Montag, 8. April 2024

belebt, begabt, beglaubigt

Foto von Max van den Oetelaar auf Unsplash



Predigt Zweiter Sonntag der Osterzeit 2024, Manresa | Hamburg  

Les: Apg 4,32-35; 1Joh 5,1-6; Joh 20,19-31 

Es ist Sonntagabend. Die Jünger sind versammelt. Wer genau, das wird nicht erläutert. Waren es nur die Elf, die sich getroffen haben? War Maria Magdalena dabei, die ihnen kurz vorher die überraschende Botschaft von der Auferstehung überbracht hatte? Petrus und Johannes, die zum Grab gelaufen waren? Joseph von Arimathäa und Nikodemus? Der Evangelist Johannes lässt es offen. Nur Ort und Zeit sind klar: Sie sind in Jerusalem, am ersten Abend der Woche, die Türen sind verschlossen.

Es geschieht etwas mit ihnen, was sie nicht erwartet haben und was alle ihre bisherigen Vorstellungen von Gott und seiner Leben spendenden Kraft offenbar übertroffen hat: Jesus tritt in ihre Mitte und redet zu ihnen. Eigentlich hätten Sie es ja wissen können, denn er selbst hatte ja gesagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ - in ihrer Mitte. Aber dass er das so verstanden hatte, das haben sie nicht geahnt.

Er hat an diesem Abend keine moralische Botschaft für sie, es geht auch nicht um ein aktuelles gesellschaftspolitisches Thema, oder vielleicht doch? „Friede sei mit euch!“ Das ist seine Botschaft. Kurz und prägnant. Der Friedensgruß erneuert das Vermächtnis Jesu aus seinen Abschiedsreden. Zugleich zeigt er die Spannung auf, in der die Jünger leben – in einer Welt mit Krieg, die sich nach Frieden sehnt und es doch nicht schafft, die Waffen schweigen zu lassen. 

Friede ist das, was der Glaube an Jesus schenkt. Die Reaktion der Jünger darauf ist die Freude, ein Kennzeichen des österlichen Geistes in ihnen. Und mit dieser Freude beginnt etwas Neues, denn die Jünger bekommen einen großartigen Auftrag. Dazu gleich mehr.

1/ Zunächst werden Sie neu belebt. Jesus haucht sie an. Der Atem, der Geist (ruach / pneuma / spiritus) ist nicht sichtbar, aber er hat eine Wirkung. Die Geistkraft stammt aus einer bleibenden, verborgenen Quelle. Gottes Geist macht den Menschen lebendig, so glauben wir (Credo 586,2).

Der erste Moment in unserem Leben: Einatmen! Der Atem belebt uns. Kinder, die nicht schreien bei der Geburt, können nicht atmen. In der Bibel heißt es im zweiten Schöpfungsbericht: „Gott formte den Menschen aus Staub und blies in seinen Nase den Lebensatem: so wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ (Gen 2,7)

Der Geist ist gleichbedeutend mit dem Leben selbst. Als Jesus starb, hauchte er den Geist aus (Joh 19,30: „Jesus neigte das Haupt und übergab den Geist“.) Dieser Geist wird nun den Jüngern vermittelt. (Joh 20,22: „Er hauchte sie an“). Die Jüngerinnen und Jüngern erleben eine Neuschöpfung: Das Lebensprinzip Jesu wir ihnen übergeben! (vgl. Joh 6,63: „der Geist ist es, der lebendig macht.“)

2/ Darin werden Sie begabt. Sie bekommen die Gabe des Geistes. Der Geist ist Beistand, den der Vater zugesagt hat, der ihnen in den Konflikten zur Verteidigung helfen wird, und er ist die Vollmacht, die Sünden zu vergeben. Darauf weist das Johannes-Evangelium heute besonders hin. Und mit dieser Gabe werden Sie von Jesus gesandt. Entsprechend der Sendung Jesu, die er vom Vater erhalten hat, werden sie nun von Jesus gesandt. „So wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“

Für den Evangelisten Johannes ist hier in diesem Zusammenhang wohl zunächst die Taufe als der einmaligen Vergebung der Sünden im Blick, der Neugeburt aus dem Wasser und dem Geist. Dem Neugetauften werden alle Sünden nachgelassen, denn erst ist, so heißt es an anderer Stelle „vom Tod ins Leben hinüber gegangen“ (vgl. Joh 5,25). Man kann aber heute auch andere Formen darunter verstehen, wie z.B. das Sakrament der Versöhnung: „Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.“

Die Sendung Jesu ist ein Auftrag und eine Begabung der Jüngerinnen und Jünger, die in seinem Geist versammelt sind: es ist eine persönliche Weitergabe nicht nur seines Glaubens, sondern eben auch seiner Leben schenkenden Kraft. Es ist die Kraft der Versöhnung – mit Gott, mit sich selbst, mit den anderen.

3/ Und schließlich wird diese Sendung beglaubigt. „Thomas, einer der Zwölf, war nicht dabei, als Jesus kam.“ Doch auch er wünscht sich eine persönliche Begegnung mit Jesus. Er möchte eine persönliche Erfahrung machen, nicht den Glauben aus zweiter Hand zu erleben. Und dieses Anliegen ist durchaus berechtigt. Jesus nimmt es auf, er ermöglicht ihm diese Erfahrung. 

In Jerusalem, Sonntagabend, beglaubigt Jesus seine Identität: Der Auferstandene ist der Gekreuzigte, oder umgekehrt: der Gekreuzigte ist der Auferstandene. Thomas hat das verstanden und sein Bekenntnis ist seine Antwort darauf. 

Wir sind heute, Sonntagabend, von Jesus angesprochen. Er hat keine moralische Botschaft für uns, es geht auch nicht um ein aktuelles gesellschaftspolitisches Thema, oder vielleicht doch? „Friede sei mit euch!“ Das ist seine Botschaft. Kurz und prägnant. Zugleich zeigt er die Spannung auf, in der wir Jünger Jesu leben – in einer Welt mit Krieg, die sich nach Frieden sehnt und es doch nicht schafft, die Waffen schweigen zu lassen. 

Bitten wir heute Abend um seinen Geist, um seine Leben spende Kraft für die Sendung, zu Versöhnung und zum Frieden beizutragen!

Wir tun das gleich im Hochgebet, wir bitten um den Empfang des Heiligen Geistes. Im Westen beinhaltet das Hochgebet eine zweifache Herabrufung des Heiligen Geistes. Einerseits über die Gaben. Und andererseits erbitten wir nach dem Einsetzungsbericht den Geist Gottes auch für alle, die zur Eucharistie versammelt sind: „Stärke uns durch den Leib und das Blut deines Sohnes und erfülle uns mit seinem Heiligen Geist, damit wir ein Leib und ein Geist werden in Christus“ (Drittes Hochgebet). Wir erbeten den Heiligen Geist immer auch auf uns. 

