Montag, 26. Dezember 2022

Das Medium ist die Botschaft




2022 Predigt Weihnachten – am Tag, Manresa - Hamburg

Les: Jes 52,7-10; Hebr 1,1-6; Joh 1,1-18 

Den Weihnachtsgruß auf schönen Karten verbinden mehrere Freunde von mir gerne mit einem Jahres-Rückblick. So erhalte ich auf ein oder zwei Seiten ihre Reflektion über das, was ihnen in den vergangenen Monaten wichtig geworden ist. Ich bin dankbar, dass ich so an den Ereignissen und Erfahrungen teilhaben darf. Vor allem freue ich mich über die Dankbarkeit und die Wertschätzung des Lebens und der Begegnungen, die ihnen geschenkt wurden, die in diesen Rückblicken deutlich wird.

Mit einem Rückblick, der auf ein oder zwei Seiten das Wesentliche der Erfahrungen zusammenfasst, haben wir es auch beim heutigen Evangelium am Weihnachtsfest zu tun. Es ist der Prolog des Johannes-Evangeliums, der in kondensierten Worten schon alles anklingen lässt, was der Evangelist dann im Weiteren als Erzählungen entfalten wird. 

Es ist wie ein Überblick über die Heilsgeschichte – vom Beginn der Schöpfung bis heute. Er spricht von der Friedensbotschaft, die der Welt überbracht wird – und auf welche Art und Weise diese Botschaft überbracht wird.

„Im Anfang war das Wort.“ Von Beginn an liebt Gott diese Welt, er ist der Schöpfer, schenkt Licht und Leben. Alles ist durch sein Wort geworden. Gott liebt die Menschen und er tritt mit ihnen in Beziehung. Auf welche Art und Weise? Lange Zeit haben die Propheten sein Wort überliefert. Mose hat dem Volk das Gesetz gegeben. Johannes hat glaubwürdig davon gesprochen, wie Gott auf die Menschen zukommt und was die Menschen tun sollen, damit sie seine Botschaft hören können. 

Im Brief an die Hebräer heißt es: „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern (und Müttern) gesprochen durch die Propheten.“ – Gott hat durch Mose, durch Jesaja, Jeremiah, Ezechiel, Daniel, usw. gesprochen. Sie alle waren Träger des Wortes, Boten der Freude, Vermittler der Gnade, Zeugen der Wahrheit. Ich bin mir sicher, dass diese Menschen eine besondere Beziehung zu Gott hatten, dass Gott sich Ihnen im Gebet offenbart hat, dass sie etwas von seiner Größe und seinem Heil erfahren haben und so anderen weitergeben konnten.

Nun, in der Mitte der Zeiten, wird die gleiche Botschaft allerdings auf eine neue Art vermittelt, nämlich durch den Sohn. „Am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben von allem eingesetzt.“ Das Wort, das Licht und Leben schenkt, wird nicht mehr nur überbracht, sondern es wird konkret erfahrbar, es „ist Fleisch geworden“. „Das Medium ist die Botschaft“, so könnte man sagen.

Warum spricht der Johannes-Prolog vom „Fleisch“? Warum sagt er nicht einfach das Wort ist „Mensch“ geworden? Das kommt wohl daher, dass zu der Zeit, in der dieser Text entstand, die Menschlichkeit, Jesu, seine Existenz in Fleisch und Blut, seine Geburt und seinen Tod, Gegenstand von Kontroversen und Bestreitung waren. Einige behaupteten wohl, das Wort Gottes habe sich nur einen menschlichen Umhang übergezogen, eine sterbliche Hülle angenommen, die keine weitere Bedeutung hatte. 

Johannes sieht in Leben, Tod und Auferstehung Jesu, in seinem Dienst und in seinem Wirken, Gott selbst am Werk, präsentisch, vor Ort, berührbar, verständlich, nahe, ansprechbar. Gott und Mensch, ihr beide atmet die gleiche Luft. Gott macht sich verletzlich, er lässt sich anstecken von den Krankheiten und Nöten der Menschen, ohne dass er aufhört, Gott zu sein, Gnade und Wahrheit zu schenken. 

Ich möchte Ihnen zum Verständnis einen Vergleich anbieten: Im vergangenen Jahr stellte sich im Blick auf die Treffen in der Gemeinde bzw. in der Glaubens¬information oder in der GCL häufig die Frage: online oder in Präsenz? Vielleicht kennen Sie diese Frage auch aus ihrem persönlichen oder beruflichen Umfeld. Die neuen Videotools haben es möglich gemacht, dass wir uns für ein digitales Treffen verabreden, bei dem jeder zu Hause vor seinem Bildschirm sitzt und die anderen Teilnehmer sehen und hören kann. Das funktioniert meist gut, nur selten gibt es noch Unterbrechungen oder Ausfälle. Fast jeder von Ihnen wird im vergangenen Jahr schon einmal an einer solchen Videokonferenz teilgenommen haben. 

Es ist nicht das gleiche „online“ oder „in Präsenz“, beides hat Vor- und Nachteile. Aber wie groß der Unterschied tatsächlich ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Der Vorteil einer Videokonferenz: sie ist für alle zugänglich, unabhängig von den Anfahrts¬wegen. Das spart Zeit und Geld. Vor allem junge Eltern, die sonst ein Baby¬sitter besorgen müssten, können abends zu Hause bleiben und trotzdem an einem Gemeinde-Treffen teilnehmen. Es gibt keine Gefahr, sich anzustecken oder zu verletzen. Jeder atmet die eigene Luft und bleibt bei sich. Ein Austausch von Gedanken, Worten, Bildern ist möglich, ein Gespräch in Kleingruppen lässt sich leicht organi¬sieren. Tatsächlich nutzen die meisten von uns diese Möglichkeiten gern, auch zum Beispiel für ein Familien oder Freunde treffen über weite Distanzen hinweg, wenn ein Teil der Familie zum Beispiel in einem anderen Land wohnt. 

Der Vorteil der Treffen an einem physischen Ort: es gibt einen Hinweg und einen Rückweg, bei dem man sich innerlich auf das Treffen vorbereiten beziehungsweise die Gedanken sortieren kann. Das entschleunigt, denn ich kann normalerweise weniger Verabredungen treffen. Außerdem gibt es die Möglichkeiten für Begegnungen am Rande: die informellen Gespräche zwischen Tür und Angel, kurze Verabredungen oder Nachfragen, die Möglichkeit für Zweiergespräche. Vor allem kann ich die Körpersprache wahrnehmen, die Mimik und Gestik, die Blicke, die Anspannung und die kleinen Bewegungen. Ich komme leichter in einen Dialog, ich kann riechen, schmecken, fühlen, Begeisterung wahrnehmen. Jeder atmet die gleiche Luft und macht sich verletzlich. 

Online ist nicht Präsenz. Wie gesagt, für manche ist der Unterschied nicht so bedeutend. Für andere schon. Die Information ist doch eigentlich die gleiche, oder?

Für Johannes wird mit der Geburt Jesu deutlich, dass Gott die Menschen nicht mehr nur informiert. Bisher kannten sie Gott aus Botschaften und über die Entfernung hinweg. Die Propheten haben die Begegnung auf Distanz ermöglicht. An Weihnachten feiern wir, das sein Wort in Raum und Zeit, an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit, erfahrbar, berührbar wurde. Dass bestimmte Menschen zu diesem Treffen eingeladen wurden und dabei waren. Sie haben die gleiche Luft geatmet wie der Sohn.

Sie können sagen: Das ist nur ein kleiner Unterschied, es ist eigentlich dieselbe Botschaft! Das stimmt. Doch für das Johannesevangelium ist klar: Dieses Licht, bei dem Botschaft und Medium identisch sind, vermag es, jeden Menschen zu erleuchten. Jeden, auch Dich und mich. Und so wechselt im Text das Subjekt und die Leser des Evangeliums werden hineingenommen in diese Kommunikation: „Er hat unter uns gewohnt. Wir haben seine Herrlichkeit geschaut. Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade um Gnade.“ Wir alle. Du und ich. Wir sind hineingenommen in diese Begegnung. Hier und jetzt. 

Das ist eine Zeitenwende. Denn wenn wir dieser Gegenwart Gottes in Jesus Christus vertrauen, dann wir die Begegnung mit ihm für uns nicht nur zu einer Information. Sondern dann geschieht in uns selbst und durch uns in dieser Welt eine sichtbare und spürbare Veränderung.

„Jesus ist gekommen,“ so sagte der verstorbene Bischof Klaus Hemmerle, „Jesus ist wirklich gekommen, aufgebrochen aus dem Herzen Gottes selbst, her zu uns. Indem er es annahm, Mensch zu sein, nahm er uns an, so wie wir sind, und nahm zugleich an unserer Stelle und für uns Gott an, die ganze, alles fordernde Wucht eines heiligen Willens.“

Das Wort wird, wenn wir es hören und danach leben, in einem übertragenen Sinn auch in uns Fleisch - in uns und in unserem Handeln. Es wird neu Wirklichkeit, konkret erfahrbar, dort wo Menschen danach leben. 


Zeichen


 2022 Predigt Vierter Adventssonntag - Lesungen: Jes 7 und Mt 1 – „Zeichen“

Liebe Geschwister im Glauben!

