Montag, 23. Januar 2023

Veränderung möglich?



22.1.2023 - Predigt 3. Sonntag im Jahreskreis A, Manresa – Hamburg

Les: Jes 8,23b-9,3; 1 Kor 1,10-13.17; Mt 4,12-23

"Gregor Eisenhower, geboren 1960, hat Germanistik und Philosophie studiert. Er lebt als freier Schriftsteller in Berlin und schreibt Nachruf, unter anderem für den Tagesspiegel. Ja, sie haben richtig gehört: seit über zehn Jahren schreibt Gregor Eisenhower, Nachrufe. Nicht auf berühmte Männer und Frauen der Zeitgeschichte, sondern auf ganz normale Menschen. Er sagt, es sei eine Aufgabe, die sein Leben veränderte. Seine Besuche in den Leben der anderen zeigten ihm, was am Ende wichtig ist, und zählt: nicht die Karrierestationen oder die Urlaube, nicht die Sonne, nicht. Die Summe des ersparten oder des vergoldeten bringen unser Leben auf den Punkt, sondern unsere Bindungen zu anderen Menschen und unser Verhältnis zu uns selbst."

Er hat ein Buch über seine Arbeit geschrieben, es heißt: "Die zehn wichtigsten Fragen des Lebens". Darin ermutigt er, die Leser, "Rechenschaft abzulegen, bevor es zu spät ist. Denn es gibt keine Chance, es das nächste Mal besser zu machen!" (Klappentext)

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, was denn die zehn wichtigsten Fragen des Lebens nach Eisenhauer sind, doch vielleicht lohnt es sich, selbst zu überlegen: Was würde ich einen Menschen fragen, wenn ich sein Leben in einem kurzen Artikel oder Nachruf beschreiben sollte? Welche Frage, die ich für wichtig erachte, würde ich mir selbst über mein Leben stellen? Wie gesagt, Eisenhower hat entdeckt, dass es vor allem Fragen sind, bei denen es um unsere Bindungen zu anderen Menschen und um das Verhältnis zu uns selbst geht. 

Ich selbst würde unter meinen zehn wichtigsten Fragen notieren: Was bedeutet Umkehr für dich? Oder: Ist Veränderung möglich?

Diese Frage beschäftigt mich schon lange, sie ergibt sich unmittelbar aus dem heutigen Evangelium. Zwischen dem Bericht von dem Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa, zwischen den Zitaten aus dem Propheten Jesaja und der Erfüllung der alten Verheißung, zwischen den Berufungserzählungen ersten Jünger, den beiden Brüderpaaren, Petrus und Andreas, Jakobus und Johannes, ist fast unscheinbar das erste öffentliche Wort der Jesus-Verkündigung eingefügt: „Von da an begann Jesus zu verkünden: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“ (Mt 4,17) Jesus nimmt die prophetische Verkündigung Johannes des Täufers wortwörtlich auf (vgl. Mt 3,2: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“)

1/ Umkehr 

Metanoia, ursprünglich Sinnesänderung, bezeichnet (einerseits) eine Ablehnung der Sünde, ein Bereuen. Diese Reue, die sich auf die Vergangenheit richtet, geht gewöhnlich zusammen mit einer Bekehrung, durch die sich der Mensch (andererseits) Gott zu wendet und zu einem neuen Leben verpflichtet. Diese beider einander ergänzenden Seiten in ein und derselben Bewegung des Herzens werden im biblischen Wortgebrauch nicht immer unterschieden. Bereuen und bekehren sind die notwendige Voraussetzung, um das Heil zu empfangen, dass durch das Reich Gottes gebracht wird. 

Der Umkehr-Ruf Johannes des Täufers wird wieder, wie gesagt, aufgenommen von Jesus, aber auch von seinen Jüngern, später auch von Paulus.

„Kehrt um“ ist also nicht nur ein moralischer Appell. Tatsächlich hört man Ähnliches in diesen Tagen in wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Fragen immer wieder: Wir müssen uns Leben ändern, wenn wir das Klima schützen wollen, wenn wir gerechtere Lebensbedingungen für alle schaffen wollen, etc. Das stimmt. Wir müssen heute, in der „Zeitenwende“ sogar die friedenspolitische Agenda neu denken. Da ist viel Umdenken notwendig.

Bereuen hat manchmal auch mit Scham zu tun, über eine Handlung, ein Wort oder einen Gedanken, die ich am liebsten ungeschehen machen würde. 

Doch das Umdenken bei Jesus hat noch eine Dimension mehr. Es geht nicht nur um eine Kehrtwende im Sinne des Bereuens, sondern es geht eine Bekehrung im Sinne der Ausrichtung und des Denkens.

„Metanoiete!“ – verändert Euer Denken, das bedeutet wortwörtlich: Denkt darüber hinaus, denkt größer. Denkt größer vom Menschen und vor allem: Denkt größer von Gott. Traut ihm etwas zu, lasst ihn in euere Leben hinein, denn er ist schon nahegekommen – sein Reich ist schon nahegekommen. Traut ihm Vergebung zu, Erbarmen. Er hat tausend Mal mehr Möglichkeiten, Euer Leben zum Guten zu wenden, als ihr selbst machen und planen können. 

In Evangelii Gaudium (EG 178) schreibt Papst Franziskus: „Der Heilige Geist verfügt über einen für den göttlichen Geist typischen unendlichen Erfindungsreichtum und findet die Mittel, um die Knoten der menschlichen Angelegenheiten zu lösen, einschließlich der kompliziertesten und undurchdringlichsten.“ 

Deshalb – weil es auch um das Gottesbild geht - ist der zweite Teil der Botschaft genauso wichtig: Das Himmelreich ist nahe! 

2/ Himmelreich

Matthäus sagt „Himmelreich“ statt Gottesreich, um nach jüdischem Brauch den ehrfurchtgebietenden Namen Gottes durch einen bildhaften Ausdruck zu umschreiben. „Himmelreich“ bezeichnet das Königtum Gottes über das erwählte Volk und durch dieses Volk über die Welt. Diese Vorstellung bildete bereits das Zentrum des Alten Testaments; nun steht sie im Mittelpunkt der Verkündigung Jesu. Das Himmelreich umfasst ein Reich von Menschen, die mit Gott verbunden sind, deren Gott wahrhaft König sein wird, weil seine Königsherrschaft von Ihnen in der Erkenntnis und der Liebe anerkannt wird. 

Dieses Königtum wurde durch den Aufstand der Sünde infrage gestellt, durch eine souveräne Tat Gottes und seines Messias soll es wieder hergestellt werden. Diese Tat verkündet Jesus, wie Johannes der Täufer, als „nahegekommen“. Und er vollzieht sie, nicht in Form einer kriegerischen, nationalistischen Erhebung, wie es die Masse des Volkes erwartete, sondern auf eine ganz unkriegerische Weise, als Menschensohn und als Gottesknecht, durch sein Erlösungswerk, das die Menschen dem Herrschaftsbereich Satans, des Widersachers, entreißt. 

Vor der endgültigen, eschatologischen Verwirklichung, bei der die Erwählten in der Freude des himmlischen Festmahls beim Vater leben werden, fängt das Gottes Reich klein und unauffällig, geheimnisvoll, unter Widerständen an. Es erscheint als eine Realität, die bereits angebrochen ist und sich äußert in Jesu heilendem und befreienden Handeln, und die sich langsam auf Erden, durch die Kirche, entfaltet. 

In dieser Zeit gegenwärtig als das Reich des Menschensohnes Jesus Christus, wird es in der ganzen Welt durch die apostolische Sendung verkündet. Beim Endgericht wird das Reich Gottes durch die glorreiche Wiederkunft Christi endgültig aufgerichtet und dem Vater zurückgegeben. Bis dahin zeigt es sich als reine Gnade, die von den Geringen und von denen, die sich selbst entsagen, angenommen, von den Hochmütigen und Selbstsüchtigen aber verworfen wird. Eingang findet man nur mit dem hochzeitlichen Gewand des neuen Lebens. Es gibt solche, die ausgeschlossen werden. Man muss wachen, um bereit zu sein, wenn es unversehens kommen wird. 

„Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“ Diese Botschaft hören die Menschen in Kafarnaum, am See von Genezareth, in der Provinz, in Dithmarschen. Das ist für Matthäus wichtig, ebenso wie die nähere Beschreibung der Menschen, die Jesus zuerst und vor allem anspricht: Fischer, einfache, stinkende, arbeitende Menschen, die verwurzelt sind mit der Erde und doch eine große Sehnsucht im Herzen tragen, nach dem Licht, nach der Begegnung mit Gott, nach Befreiung und Erlösung.

Es gibt eine Art und Weise zu leben, wenn ich umkehre, d.h. bereue, loslasse und mich auf Gott ausrichte, mich Neuem zuwende, die eine unfassbare Freiheit und Freude beinhaltet. Das hören bzw. erahnen die Fischer am See von Genezareth in ihrem Alltag. Und das fasziniert sie so, dass sie alles liegen und stehen lassen und Jesus folgen. Ein Anruf – eine Berufung, die Mut macht, die herausfordert, die verändert – zuerst unser Gottesbild und dann unser Menschenbild und vor allem das Bild von uns selbst. Denn wenn Gott größer wird, dann werden wir nicht kleiner. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Gottes Möglichkeiten unsere Freiheit beschneiden würde. Im Gegenteil: Die Freiheit Gottes und die Freiheit des Menschen wachsen im gleichen Maße. 

Wo möchte ich umkehren, größer denken, anders denken? Wo ahne ich im Herzen, dass eine Veränderung eine größere Freiheit und eine größere Freude bedeuten kann? Wo bin ich bereit, etwas loszulassen, um etwas Neues zu beginnen? Diese Fragen – so scheint mir – gehören zu den wichtigsten Fragen im Leben eines Menschen. Und wie glücklich dürfen wir sein, dass Jesus sie uns heute stellt.


Montag, 26. Dezember 2022

Das Medium ist die Botschaft




2022 Predigt Weihnachten – am Tag, Manresa - Hamburg

Les: Jes 52,7-10; Hebr 1,1-6; Joh 1,1-18 

Den Weihnachtsgruß auf schönen Karten verbinden mehrere Freunde von mir gerne mit einem Jahres-Rückblick. So erhalte ich auf ein oder zwei Seiten ihre Reflektion über das, was ihnen in den vergangenen Monaten wichtig geworden ist. Ich bin dankbar, dass ich so an den Ereignissen und Erfahrungen teilhaben darf. Vor allem freue ich mich über die Dankbarkeit und die Wertschätzung des Lebens und der Begegnungen, die ihnen geschenkt wurden, die in diesen Rückblicken deutlich wird.

Mit einem Rückblick, der auf ein oder zwei Seiten das Wesentliche der Erfahrungen zusammenfasst, haben wir es auch beim heutigen Evangelium am Weihnachtsfest zu tun. Es ist der Prolog des Johannes-Evangeliums, der in kondensierten Worten schon alles anklingen lässt, was der Evangelist dann im Weiteren als Erzählungen entfalten wird. 

Es ist wie ein Überblick über die Heilsgeschichte – vom Beginn der Schöpfung bis heute. Er spricht von der Friedensbotschaft, die der Welt überbracht wird – und auf welche Art und Weise diese Botschaft überbracht wird.

„Im Anfang war das Wort.“ Von Beginn an liebt Gott diese Welt, er ist der Schöpfer, schenkt Licht und Leben. Alles ist durch sein Wort geworden. Gott liebt die Menschen und er tritt mit ihnen in Beziehung. Auf welche Art und Weise? Lange Zeit haben die Propheten sein Wort überliefert. Mose hat dem Volk das Gesetz gegeben. Johannes hat glaubwürdig davon gesprochen, wie Gott auf die Menschen zukommt und was die Menschen tun sollen, damit sie seine Botschaft hören können. 

Im Brief an die Hebräer heißt es: „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern (und Müttern) gesprochen durch die Propheten.“ – Gott hat durch Mose, durch Jesaja, Jeremiah, Ezechiel, Daniel, usw. gesprochen. Sie alle waren Träger des Wortes, Boten der Freude, Vermittler der Gnade, Zeugen der Wahrheit. Ich bin mir sicher, dass diese Menschen eine besondere Beziehung zu Gott hatten, dass Gott sich Ihnen im Gebet offenbart hat, dass sie etwas von seiner Größe und seinem Heil erfahren haben und so anderen weitergeben konnten.

Nun, in der Mitte der Zeiten, wird die gleiche Botschaft allerdings auf eine neue Art vermittelt, nämlich durch den Sohn. „Am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben von allem eingesetzt.“ Das Wort, das Licht und Leben schenkt, wird nicht mehr nur überbracht, sondern es wird konkret erfahrbar, es „ist Fleisch geworden“. „Das Medium ist die Botschaft“, so könnte man sagen.

Warum spricht der Johannes-Prolog vom „Fleisch“? Warum sagt er nicht einfach das Wort ist „Mensch“ geworden? Das kommt wohl daher, dass zu der Zeit, in der dieser Text entstand, die Menschlichkeit, Jesu, seine Existenz in Fleisch und Blut, seine Geburt und seinen Tod, Gegenstand von Kontroversen und Bestreitung waren. Einige behaupteten wohl, das Wort Gottes habe sich nur einen menschlichen Umhang übergezogen, eine sterbliche Hülle angenommen, die keine weitere Bedeutung hatte. 

Johannes sieht in Leben, Tod und Auferstehung Jesu, in seinem Dienst und in seinem Wirken, Gott selbst am Werk, präsentisch, vor Ort, berührbar, verständlich, nahe, ansprechbar. Gott und Mensch, ihr beide atmet die gleiche Luft. Gott macht sich verletzlich, er lässt sich anstecken von den Krankheiten und Nöten der Menschen, ohne dass er aufhört, Gott zu sein, Gnade und Wahrheit zu schenken. 

Ich möchte Ihnen zum Verständnis einen Vergleich anbieten: Im vergangenen Jahr stellte sich im Blick auf die Treffen in der Gemeinde bzw. in der Glaubens¬information oder in der GCL häufig die Frage: online oder in Präsenz? Vielleicht kennen Sie diese Frage auch aus ihrem persönlichen oder beruflichen Umfeld. Die neuen Videotools haben es möglich gemacht, dass wir uns für ein digitales Treffen verabreden, bei dem jeder zu Hause vor seinem Bildschirm sitzt und die anderen Teilnehmer sehen und hören kann. Das funktioniert meist gut, nur selten gibt es noch Unterbrechungen oder Ausfälle. Fast jeder von Ihnen wird im vergangenen Jahr schon einmal an einer solchen Videokonferenz teilgenommen haben. 

Es ist nicht das gleiche „online“ oder „in Präsenz“, beides hat Vor- und Nachteile. Aber wie groß der Unterschied tatsächlich ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Der Vorteil einer Videokonferenz: sie ist für alle zugänglich, unabhängig von den Anfahrts¬wegen. Das spart Zeit und Geld. Vor allem junge Eltern, die sonst ein Baby¬sitter besorgen müssten, können abends zu Hause bleiben und trotzdem an einem Gemeinde-Treffen teilnehmen. Es gibt keine Gefahr, sich anzustecken oder zu verletzen. Jeder atmet die eigene Luft und bleibt bei sich. Ein Austausch von Gedanken, Worten, Bildern ist möglich, ein Gespräch in Kleingruppen lässt sich leicht organi¬sieren. Tatsächlich nutzen die meisten von uns diese Möglichkeiten gern, auch zum Beispiel für ein Familien oder Freunde treffen über weite Distanzen hinweg, wenn ein Teil der Familie zum Beispiel in einem anderen Land wohnt. 