Beide Geist-Bitten gehören zusammen. Denn wenn wir in der Gabenbereitung unser eigenes Leben mit in die Schale legen, wenn wir eine persönliche Teilnahme an der Wandlung, dann ist es logisch, dass wir den Geist Gottes auf die Gaben und auf uns erbitten.

Ob sich der Heilige Geist leichter damit tut, Brot und Wein in Leib und Blut Christ zu wandeln? Vielleicht ist es anspruchsvoller, dass er uns wandelt? Das ist das Ziel. Eucharistie ist immer auch ein pfingstliches Ereignis.


Montag, 1. April 2024

Neuanfang

Foto von Daniel Jericó auf Unsplash

Predigt Ostern 2024, Manresa | Hamburg

Küken und Ei

„Frohe Ostern“, das wünsche ich Ihnen von Herzen. Wenn ich Ihnen das nicht persönlich sage, sondern per SMS schreibe, dann schlägt mir mein Mobiltelefon als Ergänzung ein passendes „Emoticon“ vor: ein halboffenes Ei, aus dem gerade ein Küken schlüpft. Nun kann man sich fragen, was das Ei und das Küken mit Ostern zu tun hat. Ostern ist doch das Fest von Tod und Auferstehung Jesu, der höchste christliche Feiertag, das Geheimnis und Zentrum des Glaubens. Und dann kommen Sie uns überall mit Osterglocken, Ostereiern und Osterhasen. Ist das christlich?

Das Ei wird tatsächlich schon in den ersten Jahrhunderten bei den Christen als ein Symbol für Ostern verwendet. Seit dem zwölften Jahrhundert sind bunte Eier bezeugt, zunächst in Rot, dann auch in anderen Farben. Das Küken, das aus dem Ei schlüpft, zeigt den neuen Anfang, das neue Leben. Es beginnt nicht von einem Moment zum anderen, sondern es entsteht, es gibt eine Phase des verborgenen Wachstums im Ei. Doch irgendwann kommt der Moment des Durchbruchs. Das neue Leben wird sichtbar. Es zeigt sich. Es bewegt sich. Es braucht mehr Platz. Das Ei mit dem Küken zeigt uns: Neuanfang ist möglich! 

Neuanfang im Glauben

Und das ist ja auch Ihre Erfahrung; die von Julia, die heute getauft und gefirmt wird, aber auch die der anderen, die heute in die katholische Kirche aufgenommen bzw. gefirmt werden: „Du kannst neu anfangen!“ „Du darfst neu anfangen!“ Neues Leben ist möglich, hier und jetzt! 

Wenn Sie das heute öffentlich bezeugen und es Ihnen in der Taufe und der Firmung zugesagt wird, dann ist das nicht unvermittelt von einem Moment auf den anderen. Es gab eine Phase des verborgenen Wachstums im Glauben. Sie alle haben schon mehr oder weniger Erfahrungen im Glauben gemacht. Sie beten, sie haben sich mit anderen über den Glauben ausgetauscht haben. Sie haben sich umgeschaut. Sie haben seit September an einem Kurs der KGI teilgenommen. Sie haben sich der Gemeinde vorgestellt. Sie haben das Glaubensbekenntnis übergeben bekommen. Doch irgendwann kommt der Moment, in dem ihre Entscheidung sichtbar wirkt, sich zeigt und durch die Kirche bestätigt wird. In der Taufe, so glauben wir, sagt Gott zu dir, Julia: „Du bist meine geliebte Tochter, an der ich Gefallen habe.“

Dass neues Leben möglich ist, dass Neubeginn geschieht, wo niemand es erwartet hat, - das ist im Grunde die Erfahrung Jesu und die Erfahrung seiner Jünger zu Ostern. Das Kreuz ist nicht das Ende, das Scheitern, sondern es spricht zu uns von einer Liebe, die das Böse und die Sünde besiegt. Es wird zum Neuanfang, der in der Auferstehung sichtbar wird.

von Gott auferweckt

Diese Initiative geht von Gott aus. Das ist für die Jünger klar: Nicht Jesus selbst steigt aus eigener Kraft aus dem Grab, sondern Gott hat ihn auferweckt. Darauf weist Petrus in seiner Rede hin, die wir in der ersten Lesung gehört haben. „Gott aber hat ihn am dritten Tag auf erweckt und hat ihn erscheinen lassen, zwar nicht im ganzen Volk, wohl aber den von Gott vorher bestimmten Zeugen.“ (Apg 10, 40f.) Daher hat die Auferstehung den Charakter der göttlichen Kreativität, einer neuen Schöpfung.

Unter den Jüngern Jesu, die ihn vor seinem Tod erlebt haben, gibt es nicht wenige, die daran zweifeln, dass so etwas wie Auferweckung möglich ist. Sie haben noch das blutige Drama von Golgatha vor Augen und sind in Traurigkeit und Verzweiflung gefangen. Ist das alles eine Selbsttäuschung? Autosuggestion? Kollektive Halluzination? 

Die Evangelien von Ostern sind überraschend zögerlich und tastend. Und daher, so glaube ich, auch überraschend ehrlich. Es ist eben nicht alles gleich von Anfang an klar. Es ist nicht der Sieger, der im Triumph aus dem Grabe erstand. Die Evangelien überliefern den Zweifel, das Unverständnis. 

Die Jünger verstehen am Ostertag eben noch nicht, was eigentlich geschehen ist. „Sie sind verzweifelt, sie trauern, sie ziehen sich zurück, sie haben Angst und machen die Türen hinter sich zu. Nur Maria von Magdala traut sich im Schutz der Morgendämmerung zum Grab. Und sie berichtet Seltsames: Der Stein - weggewälzt, das Grab – leer. Was soll man davon halten? Was ist geschehen? Wie wird es weitergehen? Fragen über Fragen, Ungewissheit, Verunsicherung, Ratlosigkeit. Aber plötzlich macht ein Wort die Runde: auferstanden! Heißt das: Jesus lebt?“ (Andrea Schwarz)

Und dann laufen sie zum Grab, Petrus und der andere Jünger, den Jesus liebte. Zunächst schaut Petrus ins Grab, so wird erzählt, und dann auch der andere Jünger. „Und er sah (wie es darin aussah) und er glaubte (dass Jesus auf erweckt worden ist und lebt). Denn damals,“ so erklärt uns das Evangelium, „hatten sie ja noch nicht die Heilige Schrift verstanden, wonach Jesus von den Toten auferstehen soll.“ (Joh 20, 8-9; vgl. Übersetzung von Klaus Berger)

Sie kannten noch nicht, was wir heute kennen. Sie verstanden noch nicht, was wir heute aus dem Zeugnis der Apostel besser verstehen, selbst wenn wir es nicht endgültig und bis ins Letzte begreifen können. Doch es fügt sich, dass will wohl das Johannes-Evangelium sagen: der Neuanfang ist in den Schriften des Alten Bundes angekündigt. Es ist der Neue Bund in seinem Blut, den Gott uns schenkt, der Neuanfang, der möglich ist.