Wir treffen in unserem Alltag andauernd kleine und große Entscheidungen, über deren Auswirkungen wir uns nur selten im Klaren sind. Wir sehnen uns nach einem geglückten Leben, und wir versuchen, gute Entscheidungen zu treffen. Doch was ist das Gute? Wie kann ich beurteilen, worauf es ankommt? Manchmal ist das Gute nicht so einfach erkennbar. Entweder, weil man nicht daran denkt, oder weil es nicht klar ist, welcher Weg dort hinführt. 

Sicherlich gibt es Gebote und Regeln, es gibt moralische Kriterien. Aber oft gibt es mehrere Möglichkeiten, die alle gut sind. Was ist das bessere? Wie schön wäre es, von Gott ein Zeichen zu bekommen, ein Hinweis! Wir schön wäre es persönlich zu spüren, dass er da ist und uns begleitet. Einfach, weil seine Gegenwart uns befreit, uns hilft und Frieden schenkt. 

König Ahas ist ein Herrscher, der von seiner eigenen Machtfülle und Intelligenz so überzeugt ist, dass er keine Zeichen von Gott braucht. Obwohl der Prophet Jesaja ihn auffordert, Gott um ein Zeichen zu bitten, lehnt er es ab, mit einer scheinbar frommen Begründung, scheinheilig könnte man sagen. Denn seine Aussage spielt Gottesfurcht vor, doch in Wirklichkeit hat er seine eigenen Pläne im Kopf. Er will in dem politischen Konflikt in der Region sich nicht mit dem Nordreich Israel gegen die heraufziehenden Assyrer verbünden, sondern er meint selbstbewusst, durch eine Allianz mit den feindlich Assyrern könnte er der lachende Dritte sein und geschickt die Oberhand behalten. Der Prophet Jesaja warnt ihn vor diesem Bündnis. Er soll nicht auf politische Machenschaften setzen, sondern auf Gott vertrauen. 

Anders Josef, der mit Maria verlobt ist. Er scheint betrogen worden zu sein, eine furchtbar demütigende Situation für ihn. Die Eheschließung steht kurz bevor, doch seine Verlobte ist schwanger, nicht von ihm. Das Vertrauen zerbricht. Was soll er tun? Wie soll er sich entscheiden? Eine Lösung muss gefunden werden. Er will sie nicht bloßstellen. 

Ob er um ein Zeichen gebeten hat, ist nicht überliefert, aber sein Glaube prägt ihn bis hinein in seine Träume. Er rechnet mit dem Eingreifen des lebendigen Gottes. Im Traum hört er, wer selbst ist („Sohn Davids“) und er bekommt auch ein Zeichen, was er tun soll. Diesem Zeichen folgt er. Dreimal übrigens wird Joseph in der Kindheitsgeschichte nach Matthäus wesentliche Entscheidungen aufgrund seiner Träume treffen: Nach der Hochzeit mit Maria auch die Flucht nach Ägypten und die Rückkehr nach Nazareth. Dreimal erfährt Joseph im Traum, was zu tun ist.

Wie berührt uns Gott? Der heilige Ignatius ist davon überzeugt, dass Gott mit den Menschen in Beziehung tritt, in der Gegenwart kommuniziert, und zwar nicht allgemein im Wort Gottes, das uns in der Bibel überliefert ist, oder in den Lehren der Kirche, sondern auch persönlich mithilfe von Gedanken und Gefühlen, die in uns entstehen. Er nennt es den „guten Geist“ oder den „guten Engel“, der die Seele sanft berührt, leicht und lind wie ein Tropfen Wassers, der in einen Schwamm eindringt. Die Berührung Gottes kann im Gebet, bei wachem Bewusstsein geschehen, oder auch im Traum. Beide Male geht es um die tiefen Schichten der Seele, in den Gott wirkt auf eine unglaublich feine, aber nachhaltige Art und Weise – und um die Wahrnehmung dieses Wirkens. Es geschieht, wenn wir uns innerlich loslassen können, wenn wir vertrauen, wenn wir nicht nur mit dem Verstand und dem eigenen Willen arbeiten, sondern tiefere Schichten unserer Seele in Bewegung kommen.

Drei Dinge sind dafür wichtig: 

1/ Grundlage dieser Spiritualität ist erstens die Ausrichtung auf Gott und die entsprechende Lebens-gestaltung nach der nach dem Evangelium, wie Ignatius es in dem Text Prinzip und Fundament beschreibt: „Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott Unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten.“

Josef ist so ein Mann, der weiß, wie man nach Gottes Geboten lebt, „gerecht und fromm“, so heißt es im Text. Ein integrer Mann, und seine Frömmigkeit ist zutiefst menschlich. Er ist mit den heiligen Schriften vertraut, und er weiß, was Gott für sein Volk verheißen hat. 

2/ Grundlage dieser Spiritualität ist zweitens die Relativierung aller irdischen Dinge. Nichts ist Gott gleich. Gott steht immer an erster Stelle, weil er das Gute für den Menschen will. Ignatius formuliert diese Haltung so: „Die andern Dinge auf Erden sind zum Menschen hin geschaffen, und um ihm bei der Verfolgung seines Zieles zu helfen, zu dem hin er geschaffen ist. Hieraus folgt, dass der Mensch sie so weit zu gebrauchen hat, als sie ihm zu seinem Ziele hin helfen, und so weit zu lassen, als sie ihn daran hindern.“

Josef ist dafür ein Beispiel. Er ist kein Fanatiker, er will nicht, dass sie gesteinigt wird. Er geht bis an die Grenze des für ihn denkbar Möglichen. Er will sich von Maria trennen, in aller Stille, ohne Aufsehen zu erregen. Die schonendste Lösung in dieser komplizierten Lage. Das suchen, was hilft.

3/ Grundlage dieser Spiritualität ist drittens das Bewusstsein, dass wir Gott nicht begreifen können, dass Gott seine eigenen Wege hat und „Erfolg“ keiner der Namen Gottes ist. Sein Heil ist misst sich nicht nach mensch¬lichen Maßstäben. Wenn wir für Gottes Zeichen aufmerksam werden und empfänglich werden, dann braucht es ein achtsames Hinhören und Zuhören, das nicht schon von vorne rein weiß, was gut und richtig ist. Ignatius nennt es die Indifferenz: „Darum ist es notwendig, uns allen geschaffenen Dingen gegenüber gleichmütig (indiferentes) zu machen, überall dort, wo dies der Freiheit unseres Wahlvermögens eingeräumt und nicht verboten ist, dergestalt, dass wir von unserer Seite Gesundheit nicht mehr als Krankheit begehren, Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit, langes Leben nicht mehr als kurzes, und dementsprechend in allen übrigen Dingen, einzig das ersehnend und erwählend, was uns jeweils mehr zu dem Ziele hin fördert, zu dem wir geschaffen sind.“

Josef ist nicht gleichgültig in dem Sinne „jetzt ist eh alles egal“ oder „wie man es macht, ist es falsch“, sondern er ist gleichmütig, d.h. offen für die unerwarteten Wege und Lösungsmöglichkeiten Gottes. So wie ein Tor¬wart vorm Elfmeter sich nicht schon vor dem Schuss entscheiden sollte, ob er nach rechts oder links springt (denn in 50 % der Fälle läge er statistisch gesehen falsch!), so darf auch ein Christ, der mit dem Wirken des Heiligen Geistes in seinem Leben rechnet, nicht immer schon selbst wissen, was eigentlich zu tun ist, sondern er soll sich offen halten für das Wirken Gottes, für seine Zeichen. Indifferenz ist nicht Depression oder Dunkelheit, sondern eine freudige, achtsam, gespannte, energievolle, wache Aufmerksamkeit der Seele für die Wirkungen des Geistes, die sich in den Gedanken und Gefühlen zeigen; „adventliche Freude“ trotz einer Traurigkeit, könnte man auch sagen. 

Zurück zu den Zeichen. Alles in dieser Welt kann uns zum Zeichen Gottes werden. Es liegt am Kontext, an der Deutung, an der persönlichen Erfahrung. Eine Begegnung mit einem Freund kann führ mich zum Zeichen werden; ein Wort, das ich höre; ein Buch, das ich lese; ein Bild, das ich sehe; in allem kann Gott Begegnung feiern. 

Letzte Woche leuchtete während der Messe der französischen Gemeinde plötzlich die Liedanzeige im Altarraum auf. Die Anlage war sicherlich ausgeschaltet, das Programmiergerät lag in der Sakristei und es war auch nur auf der Seite des Altarraums etwas zu sehen, nichts bestimmtes, keine lesbaren Ziffern. Es werden irgendwelche merkwürdigen Stromstöße im Kabel gewesen sein, Schwingungen im Funkverkehr, keine Ahnung. Aber es ist für mich ein Zeichen geworden, das mich wach gemacht hat, gegen meine eigene Unaufmerksamkeit in der Messe. 

Das Zeichen, das Gott uns schenkt, an Weihnachten und – wenn wir es wahrnehmen auch hier und heute - ist die eindeutig für den Menschen entschiedene Liebe, die uns im Leben, im Tod und in der Auferweckung Jesu offenbar wird. Sie ist ein Zeichen für alle Menschen. Es wird uns jetzt gegenwärtig, wenn wir zusammenkommen, zwei oder drei in seinem Namen und Eucharistie feiern, das Zeichen des Bundes, dass Gott mit uns ist. Immanuel. Amen.


