Dienstag, 9. Juli 2024

Scheitern



Predigt Vierzehnter Sonntag im Jahreskreis B | Hamburg 

Les: Ez 1,28b-2,5; 2Kor 12,7-10; Mk 6,1b-6 

Wer sich heutzutage für die Nachfolge Christi entscheidet, wer sich der eigenen Berufung und Erwählung bewusst wird, der wird den Glauben im Hier und Jetzt zu leben versuchen. Das bedeutet: die eigene Komfortzone verlassen, sich einsetzen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, das Gebet praktizieren, die Schrift lesen, in Gemeinschaft den Glauben bekennen.

Das alles ist in unserer Kultur und Gesellschaft keineswegs selbstverständlich. Es ist damit zu rechnen, dass es Widerstand gibt. Es wird Menschen geben, die das nicht gut finden, und es wird Kräfte geben, die das zu verhindern versuchen. So kann es sein, dass ich bei allem guten Willen und allem durchdachten Engagement persönlich scheitere, selbst wenn ich mich im Glauben bemühe.

Wenn es im zweiten Petrusbrief heißt: „Deshalb, Schwestern und Brüder, bemüht euch noch mehr darum, dass eure Berufung und Erwählung Bestand hat! Wenn ihr das tut, so werdet ihr niemals scheitern!“ (2Petr 1,10) - so ist das eine Ermutigung und eine Ermahnung zugleich, die darauf baut, dass der Glaube ein Geschenk ist, dass er etwas Großes und Kostbares ist und dass es nicht in der eigenen Macht steht, über den Glauben zu verfügen.

Das Scheitern im Glauben suche ich nicht, aber ich weiche ihm auch nicht aus. Das Scheitern gehört vielleicht dazu. Es mag vielleicht in Gottes Willen und in seiner Berufung für mich liegen. Ich weiß es nicht. 

Die Spannung zwischen Kämpfen und Scheitern gibt es bereits im Leben Jesu. Wir hören von Widerstand und Unverständnis. Und am Ende ist Jesus, jedenfalls mit irdischen Augen gesehen, gescheitert. Er wird ungerecht verurteilt und verspottet, seine Jünger verlassen beziehungsweise verleugnen ihn.

Ignatius ermutigt dazu, Gott zu suchen und zu finden in allen Lebenssituation: in Gesundheit und Krankheit, in Reichtum und Armut, in Ehre und den Schmach, in einem langen Leben und in einem kurzen. Damit verschiebt sich die Frage nach der Bedeutung von Erfolg und Scheitern. Der Erfolg ist nicht mehr zentral, sondern es geht in erster Linie darum, mit Gott in allem verbunden zu bleiben. Wer am Ende scheinbar nichts vorzuweisen hat, muss trotzdem nicht fern sein vom Reich Gottes. Wesentlich ist die Bereitschaft und die Fähigkeit zu lieben, in allem.

Die Texte des heutigen Sonntags reden vom Scheitern. Der Prophet Ezechiel, der bei der Eroberung Jerusalem mit der Oberschicht nach Babylonien deportiert wurde, wird vom Herrn berufen, zu den Söhnen (und Töchtern) Israels zu gehen, die vom Herrn abtrünnig wurden, bzw. zu den abtrünnigen Völkern: Menschen „mit trotzigen Gesicht und hartem Herzen“. Zu solchen Menschen zu reden, dazu bedarf es einer enormen Standfestigkeit. Aber sie werden letztlich nicht auf den Propheten hören! Denn sie sind „ein Haus der Widerspenstigkeit“. Der Prophet wird mit seiner Botschaft scheitern. Das ist im Grunde am Anfang des Buches schon klar. Und trotzdem wird er gesandt!

Paulus berichtet im zweiten Brief an die Korinther von seiner Krankheit, dem „Stachel“ in seinem Fleisch. Ob es tatsächlich eine Epilepsie war, die ihn viel Kraft gekostet hat, oder eine andere böse Krankheit, ist letztlich egal. Er akzeptiert sie, weil er die Kraft Christi erkennt, die ihm in aller Schwachheit hilft. Er akzeptiert die Ohnmacht, die Misshandlung und die Nöte, die Verfolgung und Ängste, das Scheitern, dass er für Christus erträgt. Er sucht es nicht, aber er lässt es zu. Er weiß, dass es ihn nicht von der Liebe Christi trennt. Er weiß, dass sogar die Gnade Christi in diesem Moment für ihn deutlicher wird. So formuliert er, auf paradoxe Weise: „Denn wenn ich schwach bin, bin ich stark.“

Und schließlich Jesus Christus selbst. Er kann in seiner Heimatstadt, in Nazareth, am Sabbat in der Synagoge zwar lehren, und die Menschen staunen darüber, aber er kann dort bis auf einige Ausnahmen keine Machttaten tun, denn der Unglaube steht den Menschen im Weg. Die Menschen erkennen nicht, dass Jesus von Gott kommt, sondern sie reduzieren ihn auf seine leibliche Familie und auf seine Geschichte. Jesus scheitert in Nazareth. Aber interessant, dass er sich darüber nicht grämt oder mutlos wird, sondern dass er sich darüber wundert - und weiterzieht.

Kämpfen und Scheitern, das gehört offenbar im Glauben zusammen, es gehört zur Liebe, und es soll uns nicht erschrecken. Zum einen, weil wir im Glauben immer wieder neu anfangen dürfen; weil wir von Gott, Vergebung und Neubeginn geschenkt bekommen und den „Zauber des Anfangs“ immer wieder erleben dürfen: das Staunen und das Wundern. Zum anderen aber auch, weil wir im Kreuz erkennen, dass nichts uns von der Liebe Gottes trennen kann, ja sogar: dass manchmal im Scheitern noch mehr von seiner Gnade deutlich wird.

Sie, liebe N.N., sind schon lange ihren Weg im christlichen Glauben gegangen. Sie haben sich mit ganzem Herzen und mit all ihrer Kraft in der evangelischen Kirche engagiert und haben sich für andere eingesetzt. Sie haben den Glauben in der Gemeinschaft gelebt und praktiziert. Und haben doch letztendlich nicht das gefunden, was sie gesucht haben. Sie haben aber nicht aufgegeben, sie sind nicht mutlos geworden, sondern Sie sind weitergezogen. Sie haben weitergesucht und neu begonnen, in einer anderen Konfession. Die Feier heute ist das sichtbare Zeichen ihres Neubeginns.

Das Bild, das der heilige Ignatius für ein Leben in der Nachfolge Christi, mit seiner Spiritualität vom Kämpfen und Scheitern, am häufigsten verwendet, ist das Bild des Arbeiters im Weinberg des Herrn. So sieht er sich selbst am Ende seines Lebens: nicht mehr als Pilger oder Soldat, sondern als Arbeiter im Weinberg des Herrn. Er ist durch die Exerzitien zu dieser Sicht gelangt und sucht Gefährten für die Arbeit im Weinberg des Herrn, wir würden heute sagen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Sie haben dieses Bild von den Arbeitern im Weinberg des Herrn in einem unserer Gespräche gebraucht und mir gesagt, dass sie von nun an „auf der anderen Seite im Weinberg des Herrn“ mitarbeiten. Das ist ein sehr schönes Bild.