Der Vorteil der Treffen an einem physischen Ort: es gibt einen Hinweg und einen Rückweg, bei dem man sich innerlich auf das Treffen vorbereiten beziehungsweise die Gedanken sortieren kann. Das entschleunigt, denn ich kann normalerweise weniger Verabredungen treffen. Außerdem gibt es die Möglichkeiten für Begegnungen am Rande: die informellen Gespräche zwischen Tür und Angel, kurze Verabredungen oder Nachfragen, die Möglichkeit für Zweiergespräche. Vor allem kann ich die Körpersprache wahrnehmen, die Mimik und Gestik, die Blicke, die Anspannung und die kleinen Bewegungen. Ich komme leichter in einen Dialog, ich kann riechen, schmecken, fühlen, Begeisterung wahrnehmen. Jeder atmet die gleiche Luft und macht sich verletzlich. 

Online ist nicht Präsenz. Wie gesagt, für manche ist der Unterschied nicht so bedeutend. Für andere schon. Die Information ist doch eigentlich die gleiche, oder?

Für Johannes wird mit der Geburt Jesu deutlich, dass Gott die Menschen nicht mehr nur informiert. Bisher kannten sie Gott aus Botschaften und über die Entfernung hinweg. Die Propheten haben die Begegnung auf Distanz ermöglicht. An Weihnachten feiern wir, das sein Wort in Raum und Zeit, an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit, erfahrbar, berührbar wurde. Dass bestimmte Menschen zu diesem Treffen eingeladen wurden und dabei waren. Sie haben die gleiche Luft geatmet wie der Sohn.

Sie können sagen: Das ist nur ein kleiner Unterschied, es ist eigentlich dieselbe Botschaft! Das stimmt. Doch für das Johannesevangelium ist klar: Dieses Licht, bei dem Botschaft und Medium identisch sind, vermag es, jeden Menschen zu erleuchten. Jeden, auch Dich und mich. Und so wechselt im Text das Subjekt und die Leser des Evangeliums werden hineingenommen in diese Kommunikation: „Er hat unter uns gewohnt. Wir haben seine Herrlichkeit geschaut. Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade um Gnade.“ Wir alle. Du und ich. Wir sind hineingenommen in diese Begegnung. Hier und jetzt. 

Das ist eine Zeitenwende. Denn wenn wir dieser Gegenwart Gottes in Jesus Christus vertrauen, dann wir die Begegnung mit ihm für uns nicht nur zu einer Information. Sondern dann geschieht in uns selbst und durch uns in dieser Welt eine sichtbare und spürbare Veränderung.

„Jesus ist gekommen,“ so sagte der verstorbene Bischof Klaus Hemmerle, „Jesus ist wirklich gekommen, aufgebrochen aus dem Herzen Gottes selbst, her zu uns. Indem er es annahm, Mensch zu sein, nahm er uns an, so wie wir sind, und nahm zugleich an unserer Stelle und für uns Gott an, die ganze, alles fordernde Wucht eines heiligen Willens.“

Das Wort wird, wenn wir es hören und danach leben, in einem übertragenen Sinn auch in uns Fleisch - in uns und in unserem Handeln. Es wird neu Wirklichkeit, konkret erfahrbar, dort wo Menschen danach leben. 


Zeichen


 2022 Predigt Vierter Adventssonntag - Lesungen: Jes 7 und Mt 1 – „Zeichen“

Liebe Geschwister im Glauben!

Wir treffen in unserem Alltag andauernd kleine und große Entscheidungen, über deren Auswirkungen wir uns nur selten im Klaren sind. Wir sehnen uns nach einem geglückten Leben, und wir versuchen, gute Entscheidungen zu treffen. Doch was ist das Gute? Wie kann ich beurteilen, worauf es ankommt? Manchmal ist das Gute nicht so einfach erkennbar. Entweder, weil man nicht daran denkt, oder weil es nicht klar ist, welcher Weg dort hinführt. 

Sicherlich gibt es Gebote und Regeln, es gibt moralische Kriterien. Aber oft gibt es mehrere Möglichkeiten, die alle gut sind. Was ist das bessere? Wie schön wäre es, von Gott ein Zeichen zu bekommen, ein Hinweis! Wir schön wäre es persönlich zu spüren, dass er da ist und uns begleitet. Einfach, weil seine Gegenwart uns befreit, uns hilft und Frieden schenkt. 

König Ahas ist ein Herrscher, der von seiner eigenen Machtfülle und Intelligenz so überzeugt ist, dass er keine Zeichen von Gott braucht. Obwohl der Prophet Jesaja ihn auffordert, Gott um ein Zeichen zu bitten, lehnt er es ab, mit einer scheinbar frommen Begründung, scheinheilig könnte man sagen. Denn seine Aussage spielt Gottesfurcht vor, doch in Wirklichkeit hat er seine eigenen Pläne im Kopf. Er will in dem politischen Konflikt in der Region sich nicht mit dem Nordreich Israel gegen die heraufziehenden Assyrer verbünden, sondern er meint selbstbewusst, durch eine Allianz mit den feindlich Assyrern könnte er der lachende Dritte sein und geschickt die Oberhand behalten. Der Prophet Jesaja warnt ihn vor diesem Bündnis. Er soll nicht auf politische Machenschaften setzen, sondern auf Gott vertrauen. 

Anders Josef, der mit Maria verlobt ist. Er scheint betrogen worden zu sein, eine furchtbar demütigende Situation für ihn. Die Eheschließung steht kurz bevor, doch seine Verlobte ist schwanger, nicht von ihm. Das Vertrauen zerbricht. Was soll er tun? Wie soll er sich entscheiden? Eine Lösung muss gefunden werden. Er will sie nicht bloßstellen. 

Ob er um ein Zeichen gebeten hat, ist nicht überliefert, aber sein Glaube prägt ihn bis hinein in seine Träume. Er rechnet mit dem Eingreifen des lebendigen Gottes. Im Traum hört er, wer selbst ist („Sohn Davids“) und er bekommt auch ein Zeichen, was er tun soll. Diesem Zeichen folgt er. Dreimal übrigens wird Joseph in der Kindheitsgeschichte nach Matthäus wesentliche Entscheidungen aufgrund seiner Träume treffen: Nach der Hochzeit mit Maria auch die Flucht nach Ägypten und die Rückkehr nach Nazareth. Dreimal erfährt Joseph im Traum, was zu tun ist.

Wie berührt uns Gott? Der heilige Ignatius ist davon überzeugt, dass Gott mit den Menschen in Beziehung tritt, in der Gegenwart kommuniziert, und zwar nicht allgemein im Wort Gottes, das uns in der Bibel überliefert ist, oder in den Lehren der Kirche, sondern auch persönlich mithilfe von Gedanken und Gefühlen, die in uns entstehen. Er nennt es den „guten Geist“ oder den „guten Engel“, der die Seele sanft berührt, leicht und lind wie ein Tropfen Wassers, der in einen Schwamm eindringt. Die Berührung Gottes kann im Gebet, bei wachem Bewusstsein geschehen, oder auch im Traum. Beide Male geht es um die tiefen Schichten der Seele, in den Gott wirkt auf eine unglaublich feine, aber nachhaltige Art und Weise – und um die Wahrnehmung dieses Wirkens. Es geschieht, wenn wir uns innerlich loslassen können, wenn wir vertrauen, wenn wir nicht nur mit dem Verstand und dem eigenen Willen arbeiten, sondern tiefere Schichten unserer Seele in Bewegung kommen.

