Sonntag, 25. April 2021

Canisius


In diesen Tagen feiern wir den Gedenktag des heiligen Petrus Canisius (27.4.) und seinen 500. Geburtstag. Bisher erschien mir dieser „Apostel der Deutschen“, den man in der antimodernistisch-kulturkämpferischen Kirche 1925 heiliggesprochen hat, eher als eine ernste, dunkle Gestalt, und mit seinen Katechismen heillos überholt. Nun habe ich mich etwas mehr mit diesem „Wanderer zwischen den Welten“ (Moosbrugger), dem „Unermüdlichen“ (Emonet) und dem Patron unserer neuen Provinz ECE beschäftigt und kann eine gewisse Begeisterung nicht verbergen. Drei Aspekte möchte ich hervorheben.

1 – Seine Prägung in Köln

Peter Kanis wurde am 8. Mai 1521 in Nijmegen geboren, an jenem Tag, als Martin Luther mit der Reichsacht belegt wurde. Nijmegen war auf politischer und wirtschaftlicher Ebene nach Deutschland hin orientiert und gehörte zur Diözese Köln. So war es naheliegend, dass der junge Mann zum Studium nach Köln ging. Mit 14 Jahren, im Januar 1536, schrieb er sich in Köln an der philosophischen Fakultät ein. Er bestand dort in den nächsten Jahren rasch die Examina in Philosophie. 

Die Studienzeit in Köln, die Begegnungen mit Priestern von großer Herzensbildung und profunden theologischen Kenntnissen und das religiöse Umfeld der devotio moderna, haben ihn geprägt: Anfangs wohnte er wohnte bei St. Gereon in einer Priestergemeinschaft: den „Brüdern vom Gemeinsamen Leben“, geleitet von Nicolaus von Esch. Sie standen in engem Kontakt mit der Kölner Kartause, deren Prior Gerhard Kalckbrenner und Subprior Johannes Justus Landsberg prominente Vertreter der Herz-Jesu-Frömmigkeit waren. Petrus Canisius fand in Köln zu seiner affektiv geprägten, christozentrischen und biblisch fundierten Spiritualität.

1539 ging er zum Kirchenrechtsstudium an die Universität Löwen, kam jedoch schon bald nach Köln zurück. Er wollte in die Kartause eintreten, konnte sich aber nicht recht dazu entschließen. Er studierte weiter Theologie in Köln. Über einen spanischen Mitstudenten hörte er vom gerade neu gegründeten Jesuitenorden und von Peter Faber, einem der ersten Jesuiten, der gerade in Mainz Vorlesungen hielt. So reiste er im April 1543 nach Mainz, um Faber zu treffen. Er war fasziniert von ihm, seiner Spiritualität und seiner Art und Weise der Seelsorge. Nachdem er bei Peter Faber in Mainz die Geistlichen Übungen gemacht hatte, trat er unmittelbar danach, am 8. Mai 1543, in die Gesellschaft Jesu ein.

Zurück in Köln, bereitete er die Errichtung einer ersten Niederlassung der Jesuiten in Deutschland vor. Als der Kölner Erzbischof Hermann von Wied jedoch 1545 zur Reformation überlief, die Niederlassung untersagte und versuchte, die Ankunft weiterer Jesuiten in Köln zu verhindern, wurde es dem Domkapitel zu viel. Die Kölner Geistlichkeit entsandte Petrus Canisius (mit 23 Jahren!), um beim Kaiser Hilfe zu suchen. Dieser war bereit, die Kölner Angelegenheit im katholischen Sinne zu lösen: Hermann von Wied wurde zuerst formell abgesetzt und dann aus der Stadt Köln vertrieben, ein neuer Erzbischof wurde installiert; das „heilige Köln“ (so Petrus Canisius in einem Brief an seinen Mitbruder Leonard von Kessel vom 20.8.1547) war für den Katholizismus gerettet.