Auferstehung braucht Zeit

Das alles zu verstehen, braucht Zeit. „Für die Freunde Jesu findet Ostern nicht am dritten Tag statt. Sie brauchten Zeit, um zu erahnen und zu verstehen, damit auch in ihnen Auferstehung werden kann.“ Und das gilt genauso für uns heute. Wir sind eingeladen, Ostern werden zu lassen, d.h. uns selbst in die Dynamik von Tod und Auferstehung hineinziehen zu lassen, mit Jesus. „Er geht uns voraus, aber wenn wir nicht mitgehen, bleibt er allein.“ (Andrea Schwarz)

Das ist das Geheimnis der Taufe. Das ist das Fest von Ostern, dass heute beginnt und bis Pfingsten dauert. 50 Tage haben wir Zeit, diesen Neuanfang reifen zu lassen, jeden Tag neu Auferstehung zu üben.

Gebet (nach einem Text von Pierre Teilhard de Chardin): „Hab’ Vertrauen in das langsame Arbeiten Gottes. Ganz natürlich drängen wir in allen Dingen ungeduldig dem Ziele zu. Wir möchten die Zwischenstufen überspringen. Wir leiden voller Ungeduld darunter, zu etwas Unbekanntem, Neuen unterwegs zu sein. Dabei ist es das Gesetz jedes Fortschreitens, dass sein Weg über das Unbeständige führt – das eine sehr lange Zeit andauern kann. Deine Gedanken reifen ganz allmählich, lass sie wachsen, lass sie Gestalt annehmen, ohne etwas zu überstürzen! Versuche nicht, sie zu zwingen, so als könntest du heute schon sein, was die Zeit (das heißt die Gnade und die Umstände, die auf deinen guten Willen Einfluss nehmen werden) morgen aus dir machen wird. Schenke unserem Herrn Vertrauen, und denke, dass seine Hand dich gut durch die Finsternisse und das Werden führen wird – und nimm aus Liebe zu ihm die Angst auf dich, dich im Ungewissen und gleichsam unfertig zu fühlen.“ 



Montag, 11. März 2024

Weitergehen

Gerokreuz. Köln

2024 Predigt Manresa Hamburg, Vierter Fastensonntag B 

Les: 2Chr 36,14-16.19-23; Eph 2,4-10; Joh 3,14-21

Das Evangelium des heutigen Sonntags, aus dem dritten Kapitel bei Johannes, ist der zweite Teil der Erzählung von der Begegnung von Jesus mit Nikodemus, mit der uns Johannes die Sendung Jesu erklären möchte. 

Worum geht es in dem Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus? Nikodemus war ein führender Mann unter den Juden. Der suchte Jesus in Jerusalem bei Nacht auf, und fragte ihn, wer Jesus denn eigentlich sei. Ein Lehrer, von Gott gekommen? Einer, der Zeichen tut? Ein Prophet? Wer bist Du?

Die Antwort von Jesus ist merkwürdig, denn Jesus redet zu Nikodemus über das „neu geboren werden“. Er sagt, dass man von oben oder von neuem geboren werden müsse, um das Reich Gottes zu sehen, nämlich aus Wasser und Geist. Im Grunde sagt er: Nikodemus, das Reich Gottes kannst Du nur sehen, wenn Du Dich nicht nur für meine Botschaft interessierst, sondern wenn Du Dich mit Deinem ganzen Leben darauf einlässt und bereit bist, verwandelt zu werden, ein neuer Mensch zu werden. Wenn Du bereit bist, Dich taufen zu lassen!

Jesus redet hier im Johannes-Evangelium über das, was wir unter der christlichen Taufe verstehen. Doch die gab es damals, als dieses Gespräch stattgefunden haben könnte, noch gar nicht. Der Evangelist Johannes nutzt die Erfahrung der Taufe, um seiner christlichen Gemeinde zu erklären, was die Sendung Jesu ist. Das ist nicht historisch korrekt, aber sehr aufschlussreich.

Ich stelle mir das ungefähr so vor: Es gibt hier sichtbar zwei Stühle. Dort sitzen Nikodemus und Jesus und sprechen miteinander. Und dahinter, wie auf einer zweiten Bühne, sind ganz viele Stühle: je einer für uns und einer für das Evangelium. Was vorne gesprochen wird, hat eine übertragene Bedeutung für uns, die Zuhörer:innen. Das wird an dieser Stelle besonders schön deutlich. 


Was ist die Taufe? 

Die Taufe ist der Weg aus dem Reich des Todes in das Leben; das Tor in die Kirche und der Beginn einer neuen Dimension von Gemeinschaft mit Gott (vgl. KKK 1213). In der Taufe geschieht die Vergebung der Sünden, d.h. der eigenen Schuld und der Schuldgeschichte, in die wir hineingestellt sind. In der Taufe stirbt der Sünder; es stirbt der alte Mensch, und es wird ein neuer Mensch. In der Taufe erhalten wir Anteil an Tod und Auferstehung Jesu. Es ist eine radikale Verwandlung des Menschen, die im Glauben geschieht, wenn wir aus Wasser und Geist neu geboren werden. 

Manche erleben die Taufe als Erwachsene, sehr bewusst, und ich freue mich, dass wir hier am Kleinen Michel immer wieder Menschen zur Taufe begleiten. Andere sind als Kind getauft worden und sind sich manchmal der Gnade, die sie geschenkt bekamen, nicht bewusst; ich selbst wurde als Kind getauft und darf mich immer wieder daran erinnern und es wahrnehmen.