Drei Dinge sind dafür wichtig: 

1/ Grundlage dieser Spiritualität ist erstens die Ausrichtung auf Gott und die entsprechende Lebens-gestaltung nach der nach dem Evangelium, wie Ignatius es in dem Text Prinzip und Fundament beschreibt: „Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott Unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten.“

Josef ist so ein Mann, der weiß, wie man nach Gottes Geboten lebt, „gerecht und fromm“, so heißt es im Text. Ein integrer Mann, und seine Frömmigkeit ist zutiefst menschlich. Er ist mit den heiligen Schriften vertraut, und er weiß, was Gott für sein Volk verheißen hat. 

2/ Grundlage dieser Spiritualität ist zweitens die Relativierung aller irdischen Dinge. Nichts ist Gott gleich. Gott steht immer an erster Stelle, weil er das Gute für den Menschen will. Ignatius formuliert diese Haltung so: „Die andern Dinge auf Erden sind zum Menschen hin geschaffen, und um ihm bei der Verfolgung seines Zieles zu helfen, zu dem hin er geschaffen ist. Hieraus folgt, dass der Mensch sie so weit zu gebrauchen hat, als sie ihm zu seinem Ziele hin helfen, und so weit zu lassen, als sie ihn daran hindern.“

Josef ist dafür ein Beispiel. Er ist kein Fanatiker, er will nicht, dass sie gesteinigt wird. Er geht bis an die Grenze des für ihn denkbar Möglichen. Er will sich von Maria trennen, in aller Stille, ohne Aufsehen zu erregen. Die schonendste Lösung in dieser komplizierten Lage. Das suchen, was hilft.

3/ Grundlage dieser Spiritualität ist drittens das Bewusstsein, dass wir Gott nicht begreifen können, dass Gott seine eigenen Wege hat und „Erfolg“ keiner der Namen Gottes ist. Sein Heil ist misst sich nicht nach mensch¬lichen Maßstäben. Wenn wir für Gottes Zeichen aufmerksam werden und empfänglich werden, dann braucht es ein achtsames Hinhören und Zuhören, das nicht schon von vorne rein weiß, was gut und richtig ist. Ignatius nennt es die Indifferenz: „Darum ist es notwendig, uns allen geschaffenen Dingen gegenüber gleichmütig (indiferentes) zu machen, überall dort, wo dies der Freiheit unseres Wahlvermögens eingeräumt und nicht verboten ist, dergestalt, dass wir von unserer Seite Gesundheit nicht mehr als Krankheit begehren, Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit, langes Leben nicht mehr als kurzes, und dementsprechend in allen übrigen Dingen, einzig das ersehnend und erwählend, was uns jeweils mehr zu dem Ziele hin fördert, zu dem wir geschaffen sind.“

Josef ist nicht gleichgültig in dem Sinne „jetzt ist eh alles egal“ oder „wie man es macht, ist es falsch“, sondern er ist gleichmütig, d.h. offen für die unerwarteten Wege und Lösungsmöglichkeiten Gottes. So wie ein Tor¬wart vorm Elfmeter sich nicht schon vor dem Schuss entscheiden sollte, ob er nach rechts oder links springt (denn in 50 % der Fälle läge er statistisch gesehen falsch!), so darf auch ein Christ, der mit dem Wirken des Heiligen Geistes in seinem Leben rechnet, nicht immer schon selbst wissen, was eigentlich zu tun ist, sondern er soll sich offen halten für das Wirken Gottes, für seine Zeichen. Indifferenz ist nicht Depression oder Dunkelheit, sondern eine freudige, achtsam, gespannte, energievolle, wache Aufmerksamkeit der Seele für die Wirkungen des Geistes, die sich in den Gedanken und Gefühlen zeigen; „adventliche Freude“ trotz einer Traurigkeit, könnte man auch sagen. 

Zurück zu den Zeichen. Alles in dieser Welt kann uns zum Zeichen Gottes werden. Es liegt am Kontext, an der Deutung, an der persönlichen Erfahrung. Eine Begegnung mit einem Freund kann führ mich zum Zeichen werden; ein Wort, das ich höre; ein Buch, das ich lese; ein Bild, das ich sehe; in allem kann Gott Begegnung feiern. 

Letzte Woche leuchtete während der Messe der französischen Gemeinde plötzlich die Liedanzeige im Altarraum auf. Die Anlage war sicherlich ausgeschaltet, das Programmiergerät lag in der Sakristei und es war auch nur auf der Seite des Altarraums etwas zu sehen, nichts bestimmtes, keine lesbaren Ziffern. Es werden irgendwelche merkwürdigen Stromstöße im Kabel gewesen sein, Schwingungen im Funkverkehr, keine Ahnung. Aber es ist für mich ein Zeichen geworden, das mich wach gemacht hat, gegen meine eigene Unaufmerksamkeit in der Messe. 

Das Zeichen, das Gott uns schenkt, an Weihnachten und – wenn wir es wahrnehmen auch hier und heute - ist die eindeutig für den Menschen entschiedene Liebe, die uns im Leben, im Tod und in der Auferweckung Jesu offenbar wird. Sie ist ein Zeichen für alle Menschen. Es wird uns jetzt gegenwärtig, wenn wir zusammenkommen, zwei oder drei in seinem Namen und Eucharistie feiern, das Zeichen des Bundes, dass Gott mit uns ist. Immanuel. Amen.


„Gott will, dass wir sehen, was er will und was er tut. Daher gibt er uns die großen Zeichen. Wer die Zeichen sehen kann, kann auch das Gemeinte erkennen. Die Jungfrau und das Kind: Zeichen dafür, dass unsere Hoffnung in Schwachheit und Armut geboren wird.“ (Schott, Einführung)


Montag, 5. Dezember 2022

Konflikte


Predigt Zweiter Sonntag im Advent A, 4.12.2022

Liebe Geschwister!

Johannes der Täufer ging in der Wüste. Die Wüste ist ein Ort, an dem es sich nicht gut leben lässt. Am Tag ist es heiß und die Sonne scheint. Und nachts ist es kalt. In der Wüste gibt es wenig Wasser, kaum frische Quellen. Die Wüste ist der Ort der wilden Tiere, und gefährlich. Und außerdem ist sie der Ort der Dämonen, ein inneres Schlachtfeld. Kurz gesagt: ein Ort der Konflikte!

Johannes der Täufer ging in die Wüste und verkündete dort die Bekehrung, weil er wollte, dass die Menschen neu anfangen. Er blieb nicht in Jerusalem, weil er sie an die privilegierte Zeit des Volkes Israel in der Wüste erinnern wollte. Er wollte sie gleichzeitig an die Botschaft des Propheten Jesaja und seinen Aufruf zur Umkehr erinnern. 

Johannes der Täufer in der Wüste provozierte Konflikte. Er konfrontierte die Menschen in Jerusalem mit ihren Sünden. Die Frommen, die Pharisäer und Sadduzäer beschimpfte er: "Ihr Schlangenbrut!" Und er warnte sie: Denkt nicht, dass ihr nicht gerichtet werdet, weil ihr die Juden seid, die Söhne Abrahams. „Jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen." Was für ein Typ! Was für eine Persönlichkeit der Konflikte! 

Manche nennen es „kommunikativer Klimawandel“; ich persönlich mag keine Konflikte. Ich mag es, wenn Menschen sich gut verstehen, wenn sie friedlich miteinander auskommen. Ich mag keine Konflikte, weil es im Moment zu viele davon gibt: Der Krieg in der Ukraine. Die Konflikte um Energie und Ökologie. Die Konflikte auf der Arbeit, in der Familie. Ich habe genug davon. Wie sehr ich mir Versöhnung und Frieden wünsche, Gerechtigkeit für die Menschen!

Aber ich habe entdeckt, dass es Menschen gibt, die Konflikte lieben. Nicht weil sie rachsüchtig sind oder auf Krawall gebürstet. Sie sind offenbar der Meinung, dass Konflikte uns etwas Gutes bringen können. 