Ich wünsche Ihnen, dass sie hier, in der katholischen Kirche, auf dieser Seite des Weinbergs, ihren Platz und ihre Aufgabe finden. Und dass Sie sich darum bemühen, dass ihre Berufung und Erwählung Bestand hat. Und dass Sie immer wieder die Freude erfahren, dass wir so einen gültigen und treuen Herrn haben, dem wir in dem einen Weinberg dienen. Und den wir lieben. Amen.

Christian Modemann SJ, nach einer Idee von Hermann Kügler SJ

https://www.jesuiten.org/news/kaempfen-scheitern-lieben-die-ignatianische-spiritualitaet



Montag, 17. Juni 2024

Womit vergleichen?


Predigt 11. Sonntag im Jahreskreis B 2024 | Hamburg

„Er redete nur in Gleichnissen zu den Leuten; seinen Jüngern aber erklärte er alles, wenn er mit ihnen allein war.“ (Mk 4,34) - Ich lese und höre diese Notiz des Evangelisten am Ende und denke: „Wie gerne wäre ich dabei gewesen, wenn Jesus mit seinen Jüngern allein war und er ihnen alles erklärte!“ Zu den vielen Leuten, zu der Menge, und heute auch zu uns, redet Jesus nur in Gleichnissen von dem, was ihm am wichtigsten ist, vom Reich Gottes. 

Auf das Reich Gottes ist seine Verkündigung und sein heilsames Wirken ausgerichtet. Das sind die ersten Worte seines öffentlichen Auftretens, nach seiner Taufe: „Erfüllt ist die Zeit, nahegekommen ist das Königtum Gottes!“ (Mk 1,14). Von diesem Reich Gottes redet er in Bildern und Gleichnissen.

Gleichnisse sind oft mehrdeutig, der Alltagsbezug ist wichtig und er ist für uns heute nicht mehr so erfahrbar wie damals. Gleichnisse erschließen sich uns oft nicht direkt. Aber vielleicht bleibt es unsere Aufgabe, als Jüngerinnen und Jünger Jesu ihn immer wieder zu bitten, wenn wir mit ihm allein sind: „Erkläre es uns!“ 

1/ sichtbar und unverfügbar

Das erste Gleichnis handelt von einem Landwirt, der Samen auf den Acker sät, der dann wächst und reift. Im Zentrum dieser Erzählung steht das Geschehen selbst, der Prozess in der Erde und auf der Erde, der wie von selbst geschieht: „und der Mann weiß nicht, wie.“ (Mk 4,27) Es geschieht erfahrbar, sichtbar, wunderbar zu bestaunen, ohne dass man alles im Einzelnen kennen und verstehen muss.

Letzte Woche war ich mit zwei Männern, die am Samstag hier im Erzbistum Hamburg zu Diakonen geweiht werden, für eine Woche der Besinnung im Kloster Nütschau. Ich begleite sie nun schon einige Monate auf ihrem Weg. Und nichts war in diesen Tagen so gegenwärtig, wie das Staunen darüber, was in der letzten Zeit gewachsen ist, was sich verändert hat, was alles geschehen ist und geschieht - und meistens, ohne dass im Einzelnen zu wissen warum und wie. Man kann nur, im Rückblick, eine Veränderung wahrnehmen. 

Deshalb ist es gut, wenn man von Zeit zu Zeit einmal anhält und zurückschaut, was ist und was war und sich erinnert. Glaubende Menschen machen diese Erfahrung, dass es zwar eine gute Umgebung, gute Menschen um einen herum, Zuwendung, Gebet und so weiter bedarf, aber das vieles im Glauben unverfügbar ist und manchmal wie von selbst (automatisch) geschieht.

2/ groß und unaufhaltsam

Das zweite Gleichnis handelt vom Senf. Senf war im Altertum eine Feldfrucht, ein Gartenkraut. Der kleine Senf-Samen brachte viele Wurzeln und eine große, bis zu 3 m hohe Senfstaude hervor. Und jeder wusste: Wenn man dieses Kraut einmal im Garten hat, bekommt man es nicht mehr weg. Es ist deshalb nicht nur der Kontrast zwischen klein und groß, der hier erwähnt wird, sondern auch der Aspekt, dass die Dynamik des Glauben untergründig und unaufhaltsam ist.

Oft kommen Menschen zu mir, die vom Glauben erzählen, der sich trotz Widerständen nicht wegdiskutieren lässt. Aus einem kleinen Anfang geschieht und wächst etwas, dass sie irgendwann nicht mehr verbergen können und möchten, wo sie Austausch und Begegnung, wo sie die Begleitung in der Kirche suchen. 

3/ Mehr als nützlich

Und das ist der dritte Aspekt, der in beiden Gleichnissen zum Vorschein kommt. Was da entsteht und wächst, ist etwas Gutes, d.h. es hat nicht nur einen Nutzen für sich selbst, sondern auch einen Nutzen für andere.

Die Ähren der Körner geben Nahrung. Der große Baum spendet Schatten, in seinen Zweigen nisten die Vögel. Es gibt wahrscheinlich für einen Semiten am Oststrand des Mittelmeer nichts Schöneres als einen Baum, der Schatten spendet und in dem die Vögel nisten können. 

Zugleich klingt eine messianische Verheißung an: Der Baum, der Früchte trägt und in dem die Vögel nisten können – davon haben wir beim Propheten Ezechiel gehört. Es heißt dort: „Alle Vögel wohnen darin, alles, was Flügel hat, wohnt im Schatten der Zweige.“ (Ez 17,23) Alle Vögel, nicht nur bestimmte. Alle Vögel, das meint Heiden und Juden. Der Frieden der Völker, der mit dem Messias und seinem Reich verheißen ist.

Mehrere Aspekte des Reiches Gottes werden in diesen beiden Gleichnissen heute deutlich. Es ist (1) sichtbar und unverfügbar, es ist (2) groß und unaufhaltsam, es ist (3) mehr als nützlich. 

Jesus spricht vom Reich Gottes in Gleichnissen, und alles deutet darauf hin, dass das, was er meint, schon jetzt für uns erfahrbar ist. 

Wir erleben gerade die EM in unserem eigenen Land, und vielfach drängt sich der Vergleich zwischen Fußball, Kult und Religion auf. In einem Interview sagte Ralf Rangnick, langjähriger Fußballtrainer: vieles sei ganz ähnlich zwischen einem Fußballspiel und einem Gottesdienst, der entscheidende Unterschied sei: die Religion verspricht den Himmel im Jenseits, der Fußball schafft die Freude schon im Diesseits: „wenn zum Beispiel Deutschland Europa-Meister wird und ich dabei bin!“

Ich glaube, Ralf Rangnick hat viel verstanden vom Fußball, aber wenig von der Botschaft vom Reich Gottes. Denn das Reich Gottes, das mit Jesus begonnen hat, ist nicht nur das Jenseits, sondern es wächst schon, es ist schon im Kommen. Und es vermag heute schon Freude zu geben, vollkommene Freude. Amen.