„Gott will, dass wir sehen, was er will und was er tut. Daher gibt er uns die großen Zeichen. Wer die Zeichen sehen kann, kann auch das Gemeinte erkennen. Die Jungfrau und das Kind: Zeichen dafür, dass unsere Hoffnung in Schwachheit und Armut geboren wird.“ (Schott, Einführung)


Montag, 5. Dezember 2022

Konflikte


Predigt Zweiter Sonntag im Advent A, 4.12.2022

Liebe Geschwister!

Johannes der Täufer ging in der Wüste. Die Wüste ist ein Ort, an dem es sich nicht gut leben lässt. Am Tag ist es heiß und die Sonne scheint. Und nachts ist es kalt. In der Wüste gibt es wenig Wasser, kaum frische Quellen. Die Wüste ist der Ort der wilden Tiere, und gefährlich. Und außerdem ist sie der Ort der Dämonen, ein inneres Schlachtfeld. Kurz gesagt: ein Ort der Konflikte!

Johannes der Täufer ging in die Wüste und verkündete dort die Bekehrung, weil er wollte, dass die Menschen neu anfangen. Er blieb nicht in Jerusalem, weil er sie an die privilegierte Zeit des Volkes Israel in der Wüste erinnern wollte. Er wollte sie gleichzeitig an die Botschaft des Propheten Jesaja und seinen Aufruf zur Umkehr erinnern. 

Johannes der Täufer in der Wüste provozierte Konflikte. Er konfrontierte die Menschen in Jerusalem mit ihren Sünden. Die Frommen, die Pharisäer und Sadduzäer beschimpfte er: "Ihr Schlangenbrut!" Und er warnte sie: Denkt nicht, dass ihr nicht gerichtet werdet, weil ihr die Juden seid, die Söhne Abrahams. „Jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen." Was für ein Typ! Was für eine Persönlichkeit der Konflikte! 

Manche nennen es „kommunikativer Klimawandel“; ich persönlich mag keine Konflikte. Ich mag es, wenn Menschen sich gut verstehen, wenn sie friedlich miteinander auskommen. Ich mag keine Konflikte, weil es im Moment zu viele davon gibt: Der Krieg in der Ukraine. Die Konflikte um Energie und Ökologie. Die Konflikte auf der Arbeit, in der Familie. Ich habe genug davon. Wie sehr ich mir Versöhnung und Frieden wünsche, Gerechtigkeit für die Menschen!

Aber ich habe entdeckt, dass es Menschen gibt, die Konflikte lieben. Nicht weil sie rachsüchtig sind oder auf Krawall gebürstet. Sie sind offenbar der Meinung, dass Konflikte uns etwas Gutes bringen können. 

Oft entstehen Konflikte mit dem, der anders ist. Der Fremde lässt uns die Andersartigkeit entdecken. Der Philosoph Michel de Certeau SJ hat darüber nachgedacht. Er sagt, dass Konflikte in der Gesellschaft und in der Familie, politische Konflikte, ökologische Konflikte usw. für Christen immer eine religiöse Dimension haben, weil - auch wenn eine Lösung bzw. eine von der Liebe geleitete Versöhnung nicht möglich ist - Konflikte Situationen sind, um den anderen und damit seine Andersartigkeit anzuerkennen und zu erkennen, dass wir noch den Weg zum Frieden suchen, den Christus uns gelehrt und eröffnet hat. 

Die Wahrnehmung der Realität wird auf die Probe gestellt. "We agree to disagree". Wir erkennen, dass Frieden und Gerechtigkeit noch nicht verwirklicht sind. Und wir entdecken die Unterschiede. Vielleicht ist dies der erste Schritt, um einen Konflikt für das Gemeinwohl zu nutzen.

Konflikte sind in gewissem Sinne das Gesetz unserer Existenz. Es wird immer Konflikte geben, weil wir auf diese Weise unsere persönlichen Interessen, Wünsche, Rechte usw. entdecken. Ein Konflikt ist die Art und Weise, wie wir die Rechte und Interessen anderer erkennen. Beispielsweise wurden die Menschenrechte durch eine ganze Reihe von Konflikten in Europa geformt. 

Auch in der Kirche gibt es Konflikte. Die aktuellen Diskussionen zum Synodalen Weg, der Besuch der Bischöfe in Rom, immer neue Meldungen über Beschwerden oder Rücktritte. Der heilige Paulus hat viele Konflikte in seinen Gemeinden erlebt. Er schreibt ihnen von seinem Wunsch nach Versöhnung: „Der Gott der Geduld und des Trostes aber schenke euch, eines Sinnes untereinander zu sein, Christus Jesus gemäß, damit ihr Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, einmütig und mit einem Munde preist. Darum nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes!“ (Röm 15)

Paulus lehrt uns viel über Konflikte: Der Konflikt zwischen dem Fleisch und dem Geist. Zwischen Griechen und Hebräern. Zwischen den Reichen und den Armen. Im ersten Brief an die Korinther schreibt er: „Zunächst höre ich, dass es Spaltungen unter euch gibt, wenn ihr als Gemeinde zusammenkommt; zum Teil glaube ich das auch. Denn es muss Parteiungen geben unter euch, damit die Bewährten unter euch offenkundig werden.“ (1Kor 11,18-19).

Paulus zeigt, dass Konflikte uns eine doppelte Gnade verleihen. Jene, dass wir uns selbst in Frage stellen, eine Revision unseres Lebens beginnen und jene, dass wir bei anderen etwas Neues entdecken. 

Zum Beispiel die Entdeckungen über den Missbrauch von Minderjährigen durch Priester und Bischöfe. Es ist schrecklich, was sich da gezeigt hat: Sünde, Gewalt und das Böse innerhalb der Kirche. Aber es gibt trotz allem eine Gnade. Durch die Presse und die Medien, die sich in den Konflikt begeben haben, die sich der Macht der Kirche widersetzt haben, die nicht sehen wollte, was man entdeckt hat, hat das Volk Gottes eine Gnade erhalten. Die der Wahrheit. Da bin ich mir sicher.

Wir sehen uns nach Versöhnung und Frieden unter den Menschen. Der Prophet Jesaja kündigt uns diese messianische Versöhnung mit dem Bild eines Zweiges an, der „aus dem Baumstumpf Jesse hervorgehen“ wird. Ein Baumstumpf ist ein abgetrennter, toter Baum. Dort, wo es keine Hoffnung auf Leben mehr gibt, wo alles tot zu sein scheint, wird etwas Neues hervorgehen.

Der Prophet Jesaja verkündet uns diese Neuigkeit mit seinen Bildern vom messianischen Frieden zwischen Tieren und Menschen: „Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. Kuh und Bärin nähren sich zusammen, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus.“

Diese Vision von der Vielfalt und Schönheit des Lebens inspiriert mich persönlich dazu, Gutes zu tun. Es gibt ein Ziel, ein Ideal: Die Versöhnung und die Gerechtigkeit des Messias. Sie wird nicht - wie so oft - auf dem Rücken der Kleinen stattfinden. Im Gegenteil: „Er richtet nicht nach dem Augenschein und nach dem Hörensagen entscheidet er nicht, sondern er richtet die Geringen in Gerechtigkeit und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist.“

Zum Abschluss bleibt eine Frage: Was motiviert mich Gutes zu tun - inmitten all der Konflikte? Woher kommt die Inspiration, um für den Frieden zu arbeiten? Wo finde ich die Energie, um eine Versöhnung für möglich zu halten?

Tue ich etwas Gutes, einfach weil es gut ist? Ist es die Belohnung im Himmel, die mich motiviert und mir Durchhaltevermögen verleiht? Ist es das Versprechen Christi, am Ende der Zeit mit ihm in seinem Reich zu sein? Vielleicht ist all das eine Motivation für Christen. Aber die heutigen Lesungen bieten uns eine andere Motivation als diese. Es gibt eine geistliche Motivation:

Johannes der Täufer sagt es uns: Der aber, der nach mir kommt, …  wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.“

Der Prophet Jesaja kündigt den Messias an als denjenigen, auf dem der Geist des Herrn ruhen wird: „der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.“

Dieser Geist zeigt sich in einer inneren Haltung. Dieser Geist zeigt sich im kleinen, konkreten Alltag des menschlichen Lebens. Dieser Geist zeigt sich in der Art und Weise, wie Konflikte ohne Gewalt gelöst werden: „Er schlägt das Land mit dem Stock seines Mundes und tötet den Frevler mit dem Hauch seiner Lippen.“ Gewaltlos. Seine Rüstung ist Gerechtigkeit und Treu.

Zusammenfassend möchte ich sagen: Ja, wir erleben überall Konflikte. Und ja, wir hoffen auf Versöhnung und Frieden. Adventliche Menschen leben in diesen Konflikten mit dieser Hoffnung auf Frieden. Und sie bekommen immer neue Kraft dazu durch Heiligen Geist. Sie lassen sich in ihrer Hoffnung beschenken, motivieren, inspirieren. Amen.


Montag, 7. November 2022

Predigt zum achtzigsten Geburtstag meines Vaters


Predigt in der Eucharistiefeier anlässlich von Papas 80. Geburtstag, 5.11.22 Hattingen, Hl. Geist

Les: Phil 1,4-6.8.11; Mt 6,24-34 – Von der rechten Sorge


Lieber Papa, liebe Mama, lieber Verwandten und Freunde meiner Eltern, liebe Geschwister im Glauben!