Oft entstehen Konflikte mit dem, der anders ist. Der Fremde lässt uns die Andersartigkeit entdecken. Der Philosoph Michel de Certeau SJ hat darüber nachgedacht. Er sagt, dass Konflikte in der Gesellschaft und in der Familie, politische Konflikte, ökologische Konflikte usw. für Christen immer eine religiöse Dimension haben, weil - auch wenn eine Lösung bzw. eine von der Liebe geleitete Versöhnung nicht möglich ist - Konflikte Situationen sind, um den anderen und damit seine Andersartigkeit anzuerkennen und zu erkennen, dass wir noch den Weg zum Frieden suchen, den Christus uns gelehrt und eröffnet hat. 

Die Wahrnehmung der Realität wird auf die Probe gestellt. "We agree to disagree". Wir erkennen, dass Frieden und Gerechtigkeit noch nicht verwirklicht sind. Und wir entdecken die Unterschiede. Vielleicht ist dies der erste Schritt, um einen Konflikt für das Gemeinwohl zu nutzen.

Konflikte sind in gewissem Sinne das Gesetz unserer Existenz. Es wird immer Konflikte geben, weil wir auf diese Weise unsere persönlichen Interessen, Wünsche, Rechte usw. entdecken. Ein Konflikt ist die Art und Weise, wie wir die Rechte und Interessen anderer erkennen. Beispielsweise wurden die Menschenrechte durch eine ganze Reihe von Konflikten in Europa geformt. 

Auch in der Kirche gibt es Konflikte. Die aktuellen Diskussionen zum Synodalen Weg, der Besuch der Bischöfe in Rom, immer neue Meldungen über Beschwerden oder Rücktritte. Der heilige Paulus hat viele Konflikte in seinen Gemeinden erlebt. Er schreibt ihnen von seinem Wunsch nach Versöhnung: „Der Gott der Geduld und des Trostes aber schenke euch, eines Sinnes untereinander zu sein, Christus Jesus gemäß, damit ihr Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, einmütig und mit einem Munde preist. Darum nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes!“ (Röm 15)

Paulus lehrt uns viel über Konflikte: Der Konflikt zwischen dem Fleisch und dem Geist. Zwischen Griechen und Hebräern. Zwischen den Reichen und den Armen. Im ersten Brief an die Korinther schreibt er: „Zunächst höre ich, dass es Spaltungen unter euch gibt, wenn ihr als Gemeinde zusammenkommt; zum Teil glaube ich das auch. Denn es muss Parteiungen geben unter euch, damit die Bewährten unter euch offenkundig werden.“ (1Kor 11,18-19).

Paulus zeigt, dass Konflikte uns eine doppelte Gnade verleihen. Jene, dass wir uns selbst in Frage stellen, eine Revision unseres Lebens beginnen und jene, dass wir bei anderen etwas Neues entdecken. 

Zum Beispiel die Entdeckungen über den Missbrauch von Minderjährigen durch Priester und Bischöfe. Es ist schrecklich, was sich da gezeigt hat: Sünde, Gewalt und das Böse innerhalb der Kirche. Aber es gibt trotz allem eine Gnade. Durch die Presse und die Medien, die sich in den Konflikt begeben haben, die sich der Macht der Kirche widersetzt haben, die nicht sehen wollte, was man entdeckt hat, hat das Volk Gottes eine Gnade erhalten. Die der Wahrheit. Da bin ich mir sicher.

Wir sehen uns nach Versöhnung und Frieden unter den Menschen. Der Prophet Jesaja kündigt uns diese messianische Versöhnung mit dem Bild eines Zweiges an, der „aus dem Baumstumpf Jesse hervorgehen“ wird. Ein Baumstumpf ist ein abgetrennter, toter Baum. Dort, wo es keine Hoffnung auf Leben mehr gibt, wo alles tot zu sein scheint, wird etwas Neues hervorgehen.

Der Prophet Jesaja verkündet uns diese Neuigkeit mit seinen Bildern vom messianischen Frieden zwischen Tieren und Menschen: „Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. Kuh und Bärin nähren sich zusammen, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus.“

Diese Vision von der Vielfalt und Schönheit des Lebens inspiriert mich persönlich dazu, Gutes zu tun. Es gibt ein Ziel, ein Ideal: Die Versöhnung und die Gerechtigkeit des Messias. Sie wird nicht - wie so oft - auf dem Rücken der Kleinen stattfinden. Im Gegenteil: „Er richtet nicht nach dem Augenschein und nach dem Hörensagen entscheidet er nicht, sondern er richtet die Geringen in Gerechtigkeit und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist.“

Zum Abschluss bleibt eine Frage: Was motiviert mich Gutes zu tun - inmitten all der Konflikte? Woher kommt die Inspiration, um für den Frieden zu arbeiten? Wo finde ich die Energie, um eine Versöhnung für möglich zu halten?

Tue ich etwas Gutes, einfach weil es gut ist? Ist es die Belohnung im Himmel, die mich motiviert und mir Durchhaltevermögen verleiht? Ist es das Versprechen Christi, am Ende der Zeit mit ihm in seinem Reich zu sein? Vielleicht ist all das eine Motivation für Christen. Aber die heutigen Lesungen bieten uns eine andere Motivation als diese. Es gibt eine geistliche Motivation:

Johannes der Täufer sagt es uns: Der aber, der nach mir kommt, …  wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.“

Der Prophet Jesaja kündigt den Messias an als denjenigen, auf dem der Geist des Herrn ruhen wird: „der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.“

Dieser Geist zeigt sich in einer inneren Haltung. Dieser Geist zeigt sich im kleinen, konkreten Alltag des menschlichen Lebens. Dieser Geist zeigt sich in der Art und Weise, wie Konflikte ohne Gewalt gelöst werden: „Er schlägt das Land mit dem Stock seines Mundes und tötet den Frevler mit dem Hauch seiner Lippen.“ Gewaltlos. Seine Rüstung ist Gerechtigkeit und Treu.

Zusammenfassend möchte ich sagen: Ja, wir erleben überall Konflikte. Und ja, wir hoffen auf Versöhnung und Frieden. Adventliche Menschen leben in diesen Konflikten mit dieser Hoffnung auf Frieden. Und sie bekommen immer neue Kraft dazu durch Heiligen Geist. Sie lassen sich in ihrer Hoffnung beschenken, motivieren, inspirieren. Amen.


Montag, 7. November 2022

Predigt zum achtzigsten Geburtstag meines Vaters


Predigt in der Eucharistiefeier anlässlich von Papas 80. Geburtstag, 5.11.22 Hattingen, Hl. Geist

Les: Phil 1,4-6.8.11; Mt 6,24-34 – Von der rechten Sorge


Lieber Papa, liebe Mama, lieber Verwandten und Freunde meiner Eltern, liebe Geschwister im Glauben!

„Sorgt euch nicht um euer Leben“, so sagt Jesus in der Bergpredigt, sondern freut euch an dem, was euch geschenkt ist: an der Schönheit der Natur, wie zum Beispiel die Lilien auf dem Feld, und an dem, was ihr wie die Vögel des Himmels zu essen und zu trinken habt. 

Wir feiern ein Fest und wir dürfen heute die Sorgen des Alltags hinter uns lassen. Wir möchten Gott danken für Dein Leben, lieber Papa, und zurückschauen auf 80 Lebensjahre im Frieden, mit einer immer noch guten Gesundheit, zusammen mit der Familie und den Freunden. Das ist ein Grund sich zu freuen, zu feiern – und eben sich einmal nicht zu sorgen. 

Gilt dieses Wort Jesu auch angesichts der vielen schrecklichen Nachrichten von Krieg und Überschwemmung, von Energiekrise und tödlichen Unfällen: „Sorgt euch nicht!“?

