Freitag, 26. März 2021

Ein Zelt der Begegnung


GCL Welttag 25.3.2021

Kleiner Michel, Hamburg - Predigt

„Die beeindruckende geistliche Erfahrung des Welttreffens 2018 von Buenos Aires fand in einem Zelt statt – einem großen, weißen Zelt inmitten eines armen Viertels einer lateinamerikanischen Peripherie. Im Zelt hatten wir das Gefühl, dass die Fähigkeit und Aufgabe der GCL darin besteht, Unterscheidungsprozesse zu ermöglichen und zu begleiten.“ – so liest man es in der letzten Ausgabe von „GCL intern“. Dort bietet Daniela Frank eine Zusammenfassung des Impulses des GCL-Weltvorstands zum heutigen Welttag. Er greift erneut das Anliegen der „Unterscheidung in Gemeinschaft“ auf – und erzählt dabei, wie nebenbei vom erfahrenen Raum der gemeinschaftlichen Unterscheidung – im Zelt.

Zelte sind Orte, die für eine bestimmte Zeit aufgebaut werden und vor Regen und Sonne schützen. Ich selbst übernachte gerne in einem Zelt. Es kann heimelig und gemütlich sein, wenn der Regen auf das Dach prasselt. Ich fühle mich geborgen – und mir ist gleichzeitig bewusst, dass ich nicht für immer bleiben kann, sondern weitergehen muss.
 