„Sorgt euch nicht um euer Leben“, so sagt Jesus in der Bergpredigt, sondern freut euch an dem, was euch geschenkt ist: an der Schönheit der Natur, wie zum Beispiel die Lilien auf dem Feld, und an dem, was ihr wie die Vögel des Himmels zu essen und zu trinken habt. 

Wir feiern ein Fest und wir dürfen heute die Sorgen des Alltags hinter uns lassen. Wir möchten Gott danken für Dein Leben, lieber Papa, und zurückschauen auf 80 Lebensjahre im Frieden, mit einer immer noch guten Gesundheit, zusammen mit der Familie und den Freunden. Das ist ein Grund sich zu freuen, zu feiern – und eben sich einmal nicht zu sorgen. 

Gilt dieses Wort Jesu auch angesichts der vielen schrecklichen Nachrichten von Krieg und Überschwemmung, von Energiekrise und tödlichen Unfällen: „Sorgt euch nicht!“?

Vielleicht ist dieses Evangelium besonders für ältere Menschen von Bedeutung, weil es im Alter die Erfahrung der Mühsal und der Sorge gibt. „Jeder Tag hat seine eigene Plage“, so mag wohl mancher einstimmen, bei dem das ein oder andere Gebrechen, die Vergesslichkeit, die Krankheit dazu führen, dass alles nicht mehr so leicht ist. Gerade ältere Menschen haben nicht selten den Eindruck, dass es in ihrem Leben viele Hindernisse und Beschwernisse gibt. 

Vielleicht hat Dich, lieber Papa, dieser Text auch deshalb angesprochen: Weil Jesus Dir die Erlaubnis gibt, die Sorge loszulassen, die Angst vor dem, was da am Ende des Lebens noch bevorsteht. „Euer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Deshalb sorgt euch nicht und morgen.“ Und Du hast auch die Erfahrung gemacht, dass man das Leben durch all seine Sorgen nicht verlängern kann. Einige von Deinen älteren Geschwistern sind heute nicht dabei nicht mehr dabei, einige Freunde sind schon gestorben. Das Leben lässt sich nicht, wie man selbst es vielleicht manchmal möchte, verlängern. 

Also: Sorgt Euch nicht um morgen. Aber worum denn dann? Um übermorgen? „Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit!“. Das ist keine Vertröstung auf das, was nach dem Tod kommt, denn das Reich Gottes ist schon mitten unter uns. Jesus will uns sagen: Sorge dich nicht um morgen, sondern sorge Dich um das Heute; das, was jetzt dran ist, wo du hier und heute Gott finden kannst und seine Gegenwart, die unter uns Menschen lebendig ist in seinem Geist. Das ist die rechte Sorge, die Sorge für das Wesentliche, die Sorge für heute. 

Sorgt euch nicht um morgen, denn: „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde. Heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt, wenn er kommt.“ – so habt ihr oft gesungen. Das wird sehr schön im Gebet deutlich, das Jesus uns gelehrt hat, im Vater unser: Wir beten: „unser tägliches Brot gib uns heute“. Heute, nicht morgen, brauchen wir das Lebensnotwendige und das, was darüber hinausgeht, das „überwesentliche“ Brot. Oder in den Psalmen heißt es: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet nicht euer Herz.“ (Psalm 95) 

Nun gibt es allerdings für Menschen, die im Heute leben, zwei Straßengräben, in die man leicht geraten kann. Der eine Straßengraben ist die Sorglosigkeit im Sinne einer Naivität. Der „Hans guck in die Luft“, es wird schon nichts passieren, „et hat noch immer jut jejangen“. Ein Mensch, der sich in die Sonne setzt, ohne einen Hut aufzusetzen, ein Mensch, der betrunken Auto fährt, ein Mensch, der nicht zum Arzt geht und so weiter. Auf die Vorsehung Gottes zu vertrauen ist das eine, die Schwierigkeiten oder Grenzen des eigenen Lebens nicht annehmen zu wollen, ist das andere.

Der andere Straßengraben, in den Menschen geraten können, die sich nicht sorgen, ist eine Sorglosigkeit im Sinne einer Gleichgültigkeit. Aus einem Überdruss heraus, als eine Trägheit des Herzens, aufgrund von Gedanken, die nicht vom Guten kommen und uns in eine Art Lethargie oder Depression bringen. „Es hilft doch sowieso alles nichts“, meine Sorge ist vergeblich. Das ist eher Frust und Traurigkeit als Sorglosigkeit!

„Kummer,“ so der Wüstenvater Evagrius Pontikus, „entsteht bisweilen infolge einer Entziehung von Begierden, bisweilen aber folgt er auch der Wut.“ Ich übersetze mal: Kummer entsteht einerseits, wenn wir unzufrieden sind und das Gefühl haben, zu kurz zu kommen. Oder Kummer entsteht andererseits, wenn wir den Ärger über andere herunterschlucken, nicht vergeben können, sondern uns am liebsten rächen würden, weil andere uns vermeintlich etwas Böses angetan haben. 

Kummer entsteht, wenn wir uns beschweren. Das ist ein schönes deutsches Wort. Denn wenn sich jemand über andere beschwert, dann beschwert er sich ja auch selbst, er lädt sich eine Last auf. 

Es gibt sicher viele Dinge in unserer Welt und in unserer Kirche, die nicht in Ordnung sind. Meistens entsteht dann aus einem starken Sinn für Gerechtigkeit eine Empörung. Die Empörung aber verhallt, weil sich die Dinge nicht ändern, oder nur sehr langsam; denn unsere Welt ist sehr komplex geworden. Es ist mühsam geworden, Dinge zu verändern, selbst wenn viele das möchten. Es gibt Einzelinteressen zu berücksichtigen und niemand mag zurückstehen.

Dann werden Menschen wütend und müde, „mütend“, wie man neuerdings sagt. Das ist aber nichts Neues. Noch einmal Evagrius Pontikus: „Der Kummer ist eine Niedergeschlagenheit der Seele und diese entsteht aus Gedanken der Wut. Denn ein Verlangen nach Rache ist der Zorn, ein Misslingen der Rache aber erzeugt Kummer.“ Diese Einsichten stammen aus dem vierten Jahrhundert!

Doch zurück zum Evangelium: Jesus spricht von der rechten Sorge, die wir haben sollen: Keine Sorge um alles oder jenes, keine Sorge angesichts der vielen Auseinandersetzung, der Kriege, der Konflikte, der Ungerechtigkeit, keine Sorge für morgen oder übermorgen, sondern eine Sorge für heute, die

a. aus Dankbarkeit und Freude entsteht, die sich 

b. auf das Wesentliche richtet, auf das Reich Gottes, das schon nahe gekommen ist und auf seine Gerechtigkeit, und die 

c. nicht naiv oder frustriert ist, sondern mit einem wachen Realitätssinn und einem guten klugen Urteil.

Wie kann so etwas gehen? Der heilige Ignatius spricht gerne von Indifferenz als einer Voraussetzung für gute Entscheidungen im Alltag. Indifferenz ist eine Art von Sorglosigkeit. Sie meint aber eben nicht Naivität oder Gleichgültigkeit, sondern eine Gleichmütigkeit bzw. eine Bereitschaft zu einer „engagierten Gelassenheit“.

Man kann Indifferenz vielleicht mit der Haltung des Torwarts vergleichen, der sich möglichst in der Mitte des Tores aufhält, um nach rechts oder links springen zu können, wenn der Ball kommt: Engagierte Gelassenheit. Er ist wach, aufmerksam, entschieden zu springen, aber er wird so handeln, wie es die Situation erfordert. Er hat keine Sorge, er wird den Ball fangen, aber er schaut hin.

Ignatius wird auch ein Sinnspruch zugeschrieben, der diese Haltung der engagierten Gelassenheit im Glauben formuliert: „Vertraue so auf Gott, als ob alles von dir abhinge und nichts von Gott. Handele so, als ob alles von Gott abhingen und nichts von dir.“ Diese Haltung wünsche ich Dir für die nächsten Lebensjahre, lieber Papa!

Christian Modemann SJ


Gebet von Madeleine Delbrêl:

Offenbare uns das große Orchester deiner Heilspläne,
Worin das, was du zulässt,
Einfach befremdliche Töne von sich gibt
Inmitten der Heiterkeit dessen, was dein Wille ist.
Lehre uns, jeden Tag die Umstände,
unseres Menschseins anzuziehen
Wie ein Ballkleid, das uns alles an ihm lieben lässt
Um deinetwillen, wie unentbehrlichen Schmuck.
Gib, dass wir unser Dasein leben
Nicht wie ein Schachspiel, bei dem alles berechnet ist,
Nicht wie einen Wettkampf, bei dem alles schwierig ist,
Nicht wie einen Lehrsatz, bei dem wir uns
den Kopf zerbrechen,
Sondern wie ein Fest ohne Ende, bei dem man dir
immer wieder begegnet,
Wie einen Ball,
Wie einen Tanz,
In den Armen deiner Gnade,
Zu der Musik allumfassender Liebe.
Herr, komm und lade uns ein.

Dienstag, 1. November 2022

Harthörig


31. Sonntag im Jahreskreis C, Hamburg – Manresa, 30.10.22, 19 Uhr

Menschen kommen zur Kirche mit der Sehnsucht, Gott nahe zu sein, von ihm gesehen zu werden, in Beziehung zu treten. Menschen kommen mit der Erfahrung, sich fern von Gott zu fühlen, sich wie getrennt von Gott zu erleben. Manchmal ist sogar beides zugleich da, in uns selbst: die Sehnsucht und die Erfahrung der Ferne. 