Montag, 27. Mai 2024

Auf das Herz hören


Predigt Dreifaltigkeitsonntag 2024 Hamburg

Les: Dtn 4, 32-34.39-40; Röm 8, 14-17; Mt 28, 16-20

Vergangene Woche war ich im Kino und habe mir den Film „Sterben“ angesehen. Auf der Berlinale erhielt der Film den Silbernen Bären für das beste Drehbuch und vor wenigen Wochen wurde das Drama von Regisseur Matthias Glasner beim Deutschen Filmpreis als bester Film ausgezeichnet worden. Insgesamt war der Film in neun Kategorien nominiert; er galt als Favorit in dem Wettbewerb. Das wollte ich mir ansehen. In dem dreistündigen Film geht es um das Leben der Familie Lunies im Landkreis Harburg. Die Mutter ist krebskrank, der Vater hat Parkinson und muss ins Pflegeheim, der Sohn ein halbwegs erfolgreicher Dirigent in Berlin in einer offenen Beziehung und die Tochter eine einsame und unglückliche Lebefrau in Hamburg.

https://www.epd-film.de/filmkritiken/sterben

Ich habe den Film nicht bis zu Ende gesehen. Ich bin nach zweieinhalb Stunden rausgegangen, denn ich habe die Grausamkeit nicht ertragen. Der Film zeigt aus den verschiedenen Perspektiven die unterschiedlichen, einsamen Menschen, die eigentlich etwas Gutes wollen und gewisse Begabungen haben, ein halbwegs bürgerliches, geordnetes Leben führen, aber mit jeder Entscheidung nur noch mehr in ihr Unglück rennen. Es ist furchtbar zu sehen, was alles schief gehen kann; und wenn man denkt, es geht nicht schlimmer oder grausamer, dann hat man sich getäuscht.

Der Film ist künstlerisch anspruchsvoll, fängt faszinierende und intensive Bilder ein, erzählt eine spannende, tragische Geschichte: die Suche nach Leben und Liebe angesichts des Verfalls; und zeigt zugleich so viel Hass und Lieblosigkeit, Erbärmlichkeit und Leere. Zwischen Krankheit und Einsamkeit, Alkoholsucht und Ehebruch, Depression und Wut, Szeneleben und Bürgerlichkeit entfaltet sich die Negativdynamik der Hoffnungslosigkeit. Das Böse hat eine eigene Faszination. Die Bilder gehen nicht mehr aus dem Kopf.

Den Schlüssel für den Film findet man meines Erachtens im kurzen Prolog. Dort spricht ein Kind, ein junges Mädchen, vielleicht sechs oder sieben Jahre, eindringlich, ernsthaft, altklug, fordernd in die Kamera: »Du musst auf dein Herz hören! Du musst in die hineinhorchen, dann weist du, was du tun sollst. Du musst auf deine Natur hören! Du musst an dein Herz glauben!« Was soll das, fragt man sich. Das Mädchen kommt im Film nicht vor. Aber hier liegt meines Erachtens der Schlüssel.

Stimmen Sie der Aussage zu? »Du musst auf dein Herz hören! Du musst in die hineinhorchen, dann weist du, was du tun sollst. Du musst auf deine Natur hören! Du musst an dein Herz glauben!«

Es ist wesentlich auf das eigene Herz zu hören! Zunächst einmal in grundsätzlicher Weise: Wir müssen auf das Gewissen hören, denn sie ist die Stimme Gottes in uns! (Augustinus)

Als ganz persönliches Urteil begleitet es den Alltag und setzt manchmal als "schlechtes Gewissen" auch übel zu. Wir glauben: Der Mensch hört im Gewissen die Stimme Gottes. Der Katechismus sagt: "Der Mensch hat das Recht, in Freiheit seinem Gewissen entsprechend zu handeln, und sich dadurch persönlich sittlich zu entscheiden." Niemand darf dazu gezwungen werden, gegen das eigene Gewissen zu handeln (KKK 1782); vgl. GS 16.

Und gleichzeitig bei vielen Entscheidungen, bei den vielen Stimmen um uns ist es nicht leicht auf die Stimme des Herzens zu hören. Außerdem ist das eigene Herz manchmal unentschieden. Und wir können uns täuschen. Deshalb ist das Herz nicht das einzige „Organ“, was uns leitet. Es braucht zugleich eine Orientierung von außen, eine grundsätzliche Ausrichtung, einen groben Rahmen für die feinen Entscheidungen. Erst durch das Zusammenspiel von beidem, den äußeren Weisungen und den inneren Weisungen kommen wir zu einer realistischen und stimmigen Lebensweise.

Wenn Sie mit einem GPS-Signal beim Navi sich auf einer unbekannten Straße navigieren lassen, dann gibt es die Signale von außen. Wissen Sie, mit wie vielen Satelliten man in Verbindung sein muss, um mit deren Signal eine gute Standortbestimmung und eine gute Ausrichtung hinzubekommen? Mindestens drei.

Wir Christen glauben, dass Gott uns diesen Rahmen, diese Weisungen zur Freiheit mit den Zehn Geboten in der Geschichte seines Volkes gegeben hat. Und dass die christlichen Ethik keine Ansammlung von aufgesetzten, fremden oder überflüssigen Gebote und Regeln darstellt, sondern einen hilfreichen Rahmen der Orientierung und Weisung bietet. Dazu kommt dann die eigene Haltung und Einübung, die persönliche Überzeugung, die wir unterwegs im Laufe unsere Lebens gewissen, die wir Moral nennen. Und schließlich eben das feine Gespür der Unterscheidung im Gewissen und im Herzen.

Das Fest, das wir heute feiern, der Dreifaltigkeitssonntag, erinnert uns daran, dass Gott einer ist in drei Personen. Der Gott vor uns, der uns als Vater mit den zehn Geboten am Sinai die Weisungen geschenkt hat, die uns in die Freiheit führen sollen. Der Gott mit uns, der sich uns in Jesus Christus als die unbedingte Liebe offenbart hat und der Gott in uns, der Heilige Geist, der uns leitet und lenkt, der in uns atmet und Leben schenkt und der uns die Weite und das Vertrauen schenkt, auf unser Herz zu hören und mit ihm gute Entscheidungen zu treffen.

Ich kann ihnen nicht empfehlen, den Film „Sterben“ anzusehen; ich finde ihn, wie gesagt, zu grausam. Was ich Ihnen aber empfehlen möchte ist der Vortrag von Johannes Hartl bei der letzten MEHR-Konferenz. Dort hat er über „Realitätsverlust“ gesprochen. Sie können den Vortrag hier finden. 

https://youtu.be/99mkXk6WWu4?si=kQmREvK-gMbeVc0d

Er spricht meines Erachtens genau das an, was ihm Film dargestellt wird, und entwickelt es aus philosophischer Perspektive vor einem christlichen Hintergrund.