Vielleicht ist dieses Evangelium besonders für ältere Menschen von Bedeutung, weil es im Alter die Erfahrung der Mühsal und der Sorge gibt. „Jeder Tag hat seine eigene Plage“, so mag wohl mancher einstimmen, bei dem das ein oder andere Gebrechen, die Vergesslichkeit, die Krankheit dazu führen, dass alles nicht mehr so leicht ist. Gerade ältere Menschen haben nicht selten den Eindruck, dass es in ihrem Leben viele Hindernisse und Beschwernisse gibt. 

Vielleicht hat Dich, lieber Papa, dieser Text auch deshalb angesprochen: Weil Jesus Dir die Erlaubnis gibt, die Sorge loszulassen, die Angst vor dem, was da am Ende des Lebens noch bevorsteht. „Euer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Deshalb sorgt euch nicht und morgen.“ Und Du hast auch die Erfahrung gemacht, dass man das Leben durch all seine Sorgen nicht verlängern kann. Einige von Deinen älteren Geschwistern sind heute nicht dabei nicht mehr dabei, einige Freunde sind schon gestorben. Das Leben lässt sich nicht, wie man selbst es vielleicht manchmal möchte, verlängern. 

Also: Sorgt Euch nicht um morgen. Aber worum denn dann? Um übermorgen? „Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit!“. Das ist keine Vertröstung auf das, was nach dem Tod kommt, denn das Reich Gottes ist schon mitten unter uns. Jesus will uns sagen: Sorge dich nicht um morgen, sondern sorge Dich um das Heute; das, was jetzt dran ist, wo du hier und heute Gott finden kannst und seine Gegenwart, die unter uns Menschen lebendig ist in seinem Geist. Das ist die rechte Sorge, die Sorge für das Wesentliche, die Sorge für heute. 

Sorgt euch nicht um morgen, denn: „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde. Heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt, wenn er kommt.“ – so habt ihr oft gesungen. Das wird sehr schön im Gebet deutlich, das Jesus uns gelehrt hat, im Vater unser: Wir beten: „unser tägliches Brot gib uns heute“. Heute, nicht morgen, brauchen wir das Lebensnotwendige und das, was darüber hinausgeht, das „überwesentliche“ Brot. Oder in den Psalmen heißt es: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet nicht euer Herz.“ (Psalm 95) 

Nun gibt es allerdings für Menschen, die im Heute leben, zwei Straßengräben, in die man leicht geraten kann. Der eine Straßengraben ist die Sorglosigkeit im Sinne einer Naivität. Der „Hans guck in die Luft“, es wird schon nichts passieren, „et hat noch immer jut jejangen“. Ein Mensch, der sich in die Sonne setzt, ohne einen Hut aufzusetzen, ein Mensch, der betrunken Auto fährt, ein Mensch, der nicht zum Arzt geht und so weiter. Auf die Vorsehung Gottes zu vertrauen ist das eine, die Schwierigkeiten oder Grenzen des eigenen Lebens nicht annehmen zu wollen, ist das andere.

Der andere Straßengraben, in den Menschen geraten können, die sich nicht sorgen, ist eine Sorglosigkeit im Sinne einer Gleichgültigkeit. Aus einem Überdruss heraus, als eine Trägheit des Herzens, aufgrund von Gedanken, die nicht vom Guten kommen und uns in eine Art Lethargie oder Depression bringen. „Es hilft doch sowieso alles nichts“, meine Sorge ist vergeblich. Das ist eher Frust und Traurigkeit als Sorglosigkeit!

„Kummer,“ so der Wüstenvater Evagrius Pontikus, „entsteht bisweilen infolge einer Entziehung von Begierden, bisweilen aber folgt er auch der Wut.“ Ich übersetze mal: Kummer entsteht einerseits, wenn wir unzufrieden sind und das Gefühl haben, zu kurz zu kommen. Oder Kummer entsteht andererseits, wenn wir den Ärger über andere herunterschlucken, nicht vergeben können, sondern uns am liebsten rächen würden, weil andere uns vermeintlich etwas Böses angetan haben. 

Kummer entsteht, wenn wir uns beschweren. Das ist ein schönes deutsches Wort. Denn wenn sich jemand über andere beschwert, dann beschwert er sich ja auch selbst, er lädt sich eine Last auf. 

Es gibt sicher viele Dinge in unserer Welt und in unserer Kirche, die nicht in Ordnung sind. Meistens entsteht dann aus einem starken Sinn für Gerechtigkeit eine Empörung. Die Empörung aber verhallt, weil sich die Dinge nicht ändern, oder nur sehr langsam; denn unsere Welt ist sehr komplex geworden. Es ist mühsam geworden, Dinge zu verändern, selbst wenn viele das möchten. Es gibt Einzelinteressen zu berücksichtigen und niemand mag zurückstehen.

Dann werden Menschen wütend und müde, „mütend“, wie man neuerdings sagt. Das ist aber nichts Neues. Noch einmal Evagrius Pontikus: „Der Kummer ist eine Niedergeschlagenheit der Seele und diese entsteht aus Gedanken der Wut. Denn ein Verlangen nach Rache ist der Zorn, ein Misslingen der Rache aber erzeugt Kummer.“ Diese Einsichten stammen aus dem vierten Jahrhundert!

Doch zurück zum Evangelium: Jesus spricht von der rechten Sorge, die wir haben sollen: Keine Sorge um alles oder jenes, keine Sorge angesichts der vielen Auseinandersetzung, der Kriege, der Konflikte, der Ungerechtigkeit, keine Sorge für morgen oder übermorgen, sondern eine Sorge für heute, die

a. aus Dankbarkeit und Freude entsteht, die sich 

b. auf das Wesentliche richtet, auf das Reich Gottes, das schon nahe gekommen ist und auf seine Gerechtigkeit, und die 

c. nicht naiv oder frustriert ist, sondern mit einem wachen Realitätssinn und einem guten klugen Urteil.

Wie kann so etwas gehen? Der heilige Ignatius spricht gerne von Indifferenz als einer Voraussetzung für gute Entscheidungen im Alltag. Indifferenz ist eine Art von Sorglosigkeit. Sie meint aber eben nicht Naivität oder Gleichgültigkeit, sondern eine Gleichmütigkeit bzw. eine Bereitschaft zu einer „engagierten Gelassenheit“.

Man kann Indifferenz vielleicht mit der Haltung des Torwarts vergleichen, der sich möglichst in der Mitte des Tores aufhält, um nach rechts oder links springen zu können, wenn der Ball kommt: Engagierte Gelassenheit. Er ist wach, aufmerksam, entschieden zu springen, aber er wird so handeln, wie es die Situation erfordert. Er hat keine Sorge, er wird den Ball fangen, aber er schaut hin.

Ignatius wird auch ein Sinnspruch zugeschrieben, der diese Haltung der engagierten Gelassenheit im Glauben formuliert: „Vertraue so auf Gott, als ob alles von dir abhinge und nichts von Gott. Handele so, als ob alles von Gott abhingen und nichts von dir.“ Diese Haltung wünsche ich Dir für die nächsten Lebensjahre, lieber Papa!

Christian Modemann SJ


Gebet von Madeleine Delbrêl:

Offenbare uns das große Orchester deiner Heilspläne,
Worin das, was du zulässt,
Einfach befremdliche Töne von sich gibt
Inmitten der Heiterkeit dessen, was dein Wille ist.
Lehre uns, jeden Tag die Umstände,
unseres Menschseins anzuziehen
Wie ein Ballkleid, das uns alles an ihm lieben lässt
Um deinetwillen, wie unentbehrlichen Schmuck.
Gib, dass wir unser Dasein leben
Nicht wie ein Schachspiel, bei dem alles berechnet ist,
Nicht wie einen Wettkampf, bei dem alles schwierig ist,
Nicht wie einen Lehrsatz, bei dem wir uns
den Kopf zerbrechen,
Sondern wie ein Fest ohne Ende, bei dem man dir
immer wieder begegnet,
Wie einen Ball,
Wie einen Tanz,
In den Armen deiner Gnade,
Zu der Musik allumfassender Liebe.
Herr, komm und lade uns ein.