2 – Seine Prägung in Italien

Mindestens ebenso sehr wie die lange Zeit in Köln, hat ihn die kurze Zeit in Italien geprägt: 1547 bekam er vom Bischof von Augsburg den Auftrag, nach Italien zu reisen, um dort als Theologe am sogenannten „Trienter Konzil“ teilzunehmen. In Bologna, wo das Konzil tagte, begegnete er zum ersten Mal den Jesuiten Claude Le Jay, Diego Laínez und Alfonso Salmerón, d.h. der Gründergeneration des Ordens. Als im Sommer 1547 das Konzil unterbrochen wurde und weil er die brütende Hitze Italiens offenbar schlecht vertrug, wollte er rasch wieder zurück nach Köln: Lieber sterben wolle er, als in Italien leben; am liebsten aber nach Deutschland zurück – so hieß es. Doch Ignatius rief ihn zu sich nach Rom. Er verbrachte ein halbes Jahr in der Jesuiten¬niederlassung und in der Seelsorge mit einfachen Menschen. Im Nachhinein beschrieb er, wie wertvoll diese Zeit für ihn war: „diesen Hort der Weisheit, diesen Ort, wo Demut eingeübt und praktiziert wird, und diese Schule des Gehorsams und aller Tugenden.“ (Briefe I, S. 254f.) 

Ignatius sendete ihn im Gehorsam noch weiter nach Süden: Im Jahr 1548 sollte in Messina auf Sizilien ein Kolleg gegründet werden – das erste seiner Art. Als Lehrer und Erzieher zu wirken und eine Bildungseinrichtung zu leiten, war für Ignatius und die ersten Jesuiten, die als Wanderprediger in Armut leben wollten, zunächst nicht im Blick. Die Stadtväter von Messina wollten jedoch partout eine öffentliche Schule für ihre halbwüchsigen Buben, um sie für die zukünftigen Aufgaben in Politik und Gesellschaft besser ausbilden zu lassen. Die Finanzierung durch die öffentliche Hand war gesichert und der spanische Vizekönig von Sizilien unterstützte das Anliegen. Nach längeren Überlegungen rang sich Ignatius dazu durch und schickte eine Gruppe von Mitbrüdern. Es sollte ein Experiment werden, das Geschichte schrieb.

Zehn Jesuiten aus Rom fanden sich bereit, nach Sizilien zu gehen und dort „jedwede Arbeit zu übernehmen, die ihnen zufallen sollte“. Darunter war auch Jeronimo Nadal (1507-1580), den sie als ihren Oberen wählten, und eben auch Canisius. Wie genau der Unterricht in Messina organisiert wurde und wie der Schulbetrieb lief, wäre ein eigenes Kapitel. Wichtig ist an der Stelle nur, dass Canisius für die pädagogische Oberaufsicht als Studienpräfekt zuständig war und selbst Rhetorik unterrichtete, auch wenn er sich selbst nicht für einen guten Redner hielt.

Es wurde eine gesegnete Zeit. Die Kunde, dass die Jesuiten nun in Süditalien öffentlich unterrichteten und offenbar außerordentlich gute Lehrer waren, verbreitete sich rasch. Auch andere Orte wollten ein Jesuiten-Kolleg. Die Schulen wurden ein Erfolgsmodell, das Canisius auch in seine Heimat importierte. Er war direkt oder indirekt an der Gründung von achtzehn Kollegien im deutschen Sprachraum beteiligt. Die Erfahrungen Messina wirkten nachhaltig und haben ihn fürs Leben geprägt: der apostolische Eifer der jungen und begabten Mitbrüder aus den verschiedenen Ländern Europas, das gemeinsame Leben und Wirken als Gefährten Jesu. Als er im Sommer 1549 nach Rom zurückkam, legte er die feierlichen Gelübde ab; als der achte Jesuit überhaupt.

3- Seine Liebe zur Kirche in Deutschland - und seine Sorge 

Die Enttäuschung über die religiösen Zustände in Deutschland wird in den Briefen, die Petrus Canisius an die Mitbrüder schreibt, immer wieder deutlich, ob aus Ingolstadt, Wien oder anderswo. Es gab z.B. in Wien kaum noch Priester (seit 20 Jahren keine Priesterweihe im Bistum!), die Praxis des religiösen Lebens war in weiten Teilen zusammengebrochen, ebenso wie das Interesse für religiöse Traditionen. Viele Katholiken starben ohne priesterlichen Beistand. Eine gute Predigt erwartete man vergeblich.

Aber Canisius gab nicht auf. Er wusste, was die Leute an den Jesuiten schätzten: die Seelsorge und die Predigten, ihren ernsthaften, glaubwürdigen Lebensstil, die Härte gegenüber sich selbst, ihr Versuch, bescheiden und arm zu leben, die Unentgeltlichkeit ihrer Lehrveranstaltungen und ihre Unbestechlichkeit.

