anbrechenden Katastrophe. Es wird alles immer schlimmer, besonders die Erderwärmung ist nicht zu stoppen. Einige spielen mit dieser Angst, wie der neue „Klimathriller“ von Dirk Rossmann und Ralf Hoppe. Doch viele verfallen in Depression, weil man mit Angst nicht gut leben kann: Öko-Angst („eco-anxiety“) ist inzwischen eine anerkannte Krankheit bei jungen Menschen.

2/ Oder ich wende mich einfach ab. Die Nachrichten interessieren mich nicht mehr. Ich kümmere mich um mein eigenes Glück und flüchte in den Konsum oder in den Genuss, und versuche darin Sinn und Erfüllung zu finden.

3/ Es gibt noch eine dritte Variante. Ich erkenne, dass das, was wir sehen, nur ein Teil der Wirklichkeit ist, dass es noch etwas anderes gibt. Dass wir etwas erahnen können, was doch ganz wesentlich unsere Zukunft bestimmt. 

Und ich meine bei dieser dritten Variante jetzt nicht die globalen Verschwörungstheorien, wonach irgendeine geheime Organisation ein weltweiten Plan mit uns verfolgt. Das ist absurd! Oder vielleicht genauer: die Verschwörungstheorien sind die Fehl-Formen einer Sichtweise, die uns tatsächlich helfen könnte. Nämlich einer gläubigen Sicht der Hoffnung!

In der Bibel ist diese Sichtweise überliefert und sie wird Apokalyptik genannt. Wir haben heute in den Lesungen gleich zwei solche apokalyptischen Texte gehört. Apokalyptik meint, dem Wort Sinn nach „Enthüllung“. Diese Schriften offenbaren, was vorher verborgen war. Es geht um Geheimnisse, die erst am Ende der Zeit für alle sichtbar werden, die aber jetzt schon von Bedeutung sind, trotz der immer schwieriger werdenden Situation, in der das Heil sich scheinbar weiter entfernt.

a/ Die erste Lesung ist aus dem Buch Daniel. Das Daniel-Buch wurde in der Zeit der Verfolgung der Juden durch den syrischen Herrscher Antiochos Epiphanes im zweiten Jahrhundert v. Chr. geschrieben. Es behauptet: Das, was die Leser bzw. Hörer im Moment erleben und in noch viel schlimmeren Ausmaß zu erwarten haben, ist nur die eine Seite. Es ist das, was auf der Bühne vor dem Vorhang geschieht: eine Zeit der Not, wie noch keine war. 

Auf der anderen Seite der Bühne jedoch geschieht etwas, das erst später offensichtlich wird: die Rettung des Volkes. Und zwar von jedem, der jetzt schon im „Buch des Lebens“ verzeichnet ist. Mit dieser Rettung geschieht auch Gerechtigkeit, denn es gibt eine Auferstehung von Toten. Gott wird Leben schaffen, wo es im irdischen Sinn keine Gerechtigkeit gab. Das Kriterium ist die Verständigkeit und die Suche nach Gerechtigkeit, jetzt und hier!

Die Pointe ist also: es gibt eine Heilsgeschichte, in die hinein wir verwoben sind; und zwar nicht nur zurück in die Vergangenheit, sondern auch voraus in die Zukunft.

b/ Ebenso gehört das Evangelium zu dieser Form von apokalyptischen Texten, denn es nutzt die Unterscheidung von dem, was man auf der Bühne vor dem Vorhang sieht und was dahinter geschieht. Vorne ist es finster: „In jenen Tagen wird die Sonne verfinstert werden, und der Mond wird nicht mehr scheinen.“ Doch verheißen wird das Licht, das die Wolken durchbricht; und eine weltweite Sammlung der Auserwählten geschieht durch die Engel.

Schon jetzt gibt es Anzeichen dieses neuen Lebens und deshalb braucht es das entsprechende Verhalten von uns. Jesus macht es durch das Gleichnis mit dem Feigenbaum deutlich: Die Zweige und die Blätter am Feigenbaum deuten auf etwas hin, dass man noch nicht sehen kann, und was doch schon verborgen da ist, das Leben in diesem Baum! 