Dienstag, 1. November 2022

Harthörig


31. Sonntag im Jahreskreis C, Hamburg – Manresa, 30.10.22, 19 Uhr

Menschen kommen zur Kirche mit der Sehnsucht, Gott nahe zu sein, von ihm gesehen zu werden, in Beziehung zu treten. Menschen kommen mit der Erfahrung, sich fern von Gott zu fühlen, sich wie getrennt von Gott zu erleben. Manchmal ist sogar beides zugleich da, in uns selbst: die Sehnsucht und die Erfahrung der Ferne. 

Wenn Menschen sich fern von Gott fühlen und sich neu auf die Suche nach Gott begeben, dann geschieht das nicht selten in einer persönlichen Sinn-Krise, in der sie keinen Ausweg mehr finden und dann im Glauben eine neue Perspektive oder Hoffnung entdecken. Eine Frau formulierte es im Gespräch so: „Ich konnte weder vor noch zurück, sah weder rechts noch links einen Weg – und da habe ich nach oben geschaut.“ Manche entdecken in solchen Momenten, dass diese andere Perspektive oder Dimension ihres Lebens schon immer da war und dass sie tatsächlich eine Hilfe ist, wenn sie sie bewusst wahrnehmen und in ihr Leben lassen.

Der christliche Begriff dafür, sich getrennt von Gott bzw. anderen Menschen zu erleben, ist der Begriff der Sünde. Ich habe bisher nicht oft darüber gesprochen, weil es heute ein scheinbar schwieriges Thema ist – da denkt man gleich an Schuld und Schuldgefühle und so. Aber es geht hier erst einmal nicht um etwas Moralisches. Das wird im Deutschen schon vom Wort her deutlich: Das Wort „Sünde“ ist mit dem deutschen Wort „Sund“ verwandt, mit dem ein Abgrund oder ein Graben bezeichnet wird. Der Fehmarn-Sund z.B. ist der Meeresarm der Ostsee, der die Insel Fehmarn vom Festland trennt; für den Menschen unüberwindlich, wenn es nicht ein Boot oder eine Brücke gäbe.

Sünde ist etwas, das trennt, das absondert vom Leben. Sie bezeichnet dabei weniger einzelne Vergehen als vielmehr eine Haltung: sich gegen Gott wenden, sich von Gott abwenden, sich über Gott erheben wollen. Viele biblische Geschichten versuchen, dies zu verdeutlichen.

Sünde beschreibt eine Wirklichkeit, die alle Menschen erfahren, sie beschreibt die Folge und Wirkung von Ungerechtigkeit. Das kann mit eigener Schuld zu tun haben, oft aber erfahren wir die Wirkung vom ungerechten Verhalten anderer, für das ich keine Verantwortung trage, als lebensfeindlich, als etwas, unter dem ich leide. Der Krieg z.B. eine Sünde, die Menschen voneinander und vom Leben trennt; ohne dass der einzelne daran gerade etwas ändern kann. Das Unrecht anderer wirkt weiter. „Toxisch“ würde man heute sagen.

Doch welche Wirkung hat die Sünde auf den Einzelnen? Was geschieht da persönlich? Eine gute Beschreibung von Sünde findet sich im Markusevangelium. Dort heißt es bei der Begegnung von Jesus mit den Jüngern auf dem See, nach der wunderbaren Speisung (Mk 6,45-52), dass die Jünger im Boot vorausfahren, während Jesus selbst noch auf einen Berg ging, um zu beten. Die Jünger sind auf dem Boot, auf dem See, im Gegenwind, als Jesus zu ihnen kommt. Sie meinen, es sei ein Gespenst und erschrecken. Er sagt zu ihnen: „Habt Vertrauen, fürchtet euch nicht!“ Und dann fährt der Evangelist fort: „Sie aber waren bestürzt und fassungslos. Denn sie waren nicht zur Einsicht gekommen, als das mit den Broten geschah; ihr Herz war verstockt.“ (Mk 6,51-52)

„Ihr Herz war verstockt“. Fridolin Stier übersetzt: „Denn sie hatten bei den Broten nichts verstanden; ihr Herz war harthörig.“ Es geht um Mangel an Vertrauen, vor allem aber um fehlende Achtsamkeit, um Harthörigkeit. 

Hören ist die Grundbewegung des Glaubens, die Grundhaltung des geistlichen Weges. Das „Schema Israel“, „Höre Israel“ (Dtn 6,4-9) gehört zu den wichtigsten Gebeten des Judentums. Nicht ohne Grund heißt einer der ersten Apostel, die Jesus beruft: Simon – der Hörende. 

Wenn das Herz harthörig ist, dann ist es gefühllos, nicht mehr ansprechbar - und das darf angesprochen werden! Das Wort „verstockt“ (pōroō) meint verhärten, gefühllos machen, versteinern - pōros ist der Tuffstein.

Der Prophet Ezechiel verheißt dem Volk Gottes eine umfassende Veränderung und Befreiung (Ez 36,25-26), dass er nämlich das Herz aus Stein fortnehmen und ihnen ein Herz aus Fleisch geben wird.

Besonders gut drückt der Prophet Jesaja aus, worum es geht. Er spricht von einem „verfetteten Herzen“, das einhergeht mit Augen, die nicht sehen; Ohren, die nicht hören, „damit das Herz nicht zur Einsicht kommt, und es sich nicht bekehrt und sich so Heilung verschafft.“ (Jes 6,10) Als ob sich eine Fettschicht um den Menschen gelegt hat, so dass ihn nichts mehr erreicht, dass er gefühllos und achtlos wird.

Evagrius Pontikus schließlich, der im 4. Jahrhundert in Ägypten gelebt hat, schreibt für die Mönche in der Wüste, die mit bösen Gedanken zu kämpfen haben, dass sie sich vor allem vor dem Hochmut und dem Überdruss hüten sollen. Er hält diese beiden Gedanken, die nicht vom Guten kommen, nämlich die Überheblichkeit und die Trägheit, die Gleichgültigkeit, Lustlosigkeit, für die Wurzelsünden – später sagt man Todsünden.

Ich spreche hier nicht Depression als einer Krankheit, die körperliche Ursachen haben kann; es geht nicht darum, Schuldgefühle oder moralische Forderungen zu formulieren. Sondern es geht um die Wahrnehmung der geistlichen Versuchung der Überheblichkeit einerseits oder der Trägheit des Herzens andererseits; und ich glaube, dass nicht wenige Menschen heute diesen Gedanken folgen – und sich deshalb als von Gott getrennt erleben.

Menschen versuchen oft, dieser Trägheit durch Aktivismus zu entfliehen. Doch wenn ich selbst versuche, dem Zustand zu entrinnen, dann komme ich ins „Machen“, das häufig rein Ich-bezogen ist und mich gerade nicht in die Beziehung führt. Im Gegenteil, es schafft noch mehr Trennung. 

Evagrius Pontikus beschreibt die Erfahrung vom Getrenntsein als eine „Grundsündhaftigkeit“ des Menschen, die er durch Aktivismus versucht auszugleichen – und dadurch nur vertieft.

Erlösung geschieht, indem ich den Blick wende und mich anschauen lasse, mich vom Herrn ansprechen lasse - da, wo ich bin; ohne etwas verbergen oder verstecken zu wollen, selbst wenn ich mich schäme oder durch seinen Blick über meine eigene Situation erschüttert bin.

Das Evangelium von Lukas beschreibt dies in der Begegnung von Zachäus mit Jesus: Zachäus will Jesus sehen. Jesus schaut hinauf und sieht Zachäus an. Zachäus steigt hinunter und lässt Jesus bei sich eintreten. 