Auf das eigene Herz zu hören ist wichtig; aber auf die Realität zu schauen und vor allem auf die grundlegenden Weisungen Gottes, die uns darin Orientierung geben, noch viel mehr. Amen.


Dienstag, 21. Mai 2024

Advocatus


2024 Predigt Pfingstsonntag B – 19 Uhr – Manresa, Hamburg, Eucharistiefeier mit Taufe, Aufnahme, Erwachsenenfirmung, Les: Apg 2, 1-11; 1 Kor 12, 3-13; Joh 15,26–27; 16,12–15.

Wer oder was ist der Heilige Geist? Wo und wann erfahre ich den heiligen Geist? Wie wirkt der Heilige Geist? Letzten Freitag haben wir in einer GCL-Gruppe uns über diese Fragen ausgetauscht und es gab viele verschiedene Antworten, wo und wie diese Christen in ihrem Leben das Wirken des Heiligen Geistes erfahren oder zumindest erahnt haben: seine Leben spendende, ermutigende, tröstende, bewegende und faszinierende Kraft. 

Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Korinther davon, dass der Heilige Geist die Kraft der Auferstehung Jesu im persönlichen Leben der einzelnen Glaubenden entfaltet und wirksam werden lässt, nämlich indem er hilfreiche und gute Gaben schenkt: Charismen nennt Paulus sie. Viele von uns haben ein Charisma, das sieht man: ein Gabe, die anderen nützt, wenn sie in Liebe gelebt und geteilt wird, die uns miteinander verbindet wie einen Leib, weil jeder seine Aufgabe findet. Der Heilige Geist ist dann die Power, die unsichtbare Lebensenergie, der Atem der Liebe Gottes in uns.

Diese paulinische Vorstellung vom Heiligen Geist ist uns vertraut. Auch diejenigen, die heute getauft und / oder gefirmt werden, haben, diesen Geist schon erfahren oder erahnt. Das können die bezeugen, die sie in den vergangenen Monaten begleitet haben. Sie erfahren oder bekommen den Geist Jesu nicht erst heute in der Taufe und der Firmung, sondern sie wurden doch schon von ihm hierher geführt. Diese Erfahrung des Geistes wird heute besiegelt, bestätigt und eröffnet neue Erfahrungen in der Liebe Gottes.

Das Johannes Evangelium setzt heute allerdings noch einen etwas anderen Akzent. Dort wird vom Heiligen Geist als dem „Beistand“ gesprochen. Ein altes Wort, was ist damit gemeint? Wo braucht man vielleicht einen Beistand? Vor Gericht! Einen „Rechtsbeistand“. Das ist die eigentliche Bedeutung des griechischen Wortes: der Herbeigerufene, der Advokat, der Anwalt, d.h. der Beistand im Gerichtsprozess.

a/ Es zunächst einmal der Beistand in einem Prozess vor Gericht gegenüber anderen, die mich anklagen. Das ist die Erfahrung der Gemeinde des Johannes gewesen, dass sie sowohl von jüdischen „Traditionalisten“ als auch von heidnischen „Leuten von Welt“ angeklagt und vor die Gerichte gestellt wurden. Gotteslästerung, staatsschädigendes Verhalten. Zeugnis ablegen für Jesus, das war in den ersten Jahrhunderten der Kirche im römischen Reich tatsächlich zeitweise lebensgefährlich. Doch die Jünger erfahren: sie sind in dieser „Stunde der Wahrheit“ nicht allein. Sie haben einen Beistand, der vom Vater kommt, und er legt Zeugnis ab. Sie müssen sich nicht überlegen, was sie sagen sollen. Der Beistand ist es, der Zeugnis ablegt. Und die Jünger sind es die Zeugnis ablegen. Das sind schon einmal mindestens zwei, denn vor Gericht braucht es, so wissen seit Alters her, zwei Zeugen, damit eine Aussage glaubwürdig ist.

Immer wieder wurden und werden Christen wegen ihres Glaubens angeklagt und verfolgt. In der Nazizeit standen in Deutschland Christen vor Gericht und wurden gefoltert und ermordet. Rupert Mayer, Alfred Delp, Edith Stein, Dietrich Bonhoeffer, usw.

Und heute werden in vielen Ländern der Erde Christen wegen ihres Glaubens verfolgt: in Afrika, in Indien, im Nahen Osten. Das Rot des Pfingstfestes erinnert nicht nur an das Feuer des Geistes von damals, sondern auch an das Blut der Märtyrer von heute, der Zeugen für Christus. Sie waren und sie nicht allein, denn der Beistand ist für immer bei ihnen. (vgl. Joh 14,16).

Wenn Sie heute in Hamburg gefirmt werdet, dann wissen Sie, dass Sie Zeugnis ablegen werden. Sie werden keine Märtyrer sein, aber wenn man Sie blöd anmacht wegen Ihres Glaubens, dann wissen Sie, dass Sie nicht allein sind. Und Sie werden innerlich wissen, wie Sie sich verteidigen sollen, auf welche Weise Sie klug reagieren. Warum Sie das wissen werden? Damit sind wir beim zweiten Aspekt.

b/ Der Heilige Geist in nämlich auch ein Beistand für mich selbst. Luther hat mit „Tröster“ übersetzt, es ist ein innerer Lehrer, der mich persönlich an die Worte Jesu erinnert und mir ihre Bedeutung erschließt. „Er wird euch in der ganzen Wahrheit leiten,“ so heißt es im Johannes-Evangelium (Joh 16,13). Und an einer anderen Stelle sagt Jesus: „der Beistand wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (Joh 14,26) Heute im Evangelium ist schließlich noch ein prophetischer Aspekt angesprochen: „er wird euch verkünden, was kommen wird“ (Joh 16, 14), aber vor allem lehrt und erschließt er uns die Wahrheit über Jesus Christus. Das ist die Art und Weise, wie Jesus selbst in den Jüngern wohnt und anwesend ist, indem sie ihn erkennen und verherrlichen, d.h. ihm den Platz in ihrem Leben geben, der ihm zukommt, in Ehren: indem Sie ihn innerlich erkennen und immer besser kennen lernen.

Das hat Kraft! Die Worte Jesu haben Kraft. Die lebendige Erinnerungen an Jesus Christus hat Kraft! Denn wir erkennen in dieser Wahrheit nicht nur, wer Jesus ist, der Sohn Gottes, sondern wir erkennen auch, wer wir selber sind. 

Haben Sie sich schon einmal gefragt: „Wer bin ich? Wer bin ich eigentlich?“ Wenn ich mich in einer neuen Runde vorstelle, dann sage ich meist, wie ich heiße, wo ich wohne, welchen Beruf ich habe und ob ich verheiratet bin oder nicht, usw., das ist alles richtig. Aber wer bin ich eigentlich? Weiß ich das?

