Montag, 3. Oktober 2022

Treue ist gelebter Glaube

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Predigt 2.10.2022 – 27. Sonntag im Jahreskreis C – Hamburg, Manresa
Les: Hab 1,2-3;2,2-4 – 2Tim 1,6-8.13-14 – Lk 17, 5-10

Stärke unseren Glauben. Wörtlich: gib uns glauben hinzu! Vermehre unseren Glauben. Geht das überhaupt: mehr Glauben bekommen? Glauben ist doch nicht „mehr oder weniger über Gott wissen“ oder „mehr oder weniger beten“, oder „mehr oder weniger regelmäßig sonntags in die Kirche gehen“. Glauben ist doch Vertrauen. Ich glaube dir, ich vertraue dir, dass du mir die Wahrheit sagst. Da gibt es doch nur Ja oder Nein. Entweder vertraue ich dir oder nicht. Gibt es mehr oder weniger Vertrauen? 

Glaube ist nicht sichtbar, wie viele andere wichtige Dinge im Leben auch: Freundschaft und Liebe zum Beispiel, oder Hoffnung. Und bei der Freundschaft gibt es doch Unterschiede: es gibt beste Freundinnen und Freunde und so lala Freunde. Da sagen wir doch auch: „Das ist die große Liebe meines Lebens“. Oder: „Das ist mein bester Freund.“ Gibt es diese Unterschiede -mehr oder weniger - auch im Glauben?

In den Glaubenskursen, die ich anbiete, kann man etwas über die Bibel und über die Tradition der katholischen Kirche lernen, über das Leben im Glauben. Es geht um Inhalte, wie sie zum Beispiel im Katechismus stehen, und um eine Praxis des Glaubens. Am Ende sagen die Menschen oft, dass sie mehr über den Glauben gelernt haben oder dass sie mehr über die Bibel oder die Kirche wissen. Aber bedeutet mehr wissen auch mehr glauben? 

Ich behaupte, es gibt verschiedene Formen des Glaubens. Wir reden vom Glauben auf verschiedene Weise. 

1/ Es gibt Glauben im Sinn von Vertrauen und Bekenntnis. Nennen wir ihn Glaube I. Er steht an der Schwelle zum Christsein. Dieser Glaube ist eine persönliche Beziehung zu Gott, mit dem ich leben und sterben möchte. Diesen Glauben haben wir mit allen Heiligen gemeinsam, mit Maria, mit dem heiligen Bonifatius, mit dem oder der hier neben mir in der Bank. Er äußert sich in Überzeugungen und Worten, ich kann darum beten, ich habe Anfechtungen und Zweifel, und wenn ich dem Glauben entsprechend handle, dann bin ich in meinem Tun glaubwürdig. Das ist glaube als Vertrauen und Bekenntnis.

Diesen Glauben kann ich gerade nicht messen, da gibt es kein mehr oder weniger. Es ist eine Haltung, die ich nicht allein durch mein Tun oder Machen erreiche. Er „ist in seinem Wesen nach Annahme einer Wahrheit, die unsere Vernunft nicht erreichen kann,“ so sagt der heilige John Henry Newman. Diese Annahme geschieht „einfach und unbedingt, auf ein Zeugnis hin.“

2/ Dann gibt es aber offenbar noch eine zweite Form des Glaubens, die nach Paulus ein besonderes Charisma ist, das ich weitergeben kann: „Glaubenskraft“ (1Kor 12,9). Nennen wir ihn Glaube II. Es ist ein Glaube, der heilsam und lebenspendend ist, der andere begeistert. Er zeigt sich in „Kraft, Liebe und Besonnenheit“ (2Tim 1,7). In diesem Glauben wird etwas von der Schöpfermacht Gottes und der Freiheit sichtbar, die uns allen verheißen ist. Diese Kraft ist heute schon ein Geschenk für einige. Sie äußert sich in Mut und Freiheit. Auch um diesen Glauben kann man beten, besonders dann, wenn das Zeugnis meine menschlichen Kräfte offensichtlich überfordert. 

Es gibt solche Menschen, die haben Kraft „für zwei“, so sagen wir manchmal. Auch im Glauben gibt es Menschen, die glauben „für zwei“. 

Die Apostel bitten offenbar um diese zweite Form des Glaubens. Das wird im Evangelium deutlich, wenn man den Kontext anschaut. Im Abschnitt zuvor hatte Jesus den Jüngern gesagt, sie sollten dem Bruder, wenn er sündigt und umkehrt, immer wieder verzeihen: „Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: ich will umkehren, so sollst du ihm vergeben!“ (Lk 17, 4). Was für eine Herausforderung! Welch eine Kraft und Stärke braucht es für die Lebensweise! Und von solcher Glaubenskraft für andere war auch schon letzten Sonntag im Evangelium die Rede, im Umgang mit dem Besitz: dass man mit anderen, besonders mit den Armen, teilen soll, großzügig sein soll. 

Interessanterweise spricht wohl auch der Prophet Habakuk in der ersten Lesung von einer solchen Lebens- bzw. Glaubensweise: Glaube angesichts von Gewalt und Unterdrückung, in Misshandlung, Zwietracht und Streit. „Der Gerechte“, so heißt es am Schluss in dem Wort, das Habakuk aufschreiben soll, „bleibt wegen seiner Treue am Leben.“ (Hab 2,4)

Treue, das ist – auf Griechisch übersetzt - bei Habakuk das gleiche Wort wie jenes, das nach Lukas die Jünger benutzen, wenn sie bitten: Gib Glauben. Treue ist gelebter Glaube. 

Glaube ist - in diesem zweiten Sinn - das Vertrauen auf Gott, das sich in der Zeit bewährt, das sich im Leben durchhält und Kraft gewinnt, das etwas in dieser Welt verändern kann zum Guten, auch wenn scheinbar alles dagegen spricht. Dieses Trauen auf Gott als Treue hat viel mit Vertrauen gemeinsam, aber es hat diesen Aspekt der Hoffnung zusätzlich. Wenn man auf etwas vertraut, was man jetzt noch nicht sehen kann.

Wenn mir hier in der Kirche aus der Heiligen Schrift vorlesen, dann tun wir im Grunde genau das, was der Herr dem Habakuk gesagt hat: Er sollte die Dinge, die er in der Kraft seines Glaubens gesehen hat, aufschreiben, damit man es mühelos lesen kann. „Denn erst zu der bestimmten Zeit trifft ein, was du siehst; […] wenn es sich verzögert, warte darauf; denn es kommt, es kommt und bleibt nicht aus.“ (Hab 2,3) Der gelebte Glaube „drängt zum Ende und ist keine Täuschung“. Um mehr von solchem Glauben kann man beten. 

Ich fasse zusammen: Es gibt zwei Weisen zu glauben: 

Erstens Glaube als Vertrauen und als Bekenntnis. Er ist die Grundlage für unser Leben, wenn wir sagen: Wir sind Christen. Diesen Glauben feiern wir gleich, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen.

Zweitens Glaube als besondere Gabe für einige, die mit einer Hoffnung in dieser Welt leben, die ihren Glauben in ihren Taten leben und anderen davon abgeben können, weil sie - wenn es auch nur so winzig ist wie ein Senfkorn- etwas von Gott erhalten haben, was die Welt heilt. 

Jesus Christus war so einer, der mehr Glauben in sich hatte, als für ihn allein nötig war. Diesen Glauben feiern wir gleich, wenn wir in der Eucharistie an seinem Tod und seine Auferstehung denken und er unter uns gegenwärtig ist. Amen.