Woher die Menschen kommen, die getauft werden, welche Geschichte sie haben, was sie an Erfahrungen mitbringen, das ist so verschieden, wie es Menschen gibt. Wir wissen es nicht und brauchen es nicht zu wissen. Und wohin Menschen gehen, die getauft werden, was Gott mit ihnen vorhat, ob sie auf sein Wort hören, ihm folgen, welche Geschichte sie in dieser Welt schreiben werden: Wir wissen es nicht und brauchen es nicht zu wissen. Es gibt immer wieder ein Scheitern und Umwege. Aber es gab diesen einen Moment, der alles andere verwandelt und neu gemacht hat. 


Was ist die Sendung Jesu?

Jesus ist für uns der Weg aus dem Reich des Todes in das Reich des Lebens. Er ist das Haupt, der Kirche, und durch ihn haben wir Gemeinschaft mit Gott. Der Grund der Sendung Jesu liegt in der Liebe Gottes zu dieser Welt und zu den Menschen, die er in Freiheit geschaffen hat. Eine Freiheit schafft andere Freiheiten aus Liebe. Gott möchte diesen Menschen, die er geschaffen hat, den Weg zum Leben zeigen. So gab er seinen Sohn in ihre Hände. Sie brachten ihn um, aber Gott straft durch dieses Geschehen nicht die Welt und die Menschen, sondern er rettet sie.

Denn es gab diesen einen Moment in der Geschichte, der alles andere verwandelt und neu macht. Manche glauben das und finden den Weg zum Leben. Andere glauben das nicht und finden ihn nicht. Die Liebe Gottes in Jesus ist für uns herausfordernd, weil es unsere Stellungnahme braucht. Wir können vor Jesus nicht in different bleiben.

Was Johannes uns heute durch Jesus und sein Gespräch mit Nikodemus sagt, ist vielleicht dies: Erlösung ist geschehen, ein für alle Mal und für alle Menschen, damals vor 2000 Jahren in Jerusalem, denn dort ist die Liebe offenbar geworden. Erlösung ist geschehen, ein für alle Mal und für dich persönlich in deiner Taufe und Firmung, denn seitdem kannst du das Reich Gottes sehen. Hab‘ keine Angst, es gibt Scheitern, Umwege, Missverständnisse. Aber Gott rettet. Er wirkt weiterhin in deinem Leben.

Im Grunde ist das doch das Geheimnis und die Spannung der Fastenzeit. Warum sollen wir Busse tun und uns auf Ostern vorbereiten, wenn die Auferstehung Jesu vor 2000 Jahren schon geschehen ist? Ostern: Das war vor 2000 Jahren, was können wir daran noch ändern? Erlösung ist ein für alle Mal geschehen, was sollen wir daran noch tun? 

Wir können sie immer neu wahrnehmen, in unserem Leben. Wir können umkehren in dem Sinne, dass wir diese Gnaden neu wahrnehmen und entsprechend leben. Einerseits wissen wir, dass wir nicht tiefer fallen können als in Gottes Hände. Und andererseits wissen wir genauso, dass wir noch einen Weg vor uns haben, dass wir immer wieder fallen und nicht perfekt sind, und unsere Fehler haben. Aber das ist nicht schlimm! Die neue Dimension in unserem Leben ist da, in dieser Spannung können wir aufrecht und aufrichtig gehen an deiner Seite Jesu. 

Nikodemus hat das nur halb verstanden, weil er „Jesus nur mit halbem Herzen liebte.“ (Gregor von Nazianz, aus der „Rede über die Liebe zu den Armen“). Lieben wir von ganzem Herzen! Amen.


Montag, 19. Februar 2024

Disziplin ist Bildung



Predigt Erster Fastensonntag 2024 - Evangelium: Mk 1,12-15

Liebe Schwestern und Brüder,

vor zwei Wochen, am Fest des hl. Ansgar, feierte die Sankt-Ansgar-Schule ihr Patrozinium mit einer heiligen Messe in St. Petri. Ich habe daran teilgenommen. Etwa 800 Schülerinnen und Schüler waren versammelt. Ein Gewusel von Stimmen und Gerüchen, Kinder aller Hautfarben und Temperamente, Mädchen und Jungen, große und kleine. Als es losgehen sollte, stimmte das Orchester noch die Instrumente auf der Orgelbühne, einige Schüler kamen zu spät und suchten ihre Plätze. An Andacht vor der heiligen Messe war nicht zu denken. Aber irgendwie gelang es dann doch, kurz bevor der Gottesdienst begann, sich zu konzentrieren, still zu werden und da zu sein. Sich zu disziplinieren, jede und jeder für sich, in Gemeinschaft, so könnte man sagen. Eine beeindruckende, wichtige Erfahrung.

„Bonitatem, et disciplinam, et scientiam doce me, domine“. Der Wahlspruch der Sankt-Ansgar-Schule fand sich auf dem Liedblatt, das auslag. „Bonitatem, et disciplinam, et scientiam doce me, domine“. Dieser Wahlspruch steht auch über dem Hauptportal der Schule. Die deutsche Übersetzung lautet ungefähr: „Güte und Bildung und Einsicht lehre mich, Herr.“ Es ist ein Zitat aus der lateinischen Fassung der Psalmen (VUL Ps 118,66). 

Wenn Sie in der Einheitsübersetzung der Bibel nachlesen, steht dort: „Gutes zu verstehen und zu erkennen, lehre mich.“ (EIN Ps 119,66) Da ist von Disziplin nicht die Rede, nur von Verstehen und Erkennen. 

Denn Disziplin ist im Deutschen kein positiv besetzter Begriff, im Gegenteil. Die Sekundärtugenden, die spätestens seit den 1968er-Jahren in Deutschland wegen der von den Nazis missbrauchten Tugenden allgemein abgelehnt wurden, wie z.B. Pünktlichkeit und Ordnung, Gehorsam, Fleiß, Zuverlässigkeit, Bescheidenheit oder Höflichkeit sind anerzogene Verhaltensweisen, die noch nichts über die ethische Bedeutung der Handlung eines Menschen sagen. Wie aber ist das mit der Disziplin? Gehört sie zu diesen Sekundärtugenden? Was meint Disziplin eigentlich? Geht es um Regeln, um das Einhalten einer vorgegebenen Ordnung? 

„disciplina“ ist im Lateinischen ein sehr dehnbarer Begriff: Er meint (laut PONS) 1/die Unterweisung, den Unterricht, die Lehre, dann 2/ die Bildung, Kenntnis, Fertigkeit, Kunst; 3/ Schule, Methode, 4/ ein wissenschaftliches Fach allgemein, 5/ die strenge Erziehung, 6/ die militärische Disziplin, 7/ die Sitte, die Gewohnheit bis hin zu 8/ die Staatsverfassung, die Staatsordnung.