Das Zelt hat in der Geschichte des Volkes Gottes eine große Bedeutung. Die Bundeslade des Herrn wohnte in einem Zelt. Das Zelt mit der Bundeslade wird zum Ort der Gottesbegegnung. Es ergab sich so, denn Gott war seinem Volk unterwegs begegnet – und jedes Jahr zum Passahfest erinnerte man sich an diese befreiende Zeit des Auszugs. Gott verbietet David durch den Propheten Natan, ihm ein Haus oder einen Tempel zu bauen. Im Gegenteil verheißt er David: Ich werde Dir ein Haus bauen, das Bestand hat.
Im Johannes-Prolog wird die Menschwerdung Jesu mit dem Bild des Zeltes gedeutet: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1, 14) – wörtlich „zeltete unter uns“. Den Sohn Gottes, den die Jungfrau Maria empfängt, das Wort Gottes, wurde gegenwärtig in dieser Welt – für eine begrenzte Zeit und auf eine vergängliche Weise, nämlich als Mensch. In der Begegnung mit ihm begegnetet die Menschen Gott selbst. Dort „wohnte“ Gott unter den Menschen.
Dieses einmalige Ereignis in der Geschichte der Menschheit zeigt: Gott wirkt in dieser Welt. Ich möchte nicht sagen, „Gott handelt“, denn „handeln“ ist etwas Menschliches, das oft mit einer bestimmten, begrenzten Absicht zu tun hat und mit Geben und Nehmen zu tun hat. Der Handel ist eine Form des Handelns; es gibt neben dem „Handel“ noch viele andere, auch selbstlose Formen des Handelns von Menschen, Gott sei Dank; aber das Wort „handeln“ scheint mir doch für Gott nicht angemessen.
Er wirkt in dieser Welt. Das macht deutlich: Es ist nicht einfach ein Gott, der die Welt am Anfang gut geschaffen hat, dann kam leider die Sünde in die Welt, alles geht seinen Gang und er sieht mit verschränkten Armen vom Himmel her zu, wie das alles vor sich geht. Eine solche Vorstellung bezeichnet man als Deismus; ich sage gerne der „Uhrmachergott“ – er hat die Welt wie eine Uhr einmal aufgezogen und dann läuft die Geschichte einfach ab und er schaut zu. So ist Gott nicht. Das ist keine christliche Gottesvorstellung!
Einer der das in besonderer Weise begriffen hat, ist der heilige Ignatius von Loyola. In seiner Betrachtung der Menschwerdung, die zum heutigen Fest der Verkündigen passt, lässt er den Betenden die Dreifaltigkeit Gottes schauen, wie sie auf die Erde schaut – und dann in die Geschichte eintritt: „Wie die drei Göttlichen Personen die ganze Fläche oder das gesamte Erdenrund voll von Menschen überschauten und, sehend wie alle zur Hölle abstiegen, in ihrer Ewigkeit beschlossen, dass die zweite Person sich zum Menschen mache, um das Menschengeschlecht zu retten, und, als die Fülle der Zeit gekommen war, den Engel Gabriel zu Unserer Herrin sandten.“ (EB 102)
Doch selbst, wenn man das anerkennt, dass Gott einmal vor 2000 Jahren in einer unübertroffenen Weise durch die Geburt, durch das Leben, den Tod und die Auferstehung Jesu in dieser Welt gewirkt hat, so kann man sich trotzdem fragen, ob er heute noch wirkt. Ob seine Gegenwart in dieser Welt und in meinem Leben spürbar und erfahrbar ist – gerade angesichts der viele schrecklichen Entwicklungen in dieser Welt, angesichts der weltweiten Ungerechtigkeit und Armut und der ökologischen Katastrophen. Hat er nicht sein Zelt unter uns schon längst abgebrochen?
Der Glaube hält sich dabei weiterhin ganz an Jesus Christus – und gerade deshalb hat das Fest seiner Menschwerdung (das Fest der Verkündigung unseres Herrn an Maria!) so eine große Bedeutung für uns. Gott wirkt durch Jesus Christus – auch wenn er nicht mehr unter den Menschen als ein Mensch lebt, so hat der Vater seinen Jüngern doch seinen Geist gesandt.
Das Wirken Gottes ist ein geistiges Handeln. Gott schraubt nicht an seiner Schöpfung herum wie ein Handwerker, sondern er ist Liebe und wirkt durch die Liebe in seinen Geschöpfen. Und zwar auf eine Weise ganz besonders: Durch den Glauben an Jesus Christus befreit er sie von Angst und Schuld und schenkt Leben in Fülle.
„Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ – so sagt es der Apostel Paulus. Freiheit besteht eben nicht nur darin, dass ich wählen kann, welche Farbe mein Auto hat und ob ich gerne Pommes esse. Freiheit besteht auch in der Freiheit von Angst und Sünde, von dem, was mich von Gott absondert und in der Freiheit das zu tun, was dem Leben dient und worin Freude und Heil zu finden sind.
Wer so befreit durchs Leben geht, der erkennt das Wirken Gottes in allem. Ignatius beschreibt das am Ende der Exerzitien in der Betrachtung „um Liebe zu erlangen“. Sie ist ganz vom Wirken Gottes in dieser Welt geprägt: In der Schöpfung, in mir, in allen Elementen, und in einer andauernden Beziehung wirkt Gott auf eine geistige Weise. Er verschenkt sich – so erkennt Ignatius - wie die Strahlen der Sonne und wie der Quell des Wassers.
Der Weltvorstand der GCL ermutigt die Mitglieder, inmitten der Wirklichkeit von Not ein Zelt aufzustellen, einen Ort der Gottesbegegnung zu schaffen. Das möchte ich gerne unterstützen. Dafür können wir uns die Frage stellen, wo die GCL in Hamburg dies schon tut und wo sie es möglichweise noch tun möchte und kann. Entscheidend für diesen Anstoß ist aber die lebendige Erinnerung daran, dass Gott unter uns sein Zelt aufgeschlagen hat. Und dass wir selbst durch die Geistkraft mit ihm, dem Menschgewordenen, verbunden sind.

"Wir haben hier keine bleibende Stadt", Schlusslied aus der Sankt Georgener Messe (1993)
Text: Eugen Eckert, Musik: Herbert Heine

„Wir müssen in unseren Herzen eine Leidenschaft für die Botschaft des Evangeliums von Christi Freude, Einheit, Frieden und Liebe spüren“, so heißt es in dem Text am Schluss. Und weiter: „Wir wollen uns gemeinsam im Geist freuen. Wie Maria und Ignatius möchten wir offen und aufmerksam sein für die Bewegungen des Heiligen Geistes in unseren Herzen und verfügbar sein, um zu antworten: zu vertiefen, zu teilen und weiterzugehen.“