Wie schwer fällt es uns bei all den Kriegen der Dunkelheit und der Gewalt in dieser Welt, diese Zeichen zu sehen und zu erkennen und zu deuten. Doch im Glauben wissen wir, weil wir selbst Teil einer Heilsgeschichte sind, dass nicht nur die Vergangenheit von Gott hier geheilt wird, weil Gott das Leben von Anfang an gewollt hat, sondern dass Gott auch auf Zukunft hin Leben schafft, weil er eben die Auserwählten sammeln und retten wird.

Das bedeutet nicht, dass es die Klimakatastrophe nicht gibt oder dass sie keine Bedeutung für uns hat. Es bedeutet auch nicht, dass uns die Kriege nicht betreffen und wir uns nicht für Frieden einsetzen sollen. Aber es bedeutet, dass Klimakatastrophe und Krieg nicht alles ist, was unser Leben bestimmt.

Jedes Mal, wenn wir her Eucharistie feiern, geschieht diese Offenbarung einer anderen Wirklichkeit. Brot und Wein der Liebe und Hingabe Jesu sind Zeichen dieses neuen Lebens, das in dieser Welt schon verborgen gegenwärtig ist. Wir brauchen keine Angst mehr zu haben! 

Mit Jesus Christus wird der Vorhang im Tempel zerrissen. Wir sehen auf eine neue Weise, dass wir Teil einer großen Geschichte sind, mit Christus und mit anderen verbunden. Die Zeiten kennen wir nicht genau, aber die Zeichen erkennen wir deutlich und wir erwarten, dass es einen Sinn gibt für unser Leben und für das der anderen Menschen. Amen.


Donnerstag, 7. November 2024

Mit dem ganzen Herzen



Predigt B31 Manresa 2024 (Les: Dtn 6, 2-6; Hebr 7,23-28; Mk 12,28b-34)

Es gibt nach meiner Erfahrung drei Missverständnisse, die häufig den lebendigen Glauben und die erfüllende christliche Beziehung zu Gott und der Welt verhindern.

1/ Der Glaube wird als eine Reihe von Glaubenssätzen angesehen, als Regeln und Dogmen, die man als Christ zu akzeptieren hat, auch wenn man sie nicht versteht. Es ist die Vorstellung, dass der Glaube gegen das Wissen steht bzw. nichts mit der Vernunft bzw. mit dem Denken zu tun hat. „Man muss in der Kirche den Verstand an der Garderobe abgeben“ – so befürchten manche oder leben es so.

2/ Der Glaube wird als ein reiner Kult angesehen, als eine Form von einem religiösem „Extra“ am Sonntag, das mit meinem Leben in Beruf und Alltag im Grunde nichts zu tun hat. Vielleicht betrifft der Glaube noch die eigene Ernährung oder Sexualität, aber in meiner Tagesgestaltung oder in meinem Verhalten gegenüber anderen ist Religion doch Privatsache – so sagen manche oder leben es so.

3/ Der Glauben wird als ein Gefühl angesehen, als das ein Wohlfühlfaktor im Leben, als eine Form von innerem Empfinden; und wenn ich keine besondere Erleuchtung habe, dann glaube ich nicht richtig – so denken manche oder leben es so.

Die Botschaft, die Jesus uns heute im Evangelium wieder in Erinnerung ruft: Gott ist einer! Und der Mensch ist einer! Der Menschen ist Leib und Seele, Denken und Fühlen. Ganzheitliches Denken ist nicht eine Erfindung von new age, sondern sehr biblisch! Der Mensch lebt vielleicht in unterschiedlichen Zusammenhängen, aber er lebt nicht zerstückelt, atomisiert in unterschiedliche Lebenswelten, sondern am Ende hat das ganze einen Sinn und eine Richtung – oder nicht.

Und deshalb ist Religion nicht eine feine, aber überflüssige Zutat zum Leben, das Sahnehäubchen der Wohlfühl-Oase, sondern entweder ist der Glaube etwas, das meinen Sonntag und meinen Alltag bestimmt – oder er ist am Ende hohl.