Wenn Menschen sich fern von Gott fühlen und sich neu auf die Suche nach Gott begeben, dann geschieht das nicht selten in einer persönlichen Sinn-Krise, in der sie keinen Ausweg mehr finden und dann im Glauben eine neue Perspektive oder Hoffnung entdecken. Eine Frau formulierte es im Gespräch so: „Ich konnte weder vor noch zurück, sah weder rechts noch links einen Weg – und da habe ich nach oben geschaut.“ Manche entdecken in solchen Momenten, dass diese andere Perspektive oder Dimension ihres Lebens schon immer da war und dass sie tatsächlich eine Hilfe ist, wenn sie sie bewusst wahrnehmen und in ihr Leben lassen.

Der christliche Begriff dafür, sich getrennt von Gott bzw. anderen Menschen zu erleben, ist der Begriff der Sünde. Ich habe bisher nicht oft darüber gesprochen, weil es heute ein scheinbar schwieriges Thema ist – da denkt man gleich an Schuld und Schuldgefühle und so. Aber es geht hier erst einmal nicht um etwas Moralisches. Das wird im Deutschen schon vom Wort her deutlich: Das Wort „Sünde“ ist mit dem deutschen Wort „Sund“ verwandt, mit dem ein Abgrund oder ein Graben bezeichnet wird. Der Fehmarn-Sund z.B. ist der Meeresarm der Ostsee, der die Insel Fehmarn vom Festland trennt; für den Menschen unüberwindlich, wenn es nicht ein Boot oder eine Brücke gäbe.

Sünde ist etwas, das trennt, das absondert vom Leben. Sie bezeichnet dabei weniger einzelne Vergehen als vielmehr eine Haltung: sich gegen Gott wenden, sich von Gott abwenden, sich über Gott erheben wollen. Viele biblische Geschichten versuchen, dies zu verdeutlichen.

Sünde beschreibt eine Wirklichkeit, die alle Menschen erfahren, sie beschreibt die Folge und Wirkung von Ungerechtigkeit. Das kann mit eigener Schuld zu tun haben, oft aber erfahren wir die Wirkung vom ungerechten Verhalten anderer, für das ich keine Verantwortung trage, als lebensfeindlich, als etwas, unter dem ich leide. Der Krieg z.B. eine Sünde, die Menschen voneinander und vom Leben trennt; ohne dass der einzelne daran gerade etwas ändern kann. Das Unrecht anderer wirkt weiter. „Toxisch“ würde man heute sagen.

Doch welche Wirkung hat die Sünde auf den Einzelnen? Was geschieht da persönlich? Eine gute Beschreibung von Sünde findet sich im Markusevangelium. Dort heißt es bei der Begegnung von Jesus mit den Jüngern auf dem See, nach der wunderbaren Speisung (Mk 6,45-52), dass die Jünger im Boot vorausfahren, während Jesus selbst noch auf einen Berg ging, um zu beten. Die Jünger sind auf dem Boot, auf dem See, im Gegenwind, als Jesus zu ihnen kommt. Sie meinen, es sei ein Gespenst und erschrecken. Er sagt zu ihnen: „Habt Vertrauen, fürchtet euch nicht!“ Und dann fährt der Evangelist fort: „Sie aber waren bestürzt und fassungslos. Denn sie waren nicht zur Einsicht gekommen, als das mit den Broten geschah; ihr Herz war verstockt.“ (Mk 6,51-52)

„Ihr Herz war verstockt“. Fridolin Stier übersetzt: „Denn sie hatten bei den Broten nichts verstanden; ihr Herz war harthörig.“ Es geht um Mangel an Vertrauen, vor allem aber um fehlende Achtsamkeit, um Harthörigkeit. 

Hören ist die Grundbewegung des Glaubens, die Grundhaltung des geistlichen Weges. Das „Schema Israel“, „Höre Israel“ (Dtn 6,4-9) gehört zu den wichtigsten Gebeten des Judentums. Nicht ohne Grund heißt einer der ersten Apostel, die Jesus beruft: Simon – der Hörende. 

Wenn das Herz harthörig ist, dann ist es gefühllos, nicht mehr ansprechbar - und das darf angesprochen werden! Das Wort „verstockt“ (pōroō) meint verhärten, gefühllos machen, versteinern - pōros ist der Tuffstein.

Der Prophet Ezechiel verheißt dem Volk Gottes eine umfassende Veränderung und Befreiung (Ez 36,25-26), dass er nämlich das Herz aus Stein fortnehmen und ihnen ein Herz aus Fleisch geben wird.

Besonders gut drückt der Prophet Jesaja aus, worum es geht. Er spricht von einem „verfetteten Herzen“, das einhergeht mit Augen, die nicht sehen; Ohren, die nicht hören, „damit das Herz nicht zur Einsicht kommt, und es sich nicht bekehrt und sich so Heilung verschafft.“ (Jes 6,10) Als ob sich eine Fettschicht um den Menschen gelegt hat, so dass ihn nichts mehr erreicht, dass er gefühllos und achtlos wird.

Evagrius Pontikus schließlich, der im 4. Jahrhundert in Ägypten gelebt hat, schreibt für die Mönche in der Wüste, die mit bösen Gedanken zu kämpfen haben, dass sie sich vor allem vor dem Hochmut und dem Überdruss hüten sollen. Er hält diese beiden Gedanken, die nicht vom Guten kommen, nämlich die Überheblichkeit und die Trägheit, die Gleichgültigkeit, Lustlosigkeit, für die Wurzelsünden – später sagt man Todsünden.

Ich spreche hier nicht Depression als einer Krankheit, die körperliche Ursachen haben kann; es geht nicht darum, Schuldgefühle oder moralische Forderungen zu formulieren. Sondern es geht um die Wahrnehmung der geistlichen Versuchung der Überheblichkeit einerseits oder der Trägheit des Herzens andererseits; und ich glaube, dass nicht wenige Menschen heute diesen Gedanken folgen – und sich deshalb als von Gott getrennt erleben.

Menschen versuchen oft, dieser Trägheit durch Aktivismus zu entfliehen. Doch wenn ich selbst versuche, dem Zustand zu entrinnen, dann komme ich ins „Machen“, das häufig rein Ich-bezogen ist und mich gerade nicht in die Beziehung führt. Im Gegenteil, es schafft noch mehr Trennung. 

Evagrius Pontikus beschreibt die Erfahrung vom Getrenntsein als eine „Grundsündhaftigkeit“ des Menschen, die er durch Aktivismus versucht auszugleichen – und dadurch nur vertieft.

Erlösung geschieht, indem ich den Blick wende und mich anschauen lasse, mich vom Herrn ansprechen lasse - da, wo ich bin; ohne etwas verbergen oder verstecken zu wollen, selbst wenn ich mich schäme oder durch seinen Blick über meine eigene Situation erschüttert bin.

Das Evangelium von Lukas beschreibt dies in der Begegnung von Zachäus mit Jesus: Zachäus will Jesus sehen. Jesus schaut hinauf und sieht Zachäus an. Zachäus steigt hinunter und lässt Jesus bei sich eintreten. 

Die Erlösung von der Sünde geschieht im Perspektivwechsel, bei dem ich mich anschauen lasse, meine Angst um mich selbst loslasse. Da geschieht Bekehrung, Umkehr. Gott kommt auf uns zu, in unserer Sünde, in unserer Verstocktheit, Harthörigkeit.

Denn: "Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen. […] Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens." (Weish 11,22-12,2)


Montag, 3. Oktober 2022

Treue ist gelebter Glaube

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Predigt 2.10.2022 – 27. Sonntag im Jahreskreis C – Hamburg, Manresa
Les: Hab 1,2-3;2,2-4 – 2Tim 1,6-8.13-14 – Lk 17, 5-10

Stärke unseren Glauben. Wörtlich: gib uns glauben hinzu! Vermehre unseren Glauben. Geht das überhaupt: mehr Glauben bekommen? Glauben ist doch nicht „mehr oder weniger über Gott wissen“ oder „mehr oder weniger beten“, oder „mehr oder weniger regelmäßig sonntags in die Kirche gehen“. Glauben ist doch Vertrauen. Ich glaube dir, ich vertraue dir, dass du mir die Wahrheit sagst. Da gibt es doch nur Ja oder Nein. Entweder vertraue ich dir oder nicht. Gibt es mehr oder weniger Vertrauen? 

Glaube ist nicht sichtbar, wie viele andere wichtige Dinge im Leben auch: Freundschaft und Liebe zum Beispiel, oder Hoffnung. Und bei der Freundschaft gibt es doch Unterschiede: es gibt beste Freundinnen und Freunde und so lala Freunde. Da sagen wir doch auch: „Das ist die große Liebe meines Lebens“. Oder: „Das ist mein bester Freund.“ Gibt es diese Unterschiede -mehr oder weniger - auch im Glauben?

In den Glaubenskursen, die ich anbiete, kann man etwas über die Bibel und über die Tradition der katholischen Kirche lernen, über das Leben im Glauben. Es geht um Inhalte, wie sie zum Beispiel im Katechismus stehen, und um eine Praxis des Glaubens. Am Ende sagen die Menschen oft, dass sie mehr über den Glauben gelernt haben oder dass sie mehr über die Bibel oder die Kirche wissen. Aber bedeutet mehr wissen auch mehr glauben? 

