Montag, 29. Mai 2023

Pfingsten 2023


Predigt Pfingsten 2023 – Energiewende der Kirche

Es gibt Bibeltexte, die man schon so oft gehört hat, deren Bedeutung sich aber nicht recht erschließt. So ist es mir mit dem Pfingstereignis aus der Apostelgeschichte gegangen. Wie oft habe ich sie bei Pfingstlagern, bei Firmungen etc. gehört. Doch erst in diesen Tagen ist mir neu bewusst und anschaulich geworden, was sie verbirgt. Und zwar just, als ich sie auf Französisch las. In der fremden Sprache klangen die vertrauten Worte anders, neu. Ich habe gehört, welch eine bestürzend, erschütternde und faszinierende Erfahrung dort beschrieben wird. 

„Plötzlich entstand ein lautes Geräusch vom Himmel, wie einherfahrendes, gewaltiges Schnaufen. Und es erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.“ Das Haus bebt von diesem Brausen, eine gewaltige Erschütterung, die nicht aus der Erde kommt, sondern von oben. Was ist das? Die Freunde Jesu, die 50 Tage nach dem Osterfest an einem Ort versammelt sind, unter sich, stehen noch ganz am Anfang. Der große Kreis der Apostel, der Jüngerinnen und Jünger, beginnt gerade erst zu verstehen, was die Auferstehung Jesu für sie bedeutet. 

Johannes schildert die gleiche Erfahrung der Jünger mit anderen Worten, schon am Osterfest selbst: Die Jünger sind aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen, an einem Ort. Sie sind furchtsam, verunsichert und scheinbar ohnmächtig angesichts der massiven Ablehnung ihrer Glaubens-Erfahrungen mit Jesus. Das wird nun durch Jesus selbst gewandelt: Der Auferstandene begegnet ihnen in dieser Situation der Furcht und der Angst und wünscht Ihnen den Frieden: Friede sei mit euch!

Der Friede, den Jesus, seinen Jüngern wünscht, ist dabei weniger die Einladung, die Juden nicht mehr zu fürchten, als vielmehr die die Basis, um ihrer Erfahrung zu trauen, dass Jesus lebt; dass derjenige, den sie als Sohn Gottes erkannt haben, den Tod ein für alle Mal besiegt hat; dass der Tod nicht mehr das letzte Wort hat, sondern dass Gott es endgültig und unwiderruflich gut mit uns meint; dass er uns Leben schenkt, Leben in Fülle; dass uns nichts mehr von Gott trennen kann. 

Lukas, in der Apostelgeschichte, beschreibt also diese Erfahrung der Erschütterung und der Furcht, der scheinbaren Ohnmacht der Jünger, „als der Tag des Pfingstfestes in seiner Fülle gekommen war“. Was meint er damit? 

Das Pfingstfest, Schawuot, ist für die Juden die Erinnerung an die Übergabe der Gesetzestafeln an Mose. Das neue Pfingstfest (im Jahr 30) bestätigt nun auf wundersame Weise die Erfahrung der Auferstehung, dass der Tod nicht mehr das letzte Wort hat, durch die Übergabe eines neuen Gesetzes, das nicht auf Steintafeln geschrieben ist, sondern in das Herz der Menschen gelegt ist, die Jesus nachfolgen. Es bestätigt die neue Art zu glauben, die fortan nicht mehr an eine bestimmte Sprache gebunden ist, sondern in jeder Sprache Gottes große Taten verkündet.

„Zungen wie von Feuer“, d.h. nicht Feuer, sondern Sprachbegabung kommt auf die Jünger, diese verteilt sich wie Feuer, rasend schnell, gewaltig, unglaublich kraftvoll und verzehrend. Und die Jünger reden dann in anderen „Zungen“, d.h. in anderen Sprachen, so dass jeder in Jerusalem sie in seiner Sprache versteht. Die Reaktion der Menschen: Fassungslosigkeit, Staunen.

Oft hat man die Pfingstgeschichte als Umkehrung der Sprachverwirrung von Babel gedeutet. Oder als Erfüllung der Verheißung des Propheten Joël von der Ausgießung des Geistes Gottes über allen Menschen. Das ist sicherlich beides richtig. Aber ebenso kann man darin die „Übergabe“ der Botschaft Jesu an seine Jünger sehen. Ihnen wird der Geist Gottes gegeben, um daraus zu leben und Jesu Botschaft zu verkünden. Die furchtsamen Jünger, die sich angesichts der unfassbaren Ereignisse und ihrer scheinbaren Ohnmacht verkrochen haben, wird eine neue Kraft und Vollmacht geschenkt: das Wort zu verkünden, die Sünden zu vergeben (was nur Gott kann!), für das Leben einzutreten, gegen alle Mächte des Todes Stand zu halten. 