*

Heute erzählen uns die Lesungen vom ersten aller Gebote, dem wichtigsten für unser Leben mit Gott und den Menschen. Und vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass wir es dreimal gehört haben, jedes Mal auf eine andere Art und Weise, mit einer etwas anderen Formulierung.

In der ersten Lesung (Buch Dtn 6,4-5): „Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig (einer!). Darum sollst du den HERRN, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“

Im Evangelium (Mk 12,29-30) aus dem Mund Jesu: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft.“ - Jesus variiert etwas. Er fügt das Denken hinzu, das mit dem Verstand durchdringen, eigentlich das Nachdenken. Die Exegeten verweisen dabei auf den Zusammenhang mit der Frage nach dem Gesetz bzw. den Geboten. Diese Formulierung könnte sich [weil sie sich so ähnlich schon in der Geschichte um König Joschija (2Kön 23, 25) findet, der das ganze Gesetz zu halten geboten hat] auf das Nachdenken über das Gesetz beziehen.

Und schließlich im Evangelium im Mund des Schriftgelehrten (Mk 12, 32-33): „Gott allein ist der Herr und es gibt keinen anderen außer ihm und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer.“ Dort ist der opferkritische Aspekt hinzugefügt.

Im Wesentlichen jedoch wiederholen alle drei Texte den einen Gedanken über das wichtigste Gebot der Gottesliebe und der Nächstenliebe: Dass die Liebe geschieht mit dem Herzen, mit der Seele, mit dem Denken und Handeln.

Ich merke mir das angedeutet in den vier „Ebenen“ des Menschen. Die Seele sitzt nach hebräischer Vorstellung in der Kehle, dort wo wir den Atem empfangen, wo wir verletzlich sind, wo wir mit unserer Stimme antworten: Herz – Kehle – Kopf - Hände

Gerade hat Papst Franziskus eine neue Enzyklika veröffentlicht „über die menschliche und göttliche Liebe des Herzens Jesu Christi“, in der er im ersten Kapitel zunächst einmal die Frage stellt: Was meinen wir, wenn wir vom Herzen sprechen. Denn es ist ja nicht allein das medizinische Organ, um das es hier im Glauben geht. Es geht um das seelische und geistige Zentrum der Person, wo Denken und Fühlen zusammenkommen.

Er schreibt (DN 2): „Um die Liebe Christi auszudrücken wird oft das Symbol des Herzens verwendet. Manche fragen sich, ob es heute noch eine gültige Bedeutung besitzt. Aber wenn wir versucht sind, uns an der Oberfläche zu bewegen, in Hektik zu leben, ohne letztendlich zu wissen, wozu, wenn wir Gefahr laufen, zu unersättlichen Konsumenten werden, zu Sklaven eines Marktsystems, das sich nicht für den Sinn unseres Lebens interessiert, dann tut es not, die Bedeutung des Herzens wieder neu zu entdecken.“

https://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/20241024-enciclica-dilexit-nos.html

Wenn jemand mich fragt, warum ich Jesuit geworden bin, dann antworte ich meist, dass es wegen der Geistlichen Übungen, der Exerzitien sei, die ich bei den Jesuiten kennen gelernt habe. Tatsächlich hat erst diese Gebetsform für mich einen Weg eröffnet, dass ich meine Gedanken und Gefühle, meine inneren Bewegungen und Vorstellungen irgendwie in einen Kontakt bringen konnte.

Ich habe einerseits viel nachgedacht, Physik, Philosophie und Theologie studiert, habe andererseits Meditation geübt und so gebetet; hatte viele Wünsche und Sehnsüchte und Ideale und andererseits eine wache Wahrnehmung von der Welt und von dem, was alles nicht gut ist. Und erst in dem Moment, wo alles das in mir, in eine Beziehung kommen konnte, wo es miteinander da sein durfte und Raum bekam, nicht verdrängt wurde, aber an seinem Platz im Orchester mitspielen durfte, da konnte ich wirklich Entscheidungen treffen.

Sie kennen wahrscheinlich den Pixar-Film „Alles steht Kopf!“ (engl. inside out), wo von einem Mädchen erzählt wird, das mit seiner Familie umzieht – und dann im Film das gezeigt wird, was innen geschieht – im Herzen, in der Seele, im Denken und in all ihrer Kraft. Wie da die verschiedenen Gefühle und Grunderfahrungen, wie Ressourcen und Stimmungen, wie Gedanken und Ideale und alles das miteinander streiten – und wer dann in welchen Situationen bestimmt. Ein wunderbarer Film.