Ich behaupte, es gibt verschiedene Formen des Glaubens. Wir reden vom Glauben auf verschiedene Weise. 

1/ Es gibt Glauben im Sinn von Vertrauen und Bekenntnis. Nennen wir ihn Glaube I. Er steht an der Schwelle zum Christsein. Dieser Glaube ist eine persönliche Beziehung zu Gott, mit dem ich leben und sterben möchte. Diesen Glauben haben wir mit allen Heiligen gemeinsam, mit Maria, mit dem heiligen Bonifatius, mit dem oder der hier neben mir in der Bank. Er äußert sich in Überzeugungen und Worten, ich kann darum beten, ich habe Anfechtungen und Zweifel, und wenn ich dem Glauben entsprechend handle, dann bin ich in meinem Tun glaubwürdig. Das ist glaube als Vertrauen und Bekenntnis.

Diesen Glauben kann ich gerade nicht messen, da gibt es kein mehr oder weniger. Es ist eine Haltung, die ich nicht allein durch mein Tun oder Machen erreiche. Er „ist in seinem Wesen nach Annahme einer Wahrheit, die unsere Vernunft nicht erreichen kann,“ so sagt der heilige John Henry Newman. Diese Annahme geschieht „einfach und unbedingt, auf ein Zeugnis hin.“

2/ Dann gibt es aber offenbar noch eine zweite Form des Glaubens, die nach Paulus ein besonderes Charisma ist, das ich weitergeben kann: „Glaubenskraft“ (1Kor 12,9). Nennen wir ihn Glaube II. Es ist ein Glaube, der heilsam und lebenspendend ist, der andere begeistert. Er zeigt sich in „Kraft, Liebe und Besonnenheit“ (2Tim 1,7). In diesem Glauben wird etwas von der Schöpfermacht Gottes und der Freiheit sichtbar, die uns allen verheißen ist. Diese Kraft ist heute schon ein Geschenk für einige. Sie äußert sich in Mut und Freiheit. Auch um diesen Glauben kann man beten, besonders dann, wenn das Zeugnis meine menschlichen Kräfte offensichtlich überfordert. 

Es gibt solche Menschen, die haben Kraft „für zwei“, so sagen wir manchmal. Auch im Glauben gibt es Menschen, die glauben „für zwei“. 

Die Apostel bitten offenbar um diese zweite Form des Glaubens. Das wird im Evangelium deutlich, wenn man den Kontext anschaut. Im Abschnitt zuvor hatte Jesus den Jüngern gesagt, sie sollten dem Bruder, wenn er sündigt und umkehrt, immer wieder verzeihen: „Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: ich will umkehren, so sollst du ihm vergeben!“ (Lk 17, 4). Was für eine Herausforderung! Welch eine Kraft und Stärke braucht es für die Lebensweise! Und von solcher Glaubenskraft für andere war auch schon letzten Sonntag im Evangelium die Rede, im Umgang mit dem Besitz: dass man mit anderen, besonders mit den Armen, teilen soll, großzügig sein soll. 

Interessanterweise spricht wohl auch der Prophet Habakuk in der ersten Lesung von einer solchen Lebens- bzw. Glaubensweise: Glaube angesichts von Gewalt und Unterdrückung, in Misshandlung, Zwietracht und Streit. „Der Gerechte“, so heißt es am Schluss in dem Wort, das Habakuk aufschreiben soll, „bleibt wegen seiner Treue am Leben.“ (Hab 2,4)

Treue, das ist – auf Griechisch übersetzt - bei Habakuk das gleiche Wort wie jenes, das nach Lukas die Jünger benutzen, wenn sie bitten: Gib Glauben. Treue ist gelebter Glaube. 

Glaube ist - in diesem zweiten Sinn - das Vertrauen auf Gott, das sich in der Zeit bewährt, das sich im Leben durchhält und Kraft gewinnt, das etwas in dieser Welt verändern kann zum Guten, auch wenn scheinbar alles dagegen spricht. Dieses Trauen auf Gott als Treue hat viel mit Vertrauen gemeinsam, aber es hat diesen Aspekt der Hoffnung zusätzlich. Wenn man auf etwas vertraut, was man jetzt noch nicht sehen kann.

Wenn mir hier in der Kirche aus der Heiligen Schrift vorlesen, dann tun wir im Grunde genau das, was der Herr dem Habakuk gesagt hat: Er sollte die Dinge, die er in der Kraft seines Glaubens gesehen hat, aufschreiben, damit man es mühelos lesen kann. „Denn erst zu der bestimmten Zeit trifft ein, was du siehst; […] wenn es sich verzögert, warte darauf; denn es kommt, es kommt und bleibt nicht aus.“ (Hab 2,3) Der gelebte Glaube „drängt zum Ende und ist keine Täuschung“. Um mehr von solchem Glauben kann man beten. 

Ich fasse zusammen: Es gibt zwei Weisen zu glauben: 

Erstens Glaube als Vertrauen und als Bekenntnis. Er ist die Grundlage für unser Leben, wenn wir sagen: Wir sind Christen. Diesen Glauben feiern wir gleich, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen.

Zweitens Glaube als besondere Gabe für einige, die mit einer Hoffnung in dieser Welt leben, die ihren Glauben in ihren Taten leben und anderen davon abgeben können, weil sie - wenn es auch nur so winzig ist wie ein Senfkorn- etwas von Gott erhalten haben, was die Welt heilt. 

Jesus Christus war so einer, der mehr Glauben in sich hatte, als für ihn allein nötig war. Diesen Glauben feiern wir gleich, wenn wir in der Eucharistie an seinem Tod und seine Auferstehung denken und er unter uns gegenwärtig ist. Amen.


Montag, 26. September 2022

Wie wollen wir heute leben?

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Wie wollen wir heute leben?

"Du musst Dein Leben ändern!" Predigt – 26. Sonntag im Jahreskreis C – Manresa 2022

Liebe Geschwister, wenn Sie dieses Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus hören, was geschieht dann? Bekommen Sie Mitleid mit Lazarus - oder mit dem Reichen? Werden sie ärgerlich über den Reichen - oder über Abraham, der alle drei Bitten des Reichen einfach ablehnt? Fangen Sie an, über ihren eigenen Lebensstil nachzudenken? Fühlen sich möglicherweise unangenehm berührt angesichts der Perspektive von Himmel und Hölle und dem unüberwindlich in Abgrund dazwischen? Identifizieren Sie sich eher mit Lazarus oder mit dem Reichen? 

Die Reaktion auf dieses Gleichnis wird unterschiedlich sein, so wie die Menschen unterschiedlich sind und ihre Lebenssituation. Jeder aber, der sich auf die Erzählung einlässt, wird provoziert, denn sie lebt von den Gegensätzen. 

/Der arme Lazarus, der im Leben nur Schlechtes erhalten hat, sein Leib voller Geschwüre, eklig und stinkend. Er saß allein und einsam vor der Türe, nur die Hunde kümmerten sich um ihn. Er wird getröstet und ist in Abrahams Schoß. Nach seinem Tod wird er im Himmel Gutes erfahren. Ist das ein Trost? Oder eine billige Vertröstungen aufs Jenseits? 

/Der reiche Lebemann, der in Geld und Luxus schwelgt, feine Klamotten liebt und zu feiern, wusste Tag für Tag. So einen können wir uns vorstellen, in Mallorca oder in seinem dicken SUV, ganz egal. Er hat auf Erden kein Mitleid gezeigt, in der Hölle fleht er vergebens um Mitleid, denn er hat auf der Erde seinen Anteil am Guten schon erhalten.

/Dann der unüberwindliche Abgrund. Er führt uns eindeutig aus unserer spirituellen Komfortzone heraus. Wird der Reiche im Gleichnis wegen seines Reichtums verdammt oder wegen seines Mangels an Barmherzigkeit? Kann eigentlich überhaupt ein reicher Mensch in der Himmel kommen? 

Das Gleichnis provoziert, aber nicht um bloßzustellen, sondern um ins Nachdenken zu bringen. Es entwirft eine ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits. Es führt uns damit in die Entscheidung: auf welcher Seite stehe ich? Und wo möchte ich leben? Wie wollen wir heute leben? Und was braucht es, um das Leben zu ändern? 

Jesus mahnt uns darin eindringlich, die Not anderer Menschen wahrzunehmen. 

„Du musst dein Leben ändern!“ – so ruft mir das Gleichnis zu, wenn ich es an mich heranlasse. Die Kluft zwischen Arm und Reich schreit zum Himmel. Global gesehen gibt es immer krassere Armut von vielen, die dem ungeheuren Reichtum von wenigen gegenübersteht. Die vielen Armen sehen wir nicht. Das sind nicht die paar Obdachlosen hier in Hamburg. Die Armen leben nicht vor unserer Tür. Oder doch? In einer globalisierten Welt, in der wir mal eben Urlaub in Thailand machen oder zur Safari nach Afrika fahren, irgendwie schon.

„Du musst dein Leben ändern!“ - Das sagt uns heute ja nicht nur die Kirche, das hören wir überall. Wir sollen Energie sparen, wie sollen auf die Ressource achten, wir sollen so leben, dass wir auf unseren ökologischen Fußabdruck achten. 