„disciplina“ lässt sich zunächst einmal mit Bildung und Formung übersetzen. Es ist das Verhalten eines Menschen, der sich unterweisen und unterrichten lässt, der sich eine Kenntnis oder eine Fähigkeit erwirbt, indem er sich übt. Disziplin ist die Bereitschaft, sich formen zu lassen und vor allem sich selbst zu formen. Dem Leben eine Form zu geben. Im Leben zu üben bedeutet hinfallen und wiederaufstehen, Widerstände überwinden, Scheitern akzeptieren und immer wieder neu anzufangen.

Den deutschen Begriff „Bildung“ gibt es sonst in keiner anderen Sprache. Im Englischen ist z.B. von „education“ die Rede oder von „formation“, aber dass dieser Vorgang der Erziehung eine Kunst ist, eine bildende Kunst, und dass es vor allem darum geht, sich selbst zu bilden, in einem ganzheitlichen Sinn, das hat die Pädagogik in den letzten 100 Jahren immer mehr erkannt. Und wenn ich diese Bildung in der Beziehung mit Gott erhalte, dann nennt man es Glaube, praktizierte Religion.

Wir stehen am ersten Sonntag der Fastenzeit am Beginn der sogenannten österlichen Bußzeit. Gläubige Christen nutzen diese Zeit, um sich durch Fasten, Gebet und Almosen auf Ostern, auf das Fest von Tod und Auferstehung Jesu vorzubereiten. Und wie geht das? 

„Man nimmt sich eine Zeit lang zurück, um wieder Herr im eigenen Haus zu werden, um nicht immer stärker Gewohnheiten und Alltagssüchten zu erliegen. Man folgt selbst erfundenen Regeln und macht die Erfahrung, dass man fähig ist, diese einzuhalten.“ So schreibt der Hamburger Literaturwissenschaftler Frank Berzbach in einem Blogbeitrag "Die christliche Fastenzeit und die Moden des Fastens", 2024. Er beschreibt darin die paradoxe Erfahrung, dass man gewissen Regeln folgt, sich einschränkt und so eine neue Freiheit spürt.

Diese Form der Selbstbildung geschieht traditionellerweise nicht in der Öffentlichkeit. „Bei den Wüstenvätern kann man nachlesen, dass man das Fasten nicht vor sich hertragen soll; Fasten ist eine stille Angelegenheit.“ Wie ja auch das Gebet eine sehr persönliche Sache ist: „Wenn Du betest, dann geh in Deine Kammer.“ So sagt es Jesus. 

Es gibt das öffentliche Fasten: Die Gemeinschaft der katholischen Christen fastet am Aschermittwoch und am Karfreitag. An diesen beiden Fast- und Abstinenztagen soll man auf Fleisch verzichten, keinen Alkohol trinken und sich nur einmal am Tag satt essen. Aber ansonsten ist die Fastenzeit eine ziemlich individuelle Sache. Jeder nimmt sich etwas anderes vor. Das ist sicherlich schwieriger, etwas allein in guter Weise durchzuhalten; leichter ist es, wenn es die anderen auch machen. Aber es hat eben damit zu tun, dass wir von Gott die Gabe und die Aufgabe bekommen haben, uns selbst zu bilden und unser Leben zu formen.

Noch einmal Berzbach: „Das religiöse Fasten verlangt also viel: Es ist eine Übung der Selbstdisziplin, die verborgen bleiben sollte; es bedarf des Ehrgeizes, der uns aber keine sozialen Pluspunkte bringt; der Lohn der Fastendisziplin wird uns nicht von anderen Menschen gegeben, sondern liegt vielleicht außerhalb unseres Lebens. Das es positive Nebeneffekte geben kann, steht nicht im Vordergrund. Wer fastet muss nach innen diszipliniert und nach außen locker sein, das ist viel schwieriger als der Verzicht auf bunte Zimtschnecken. Fasten ist also für Christen keine Praxis, die nur den eisernen Willen trainiert.“ 

Allerdings: Der Sabbat ist für den Menschen da – und auch die Gebote und Regeln der Kirche für die Fastenzeit sind letztendlich für den Menschen da, nicht für Gott. Sie sollen uns helfen, innerlich freier zu werden. Gleichzeitig braucht es dafür die Ein-Übung, die Selbstdisziplin, das kluge Abwägen, was jetzt gerade dran ist, die Überwindung der eigenen Bequemlichkeit und die Luststeuerung. Die Lust ist nichts Schlechtes, aber wenn ich von der Lust getrieben bin und sie nicht mehr als eine Motivation zum Guten erlebe, dann sollte ich mal schauen, ob ich etwas ändern kann.

Der heilige Ignatius nannte diese Form, sich zu ändern, das „agere contra“. Das bedeutet: Wenn ich spüre, dass mich mein Charakter immer in die eine Richtung zieht, dann darf und soll ich in dieser Fastenzeit mal bewusst versuchen, ein bisschen zu viel in die Gegenrichtung zu steuern. Wenn ich oft zu viel esse, etwas weniger als das Normale; und wenn ich oft zu wenig esse, dann etwas mehr als das Normale.

Das ist die Spannung, um die es in der Fastenzeit geht: die Spannung zwischen Einübung von Loslassen, zwischen Selbstüberwindung und Lockerheit. In der Fastenzeit liegt der Akzent mehr auf dem Verzicht. In der Fastenzeit geht es um Erfahrungen, so wie Jesus sie in der Wüste gemacht hat. Sie gehörten für ihn zu seinem religiösen Leben dazu, auch wenn sie nicht das Ziel waren. Güte und Einsicht sind das Ziel. Die Disziplin ist ein Mittel.

Probieren Sie es doch in den nächsten Wochen einfach mal aus. Im Vertrauen darauf, dass Sie dabei nicht allein sind, dass die wilden Tiere da sind und die Engel, die ihnen dienen. Amen.


Donnerstag, 15. Februar 2024

Staub und Geist

Foto von Ahna Ziegler auf Unsplash

Predigt Aschermittwoch 2024

Les: Joel 2,12-18; 2Kor 5,20-6,2; Mt 6,1-6.16-18

„Asche auf mein Haupt“, so sagt man, wenn man einen Fehler begangen hat oder sich einer Schuld bewusst ist, und Reue zeigt. Die staubige Asche auf dem Kopf ist religiös seit mehr als 2000 Jahren ein Zeichen der Klage und der Buße: bei den Israeliten, den Ägyptern, den Arabern und den Griechen. Es ist ein Bild für die Vergänglichkeit und die Trauer bzw. die Buße. 