Gott ist einer! Und der Mensch ist einer! Und am Ende werden wir auf die Liebe mehr antworten können, wenn wir das Herz als den Ort unserer Mitte wiederentdecken – weil wir geliebt sind. Daran mag uns das Herz Jesu erinnern, als das Symbol und Zeichen der unwiderruflich für den Menschen entschiedenen Liebe Gottes zu uns Menschen, die uns im Leben und Sterben und in der Auferstehung Christi begegnet ist. Das feiern wir, wenn wir Eucharistie feiern. Amen.

Montag, 30. September 2024

Skandale

Predigt 26 So im Jahreskreis B – Manresa, 29.9.2024

Les: Num 11,25-29; Jak 5,1-6; Mk 9,38-49

"Hör auf deine Hände und sie werden Dich glücklich machen." – so lese ich auf einem Plakat eines bekannten Baumarkts. Im Evangelium lese ich das Gegenteil: "Wenn deine Hand dir Ärgernis gibt, dann hau sie ab!" (Mk 9) Was ist denn nun richtig?

Es ist ein merkwürdiger Evangeliums-Text, den wir gerade gehört haben, indem verschiedene Lehraussagen Jesu aneinandergereiht wurden. Doch ergibt sich nicht gerade in dieser Zusammenstellung durch Markus ein neuer Sinn für uns? Es sind drei Abschnitte, drei Zurechtweisungen, und sie haben alle mit einer Haltung zu tun, die im Glauben wesentlich ist.

1/ Der erste Abschnitt handelt von der Begegnung der Jünger mit einem Wundertäter, der nicht zur Gruppe von Jesus und seinen Jüngern gehört, aber im Namen Jesu Dämonen austreibt - und dies offenbar erfolgreich. Die Jünger halten das für „spirituelle Aneignung“ und versuchen, ihn daran zu hindern. Doch Jesus weist sie zurecht: „Hindert ihn nicht!“. Der Meister ist tolerant und gechillt. Schon allein aus Nützlichkeitserwägungen versucht er, sie zu bremsen. Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden! Ein ganz moderner Jesus, als wollte er sagen: Seid freigiebig! Lasst es zu! Übergebt es dem Wirken Gottes. Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden.

2/ Der zweite Abschnitt, der zunächst ja auch einladend und tolerant beginnt, weist darauf hin, dass die im Verborgenen geübte Nächstenliebe an den Mitchristen das Entscheidende ist, konkret: dem anderen einen Becher Wasser zu geben. Doch über das Stichwort der „Bedürftigkeit“ der Kleinen wird die Rede plötzlich zu einer Warnung vor der Verführung zum Bösen. Es geht um „die Kleinen, die glauben“. Sind damit Kinder gemeint? Oder neu im Glauben stehende Menschen? Oder die Gläubigen insgesamt? Es gibt dazu unterschiedliche Interpretationen. Klar ist jedoch, wovor gewarnt wird: vor dem „Ärgernis geben“, griechisch skandalon, also eigentlich „Glaubensabfall verursachen“. Es wird davor gewarnt, einen Skandal zu verursachen, so dass andere den Glauben verlieren bzw. aus der Gemeinschaft der Glaubenden hinausgedrängt werden. Gewarnt wird vor einem unglaubwürdigen Verhalten von Christen. 

Eine Aktualisierung für heute fällt nicht schwer. Der sexuelle Missbrauch in der Kirche, die Verbrechen von Amtsträgern, die Privilegien, die Ehrsucht und das Machtgehabe: Immer, wenn das Verhalten von Christen dazu führt, dass Menschen am Glauben verzweifeln und aus der Kirche austreten, handelt es sich theologisch gesprochen um einen Skandal. Wer so etwas verursacht, „für den wäre es besser“, so heißt es, „wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde“. Diese Todesstrafe war bei den Juden nicht üblich, aber ich glaube, jeder kann sich vorstellen, was damit gemeint ist.