Und da spielt tatsächlich Reichtum und Eigentum eine große Rolle. Denn Gott hat die Erde allen Menschen geschenkt, ohne jemanden auszuschließen oder zu bevorzugen, auf dass sie alle ernähre. Deshalb ist das „Prinzip der gemeinsamen Nutznießung der für alle geschaffenen Güter“ das „Grundprinzip der ganzen sozialethischen Ordnung“ (FT 120). 

Ein kurzer geschichtlicher Rückblick im Blick auf die Frage nach Reichtum und „Eigentum“:

1/ Die Kirche hat im Mittelalter nichts gegen Reichtum gehabt, weder für sich selbst noch für andere. Reichtum konnte dazu dienen, den Armen etwas abzugeben, und das wurde gelobt. Privates Eigentum wird deshalb im Mittelalter geschätzt. Thomas von Aquin zum Beispiel ist in dieser Hinsicht klar: Zwar gehört dem Menschen als Geschöpf Gottes von Natur aus nichts Konkretes, genauso wenig wie den anderen Geschöpfen. Gott hat die Erde für alle geschaffen. Doch als mit Vernunft begabte Geschöpfe erkennen wir, dass nicht alle gut mit dem Eigentum umgehen und mit anderen teilen. Deshalb ist es sinnvoll, dass die Menschen im Blick auf die effiziente und friedliche Nutzung der Güter Privateigentum erwerben können. Thomas begründet das Recht auf Eigentum mit dem natürlichen Rechts der Völker von Alters her und mit dem Gebot „du sollst nicht stehlen“; denn auch die zehn Gebote setzten offenbar Eigentum voraus. Im Zusammenleben und weil wir offenbar nicht immer altruistisch handeln, ist es durchaus sinnvoll und realistisch, Eigentum zu haben. 

2/ Ende des 19. Jahrhunderts hat die Kirche dann mit der aufkommenden Industrialisierung und dem neuen Reichtum die Verbindung von Eigentum und Arbeit hervorgehoben. Gott hat die Güter zum Nutzen aller Menschen geschaffen, aber aus Gründen des wirtschaftlichen Fortschritts ist Privateigentum von Nutzen. Es ist die berühmte „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“, die in den Sozialenzykliken von der Kirche benannt wird. Man hat entdeckt, dass das gemeinsame Gut der Menschheit durch Arbeit nicht vermindert wird, sondern im Gegenteil vermehrt wird. Privateigentum ist ein Mittel der Wertschöpfung. 

Sozialpflichtigkeit meint nicht, dass bestimmte Arten von Eigentum der öffentlichen Hand oder dem Staat vorzubehalten sind, so wie man jetzt zum Beispiel die Gasbetriebe verstaatlichen wird aus sozialen Gründen. Sozialpflichtigkeit meint vielmehr, dass Privateigentum als privates Eigentum wertschöpfendend eingesetzt wird und so letztendlich allen zugutekommt. 

Es braucht die ordnende Funktion des Staates, so dass es kein Missbrauch der unternehmerischen Freiheit gibt, dass es gleiche Ausgangsbedingungen gibt, dass die Arbeiter nicht ausgebeutet werden, etc. Aber grundsätzlich gibt es eine Wertschätzung von Eigentum an Produktionsmitteln: Nicht für die Verwendung im karitativen sind, sondern um es mit unternehmerischer Kreativität für die Wertschöpfung einzusetzen, d.h. für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller.

3/ Diese Sichtweise auf das Privateigentum kommt aber nun im 21. Jahrhundert an eine Grenze, insofern es nicht mehr nur um Arbeit und Produktionsmittel, sondern um die Ressourcen dieser Erde geht. Das Versprechen vom „Wohlstand für alle durch Fortschritt“ erweist sich angesichts der Belastungen für die Umwelt als trügerisch. Wenn alle so leben würden, wie wir hier im reichen Europa, dann ist es mit dem Leben auf dieser Erde bald zu Ende. Das wird uns immer mehr bewusst. Wir leben auf Kosten der Armen. Das zeigt sich in vielen kleinen Dingen: von den seltenen Erden in den Handys, die unter unwürdigen Bedingungen abgebaut werden, über die Energie- und den Wasserverbrauch bis zu unseren Lebensmitteln, die weggeworfen werden. 

Deshalb kommt heute die „universale Bestimmung der geschaffenen Güter“ wieder neu in den Blick, besonders deutlich zuletzt in der Enzyklika Fratelli Tutti von Papst Franziskus. Dort heißt es in Kapitel 3 „Die soziale Funktion des Eigentums neu denken“.

Der Papst fordert eine neue Weise der Verteilung der Güter und eine neue Art und Weise der Aufmerksamkeit für die Benachteiligten, ja sogar eine neue Wirtschaftsordnung. Das erscheint uns vielleicht merkwürdig, weil wir auf der Sonnenseite des Lebens stehen und ja tatsächlich mit unserer sozialen Marktwirtschaft in Deutschland zufrieden sind, viele Vorteile sehen.

In den ersten Jahrhunderten des Christentums predigte man in der Kirche den Reichen, sie sollten etwas für die Armen abgeben, weil für alle genug da sei: Wenn jemand nicht das Notwendige zu einem Leben in Würde hat, liegt das daran, dass ein anderer sich dessen bemächtigt hat. 

Man hatte das Ideal der Gütergemeinschaft vor Augen. Der heilige Johannes Chrysostomus fasst dies mit den Worten zusammen: „Den Armen nicht einen Teil seiner Güter zu geben bedeutet, von den Armen zu stehlen, es bedeutet, sie ihres Lebens zu berauben; und was wir besitzen, gehört nicht uns, sondern ihnen“. Ähnlich drückt sich der heilige Gregor der Große aus: „Wenn wir den Armen etwas geben, geben wir nicht etwas von uns, sondern wir geben ihnen zurück, was ihnen gehört“. (FT 119) 

„Du musst dein Leben ändern!“ – Du musst die Not anderer Menschen wahrnehmen. Doch welche Ressource, welche Motivation habe ich dazu?

Der Reichtum als Ressource wird hier deshalb abgelehnt, weil er leicht zu Überheblichkeit, zu Hochmut und Gier führt. Die eigentliche Ressource unseres Lebens ist die Großzügigkeit. 

Ein kleiner Hinweis aus der Kirchengeschichte mag uns dazu helfen. Der hl. Benedikt schreibt in seiner Regel im 6. Jahrhundert über die Zuteilung des Notwendigen in der Gemeinschaft: Jeder solle so viel bekommen, wie er brauche (RB 34). Der eine braucht wahrscheinlich etwas mehr, der andere etwas weniger. Der eine braucht zwei Decken in der Nacht, der andere nur eine. Der eine braucht etwas mehr zu essen, weil er körperlich schwer arbeitet, der andere nicht. Es wird also Unterschiede geben. Nicht jeder bekommt das Gleiche, sondern jeder das Seinige. Das wird zu Neid führen. Warum hat der andere mehr als ich? Was soll man dann machen? Benedikt antwortet klug: Wer weniger braucht, danke Gott dafür und sei nicht traurig.

„Du musst dein Leben ändern!“ - Zufrieden sein, wenn man hat, was man braucht. Großzügig sein. Bereit sein, dass eigene Leben zu ändern, wenn es nicht so ist. Und die Barmherzigkeit mit den anderen nicht vergessen. Das ist mal ein Anfang. Amen.


Montag, 22. August 2022

Die enge und die verschlossene Tür - oder: Bitten erwünscht!

Predigt Manresa 21.8.2021 – 21. Sonntag im Jahreskreis C 

Les: Jes 66, 18-21; Hebr 12,5-7.11-13; Lk 13,22-30

Auf seinen letzten Metern feierte ihn bei der Leichtathletik-EM letzte Woche das ganze Stadion: Nahuel Carabaña aus Andorra kam als Letzter ins Ziel, doch er bekam den meisten Applaus. Im Vorlauf über 3000 Meter Hindernis stürzte der in Führung liegende Däne Axel Vang Christensen. Carabaña lief zunächst vorbei, dann drehte er um und ging zu Christensen, versuchte ihn aufzurichten und half ihm. Er wurde dann Letzter – aber der „Sieger der Herzen“, wie die Zeitungen titelten. „Siehe, da sind Letzte, die werden Erste sein.“ (Lk 13,30). 

Ich möchte etwas zum heutigen Evangelium sagen, das ja in mehrerer Hinsicht provozierend ist; nicht nur wegen dieses Schlusssatzes von den Ersten und den Letzten. Vor allem will ich etwas sagen zu dem Bemühen, zu dem wir aufgefordert werden, und zu der engen Tür, durch die viele versuchen werden, hineinzukommen. Warum gelingt es nicht? Was macht es ihnen schwer, durch die Tür zu gelangen?

In der vergangenen Woche haben 11 Erwachsene in Wentorf bei Hamburg an „Exerzitien zum Einsteigen“ teilgenommen: eine Zeit im Schweigen, mit Betrachtungen von biblischen Texten, bei denen es darum geht, sich selbst und Gott besser kennenzulernen und Sein Handeln im eigenen Leben mehr wahrzunehmen. Exerzitien sind übersetzt „geistliche Übungen“ – „zum Heil der Seele“, wie Ignatius von Loyola formuliert (EB 1). Viele der Teilnehmenden waren zum ersten Mal dabei. Sie haben eine neue Form der Meditation entdeckt und es ist ihnen in diesen Tagen viel Gutes geschenkt worden. Einige haben sich aber auch schwer getan mit den Übungen. Sie sind auf Widerstände gestoßen und gemerkt, so einfach ist das alles nicht. Warum? Woran liegt es?