Die Erlösung von der Sünde geschieht im Perspektivwechsel, bei dem ich mich anschauen lasse, meine Angst um mich selbst loslasse. Da geschieht Bekehrung, Umkehr. Gott kommt auf uns zu, in unserer Sünde, in unserer Verstocktheit, Harthörigkeit.

Denn: "Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen. […] Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens." (Weish 11,22-12,2)


Montag, 3. Oktober 2022

Treue ist gelebter Glaube

Photo by Alex Shute on Unsplash



Predigt 2.10.2022 – 27. Sonntag im Jahreskreis C – Hamburg, Manresa
Les: Hab 1,2-3;2,2-4 – 2Tim 1,6-8.13-14 – Lk 17, 5-10

Stärke unseren Glauben. Wörtlich: gib uns glauben hinzu! Vermehre unseren Glauben. Geht das überhaupt: mehr Glauben bekommen? Glauben ist doch nicht „mehr oder weniger über Gott wissen“ oder „mehr oder weniger beten“, oder „mehr oder weniger regelmäßig sonntags in die Kirche gehen“. Glauben ist doch Vertrauen. Ich glaube dir, ich vertraue dir, dass du mir die Wahrheit sagst. Da gibt es doch nur Ja oder Nein. Entweder vertraue ich dir oder nicht. Gibt es mehr oder weniger Vertrauen? 

Glaube ist nicht sichtbar, wie viele andere wichtige Dinge im Leben auch: Freundschaft und Liebe zum Beispiel, oder Hoffnung. Und bei der Freundschaft gibt es doch Unterschiede: es gibt beste Freundinnen und Freunde und so lala Freunde. Da sagen wir doch auch: „Das ist die große Liebe meines Lebens“. Oder: „Das ist mein bester Freund.“ Gibt es diese Unterschiede -mehr oder weniger - auch im Glauben?

In den Glaubenskursen, die ich anbiete, kann man etwas über die Bibel und über die Tradition der katholischen Kirche lernen, über das Leben im Glauben. Es geht um Inhalte, wie sie zum Beispiel im Katechismus stehen, und um eine Praxis des Glaubens. Am Ende sagen die Menschen oft, dass sie mehr über den Glauben gelernt haben oder dass sie mehr über die Bibel oder die Kirche wissen. Aber bedeutet mehr wissen auch mehr glauben? 

Ich behaupte, es gibt verschiedene Formen des Glaubens. Wir reden vom Glauben auf verschiedene Weise. 

1/ Es gibt Glauben im Sinn von Vertrauen und Bekenntnis. Nennen wir ihn Glaube I. Er steht an der Schwelle zum Christsein. Dieser Glaube ist eine persönliche Beziehung zu Gott, mit dem ich leben und sterben möchte. Diesen Glauben haben wir mit allen Heiligen gemeinsam, mit Maria, mit dem heiligen Bonifatius, mit dem oder der hier neben mir in der Bank. Er äußert sich in Überzeugungen und Worten, ich kann darum beten, ich habe Anfechtungen und Zweifel, und wenn ich dem Glauben entsprechend handle, dann bin ich in meinem Tun glaubwürdig. Das ist glaube als Vertrauen und Bekenntnis.

Diesen Glauben kann ich gerade nicht messen, da gibt es kein mehr oder weniger. Es ist eine Haltung, die ich nicht allein durch mein Tun oder Machen erreiche. Er „ist in seinem Wesen nach Annahme einer Wahrheit, die unsere Vernunft nicht erreichen kann,“ so sagt der heilige John Henry Newman. Diese Annahme geschieht „einfach und unbedingt, auf ein Zeugnis hin.“

2/ Dann gibt es aber offenbar noch eine zweite Form des Glaubens, die nach Paulus ein besonderes Charisma ist, das ich weitergeben kann: „Glaubenskraft“ (1Kor 12,9). Nennen wir ihn Glaube II. Es ist ein Glaube, der heilsam und lebenspendend ist, der andere begeistert. Er zeigt sich in „Kraft, Liebe und Besonnenheit“ (2Tim 1,7). In diesem Glauben wird etwas von der Schöpfermacht Gottes und der Freiheit sichtbar, die uns allen verheißen ist. Diese Kraft ist heute schon ein Geschenk für einige. Sie äußert sich in Mut und Freiheit. Auch um diesen Glauben kann man beten, besonders dann, wenn das Zeugnis meine menschlichen Kräfte offensichtlich überfordert. 

Es gibt solche Menschen, die haben Kraft „für zwei“, so sagen wir manchmal. Auch im Glauben gibt es Menschen, die glauben „für zwei“. 

Die Apostel bitten offenbar um diese zweite Form des Glaubens. Das wird im Evangelium deutlich, wenn man den Kontext anschaut. Im Abschnitt zuvor hatte Jesus den Jüngern gesagt, sie sollten dem Bruder, wenn er sündigt und umkehrt, immer wieder verzeihen: „Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: ich will umkehren, so sollst du ihm vergeben!“ (Lk 17, 4). Was für eine Herausforderung! Welch eine Kraft und Stärke braucht es für die Lebensweise! Und von solcher Glaubenskraft für andere war auch schon letzten Sonntag im Evangelium die Rede, im Umgang mit dem Besitz: dass man mit anderen, besonders mit den Armen, teilen soll, großzügig sein soll. 

Interessanterweise spricht wohl auch der Prophet Habakuk in der ersten Lesung von einer solchen Lebens- bzw. Glaubensweise: Glaube angesichts von Gewalt und Unterdrückung, in Misshandlung, Zwietracht und Streit. „Der Gerechte“, so heißt es am Schluss in dem Wort, das Habakuk aufschreiben soll, „bleibt wegen seiner Treue am Leben.“ (Hab 2,4)

Treue, das ist – auf Griechisch übersetzt - bei Habakuk das gleiche Wort wie jenes, das nach Lukas die Jünger benutzen, wenn sie bitten: Gib Glauben. Treue ist gelebter Glaube. 

Glaube ist - in diesem zweiten Sinn - das Vertrauen auf Gott, das sich in der Zeit bewährt, das sich im Leben durchhält und Kraft gewinnt, das etwas in dieser Welt verändern kann zum Guten, auch wenn scheinbar alles dagegen spricht. Dieses Trauen auf Gott als Treue hat viel mit Vertrauen gemeinsam, aber es hat diesen Aspekt der Hoffnung zusätzlich. Wenn man auf etwas vertraut, was man jetzt noch nicht sehen kann.

Wenn mir hier in der Kirche aus der Heiligen Schrift vorlesen, dann tun wir im Grunde genau das, was der Herr dem Habakuk gesagt hat: Er sollte die Dinge, die er in der Kraft seines Glaubens gesehen hat, aufschreiben, damit man es mühelos lesen kann. „Denn erst zu der bestimmten Zeit trifft ein, was du siehst; […] wenn es sich verzögert, warte darauf; denn es kommt, es kommt und bleibt nicht aus.“ (Hab 2,3) Der gelebte Glaube „drängt zum Ende und ist keine Täuschung“. Um mehr von solchem Glauben kann man beten. 

Ich fasse zusammen: Es gibt zwei Weisen zu glauben: 

Erstens Glaube als Vertrauen und als Bekenntnis. Er ist die Grundlage für unser Leben, wenn wir sagen: Wir sind Christen. Diesen Glauben feiern wir gleich, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen.

Zweitens Glaube als besondere Gabe für einige, die mit einer Hoffnung in dieser Welt leben, die ihren Glauben in ihren Taten leben und anderen davon abgeben können, weil sie - wenn es auch nur so winzig ist wie ein Senfkorn- etwas von Gott erhalten haben, was die Welt heilt. 

Jesus Christus war so einer, der mehr Glauben in sich hatte, als für ihn allein nötig war. Diesen Glauben feiern wir gleich, wenn wir in der Eucharistie an seinem Tod und seine Auferstehung denken und er unter uns gegenwärtig ist. Amen.