3/ Und schließlich der dritte Abschnitt: eine Warnung vor der Verführung zum Bösen durch sich selbst. Hier geht es nicht um andere, die Ärgernis geben oder Skandal beziehungsweise Glaubensabfall verursachen, sondern da geht es um mein eigenes Verhalten, das dazu führen kann, dass ich den Glauben an die Güte und die Allmacht Gottes verliere. Haben Sie diesen Gedanken schon einmal gehabt? Markus gibt drei konkrete Beispiele

a/ Wenn deine Hand dir Ärgernis gibt. Die Hand steht symbolisch für das Handeln der Menschen. Wenn ich stehle, wenn ich schlage, wenn ich anderen den Hals umdrehe und ihnen die Luft zum Atmen nehme, immer dann wird dieses Handeln, das nicht nach Gottes Willen ist, dazu führen, dass mein Glaube rebelliert. Soll ich dann lieber den Glauben verlieren oder lieber das Handeln radikal ändern?

b/ Wenn dir dein Fuß Ärgernis gibt. Der Fuß steht das für das Verhalten der Menschen. Wenn ich andere trete oder wenn ich den Konflikten meines Lebens aus dem Weg gehe, wenn ich vor Problemen weglaufe, wenn ich nicht den Weg in die Kirche finde, sondern lieber in die Kneipe gehe, immer dann, wenn mein Verhalten nicht nach Gottes Willen ist: Sollte ich dann lieber Gott aus dem Weg gehen oder einfach mal vor ihm stehen bleiben?

c/ Das dritte Beispiel ist das Auge. Das ist ein wohl zu uns heute sprechendes Bild. Auch wir sagen heute noch: „jemand hat begierige Blicke“. Wenn wir Angst haben, dass wir im Leben zu kurz kommen, dann schauen wir auf alles und jedes mit Neid und Missgunst. Wenn wir nur darauf achten, dass wir unsere Begierden und Wünsche befriedigt bekommen, dann „mästen“ wir unsere Herzen (Jak 5), statt nach Gerechtigkeit zu suchen. Und dann wird diese Haltung, dieser Blick auf die Welt, mit der Zeit auch unseren Glauben skandalisieren. Werde ich dann den Glauben aufgeben oder diese Haltung aufgeben? 

Gerade diese Haltung, die Angst um mich selbst, verhindert das Vertrauen in Gott! Kann ich loslassen und mich öffnen? Wir hören im Evangelium drastische Worte, die uns warnen sollen. Letztlich geht es um eine Einladung zum wirklichen, ernsthaften und beständigen Glauben.

Der heilige Ignatius gibt als Hinweis für das Vorbereitungsgebet in den Exerzitien den Hinweis: „von Gott unserem Herrn die Gnade erbitten dazu hin, dass alle meine Absichten, Handlungen und Beschäftigungen rein im Dienst und in der Verherrlichung Seiner Göttlichen Majestät geordnet seien.“ (EB 46). Denn er hat in seinem Leben mehr und mehr entdeckt, was wirklich „Glaube“ bedeutet: ein Vertrauen auf die Führung durch Gottes guten Geist. Und er hat erfahren, dass es Handlungen, Verhalten und Haltungen gibt, die den Glauben töten, und solche, die ihn fördern.

Es ist heute, in einem oft ungläubigen Umfeld, sicher nicht leicht, den Glauben zu leben. Der Heilige Geist möge Sie im Glauben stärken, dass Sie tolerant mit anderen umgehen, sorgsam den Glauben in der Kirche schützen und das eigene Verhalten, die eigenen Handlungen und Ihre Haltung immer wieder prüfen, ob sie der Beziehung, die Gott durch Jesus Christus mit Ihnen begonnen hat und vertieft, entspricht. Amen.