Viele Menschen in unserer Gesellschaft heute sind verunsichert. Sie fühlen sich angesichts der globalen Krisen ohnmächtig. Es ist ja nicht nur ein Reformstau in Deutschland, es sind weltweite Erschütterungen. Ich selbst weiß kaum noch, was ich mit meinen eigenen kleinen Möglichkeiten Gutes ausrichten kann. Wie soll ich mich engagieren? Alle reden davon, dass sich grundlegend etwas ändern muss, aber jeder zieht sich zurück in das eigene kleine Glück, furchtsam, mutlos, friedlos.

In dieser Situation spricht mich die Pfingsterzählung an, mitten in meiner Erschütterung. Sie ermutigt und sie ermächtigt mich. Es ist keine Selbstermächtigung, sondern eine Ermächtigung, die mir in der Nachfolge Jesu zugesagt wird. Selbstwirksamkeit wird verheißen, wenn ich seinen Spuren folge, und Leben in Fülle. 

Es sind tatsächlich für mich die schönsten und wichtigsten Erfahrungen im Glauben, die ich machen durfte: Wenn ich in anderen Ländern (und in anderen Sprachen!) Menschen begegnet bin, die offenbar eine ähnliche Erfahrung im Glauben machen durften: dass mit Jesus und in seiner Liebe das Leben stärker ist als der Tod. Und ich habe erlebt, wie sie diese Erfahrung befähigt und ermächtigt, die Welt zu gestalten, zu verändern, ein bisschen besser zu machen für alle. Ob ich an die Frauen bei der Marienprozession in Bachajon denke, an den Diakon und seine Sorge um die Ärmsten und Schwachen, an den Lehrer in Papua, die Jugendlichen in Argentinien. Überall Menschen, die von Gottes Geist bewegt, mutig und kraftvoll, sich für andere einsetzen. Wie cool ist das denn? 



Freitag, 5. Mai 2023

Hör auf die Stimme! Christ:in-Sein als Übungsweg


 Predigt Vierter Ostersonntag A – Hamburg, 30.4.2023

„Gott hat Jesus zum Herrn und Christus gemacht.“ (Apg 2,36) Das ist die entscheidende Aussage des Petrus: Jesus lebt! Ihr habt ihn gekreuzigt, aber Gott hat ihn zum Herrn und Christus gemacht. Das ist die Nachricht, zu der jeder, der sie hört, Stellung nehmen muss. 

Allen wird das Heil angeboten: „Euch und euren Kindern gilt die Verheißung und all denen in der Ferne.“ Viele nahmen das Wort an, so heißt es, „und sie ließen sich taufen. An diesem Tag wurden ihrer Gemeinschaft etwa 3000 Menschen hinzugefügt.“ (Apg 2,41). Eine beeindruckende Zahl: 3000 Menschen, die sich taufen ließen! 

Solche Zahlen kennen wir sonst nur noch aus den Erzählungen der großen Missionare. Franz-Xaver etwa verkündete, als er 1542 in Südindien ankam, den christlichen Glauben, lehrte die Menschen die Zehn Gebote und das Glaubensbekenntnis, betete mit ihnen das "Vater unser". Es gab schon Missionare vor ihm, und seine Botschaft kam offenbar an. Angeblich taufte er 20.000-30.000 Menschen in den zwei Jahren, die er dort lebte. 

Von solchen Zahlen sind wir in Europa weit entfernt. In unserer Pfarrei hier in Hamburg wurden an Ostern acht Erwachsene getauft und gefirmt. Sie haben sich etwa ein Jahr darauf vorbereitet und ich durfte sie zusammen mit einigen Ehrenamtlichen begleiten. Ein intensiver Weg der Suche und Übung, manchmal auch der Auseinandersetzung und des Ringens. Um zu erkennen: Jesus ist der Herr und der Christus!

Es ist heute in unserer Kultur keineswegs mehr selbstverständlich, sich zu Christus zu bekennen, umzukehren, sein Leben neu auszurichten: glaubend und hoffend und liebend auf Gott zu vertrauen. Deshalb braucht es, so bin ich überzeugt, gerade heute eine Einübung ins Christ-Sein und gewisse grundlegende Kenntnisse, damit jemand mit gutem Gewissen sagen kann, ja ich glaube. Die Zeit bis zur Taufe wird Katechumenat genannt. In Deutschland dauerte es etwa ein Jahr, in Frankreich zwei Jahre. 