Die Asche ist hier und heute ein Zeichen für den Beginn der österlichen Bußzeit. Seit mehr als 1000 Jahren gibt es in der Kirche den Brauch, sich zu Beginn der Fastenzeit mit Asche bestreuen zu lassen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mit dem Ritual des Aschekreuzes so meine Schwierigkeiten habe: „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst.“ Ist diese Botschaft befreiend? Hilfreich? Im Sinne des Evangeliums?

Die Frage, ob solche Art von Zeichen, von Gesten und äußerlicher Buße sinnvoll ist, gibt es schon lange. Der Prophet Jesaja fragte, ob es im Sinne Gottes sei, sich zur Buße mit Asche zu bestreuen: „So spricht der Herr: Ist das ein Fasten, wie ich es wünsche, ein Tag, an dem sich der Mensch demütigt, wenn man den Kopf hängen lässt wie eine Binse, wenn man sich mit Sack und Asche bedeckt? Nennst du das ein Fasten und einen Tag, der dem Herrn gefällt?“ (Jes 58,5) 

Nun, wie auch bei anderen Riten, so kommt es auf die richtige innere Einstellung und das rechte Verständnis an und ich habe mir dazu einige Gedanken gemacht. Ich lade sie ein, diesen Gedanken zu folgen und zu schauen, ob sie damit etwas anfangen können, für ihren Alltag in den nächsten Wochen.

Am Anfang steht das Feuer. Das Feuer des Heiligen Geistes. Die Glut der Liebe. Der Lichtschein der Wahrheit. Die Wärme des Lebens und die Zuversicht des Glaubens. Wenn ich mich für etwas begeistern kann, dann springt der Funke über, dann bin ich Feuer und Flamme, dann brenne ich. 

Einigen Menschen steht die Lebendigkeit, die Freude ins Gesicht geschrieben: Sie haben eine gesunde Gesichtsfarbe, rote Wangen. Man spürt gleichsam den Pulsschlag des Lebens in ihren Worten und Gesten. Jugendliche Frische und Lebendigkeit beeindrucken und erfreuen. Und manche denken, dass dies das Leben sei. 

Doch weiß jeder, der sich etwas umschaut, und auch aus dem eigenen Erleben, dass es kein Feuer ohne Asche gibt. Bei allem, was wir tun, gibt es nicht nur Reibungsverluste, sondern auch Fehler, Missverständnisse und Scheitern. Einige Menschen stören sich nicht daran und sagen, „wo gehobelt wird da fallen Späne“. 

Andere Menschen aber empfinden ein Missbehagen angesichts des eigenen Fehlverhaltens oder fremder Missgunst. Das unbedachte Wort in einer E-Mail, die aus Ärger geschrieben wurde. Der vergessene Geburtstag einer Bekannten. Die Wut und der Zorn über die Fehler von anderen. 

Es gibt keine perfekte, schöne Welt und wir leben mit unseren Begrenzungen, unserer Verletzlichkeit und unserer Vergänglichkeit, unserem Scheitern, unserem ambivalenten Verhalten. Das liegt an der Sünde, die sich breit macht. Und trotzdem ist das Leben lebenswert, ist nicht alles vergeblich. Es gibt das Feuer nicht ohne die Asche, und trotzdem bin ich froh, dass es das Feuer gibt.

Anmerkung: Physikalisch ist das nicht ganz richtig, dass es kein Feuer ohne Asche gibt. Bei der Verbrennung von Wasserstoff zum Beispiel entsteht keine Asche, sondern Wasser. Aber ich bleibe jetzt hier einmal beim Bild vom Feuer und von der Asche - als einem Symbol.

Es gibt die Asche im Leben. Angesichts dieser Erkenntnis gibt es nun zwei Straßengräben, d.h. falsche Verhaltensweisen, die die von Menschen eingenommen werden. 

1/ Die eine Weise ist, nur auf die Asche bei sich selbst zu schauen. Voller Skrupel und mit einem sehr hohen Ideal die eigenen Fehler, das eigene Scheitern und die eigene Vergeblichkeit zu beklagen und völlig gefangen zu sein in Selbstzweifeln und Bitterkeit. Und dann letztendlich gar nichts mehr zu Wege zu bringen. „Es ist doch alles vergebliche Liebesmühe.“ – „Wie man man’s macht, macht man es falsch.“ Vielleicht kennen Sie solche Leute.

2/ Der andere Straßengraben ist, nur auf die Asche bei anderen zu schauen. Überhaupt keine Selbstzweifel zu haben, sämtliche negativen Gefühle, Fragen oder Verletzungen wegzudrücken und die eigene Schuld angesichts der riesigen Fehler der anderen dauernd zu relativieren. Den Splitter im Auge des anderen sehen, aber den eigenen nicht. Die Verantwortung für das eigene Leben nicht zu übernehmen. „Schuld sind immer die anderen.“ Vielleicht kennen Sie auch solche Leute.

Das sind die beiden Straßengräben. Aber wo geht der richtig Weg lang? 

Das Evangelium erinnert heute an den Vater, der auch das Verborgene sieht. Dreimal wird dies im Evangelium wiederholt. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es die vergelten. Dein Vater, der ins Verborgene blickt. Gott sieht das, was innen ist, nicht auf das Äußere. 

Wird uns dann angst und bange? Wenn Gott alles sieht, was sieht er da? All unsere Süchte, unsere Bequemlichkeit, unsere Langeweile. Die Zeiten, wo man innerlich so voller Ärger und Wut ist, oder so voller Traurigkeit und Enttäuschung, dass alles um einen herum darunter leidet, dass am Ende des Tages nicht viel mehr übrigbleibt als ein paar zugeschlagene Türen und Worte, die man hinterher bereut?

Aber Gott sieht eben auch das Feuer, das Gute, das Leben in mir. Die Botschaft des Evangeliums vom Vater, der in das Verborgene blickt, ist eine frohe Botschaft, sobald mir diese Wirklichkeit meines Lebens bewusst wird - und dass gerade dieser Blick Gottes innerlich Heilung und Vergebung schenkt.

Der Weg ist also, Gott draufschauen zu lassen. Zugeben: Ja, Vater, ich habe gesündigt, ich bin nicht perfekt. Das bekennen wir, wenn uns mit dem Zeichen der Asche bezeichnen lassen. Es braucht Heilung durch das Kreuz. Das Kreuz ist das Zeichen der Barmherzigkeit Gottes. 

Es wird in diesen Tagen viel über die Barmherzigkeit gesprochen. Manchmal wird das Wort auch missverstanden, so als ob es nichts mehr gibt, was richtig und was falsch ist. Die Erfahrung der Barmherzigkeit hat damit zu tun, dass ich etwas in meinem Leben als falsch erkenne und trotzdem auf Heilung hoffe, trotzdem glaube, dass Gott mir vergibt. Das ist ein großer Unterschied.