Sonntag, 22. September 2024

Gastfreundschaft



Predigt 25. Sonntag im Jahreskreis B | Hamburg 22.9.2024

Les: Weish 2,1.12.17-21; Jak 3,16-4,3; Mk 9,30-37

Vorletzte Woche war ich mit einer Pilgergruppe in Schweden: 26 Personen, eine Woche mit dem Bus, unterwegs an schönen Orten, auf den Spuren des heiligen Ansgar und der heiligen Birgitta, die für den christlichen Glauben im Norden eine besondere Bedeutung haben. Es waren intensive und gesegnete Tage mit vielen Begegnungen mit den Ordensgemeinschaften bzw. mit den Gemeinden vor Ort. Denn das Ziel der Reise war es, nicht nur historische Sehenswürdigkeiten zu erkunden, sondern auch das Leben der katholischen Kirche in Schweden heute kennen zu lernen. So haben wir unterwegs immer wieder Menschen getroffen, die uns von ihrem Glauben, ihren Fragen, Sorgen und Nöten und vor allem von ihrer Hoffnung berichtet haben: In Lund trafen wir einen GCL-er und eine Dominikanerin, in Vadstena eine Birgittin, in Stockholm und in Uppsala die Jesuiten, in Södertälje einen chaldäischen Bischof und in Linköping einen schwedischen Diakon mit seiner Frau. 

Zwei Dinge sind uns bei der ganzen Reise immer wieder besonders aufgefallen:

1/ Es ist eine kleine Kirche. Offiziell sind 1,8 % der Schweden Mitglied der katholischen Kirche, d.h. es gibt in ganz Schweden weniger Katholiken als in der Stadt Hamburg. Nach der Reformation war es dort verboten, katholisch zu sein. Das öffentliche Bekenntnis wurde bestraft, bis hin zur Todesstrafe. Im 19. Jahrhundert gab es offiziell eine erste katholische Gemeinde, erst seit 1951 gibt es in Schweden Religionsfreiheit. Seit 2001 gibt es keine Staatskirche mehr, d.h. die Schweden sind seitdem nicht mehr automatisch Mitglied der lutherischen schwedischen Kirche. So bedeutet Religionsfreiheit bis heute für die meisten Menschen in Schweden, die Freiheit von der Religion, d.h. man muss nicht unbedingt gläubig sein. Nur wenige sehen die positive Seite der Religionsfreiheit für die Religion, nämlich die Möglichkeit die eigene Religion frei leben zu dürfen.

Die Kirche lebt vom Engagement und von der Hoffnung der Menschen. Es gibt außer den Priestern und Ordensleuten quasi keine Hauptamtlichen. Die finanzielle Unterstützung durch die deutsche Kirche und insbesondere das Bonifatiuswerk wurde uns gegenüber immer wieder hervorgehoben. In der schwedischen Gesellschaft wird die katholische Kirche kaum wahrgenommen, sie ist eher arm und wirkt fremd und exotisch. Gleichzeitig bietet sie für jene, die suchen, ein anspruchsvolles und gutes Angebot, die Gemeinden wachsen, es gibt insbesondere aus der Schicht der schwedischen Intellektuellen viele Konvertiten. Sogar einige evangelische Ordensgemeinschaften sind übergetreten. Das birgt viele Fragen und Herausforderungen, macht zugleich aber deutlich, wie sehr die katholische Tradition geschätzt wird, selbst wenn die Kirche klein und oft sehr fragil ist.

2/ Wir haben zweites eine große Gastfreundschaft erlebt. Wir wurden von Menschen aus den Gemeinden und Gemeinschaften erwartet und empfangen. Türen haben sich geöffnet, und jedes Mal gab es Kaffee und Zimtschnecken und eine schlichte Herzlichkeit. Viel beeindruckender jedoch finde ich die Gastfreundschaft gegenüber den Migranten. Schweden hat eine große Zahl von Irakern aufgenommen, später auch Syrer und Afghanen. Und von den Irakern sind viele chalädisch-katholische Christen. Sie feiern ihre Gottesdienste in den römisch-katholischen Gemeinden. Auch da gibt es manchmal Spannungen, aber insgesamt ist das bewundernswert, welche Gastfreundschaft die Schweden insgesamt und besonders die katholischen Gemeinden leben.

Warum erzähle ich Ihnen das? Weil es wesentlich mit dem heutigen Evangelium nach Markus zu tun hat. Dort geht es um zwei entscheidende Haltungen, die den Jüngern Jesu in der Nachfolge vorgestellt werden: Demut und Gastfreundschaft.