Die evangelische Kirche in Deutschland geht nun neue Wege. In Hamburg gibt es die Ritualagentur „St. Moment“, in der man sich spontan taufen lassen kann. Bei einer „Pop-up-Taufe“ werden Kinder und Erwachsene nach einem Vorgespräch und der Wahl eines Taufspruchs getauft: Keine Bedingungen, kein Vorwissen, keine Katechese (vgl. NKiZ 17/2023, 30.4.2023, S. 2: Taufe ohne Tamtam).

Manche finden so den Weg zur Kirche, die sich lange nicht getraut haben, nach der Taufe zu fragen. Ist das eine Rückkehr zu den Wurzeln? Sollte es das auch in der katholischen Kirche geben? Ich meine nicht, aus drei Gründen.

1/ Die Taufvorbereitung ist keine Hürde. Es geht nicht darum, einen Zaun zu ziehen und den Weg in die Kirche möglichst schwierig zu machen. Die Vorbereitung auf die Taufe ist eine Zeit, um im Glauben zu wachsen. Vor der Taufe sollen erwachsene Menschen den Glauben und die Kirche kennen lernen, sie sollen erfahren können, was Gebet bedeutet, in der Bibel lesen, Gemeinschaft erleben, grundlegende Kenntnisse erwerben und eine Praxis im Glauben einüben. Es geht um Reflexion und um einfache Schritte in der „Kunst zu glauben“.

Seit einiger Zeit übe ich mich im Qigong. Wöchentlich eine Stunde mit Anleitung, darüber hinaus Aufgaben für zu Hause. Im Tun geschieht etwas und vertieft sich eine Erfahrung, die ohne Übung nicht möglich ist. Erst dann kann ich sagen, was Qigong für mich bedeutet. 

Christ-Werden und Christ-Sein ist auch ein Übungs-Weg. „Der neue Weg“ - so werden die Christen in der Apostelgeschichte genannt. Dieser Weg ist mit der Taufe sicherlich nicht zu Ende, aber ich muss mich mit anderen auf den Weg machen, um zu erkennen, was diese neue Lebensweise für mich bedeutet

2/ Die Taufe ist kein Zaubertrank. Die Taufe ist das grundlegende Sakrament der Liebe Gottes. Durch die Taufe wird uns alle Schuld vergeben, durch die Taufe werden wir mit Christus verbunden. Durch die Erinnerung an seinen Tod und seine Auferstehung und durch die Taufe werden wir Teil der Gemeinschaft der Glaubenden. Die Taufe ist keine Magie, kein Hokuspokus, durch den jemand plötzlich ein anderer Mensch wird. Ich glaube: Die Taufe ist wirksam, sie erlöst und sie heiligt, aber dies geschieht im Glauben. Taufe ist kein Wunderwasser, denn alles, was geschieht, geschieht an uns selbst, nicht an uns vorbei. Der ganze Mensch mit Leib und Seele steht dabei in der Dynamik des Glaubens. Er wird in die Freiheit geführt. Die Freiheit ist Gabe und Aufgabe. Diese Freiheit baut auf der Freiheit des Menschen auf. Gott handelt nicht an uns vorbei, sondern aufgrund unserer Freiheit und unseres Glaubens. 

3/ Die Gemeinschaft ist kein Selbstzweck. Die Kirche ist kein Verein, bei dem ich auf eine bestimmte Zeit Mitglied werde und Beitrag bezahle, sondern eine Gemeinschaft, um auf Jesus Christus zu hören, seine Stimme zu erkennen und wieder zu erkennen, gemeinsam hinauszugehen, eine neue Form zu leben zu finden, sich zu unterstützen. Das bedeutet: Die Kirche ist nicht für sich selbst da, sondern sie soll helfen, zu glauben. Und sie ist nicht aus sich heraus Kirche, sondern aus dem Auftrag Jesu.

„Prüft die Stimme!“, sagt uns Jesus; prüft das Wort und den Klang! Die Stimme Jesu ist unverwechselbar. Er ist das wahre Wort, er ist der gute Hirt. Diese Prüfung will geübt und immer wieder eingeübt werden. Die Taufe ist der Eintritt in die Kirche, die Verbindung mit Jesus Christus, der die Tür ist. Er führt uns zu Gott und zum Leben in Fülle. Amen.