Der Beistand führt mich in diese Wahrheit: Dass ich mit Christus ein „geliebtes Kind Gottes“ bin und dass ich von ihm beim Namen gerufen werde. Oft glauben wir das nicht bzw. zweifeln an dieser Liebe. Ich? Geliebt? Wirklich? Ich glaube, das hat sich jeder schon einmal gefragt, oder? Kann ich dieser Botschaft wirklich trauen, dass ich von Gott geliebt bin und dass ich mich nicht vergleichen muss ob der ein oder andere mehr geliebt ist als ich? 

„Der Geist wird von dem, was mein ist, nehmen und er wird es euch verkünden.“ Was wird er nehmen und verkünden? Die „Sohnschaft“. Du bist mit Christus „Sohn“ und Erbe. Erbin auch. Aber bitte den Sohn nicht gendern, weil wir nicht nur „Kinder Gottes“ sind, das auch. Aber wir haben tatsächlich mit Christus diese Würde der „Sohnschaft“. Versöhnung. Wir werden beim Namen gerufen.

Die Schriftstellerin, Sibylle Lewitscharoff, die vor einem Jahr gestorben ist, begann eine ihrer Poetik Vorlesungen in Zürich mit dem Hinweis auf die Bedeutung des Namens: „Werden wir bei unserem Namen gerufen, kehrt unser im Vagen herumtreibendes Ich, das unablässig in Aufflug- und Unterwindungsgeschäften unterwegs ist, augenblicks zu uns zurück. Beim Namen gerufen, sind wir in der innersten Substanz berührt, die uns zusammenhält. […] Niemals war der Name Schall und Rauch, niemals nur ein leicht obenauf sitzendes Häubchen, zufällig und ephemer, immer war zwischen dem Namen und dem, der ihn trägt, eine innige Beziehung gestiftet. Im Namen wohnt eine Zwingkraft. Sie zwingt die Gestalt zu bleiben, und sie verbürgt, daß der windige, sich selbst immerzu entflatternde Mensch sich in seiner Gestalt wieder versammeln kann. Ist mehr als ein Name da, können die Namen in die Wechselrede eintreten und darin belebend wirken.“

Alles, was wir heute Abend feiern und tun, ist: die Erinnerung an Jesus lebendig werden zu lassen oder besser: uns erinnern zu lassen an Jesus und die Wahrheit über uns und unser Leben und sie uns sagen zu lassen: Dass wir geliebt sind! Bedingungslos geliebt!

Gleich, in der Taufe bekennen Sie den Glauben an diesen Gott, der sie liebt. Ihnen wird alles vergeben, was sie von Gott trennt, sie werden mit Christus verbunden in Tod und Auferstehung und bekommen Anteil an der „Sohnschaft“ und werden in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen. In der Firmung wird diese Verbindung, die wir Glauben nennen, und die uns trägt, besiegelt, gefestigt, damit sie Zeugnis ablegen können und Zeugen werden durch den Heiligen Geist. Er ist der Beistand, quasi der Doppelgänger Jesu auf Erden, der in ihnen ist und mit ihnen ist. Sie sind nicht allein! Amen.


Freitag, 10. Mai 2024

Abschied


Predigt Xti Himmelfahrt 2024

Les: Apg 1,1-11; Eph 4,1-13; Mk 16,15-20

1/ Abschied

In Hamburg sagt man Tschüss. Immer wieder im Leben heißt es Abschied nehmen: am Ende eines Berufslebens, oder wenn wir die Arbeitsstelle wechseln Abschied von den Kolleginnen und Kollegen. Wenn ein guter Freund oder eine gute Freundin umzieht in eine andere Stadt, oder wenn wir selbst den Ort wechseln, Umzug und Neubeginn, Abschied von Freunden. Wenn ein Ehrenamt endet oder wie eine Aufgabe oder Tätigkeit loslassen müssen, Dank und Abschied. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ein Familienangehöriger, ein guter Freund, müssen wir Abschied nehmen. 

Ich habe das Gefühl, dass es im Laufe des Lebens immer mehr zu Abschieden kommt, je älter man wird, aber vielleicht ist das auch nur meine Veränderung der Zeitwahrnehmung. Als Jesuit bin ich inzwischen in den verschiedenen Phasen der Ausbildung siebenmal umgezogen, schon vorher habe ich an sechs verschiedenen Orten gewohnt. Da kommt ganz schön was an Abschieden zusammen. 

Manche Kontakte bleiben, und ich trage die Menschen noch im Herzen, schreibe mal eine Karte zum Geburtstag, leider viel zu selten, aber in 95 % der Fälle sind es endgültige Abschiede. Es war eine gute Zeit oder auch eine nicht so gute Zeit, aber wir werden uns nicht wieder sehen. 

Gerade in meinem Arbeitsbereich im Generalvikariat, in der Kirche gibt es sehr viele Veränderungen, die Babyboomer gehen, sehr viele Abschiede. Immer bleibt etwas. Wenn es nichts kostet zu gehen, dann ist es kein gutes Zeichen. Denn wenn ich geliebt habe, dann bin ich auch irgendwie beteiligt, dann habe ich mein Herz geöffnet und dann geht Abschied nicht einfach so.

2/ Jesus

Das Fest Christi Himmelfahrt erinnert an den Abschied des Auferstandenen von seinen Jüngern. Jesus ist den Seinen vierzig Tage erschienen. Er hat ihn durch viele Beweise gezeigt, dass er lebt, wie die Apostelgeschichte schreibt. Er hat mit ihnen gegessen und getrunken und hat vom Reich Gottes gesprochen. Wie auch immer diese Erzählungen zu verstehen sind, symbolisch, übertragen: Es ist ein anderer, bemerkenswerter und besonderer Abschied.

Es ist nicht wieder der Abschied vor der Kreuzigung, der ganz von anderen Mächten bestimmt war und den Jesus im Leiden, in der Liebe inmitten der Verachtung, in der Hoffnung inmitten von Dunkelheit mit seinen Jüngern erlebte. 

Jetzt, nach seiner Auferstehung, ist es ein anderer Abschied. Dieser Abschied wird ein endgültiger Verlust. Fortan gilt für die Jünger: „Sie suchten ihn, weil sie ihn liebten, doch nichts von dem, was sie machen oder von dem, was sie sehen, bietet Ihnen Gelegenheit, ihm zu begegnen.“

Gleichzeitig ist dieser Abschied ein Grund zur Freude. Diesen Abschied gestaltete Jesus selbst zu einem freudigen Ereignis, und er wurde zu einer Quelle der Sicherheit, mit der seine Jünger diese Zeit der Trennung, nach seinem Abschied, bestehen sollten. 

Der Abschied von Jesus ist nicht überraschend. Er hat es lange angekündigt und seine Jünger darauf vorbereitet, auch wenn sie es nicht verstanden, schon vor Tod und Auferstehung. Immer wenn er etwas Großartiges tat oder sagte, hat er sich danach zurückgezogen. Kein Wunder, ohne dass er wieder ins Gebet geht und deutlich macht, zu wem er eigentlich gehört. Die Abschiedsreden Jesu, die die Jünger überhaupt nicht verstehen, reden von dem Geheimnis, indem er lebt. Ein Geheimnis ist ein Ort, wo man bleiben kann, wo man daheim ist. Der Abschied ist nicht überraschend für die Jünger, auch wenn sie so tun.