Karl Rahner hat das Bild von Asche und Feuer in seiner Beschreibung vom Menschen verwendet: er schreibt, der Mensch sei „Staub“, und er sei „Geist“. Beides. Und das Besondere des Menschen sei es, dass er gerade mit seinem Geist, mit dem er Gott erkennen kann, auch seine eigene Unbegreiflichkeit, seine Ausweglosigkeit, seine Schuld, sein Zugehen auf den Tod erkennt. Dass er also durch seinen Geist mehr ist als Staub. Dass er sich aber mit seinem Geist sich vor Gott als Staub erkennt. Was ihn er rettet und erlösen wird, ist, wenn er sich, trotzdem von Gott geliebt weiß und zum neuen Leben erweckt wird, mit Jesus, in seinem Geist, aufersteht.

Die Asche ist das Symbol der eigenen Vergänglichkeit, der Begrenztheit, der Schuld und der Fehler. Insofern steht sie am Beginn der österlichen Bußzeit. Die Asche erinnert uns aber auch daran, dass es das Feuer gibt. Beides wird dereinst nicht mehr sein, „wenn es keine Nacht mehr gibt und man weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne mehr braucht.“ (Offb 21). Bis dahin aber dürfen wir beides wahrnehmen. Feuer und Asche. Heute die Asche. Amen. 


Mittwoch, 31. Januar 2024

Zugeneigt

Foto: Achim Pohl / SJ-Bild 2005

"Ronchamps in Holsterhausen"

Das Marienbild „Mutter mit dem geneigten Haupt“ in der Kirche St. Ignatius in Essen-Holsterhausen ist der Abzug eines Kupferstichs, der als Kopie eines Wiener Gnadenbildes um 1680 dem Ursulinenkloster in Landshut geschenkt wurde. Zunächst war der Kupferstich in Landshut ein bloßes Andachtsbild. Doch schon bald mehrten sich die Berichte über erwiesene „Gutthaten“, so dass das Bild im Jahr 1699 auf dem Hochaltar der Klosterkirche Landshut zur Verehrung aufgestellt wurde. Es machte Landshut für ein Jahrhundert zu einem berühmten Wallfahrtszentrum.

Pater Martin Schwarz SJ nahm einen Abzug des Bildes 1752 aus seiner bayrischen Heimat mit nach Südamerika, in die Indianermission an der Amazonasmündung in Brasilien. Er blieb nur wenige Jahre dort, denn der portugiesische Premierminister Marquês de Pombal suchte im Geist der Aufklärung die zentralistische Staatsgewalt zu stärken und ging deshalb gegen die Vorrechte des Klerus vor, auch in den Missionen. Ein missglücktes Attentat auf den König 1758 diente schließlich als Vorwand für die Ausweisung der Jesuiten am 3.9.1759 aus Portugal und Brasilien.

Im Jahr 1760 wurde Pater Schwarz zusammen mit anderen Jesuiten in die Hafenfestung São Julião da Barra in der Tejo-Mündung vor Lissabon interniert. Insgesamt 124 Jesuiten wurden zwischen 1759 und 1772 in dieser Festung eingekerkert, ohne je gerichtlich verhört worden zu sein. Wenn die Gefangen aus dem Orden ausgetreten wären, hätten sich die Kerkertore für sie geöffnet. Zahlreiche Jesuiten starben in der Haft.

Als Pater Meisterburg 1762 in einem ergreifenden Gebet die Muttergottes zu ihrem Festtag am 8. September um Hilfe angefleht hatte, wurde das „Unmögliche“ möglich! Kurz darauf konnten die Eingekerkerten heimlich die hl. Messe feiern. Sie betrachteten dies als wunderbare Erhörung und erhoben das Marienbild zum Altarbild, „vor dem nachts viele heilige Messen gelesen wurden“. Es gab überraschende Heilungen, ungeahnten Tröstungen und vor allem sühnende Leidensbereitschaft.

Nach dem Sturz Pombals 1777 wurden die letzten fünf Gefangenen befreit, darunter auch Pater Schwarz. 45 Jesuiten hatten die bis zu 18 Jahren dauernde Haft überstanden; 37 waren gestorben, die übrigen waren vorzeitig entlassen worden. Keiner war abgefallen. Pater Schwarz kehrte in seine Heimat zurück und brachte das Gnadenbild mit, über München und Altötting nach Amberg, wo er 1788 starb. Das Bild vermachte er seiner Nichte Hofrätin Hilterperger. Von ihr kam es zu Therese von Rheinl, von dieser 1871 zu P. Andreas Ehrenberger SJ in Regensburg und dann, noch im gleichen Jahr, an das Provinzialat der Deutschen Provinz der Jesuiten nach Köln. 1936 holte es P. Friedrich Vorspel als Dauerleihgabe nach St. Ignatius in Essen-Holsterhausen, wo es bis heute verehrt wird. 

Welche Gnaden wird das Bild Mariens mit dem geneigten Haupt in Zukunft den Gläubigen vermitteln? Die Jesuiten haben die Essener Residenz an Sankt Ignatius 2012 aufgegeben. Heute ist der Turm der Kirche abgetragen, die Orgel verkauft. Noch beten Menschen zur Mutter mit dem geneigten Haupt: „Dich als Mutter zeige, / o Maria hilf, gnädig uns zuneige, / o Maria hilf!“ (GL 524,5)

Sonntag, 28. Januar 2024

Macht und Vollmacht


Predigt Vierter Sonntag im Jahreskreis B, Manresa | Hamburg

1/ Mose und Jesus

„Einen Propheten wie mich wird der Herr aus unserem Volk, unter unsern Geschwistern, erstehen lassen.“ (Dtn 18, 15). Mose blickt am Ende seines Lebens auf die Geschehnisse des Exodus zurück. Er erinnert sich an die Machttaten Gottes: Wie er von Gott berufen wurde, um als Mittler zwischen Gott und seinem Volk den Willen des Herrn zu verkünden. Mose hat als Prophet nur das verkündigt, was Gott ihm geboten hat, er durfte nichts Eigenes hinzufügen. Denn der Prophet hat Macht nicht aus sich selbst, sondern von Gott. Er hat Macht, damit er seine Fähigkeiten zum Nutzen des Volkes und im Sinne Gottes einsetzt. 

