Montag, 5. Oktober 2020

Hauskirche - eine Kirche ohne Institution?


Als Gelegenheit zur Umkehr beschreibt Papst Franziskus in einem Interview am 8.4.2020 mit Austen Ivereigh die globale Virus-Krise. Jetzt sei die Zeit, von der Heuchelei zum Handeln überzugehen und einen grundlegenden Wandel in Politik, Wirtschaft und persönlichem Handeln einzuleiten. Das Interview wurde auf Spanisch aufgenommen und in der britischen Zeitung „The Tablet“ und im US-amerikanischen Magazin „The Commonweal“ veröffentlicht.

In einer der Fragen geht es um die Auswirkungen der Krise auf die Kirche und darauf, wie sehr es notwendig sei, unsere Art und Weise des Handelns zu überdenken.

Austen Ivereigh: Sehen Sie aus all dem eine Kirche entstehen, die missionarischer, kreativer und weniger an Institutionen gebunden ist? Sehen wir eine neue Art von "Hauskirche"?

Papst Franziskus: Weniger an Institutionen gebunden? Ich würde sagen, weniger an bestimmte Denkweisen gebunden. Denn die Kirche ist Institution. Die Versuchung besteht darin, von einer deinstitutionalisierten Kirche zu träumen, einer gnostischen Kirche ohne Institutionen - oder einer Kirche, die festen Institutionen unterworfen ist, was eine pelagianische Kirche wäre. Derjenige, der die Kirche schafft, ist der Heilige Geist, der weder gnostisch noch pelagianisch ist. Es ist der Heilige Geist, der die Kirche in einer alternativen, ergänzenden Weise institutionalisiert, weil der Heilige Geist durch die Charismen Unordnung provoziert, aber dann aus dieser Unordnung heraus Harmonie schafft.

Eine Kirche, die frei ist, ist keine anarchische Kirche, denn Freiheit ist ein Geschenk Gottes. Eine institutionelle Kirche bedeutet eine durch den Heiligen Geist institutionalisierte Kirche.

Eine Spannung zwischen Unordnung und Harmonie: Das ist die Kirche, die aus der Krise herauskommen muss. Wir müssen lernen, in einer Kirche zu leben, die in der vom Heiligen Geist hervorgerufenen Spannung zwischen Harmonie und Unordnung existiert. Wenn Sie mich fragen, welches Buch der Theologie Ihnen am besten helfen kann, dies zu verstehen, dann wäre es die Apostelgeschichte. Dort werden Sie sehen, wie der Heilige Geist das entinstitutionalisiert, was nicht mehr von Nutzen ist, und die Zukunft der Kirche institutionalisiert. Das ist die Kirche, die aus der Krise herauskommen muss.

Vor etwa einer Woche rief mich ein italienischer Bischof an, der etwas nervös war. Er war in den Krankenhäusern herumgegangen und wollte denjenigen, die sich auf den Stationen des Krankenhauses befanden, vom Flur her die Absolution erteilen. Aber er hatte mit den Kirchenrechtlern gesprochen, die ihm gesagt hatten, dass er das nicht könne und dass die Absolution nur in direktem Kontakt erteilt werden könne. "Was denken Sie?", hatte er mich gefragt. Ich sagte ihm: "Bischof, erfüllen Sie Ihre priesterliche Pflicht." Und der Bischof sagte: "Grazie, ho capito" ("Danke, ich verstehe"). Später erfuhr ich, dass er überall im Krankenahaus die Absolution erteilt hatte.

Das ist die Freiheit des Geistes inmitten einer Krise, nicht eine in Institutionen verschlossene Kirche. Das bedeutet nicht, dass das kanonische Recht nicht wichtig ist: Es ist wichtig, es hilft, und bitte lassen Sie uns davon Gebrauch machen, es ist zu unserem Wohl. Aber der letzte Kanon besagt, dass das gesamte Kirchenrecht für die Rettung der Seelen bestimmt ist, und das ist es, was uns die Tür öffnet, um in schwierigen Zeiten hinauszugehen und den Trost Gottes zu bringen.

Sie fragen mich nach einer "Hauskirche". Wir müssen auf unsere Ausgangsbeschränkungen mit all unserer Kreativität antworten. Wir können entweder deprimiert und entfremdet werden - durch Medien, die uns aus unserer Realität herausholen können - oder wir können kreativ werden. Zu Hause brauchen wir eine apostolische Kreativität, eine Kreativität, die von so vielen nutzlosen Dingen befreit ist, aber mit der Sehnsucht, unseren Glauben in der Gemeinschaft als Volk Gottes zum Ausdruck zu bringen. Also: im Lockdown zu sein, aber mit der Sehnsucht, mit dieser Erinnerung, die Sehnsucht und Hoffnung weckt - das ist es, was uns helfen wird, unseren Ausgangsbeschränkungen zu entkommen.

https://www.commonwealmagazine.org/print/41148 - Übersetzung: Christian Modemann SJ