Aber der Abschied diesmal ist von Freude durchdrungen. Er tropft von Glück. Er wird in allen Poren sichtbar. Die Jünger weinen nicht, oder höchstens vor Freude, die Jünger kehren nach Jerusalem zurück, erfüllt von dieser Freude, um Gott zu loben, überglücklich aus ganzem Herzen, Dank zu sagen, für die empfangenen Gnaden.

Ist das eine unerklärliche Freude? Das Vertrauen in ihn war bisher an seine Person gebunden, an die Sehnsucht nach ihm, er als Gegenüber, als Vorbild, als Freund. Doch Petrus wird in Kürze der Menschenmenge die überraschende Benommenheit der Jünger erklären, die in ihnen seinen Geist verbreitet hat, der Geist des verherrlichten Jesus. Es ist die erste Predigt des Petrus, und sie geht über die Freude der Christen. Mit dem Abschied Jesu ist nämlich eine Freude eingezogen. Die Leerstelle ist zu einer Quelle der Freude geworden, unerwartete Erfüllung dessen, was ihnen eigentlich schon lange verheißen war.

Das mit der Leerstelle, die sich irgendwie füllt, ist etwas sehr besonders bei Abschieden im Glauben. Dietrich Bonhoeffer schreibt im Blick auf den Verlust eines lieben Menschen einen Satz, den ich gerne auf Kondolenz-Karten notiere:

„Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.“ 

3/ Erwartung

Die Erinnerung wird zur Freude – und sie wird gleichzeitig zur Erwartung des Kommenden und zu einer Verbundenheit untereinander führen. Tatsächlich wird ihre Gemeinschaft die Zeit ausfüllen, die den Weggang Jesu von seiner Rückkehr trennt. Immer wieder ist das in der Bibel zu hören, vgl. das Gleichnis von dem Mann mit der Königswürde, der zurückkommen wird; von den Talenten, die für eine bestimmte Zeit anvertraut sind; Jesus in den Abschiedsreden, die bei Johannes überliefert sind: „Ich werde wiederkommen“. Und dann eben auch hier die Apostelgeschichte, die wir gehört haben. „Was steht ihr da und starrt nach oben? Dieser Jesus, den ihr habt weggehen sehen, er wird wiederkommen!“

Die Zeit dazwischen ist eine Zeit der Liebe. „Ein neues Gebot gebe ich euch für diese Zeit: Liebt einander!“. 

Ist es so, dass diese Erinnerung an Jesus sie zusammen führt als Gemeinschaft? Oder ist es vielmehr so, dass ihre gelebte geschwisterliche Gemeinschaft die Erinnerung an Jesus wachhält? Beide Seiten sind gleichermaßen wahr, aber letztendlich verwandelt allein die Liebe die Erinnerungen in einen Quell der Freude.

Was bedeutet das nun für uns? „Er ist nicht hier!“ Das war schon die Botschaft der Engel am Grab und sie gilt auch für uns als Jüngerinnen und Jünger nach der Himmelfahrt. „Er ist nicht hier!“. Wir können Gott suchen und manchmal erahnen, aber wir finden ihn nicht, so dass wir ihn dingfest machen können. Er ist nicht der Freund in Fleisch und Blut, der an meiner Seite geht. Aber Jesus ist auf neue Weise doch da, manchmal ahnen wir es, er ist irgendwie doch ein Freund, im Suchen finden wir ihn, das ist die wichtigste Erfahrung der Christen. 

Das Warten auf den Herrn gehört zum Christentum. „Wo hältst du dich denn verborgen?“, „Ja, komm, Herr Jesus, Maranatha!“ Die Erinnerung an ihn wach halten. Indem wir ihn suchen und nicht finden, ist er doch auf eine geheimnisvolle Weise dabei, durch seinen Geist. Indem wir auf ihn warten, erfüllt er uns schon, erfüllt er, das All, wie der Epheserbrief schreibt, beherrscht er das All! Indem wir auf ihn warten, wachsen wir in der Einheit, leben wir den Glauben in diesem Dazwischen. Eine neue Form von Abschied, die Jesus uns zeigt, die Hoffnung stärkt und Freude schenkt. Durch den Geist, der in unsere Herzen ausgegossen ist. Amen.

Textidee und Zitate: Michel de Certeau SJ, Die Himmelfahrt (Meditation), erschienen in: Christus 6, Nr. 22, April 1959,211-220, übersetzt von Andreas Falkner, in: GuL (90) 2017, Heft 3, S. 312-319.

Foto von Riiana Izzietova auf Unsplash

Keine größere Liebe


Predigt Sechster Sonntag der Osterzeit B – Hamburg, Manresa – 2024

Les: Apg 10, 25-26.34-35.44-48; 1 Joh 4, 7-10; Joh 15, 9-17

Liebe Schwestern und Brüder,

das Johannes Evangelium gehört zu den besonderen Texten, mit denen man nicht zu Ende kommt: nicht leicht zu verstehen, oft sehr wiederholend und doch von grandioser Schönheit. Man hat das gefühlt schon hundertmal gehört: „Liebt einander!“ 

„Liebe Gott und deinen Nächsten wie Dich selbst.“ Das ist wohl tatsächlich die zentrale Botschaft des Christentums, die uns hier im Evangelium wieder einmal nahegebracht wird. Erlösung geschieht in Liebe, einfach: in dem man liebt! Und doch hat der Evangelist einige Stolpersteine ins Evangelium eingebaut, so meine ich, die uns aus unserer Komfortzone herausholen können. Drei dieser Fragen, über die ich gestolpert bin, möchte ich erwähnen:

1/ „damit eure Freude vollkommen wird.“ (Joh 15,11)

Jesus spricht hier im Evangelium von der Freude. Seine Freude, so wünscht er sich, möge in den Jüngern sein, damit ihre Freude vollkommen sei, ohne Grenze und Trübung. Gibt es das überhaupt: vollkommene Freude? In dieser Welt, wohl so viel Unfrieden und so vielen Probleme um uns herum sind? Ein bisschen Friede, eine bisschen Freude, das würde doch schon reichen, oder nicht? Muss es gleich so anspruchsvoll sein: „vollkommene Freude“?

Manche empfinden im dieser Jahreszeit Freude, wenn sie Regen und Sonne sehen, die Vielfalt der Bäume und Blumen, das Wachstum und den Segen. Dann singen Sie, dass das Herz „ausgehen“ und „Freude suchen“ möge. Freude, weil sich der Mensch als Teil der guten Schöpfung erkennt. Ich lebe in dieser schönen Welt!

Andere empfinden Freude, wenn sie Zeit mit einem geliebten Menschen verbringen, wenn sie in einem guten Gespräch ähnliche Interessen sehen oder sich verstanden fühlen oder wenn sie getröstet werden. Freunde über die Verbundenheit mit anderen Menschen. Ich bin nicht allein!