Gerade deshalb war es ihm wichtig die mitbrüderliche Gemeinschaft zu erhalten und zu fördern. Er hielt die Spannungen zwischen Mitbrüdern geduldig aus und betete für jene, die die Gemeinschaft verließen. Zudem war er als Provinzial der Oberdeutschen Provinz für die Leitung der Kommunitäten verantwortlich.

Als Petrus Canisius 1557 den Kölner Mitbrüdern einen Besuch abstatte und die Kommunität Richtung Worms verließ, war er befremdet angesichts des zurückhaltenden und unterkühlten Gebarens seiner Gastgeber und ihrer wenig herzlichen und spröden Art, von denen Abschied zu nehmen, die zu einer Reise aufbrachten. So ließ der dem Oberen der Kommunität, Leonard Kesse, folgende Ermahnung zukommen: 

„Ich wünsche, dass alle Unsrigen, wenn die Abreise von Mitbrüdern ansteht, sich umarmen. Mich befremdete es, dass man – sei es durch Ihre oder sei es durch meine Schuld – sich beim Abschied so unpersönlich gebärdete und so wenig seiner Zuneigung zu den anderen Mitbrüdern nach außen hin Ausdruck verlieh, wo dich die mitbrüderliche Nächstenliebe nach äußeren Zeichen verlangt. Ich denke, man muss die Mitbrüder auf brüderlichere Weise behandeln. Ich beklage mich nicht und klage Sie auch nicht an, es mir gegenüber an Rücksicht fehlen gelassen zu haben. Aber ich möchte Sie einfach nur dazu anhalten, Ihren Mitbrüdern eher mit italienischer Liebenswürdigkeit als mit deutscher Unterkühltheit zu begegnen – sei es, wenn Sie zu Ihnen kommen, oder sei es, wenn es gilt, sich von Ihnen zu verabschieden.“ (Briefe II, S. 142) 


Sonntag, 18. April 2021

Espinal

Jesuitas Acústicos: Gastar la vida

Luis Espinal SJ - Bildquelle: Jesuits Ireland

nach einem Text von Luis Espinal SJ (1932-1980): Das Leben verschwenden

Oh, Herr Jesus, wir haben Angst, unser Leben zu verschwenden, aber du hast uns das Leben gegeben, um es hinzugeben, nicht um es in steriler Selbstsucht zu sparen. Sein Leben zu verschwenden heißt, für andere zu arbeiten, auch wenn sie uns nie bezahlen, nicht einmal einen Gefallen tun. Sein Leben zu verschwenden heißt, sich hineinzuwerfen und auch zu scheitern. Sein Leben zu verschwenden, heißt vielleicht, wenn nötig die eigenen Schiffe für die Menschen zu verbrennen.

Das Leben gibt sich nicht mit großen Gesten noch mit falscher Theatralik. Das Leben gibt sich mit Einfachheit und ohne Werbung. Wie Wasser aus der Quelle und die Mutter, die ihr Kind säugt; wie der arbeitende Bauer schwitzt.

Die Zukunft ist ein Rätsel, sie verliert sich im Nebel, denn in der Nacht bist du da, ohne zu schlafen, du vergießt tausende Tränen, denn in der Nacht bist du da, ohne zu schlafen, du vergießt tausende Tränen, denn in der Nacht bist du da.

Text: Luis Espinal SJ, Oraciones a quemarropa (1980) – bearbeitet von Jesuitas Acusticos (2020) – ins Deutsche übertragen von Christian Modemann SJ (2021)

 

Samstag, 3. April 2021

Klagelieder

Einführung zur Lesung der Klagelieder 

im ökumenischen Forum am Karsamstag 2021

Der Karsamstag ist von jeher ein stiller Tag, ohne liturgische Feier. In den Klöstern werden nur die Tagzeiten gebetet. Dazu gehört am Karsamstag auch die Lesung aus den Klageliedern, die in der Tradition dem Propheten Jeremias zugeschrieben werden – und zwar aufgrund der Einleitung, die man in der griechischen Übersetzung des Textes findet.

