Montag, 27. Juni 2022

Den Weg gehen? - oder: Wie treffe ich gute Entscheidungen?


26/6/22 - Predigt 13. Sonntag im Jahreskreis C - Manresa

Jeden Tag muss man sich entscheiden. Es gibt die kleinen, angenehmen Entscheidungen: Was werde ich heute Abend tun? Wen werde ich treffen? Was werde ich als Geburtstagsgeschenk für ihn oder sie vorbereiten? Wo werden wir den Urlaub verbringen? Und es gibt die großen Entscheidungen für das Leben: Was werde ich studieren? Werde ich heiraten? Welchen Beruf werde ich ergreifen? Soll ich die Arbeitsstelle wechseln?

Manchmal sind wir frei in unserer Wahl, oft gibt es Bedingungen, Umstände und Widrigkeiten, die unsere Wahl einschränken. Wir fühlen uns dann nicht mehr frei, sondern eher hilflos, orientierungslos. Wie können wir uns entscheiden? Wie treffen wir gute Entscheidungen? In den heutigen Lesungen wurden uns Menschen vorgestellt, die eine Entscheidung zu treffen haben.

Im Alten Testament: Elischa. Der Prophet Elija ernennt ihn mit einer bedeutungsvollen Geste zu seinem Nachfolger. Er wirft ihm seinen Mantel über. Elischa will ihm folgen, sich aber zuvor von seinen Eltern verabschieden. Das ist verständlich. Außerdem ist es die Pflicht eines Sohnes, sich um seine alten Eltern zu kümmern, die nicht mehr mit ihm auf dem Feld arbeiteten. In der jüdischen Tradition ist es das Gesetz des Mose, das im vierten Gebot vorschreibt: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du ein langes Leben hast in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.“ Der Prophet Elija gewährt ihm dies, aber nicht ohne Ironie. Er scheint über die Tatsache verärgert zu sein, dass Elischa ihm nicht direkt folgt. Elischa verabschiedet sich nicht von seinen Eltern, sondern veranstaltet ein Fest für die Menschen um ihn herum. Und er verbrennt das Holz des Gespanns, sein Arbeitsinstrument. Er bricht alle Brücken hinter sich ab. Eine seltsame Geschichte.

Im Lukasevangelium: Drei Männer, die Kandidaten für die Nachfolge Jesu sind, um sich der Gruppe der Jünger anzuschließen. Zwei stellen sich selbst vor: „Ich werde dir folgen, wohin du auch gehst.“ Ein anderer wird von Jesus gerufen: „Folge mir nach.“ Drei Situationen, in denen man sich entscheiden muss. Dreimal macht Jesus auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die mit der Nachfolge verbunden sind. Jesus ist auf dem Weg, der ihn zum Kreuz führen wird, und er geht ihn, den Launen der Menschen ausgeliefert, die sich vielleicht weigern, ihn aufzunehmen. Wer ihm nachfolgen will, muss diese Armut akzeptieren: kein Zuhause haben, in dem man sich ruhig ausruhen kann; Verfügbarkeit, auch um den Preis des Verzichts auf die eigene Familie, nach vorne schauen.

Werden die drei Jesus folgen? Das wird im Evangelium nicht gesagt. Als ob das Evangelium diese Frage an jeden von uns stellt. Wie würdest du dich entscheiden? Und zwar nicht anstelle des einen oder anderen, sondern in der eigenen Situation. Wirst Du Jesus nachfolgen und nichts anderes vorziehen oder dazwischenschieben?

Wie können wir uns entscheiden? Wie trifft man gute Entscheidungen? Um auf die Frage zu antworten, möchte ich noch einmal den Anfang des Textes lesen, weil m.E. dort schon die Antwort des Evangeliums angelegt ist: „Als sich die Tage erfüllten, dass er hinweggenommen werden sollte, richtet Jesus sein Angesicht fest darauf, nach Jerusalem hinaufzugehen. Und er sandte Boten vor seinem Angesicht her; diese gingen und kamen in ein Dorf der Samariter und wollten eine Unterkunft für ihn besorgen. Aber man nahm ihn nicht auf, weil sein Angesicht nach Jerusalem gerichtet war." (Lukas 9,51-53)

Dreimal in diesem Vers verwendet der Evangelist Lukas das Wort Angesicht (griechisch prosopon). Offensichtlich ist es für ihn sehr wichtig, uns die Blickrichtung, die Ausrichtung Jesu zu zeigen. Was ist seine Blickrichtung? Jesus blickt nach Jerusalem, er orientiert sich an der Passion. Seine Blickrichtung hat eine Bedeutung für die Art und Weise, wie er heute lebt.