Freude ist in den Evangelien nicht definiert, aber sie ist immer eine Spur der Anwesenheit Gottes in uns. Echte Freude ist ein Gefühl in uns, dass uns auf Gottes Anwesenheit in uns und um uns herum hinweist. Deshalb wird die Freude mehr, wenn wir sie teilen.

Aber wir sind begrenzte Menschen, die Freude ist immer mit einer Sehnsucht verbunden. „Immer ist da Raum für mehr.“ Ist die Freude hier auf der Erde je vollkommen?

Jesus spricht im Moment seines Abschieds von Freude, weil er in diesen Tagen in die Jerusalem in besonderer Weise die Gegenwart Gottes erlebt und sich von seinem Vater gehalten und geführt weiß. Für ihn hat sich der Himmel geöffnet. Er erlebt die Anwesenheit Gottes auf eine neue und besondere Weise, und genau das möchte er auch seinen Jüngern vermitteln. Durch ihn hat sich für seine Jünger der Himmel geöffnet. Alles, was da geschieht, ist für ihn keine Tragödie, kein grausames Schicksal, sondern Heilsgeschichte. 

Dieser erste Stolperstein führt uns vielleicht zu der Frage, ob wir das, was mit Jesus erleben, als „nice to have“ ansehen, oder ob wir darin wirklich den Sinn und die Bedeutung unseres Lebens erkennen, unsere eigene Heilsgeschichte.

2/ „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13)

Jesus gab sein Leben hin für seine Freunde. Er setzte sein Leben ein. Er hat sein ganzes Leben als einen Dienst an den Jüngern verstanden. Er hat sie „geliebt bis zum Ende“. Er hat gesehen, dass darin die Gabe des Lebens besteht, in seiner treuen und Grenzen überschreitenden Liebe.

Wenn wir auf Jesus schauen: Stimmt es dann, dass es keine größere Liebe gibt, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt? Hat nicht Jesus gelehrt, man solle sogar seine Feinde lieben? Ist das nicht eine noch größere Liebe, wenn man seine Feinde liebt? Oder geht das nicht?

Schon der heilige Bernhard von Clairvaux ist offenbar über diesen Satz gestolpert. Er sagte in einer Predigt in der Karwoche: „Niemand hat eine größere Liebe als einer, der sein Leben für seine Freunde gibt: Du, o Herr, hast eine größere gehabt: du hast es für deine Feinde hingegeben! Als wir nämlich noch Feinde waren, sind wir durch deinen Tod mit dir und dem Vater ausgesöhnt worden. […] Kaum jemand stirbt für einen Gerechten: du hast für Ungerechte gelitten und bist unsere Sünden wegen gestorben, du bist gekommen, die Sünder, ohne dass sie es verdient hätten, gerecht zu machen: Knechte zu Brüdern, Gefangene zu Miterben, Verbannte zu Königen zu machen … [Jesus liebte so,] dass er sein Leben dem Tod preisgab und die Sünden vieler trug, […] dass er sogar für die Schuldigen betete.“

Dieser zweite Stolperstein zeigt uns die Besonderheit der Liebe Jesu für uns: dass er uns als Freunde liebt, dass er uns aber sogar als Feinde liebt, wenn wir uns von ihm entfernt haben, und uns bei sich haben möchte – und vielleicht als Feinde zu Freunden liebt. 

3/ „Ich nenne euch nicht mehr Knechte“ (Joh 15,15)

Hat Jesus seine Jünger je Knechte genannt? Nicht, dass ich mich erinnere! Sie haben ihn als Herrn und Meister angeredet, aber er hat sie nie als Knechte behandelt oder angesprochen. Er selbst hat sich als Knecht gesehen, als der Gottes Knecht, von dem der Prophet Jesaja gesprochen hat. Er hat Ihnen vom Reich Gottes erzählt, in Gleichnissen wie vom treuen und vom treulosen Knecht. Er hat sie aufgefordert, einander zu dienen: der größte bei euch soll euer Diener sein. Aber er hat soweit wir wissen seine Jünger nie als Knechte bezeichnet. 

Dieser Stolperstein führt uns, finde ich, direkt zu der Frage, wie ich mich selbst in der Beziehung zu Jesus verstehe. Sehe ich mich als Knecht oder als Magd Jesu? Oder sehe ich mich als Freund oder als Freundin Jesu? Wer ist Jesus für mich? Ein Kumpel? Ein Bruder? Der göttliche Herr? Kann ich das Angebot der Freundschaft Jesu, dem Sohn Gottes, dem Menschensohn, annehmen? Möchte ich diese Freundschaft mit Jesus leben?

Drei Anregung, drei Stolpersteine, die uns den Reichtum des Wortes Gottes vielleicht neu und tiefer entdecken lassen, egal ob wir neu hinzukommen oder den Text gefühlt schon hundertmal gehört haben. Und die uns vermitteln können, was das sein mag: Wirklich zu lieben. Denn darin liegt unsere Erlösung. In der Liebe. Geliebt zu werden und zu lieben. Amen.

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Montag, 29. April 2024

Drei Worte


Predigt – Fünfter Sonntag der Osterzeit B – 28.4.2024 – 19 Uhr Manresa, Hamburg (Vorstellung Katechumenen), Les: Apg 9,26-31; 1Joh 3,18-24; Joh 15,1-8

Liebe Schwestern und Brüder!

Der Tisch des Wortes ist heute, am fünften Sonntag der Osterzeit, mal wieder reichlich gedeckt und angesichts so vieler köstlicher Speisen weiß man kaum, wo man anfangen soll. Bei der Lesung aus der Apostelgeschichte, die vom Wachstum dennoch jungen Kirche erzählt? Oder bei der Lesung aus dem ersten Johannesbrief, mit seiner ganz eigenen, besonderen Ausdrucksweise? Oder beim Evangelium, bei den Abschiedsreden Jesu und dem eindrucksvollen Bild vom Weinstock und den Reben? 

Ich möchte heute Abend drei Worte herausnehmen, drei Probierhäppchen erwähnen aus diesem großartigen Menü. Ich habe sie im Blick auf die neu Hinzugekommenen ausgewählt. Sie verdeutlichen für mich eine gewisse Haltung im Glauben, und sie zeigen eine Richtung für unser Verhalten als Christen in dieser Welt auf.

1/ freimütig

Fangen wir bei der Apostelgeschichte an. Dort ist von einem Konflikt die Rede. Für den neu bekehrten Saulus/Paulus war es nicht leicht, den Anschluss an die Gemeinde von Jerusalem zu finden. Es gab noch viel Misstrauen ihm gegenüber und gegenüber seinem Freund Barabbas. Gleichzeitig gerät er in den Konflikt mit den früheren „eigenen Leuten“, zu denen er gehört hatte, den Griechisch sprechenden Juden, den so genannten Hellenisten. Sie wollten ihn umbringen. In dieser aufgeheizten und zugleich deprimierenden Situation der jungen Kirche fällt ein Wort auf: „freimütig“. Gleich zweimal ist es erwähnt. Barnabas berichtet, wie Saulus in Damaskus von seinen Erfahrungen im Glauben berichtet habe und wie er „freimütig im Namen Jesu“ aufgetreten sei. Und dann in Jerusalem: dass Paulus „freimütig im Namen des Herrn“ auftrat. 