Dort heißt es (vgl. 2Chr 35,25): „Es geschah, nachdem Israel weggeführt war in Gefangenschaft und Juda zur Wüste geworden, da setzte sich der Prophet Jeremia weinend danieder; so klagte er über Jerusalem und sprach.“ 

Die Klagelieder bringen in vielfältiger Weise die Not, das Leid und den Schrecken der Eroberung und der Zerstörung Jerusalems im Jahr 586 v. Chr. zum Ausdruck. Neben der Stimme eines Einzelnen des Erzählers kommt in den Liedern die weiblich personifizierte Stadt Jerusalem beziehungsweise die Tochter Zion zu Wort, die wie eine klagende Frau der Bevölkerung ihre Stimme gibt.

Das Bekenntnis der eigenen Schuld und das Vertrauen auf Gott werden in den Klageliedern benannt, vor allem aber wird Gott selbst angeklagt. Wo angesichts von unermesslichem Leid theologische Erklärungen versagen, wird die Klage vorgetragen – mit einer festen, kunstvoll gestalteten poetischen Form.

Die Klagelieder wollen nicht Gott in Frage stellen, sondern sie wollen Gott die Frage stellen. In der Form des Gebets sprechen die Menschen Gott an, ihn der alles geschaffen hat und in seinen Händen hält – ist er nicht auch verantwortlich für das Böse und das Leid, das geschieht? Warum lässt er es zu?

Zu der Klage gehört im Angesicht Gottes auch der schonungslose Blick auf das eigene Volk, die eigene Gemeinschaft, die Schuld, das Versagen, die Fehler und Sünden der eigenen Glaubensgemeinschaft. Dabei geht es nicht um Rache oder Strafe. Der Beter ringt darum, Gottes Gerechtigkeit zu erkennen – und zugleich nicht aufzuhören, auf seine Zuwendung zu vertrauen.

Der Text der Klagelieder steht im Kontext des Alten Testaments. Für sich allein wäre er unverständlich. Wir Christen lesen ihn zudem mit den Texten des Neues Testaments am Karsamstag, nach der Erinnerung an den Tod Jesu am Kreuz. Die Klagelieder deuten das Leiden und Sterben Jesu. Seine Hingabe aus Liebe ist für uns die Antwort Gottes auf die Frage, die ihm in den Klageliedern gestellt wird. 

Es ist jedoch nicht so, dass Christen nun schon alles begriffen haben – und nicht mehr klagen dürften. Denn Gottes Antwort in Jesus Christus übersteigt unser Begreifen und lässt uns weiter fragen und klagen, allerdings auf eine andere Weise: Zusammen mit Christus, der am Kreuz fragt und klagt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Braucht es also heute noch die Klagelieder? Gerade heute! Überall auf der Welt werden Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt. Viele Christen werden verfolgt: in Indien, in einigen afrikanischen Ländern, in Süd- und Ostasien. Seit mehr als 10 Jahren herrscht Krieg in Syrien, die Kinder leiden besonders.

Bei uns in Deutschland gibt es Schuld - in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft, die zu Ungerechtigkeit führt. Die Pandemie verschärft diese Situation und bringt Leid über die Menschen. Der evangelische Ratsvorsitzende Bedford-Strohm spricht von der „Seeleninzidenz“, von den Auswirkungen der Pandemie auf das seelische Leben, das sich in psychischen Krankheiten und Gewalterfahrungen zeigt. 

Der Text der Klagelieder fordert uns heraus und er fordert Gott heraus. Es ist keine leichte Botschaft, keine Botschaft des lieben Gotts („der ist lieb, der tut nichts“). Es ist ein Text, der uns am Ende hoffentlich nicht sprachlos hinterlässt.

Wir werden die fünf Kapitel szenisch lesen, jeweils unterbrochen von etwas Musik. Der Erzähler wird von Georg Franitzer und von mir, Christian Modemann, gelesen. Hannah Hufnagel liest die Stadt Jerusalem bzw. die Tochter Zion und Christian Stürznickel den Propheten Jeremia.

Wir beginnen und schließen jeweils mit einem Vers als Responsorium. Er lautet „Vor den Pforten der Unterwelt rette, o Herr, mein Leben.“ – Ich spreche ihn jeweils vor und Sie können die Wiederholung mitsprechen: „Vor den Pforten der Unterwelt rette, o Herr, mein Leben.“