Der deutsche Philosoph Heinrich Spaemann schreibt: „Was wir im Auge haben, das prägt uns, dahinein werden wir verwandelt. Und wir kommen, wohin wir schauen.“ (Heinrich Spaemann, Orientierung am Kinde. Meditationsskizzen zu Mt 18,3. Düsseldorf 1970, S. 29)

„Wir kommen, wohin wir schauen.“ Wenn ich jemanden sehe, der sehr talentiert Klavier spielt, und wenn ich ihn anschaue, wird mich dies verwandeln. Vielleicht fange ich an, das Klavierspiel zu üben und zu studieren. Wir kommen, wohin wir schauen. Das gilt auch für das Böse. Wenn ich mir oft gewalttätige Computerspiele anschaue, dann wird es mich formen und verwandeln. „Wir kommen, wohin wir schauen.“

Kehren wir zum Evangelium zurück. Jesus blickt nach Jerusalem. Er weiß, dass sein Weg nicht leicht sein wird: Schwäche, Hilflosigkeit, Scheitern. Aber er kennt auch die Freude, die Unentgeltlichkeit der Liebe Gottes zu den Armen, Vergebung, Heilung. Er weiß, dass Gottes Wille nicht durch Gewalt verwirklicht wird, sondern durch das Weitergehen und Annehmen von Grenzen; denn dadurch zeigt sich die Kraft Gottes. Wie der heilige Paulus es von Gott hörte: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist im Schwachen mächtig.“ (2Kor 12,9)

Oft blicken wir in die Vergangenheit zurück. Wie viel besser war es doch früher! Oder wir blicken auf all die nicht gewählten Optionen. Was hätte sein können? Wir blicken auf Sicherheit und Bequemlichkeit. Das ist der Blick auf mich selbst. „Es gibt ja immer noch diese leise Stimme in mir die sagt, ich soll die einfachste Alternative wählen: einen Film anzuschauen, statt meine Familie zu besuchen, die Beantwortung von Nachrichten aufzuschieben, die Verantwortungen für niemanden, außer für mich selbst zu übernehmen. Eine „Mach es dir leicht für dich selbst“-Haltung.“ Oder wir blicken auf die Traditionen und Pflichten der Gesellschaft, die durchaus gut sind. Oder wir schauen auf unsere Familien, das soziale Netzwerk, Anerkennung und Ehre. Das ist an sich nicht falsch, aber ist es das wert?

Jesus ermutigt uns zu einem anderen Blick, zu einer Ausrichtung des Lebens, letztlich zu einer Haltung: aufrecht und aufrichtig zu leben. „Wir kommen, wohin wir schauen.“ Das christliche Leben wird dann zu einem Stil, einer Lebenshaltung, die sich in den Tugenden ausdrückt. Es geht nicht darum, jeden Tag eine gute Tat zu vollbringen, wie es bei den Pfadfindern gelehrt wird: Jeder kann gute Taten vollbringen, auch Menschen mit schlechten Absichten. So wie ein schlechter Tennisspieler durch Zufall einen Punkt in einem Match gewinnen kann. Aber ein guter Tennisspieler trainiert, er ist es gewohnt, gut zu spielen, auch wenn er mal einen schlechten Tag hat. Christi nachzufolgen, bedeutet, den Blick auf das zu richten, was und zieht und führt und so zu leben, dass es eine gute Gewohnheit für uns wird: Ein entschlossener Blick, ein Blick auf Freude und Mitgefühl.

Zu diesem Blick, zu dieser Haltung werden wir von Gott befreit, durch seine Großzügigkeit und Großherzigkeit, durch seine Liberalität (vgl. Gal 5,1). Darin finden wir Freiheit. Wir werden von Gott befreit, um eine Wahl zu treffen. Jeden Tag, jeden Moment unseres Lebens können wir neu beginnen und unter der Führung des Heiligen Geistes wandeln.

Wie der norwegische Abenteurer Erling Kagge sagt: „Ein freies Leben sollte Disziplin, Aufmerksam­keit und Bewusstsein und natürlich Großzügigkeit beinhalten. Freiheit ist die Fähigkeit, „andere Menschen wirklich ernst zu nehmen und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen, völlig unsexy, Tag für Tag. […] Verantwortung und Belastungen geben dem Leben Substanz. Nur die einfachste Möglichkeit zu wählen, ist ein Rezept, dem Leben diese Substanz zu entziehen. Wenn ihr Leben für andere keinen Unterschied macht, dann wird es auf lange Sicht auch für sie keine so große Rolle spielen. Viele Menschen sagen, dass man Weisheit und Erfahrung braucht, um die richtige Entscheidung treffen zu können. Aber ich glaube manch­mal, dass wir vieles schon instinktiv wissen. Es ist die Wahl, die das schwierigste ist, egal wie alt oder Weise wir werden.“ (Erik Varden: Heimweh nach Herrlichkeit, 2021; Vorwort von Erling Kagge, Seite 10).