Jesus verkündete in der Synagoge von Kafarnaum und „lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.“ Er setzte seine Macht ein, und sie wirkte heilsam. Er befreite einen Menschen, der von einem unreinen Geist besessen war. Gleich zu Beginn seines öffentlichen Auftretens fragten sich die Leute: „Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl.“ (Mk 1,27)

2/ Macht und Vollmacht

Macht ist, so Hannah Arendt, „die menschliche Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.“ Macht ist daher etwas anderes als Zwang oder Gewalt, denn sie gründet in dem Einverständnis und der Freiheit des anderen, der diese Macht als rechtmäßig (legitim) anerkennt und entsprechend handelt. Macht ist nicht in sich gut oder schlecht. Sie ist in gewisser Weise notwendig, um das menschliche Zusammenleben zu gestalten. 

Viele Menschen fühlen sich gerade ohnmächtig angesichts der vielen Probleme bei uns und weltweit. Was kann ich persönlich eigentlich angesichts von Krieg und Klimakrise etwas tun? Wie kann ich in meinem Umfeld etwas verändern? Welche Möglichkeiten habe ich, auf die große Welt-Politik einzuwirken. Manche fordern ein Machtwort des Bundeskanzlers.

Bemerkenswert, dass viele in Deutschland gerade neu den Wert der Demokratie entdecken: Demokratie bedeutet: alle Macht geht vom Volke aus. Diese Macht ist Gabe und Aufgabe zugleich, sie gilt zu verteidigen und zu nutzen, um unser Zusammenleben einvernehmlich zu gestalten. So demonstrierten heute hier in Hamburg mehr als 60.000 Menschen „Für Vielfalt und unsere Demokratie“!

Macht kann allerdings auch missbraucht werden. Dann wird sie zum Zwang, der mit Gewalt versucht, den Gehorsam durchzusetzen. Noch einmal Hannah Arendt: „Wo Gewalt gebraucht wird, um Gehorsam zu erzwingen, hat Autorität immer schon versagt.“

Autorität leitet sich aus dem lateinischen “auctoritas“ ab: von „auctor“ – „Urheber“. Dies deutet darauf hin, dass es Autorität nicht unab¬hängig von der Person gibt. Nur ein authentischer glaubwürdig Mensch hat Autorität. Möglicher¬weise kommt das Wort auctoritas aber auch vom lateinischen „augeo“ – „wachsen lassen“. Ein Mensch, der Autorität hat, lässt andere wachsen und groß werden. Er hält nicht an seiner Macht fest, sondern ermöglicht anderen, Macht zu übernehmen. Er teilt seine Macht, und er erhält dadurch Autorität. 

Auch hier gibt es Fehlformen: ein Mensch, der Macht ausübt, aber keine Autorität hat, wird nicht selten autoritär und zwingt anderen seinen Willen auf.

Und Vollmacht? Vollmacht ist eine geliehene oder übertragene Macht. Sie können einer Person eine Vollmacht geben, dann kann sie in Ihrem Namen sprechen oder handeln. Mose hat als Prophet zum Beispiel hat von Gott die Vollmacht erhalten, in seinem Namen zu reden. 

3/ Macht, Autorität, Vollmacht im Namen Gottes

Gibt es das? Gibt es so etwas in der Kirche? Sollen wir es anerkennen? Der verstorbene Kölner Kardinal Meißner hat einmal gesagt, in der Kirche gäbe es keine Macht, sondern nur Vollmacht. Wer ihn kennt, weiß, dass er häufig sehr autoritär regiert hat. Das macht sein Wort nicht besonders glaubwürdig. Aber stimmt es sachlich? Oder ist es ein Ideal, dass es in der Kirche keine Macht gibt, sondern nur Vollmacht?

In der katholischen Kirche ist jede Macht mit einem Amt verbunden, für das ein Mensch berufen wird, dass er also, nach dem Glauben der Kirche, nicht aus eigenem Willen übernimmt, sondern aus Gottes Willen. Ein Bischof kandidiert nicht, er macht keine Wahlwerbung, sondern er wird von Gott auserwählt. Er hat eine geliehene und übertragene Macht, für deren Ausübung er vor seinem Schöpfer und Erlöser Rechenschaft wird ablegen müssen, davon bin ich überzeugt! 

Doch aus dieser Sicht von Berufung und Erwählung zu folgern, es gäbe in der Kirche keine Macht, sondern nur Vollmacht, ist ein Trugschluss – und es ist insofern naiv, als in der Kirche nicht selten sehr weltliche Dinge in der Ausübung und Organisation notwendig sind und die Einheit der Kirche gerade jener menschlichen Fähigkeit bedarf, im Einvernehmen mit anderen zu handeln. Also Macht in guter Weise auszuüben.

Und es ist insofern gefährlich, weil eben auch in der Kirche Macht missbraucht wurde und wird. Nicht nur in der katholischen, sondern, wie wir nun wissen, auch in der evangelischen Kirche. Es ist gut, wenn wir dafür aufmerksam werden! Fatal wird es allerdings dann, wenn die Verantwortlichen in der Kirche ihre Macht leugnen, beziehungsweise die Vollmacht, die ihnen mit ihrem Dienstamt übertragen wurde, nicht zum Wohl der Menschen nutzen.

4/ „… befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.“ (Röm 8,21)

Macht hat mit Freiheit zu tun. Was die Menschen seit jeher an Jesus fasziniert hat, ist seine göttliche Vollmacht, die Menschen freizumachen. „Er lehrte sie, wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.“ Er lehrt und heilt, er befreit die Menschen von aller Unreinheit und „verkündet eine neue Lehre, der sogar die unreinen Geister gehorchen.“

Was ist das Besondere an Jesus? Dass er mit seinem ganzen Leben auf die Kraft und Macht Gottes hinweist, selbst in der tiefsten Ohnmacht seines Lebens am Kreuz, und so die Menschen befreit von der Last des Todes und der Sünde. „Dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe,“ so hat die Seinen gelehrt, zu beten. Es geht ihm nicht um sich selbst, sondern um die Macht und Größe Gottes, um seine Herrlichkeit. Deshalb ist „der Heilige Gottes“, weil er auf Gott selbst hinweist und Gottes Liebe zu uns in seinem Leben erfahrbar wird: selbst in der Dunkelheit und Ohnmacht unseres Lebens, wenn wir allein sind und scheinbar mit niemandem zusammen handeln und dem Einvernehmen wirken können.

Daran dürfen wir uns erinnern, wenn wir jetzt gleich Eucharistie feiern, für das Leben und den Tod und die Auferstehung Jesu danke, der den Tod ein für alle Mal besiegt hat. „Denn dein, Gott, ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. Amen.“