Jesus möchte seinen Jüngern unterwegs etwas mitgeben, nicht einfach nur eine Info mitteilen, was in den nächsten Wochen geschehen wird, sondern er möchte sie unterweisen, er möchte sie seine Sicht der Dinge lehren. Sie verstehen es leider nicht, trauen sich aber auch nicht, ihn zu fragen. 

Und das genau ist das Problem: sie sind nicht bereit zu fragen oder zu bitten. Sie meinen, sie könnten alles allein. Sie denken, sie sind die Größten. Sie sind mächtig. Sie sind wichtig. Und genau das ist nicht der Weg Jesu! Sondern den Jüngern ist ein Schatz „in zerbrechlichen Gefäßen“ (2Kor 4) anvertraut. Jüngerinnen und Jünger Jesu wagen zu fragen und zu bitten, Gott und den Nächsten, denn sie sind sich ihrer Verletzlichkeit bewusst. Nicht die Größe ist entscheidend, sondern die Demut, d.h. der Mut zu dienen und seine eigene Bedürftigkeit nicht zu verbergen: so wie ein Kind. Klein sein dürfen, d.h. nicht sich klein machen oder sich minderwertig fühlen, sondern die eigene Verletzlichkeit annehmen und nicht auf Macht und Stärke und Größe zu setzen, sondern auf Liebe und Wahrhaftigkeit.

Und die andere Haltung, die für Jesus entscheidend ist: die Gastfreundschaft! “Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ (Mk 9,37) Gastfreundschaft um Jesu willen: weil deine Freunde, Jesus, auch meine Freunde sind!

Gastfreundschaft ist mühsam: sich bereithalten, etwas vorbereiten und einkaufen, Zeit und Raum öffnen, auf anderes verzichten. Aber sie ist in besonderer Weise bereichernd, weil sie Begegnung ermöglicht, die nicht von Gewinn und Nützlichkeit bestimmt ist, und weil sie einen Vorgeschmack gibt auf das himmlische Fest, bei dem wir alle Gäste des Ewigen sein werden.

Demut und Gastfreundschaft, das sind zwei Haltungen für Jüngerinnen und Jünger Jesu, die auch oder vielleicht gerade in einer säkularisierten Gesellschaft angebracht sind, in der die Polarisierungen zunehmen: Ob mit Zimtschnecken oder ohne!


Montag, 2. September 2024

Vertrauen

Bild: https://www.ersilias.com/benjamin-gonzalez-buelta/


Statt einer Predigt am Sonntag, 1.9.24 - 22. Sonntag im Jahreskreis B

Les: Dtn 4, 1–2.6–8; Jak 1, 17–18.21b–22.27; Mk 7, 1–8.14–15.21–23


Vertrauen auf den Herrn (Ps 40,5)


Wer seine Sicherheit darauf setzt,

die Gesetze zu erfüllen, 

hat sich selbst einem Meister hingegeben,

kalt und unpersönlich, 

der unsere Komplexität straft 

wie ein Messerstich.


Wer seinen Wert darauf setzt, 

von anderen Anerkennung zu finden,

hat sich selbst den vielen Meistern hingegeben, 

die nicht zu ihm gehören, 

die ihn loben oder ihn verdammen, 

nach Lust und Laune.


Wer sein Selbstwertgefühl darauf setzt,

die eigenen Ziele zu erreichen, die er sich gibt, 

vertraut sich den dunklen Kräften an, 

die uns bewegen, aus unseren eigenen Schatten heraus.


Wer sein Vertrauen auf den Herrn setzt, 

der hat sich dem persönlichen Geheimnis hingegeben, 

das uns annimmt in unserer oft so mehrdeutigen Komplexität,

das uns wertschätzt mit einer Liebe, die immun ist gegen Enttäuschungen, 

das uns befreit von unserem dunklen Selbst,

indem es uns anbietet, kreativ seinen Plan für uns zu entwerfen,

und das eint, was durch Begrenzungen kaputt ist,

in die Gemeinschaft 

seiner unendlichen Umarmung.


(Benjamín González Buelta SJ, Confianza en el Señor; Übersetzung: Christian Modemann SJ)