Freimut (parrhesia), das bedeutet Redefreiheit, über alles sprechen zu können. Das ist etwas Besonderes in der jungen Kirche. Es ist die Grundlage für ein Gespräch, dass nach Wahrheit sucht. Nichts verschweigen müssen. Keine klugen Worte oder politische Rücksichtnahme, sondern der Mut offen sprechen zu können. Das, was man denkt und glaubt, zu sagen. Keine Denkverbote. Keine Redeverbote. Ich glaube, das ist für jeden und jeden in der Gemeinde wichtig, aber ganz besonders für die, die neu dazukommen. Und ich glaube auch, dass dies genau der Weg ist, wie wir Konflikte heute in der Kirche angehen sollten. Selbstverständlich respektvoll, aber eben vor allem mit Freimut.

2/ in Tat und Wahrheit

Ein Wort aus der Lesung aus dem ersten Johannesbrief. Dort werden wir aufgefordert, „in Tat und Wahrheit zu lieben“. Was meint denn das? Es ist offenbar das Gegenteil von „mit Wort und Zunge lieben“. Man soll also nicht nur reden, viele Worte machen, was man alles tun könnte und sollte und müsste oder was der Glaube einem alles bedeutet, sondern man soll den Glauben tun! „Verkünde das Evangelium, und wenn es sein muss, auch mit Worten!“, so hat es der heilige Franziskus einmal ausgedrückt. 

Glaube, will gelebt, werden, sich im Alltag bewähren, damit er authentisch ist. Das ist die innere Haltung, um die es geht, für die die neu dazukommen, aber für alle anderen auch, den Glauben wahr werden zu lassen! „Und daran werden wir erkennen, dass wir in der Wahrheit sind“, so heißt es im Johannesbrief. 

Dann kommt aber zu diesem Wort von „Tat und Wahrheit“ noch ein zweiter wichtiger Gedanke dazu: „Wir werden vor ihm unser Herz überzeugen.“ Vor ihm unser Herz überzeugen: Das ist für mich ein wunderschöner Ausdruck von Gebet. Vor ihm da sein. Gott als gegenüber, als du und die Aufgabe ist es einfach, sich vor ihm von ihm verändern zu lassen, verwandeln zu lassen. Wie? Das eigene Herz darin überzeugen, dass Gott barmherzig ist, dass er liebt, trotz allem und mehr, als wir denken. Johannes, sagt es so: „… unser Herz überzeugen, dass wenn unser Herz uns verurteilt, Gott größer ist als unser Herz, und alles weiß.“

Es ist also wichtig, den Glauben zu leben, konkrete Taten der Nächstenliebe zu üben und den Glauben wahr werden zu lassen. Genauso wichtig ist es, zu beten und die innerliche Beziehung zum Herrn zu suchen, nämlich das eigene Herz immer wieder von der Liebe Gottes zu überzeugen, beziehungsweise überzeugen zu lassen. Gott zu trauen, d.h. ihm etwas zuzutrauen.

3/ in Christus sein – vom Weinstock und den Rebzweigen 

Und ein letzter großartiger Gedanke, das Bild vom Weinstock aus dem Evangelium. Das Wort ist in sich missverständlich, weil nicht klar ist, was mit dem Wort „Rebe“ im Deutschen eigentlich gemeint ist. Was ein Weinstock ist, das wissen wir, aber Rebe?

Weinrebe ist im Deutschen einerseits die ganze Pflanze, die Rebsorte. Der Weinstock ist die kultivierte Wuchsform der Weinrebe. Eigentlich sind also Weinstock und Weinrebe synonym. Hier im Text ist das allerdings nicht so. Hier sind mit Rebe die Rebzweige gemeint, d.h. die Äste, an denen die Trauben wachsen. 

Weinstock und Rebzweige sind ein Bild dafür, wie wir mit Christus verbunden sind. Die Zweige sind ein Teil des Ganzen. Letztendlich lässt sich Weinstock und Rebzweige nicht unterscheiden. Das eine gibt es nicht ohne des andere oder es ist ein toter Weinstock. 

Doch würde das dann bedeuten: die Weise, wie Christus in dieser Welt gegenwärtig ist, das sind wir alle, die vielen Zweige zusammen? Der lebendige Christus: die Menschen, die mit ihm verbunden sind?

„Wenn ich uns Christen anschaue und wie wir uns vor der Welt präsentieren, dann kann das doch nicht Christus sein. Das wäre auch eine gefährliche Vorstellung, nachdem wir schwache Menschen auf einmal zu perfekten Teilen des großen Christus werden, der Gottes Sohn in unserer Zeit ist. Oder ich blende aus dem Bild die vielen Sünder aus und meine, da gäbe es doch die Heiligen, die wären dann die waren Zweige am Weinstock. Nur: Auch die Heiligen waren Sünder, manche sogar heftig. Es muss also noch einmal etwas Anderes sein. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Jesus ein Bild aus der Biologie nimmt. Denn dort ist es immer so, dass das Ganze mehr ist als der Teil, der Organismus sich nicht ableiten lässt von den verschiedenen Teilen, als würden diese herumliegen, auf ihre Funktion immer schon festgelegt sein und sobald sie zusammengesetzt werden, würde daraus ein einheitliches Ganzes entstehen. Vielmehr ist es umgekehrt. Ohne Organismus wären die Teile nur tote Masse. Erst dadurch, dass sie im lebendigen Leib sind, bekommen sie ihre Bedeutung und Funktion. Von sich aus haben die Teile die Möglichkeit dazu. Es ist in ihnen angelegt. Aber erst durch das Ganze des Organismus werden sie zu den einzelnen Zellen, Nerven, Organen – Teilen die einen Sinn ergeben. Die heutige Naturwissenschaft weiß darum, dass man komplexe Dinge nicht allein aus den Teilen erklären kann, sondern erst das neu entstandene Ganze es möglich macht, die Teile zu verstehen. Man nennt dies Emergenz.“ (Martin Löwenstein, Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2021)

Christus und die Kirche, das ist doch nicht identisch. Aber das Bild ist hilfreich, insofern es nämlich um den Zusammenhang der einzelnen Teile geht. Die Reben sind nur am Weinstock sinnvoll. Und mit ihm verbunden, können sie leben und Frucht bringen. Und der Weinstock selbst ist nur lebendig, wenn er Reben hat und Frucht bringt.

Insofern ist es auch für die neu Hinzukommenden ein gutes Bild: Glaube ist eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus, aber Glaube geht nicht ohne die Kirche, die anderen, die mit ihm verbunden sind. Nur dann ist Glaube lebendig und bringt Frucht.

Diese drei Haltungen (Freimut, Authentizität und Verbundenheit) sind gute Haltungen für den Glauben, der lebendig ist und Leben schenkt. Amen.