In den geistlichen Übungen kommt es darauf an, das Gespräch mit Jesus zu suchen, ihn in das eigene Leben hineinzulassen und ihn in konkreten Anliegen zu bitten. Und das ist tatsächlich für manche Menschen nicht einfach! Aus der bloßen distanzierten, neutralen Zuschauerrolle herauszukommen und selbst ein betender, bittender Mensch zu werden.

Denn zu bitten, ist nicht einfach. Wir lernen von klein auf, dass wir selbständig sein sollen; dass wir dann frei sind, wenn wir von niemand anderem abhängig sind. Wer andere um etwas bitten muss, der schafft es nicht allein. Der ist zu schwach, um es selbst zu tun. Wir haben diese Verhaltensregel dann auf den Glauben übertragen: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott! Was für ein Unsinn! 

Als ob wir gegenüber Gott dann freier sind, wenn wir weniger von ihm abhängig sind. Das Gegenteil ist der Fall! Wenn wir Gott bitten und uns seiner Fürsorge und der Führung Jesu anvertrauen, dann werden wir nicht weniger frei, sondern mehr. Dann ist die Bitte kein Zeichen von Schwäche, sondern von Glauben und Vertrauen.

Es ist die Angst um uns selbst, die es uns schwer macht, einem anderen zu vertrauen zu vertrauen. Es ist die Angst, die Kontrolle über das eigene Leben aus der Hand zu geben, die für uns die Tür so eng macht. 

Ich selbst habe die Exerzitien erst verstanden, als ich im Noviziat, zusammen mit einem anderen Novizen, zum Pilgern geschickt wurde. Wir sind damals zu Fuß nach Taizé gepilgert, einen Monat lang, ohne Geld. Ich habe das schon einmal erzählt, es gehört für mich zu den prägendsten Erlebnissen. Ich wollte nicht betteln, ich fand das affig, völlig aus der Zeit gefallen. Außerdem war ich schon Anfang dreißig. Ich hatte mein eigenes Geld verdient. Es fiel mir schwer, andere um etwas zu bitten, um Essen, um Unterkunft zu betteln. Das war jedes Mal wieder eine Überwindung. Aber es war im Rückblick eine gute Übung. 

Die Kunst des Gebets liegt darin, davon bin ich seitdem überzeugt, sich zu überwinden und zu bitten. Nicht nur allgemein, z.B. um Frieden für alle Menschen, sondern konkret um das, was mir jetzt persönlich wichtig ist. „Du, Gott, bitte!“ Aber Vorsicht: Es könnte sein, dass etwas geschieht! „Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet.“ (Lk 11,9) – so sagt Jesus. 

Das ist es zum einen, was die Tür eng macht: Die Angst um uns selbst. Die geforderte Anstrengung besteht im Vertrauen, im Glauben, der allein den Menschen zu retten vermag. 

Dann gibt es noch etwas anderes, was daran hindert, durch die Tür zu kommen. Davon spricht der zweite Teil des Gleichnisses; wenn der Herr die Tür nicht mehr aufmacht. Seine Begründung lautet: „Ich weiß nicht, woher ihr seid.“ Zweimal sagt er das (Lk 13, 25.27). Und ergänzt dann beim zweiten Mal: „Weg von mir, ihr habt alle Unrecht getan!“ (Lk 13, 27) 

Der fromme Leser hört: Das ist ein Zitat aus Psalm 6. Dort heißt es: „Weicht zurück von mir, all ihr Übeltäter, denn der Herr hat mein lautes Weinen gehört.“ (Ps 6,9 – EÜ 1980/2016) Übeltäter sind Menschen, die Unrecht getan haben. Es betet ein Mensch, der offenbar schwer misshandelt wurde und nun im Sterben liegt, in „Todesnot in der Nacht“, wie es in der Überschrift heißt und nun in seiner Pflege ganz von anderen abhängig ist. Er wendet sich an Gott: „Meine Seele ist tief erschrocken. Du aber, Herr – wie lange noch?“ (Ps 6,4) 

Mit diesem Beter in Todesnot, mit diesem schwachen und kranken, misshandelten Menschen, identifiziert sich der Herr des Hauses, der die Tür schließt gegen über allen, die Unrecht getan haben. Es ist nicht der überhebliche, strafende, willkürlich richtende Herr, sondern der solidarische Herr, der die Schwachen schützt und aufrichtet, wer danieder liegt. Wer in sein Reich hineinkommen möchte, der muss wissen, dass er gelernt haben sollte, sich in rechter Weise zu verhalten. Dass es dort kein Unrecht mehr gibt und keine Tränen.

Das Bild von der engen Tür und der verschlossenen Tür vermittelt also eine doppelte Botschaft: 

1/ Der Raum des Heils steht allen offen, hineinzukommen allerdings ist schwierig, aber nicht unmöglich. Ein Lippenbekenntnis reicht nicht aus. Noch nicht einmal reicht es aus, am Sonntag zur Messe zu gehen und im Katechismus zu lesen. Es braucht den Glauben, der sich konkret darin zeigt, Ihn in das eigene Leben hineinzulassen, ihn zu bitten, und ihm die Kontrolle über das eigene Leben anzuvertrauen. Es braucht darüber hinaus die Bereitschaft, nicht das Unrecht zu tun, d.h. bei der Missachtung und Misshandlung der armen und schwachen Menschen nicht mitzutun. 

2/ Die Zeit drängt. Die enge Tür kann vom Hausherrn jederzeit verschlossen werden – und dann ist es für immer zu spät. 

An den vergangenen Sonntagen wurden wir im Evangelium vor Reichtum und Selbstgerechtigkeit gewarnt, das steht weiterhin im Hintergrund; heute allerdings ist mehr im Blick, was sein wird, wie es sein wird, wenn das Reich Gottes kommt; und dass es bis dahin ein ernsthaftes Bemühen von unserer Seite braucht. Wir können uns nicht selbst retten, aber wir können in uns die Bereitschaft und die Offenheit wachsen lassen, dass der Herr uns retten kann! Und dann mit ihm zu Tisch sitzen und Mahl halten. Amen.


Montag, 27. Juni 2022

Den Weg gehen? - oder: Wie treffe ich gute Entscheidungen?


26/6/22 - Predigt 13. Sonntag im Jahreskreis C - Manresa

Jeden Tag muss man sich entscheiden. Es gibt die kleinen, angenehmen Entscheidungen: Was werde ich heute Abend tun? Wen werde ich treffen? Was werde ich als Geburtstagsgeschenk für ihn oder sie vorbereiten? Wo werden wir den Urlaub verbringen? Und es gibt die großen Entscheidungen für das Leben: Was werde ich studieren? Werde ich heiraten? Welchen Beruf werde ich ergreifen? Soll ich die Arbeitsstelle wechseln?

Manchmal sind wir frei in unserer Wahl, oft gibt es Bedingungen, Umstände und Widrigkeiten, die unsere Wahl einschränken. Wir fühlen uns dann nicht mehr frei, sondern eher hilflos, orientierungslos. Wie können wir uns entscheiden? Wie treffen wir gute Entscheidungen? In den heutigen Lesungen wurden uns Menschen vorgestellt, die eine Entscheidung zu treffen haben.

Im Alten Testament: Elischa. Der Prophet Elija ernennt ihn mit einer bedeutungsvollen Geste zu seinem Nachfolger. Er wirft ihm seinen Mantel über. Elischa will ihm folgen, sich aber zuvor von seinen Eltern verabschieden. Das ist verständlich. Außerdem ist es die Pflicht eines Sohnes, sich um seine alten Eltern zu kümmern, die nicht mehr mit ihm auf dem Feld arbeiteten. In der jüdischen Tradition ist es das Gesetz des Mose, das im vierten Gebot vorschreibt: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du ein langes Leben hast in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.“ Der Prophet Elija gewährt ihm dies, aber nicht ohne Ironie. Er scheint über die Tatsache verärgert zu sein, dass Elischa ihm nicht direkt folgt. Elischa verabschiedet sich nicht von seinen Eltern, sondern veranstaltet ein Fest für die Menschen um ihn herum. Und er verbrennt das Holz des Gespanns, sein Arbeitsinstrument. Er bricht alle Brücken hinter sich ab. Eine seltsame Geschichte.

Im Lukasevangelium: Drei Männer, die Kandidaten für die Nachfolge Jesu sind, um sich der Gruppe der Jünger anzuschließen. Zwei stellen sich selbst vor: „Ich werde dir folgen, wohin du auch gehst.“ Ein anderer wird von Jesus gerufen: „Folge mir nach.“ Drei Situationen, in denen man sich entscheiden muss. Dreimal macht Jesus auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die mit der Nachfolge verbunden sind. Jesus ist auf dem Weg, der ihn zum Kreuz führen wird, und er geht ihn, den Launen der Menschen ausgeliefert, die sich vielleicht weigern, ihn aufzunehmen. Wer ihm nachfolgen will, muss diese Armut akzeptieren: kein Zuhause haben, in dem man sich ruhig ausruhen kann; Verfügbarkeit, auch um den Preis des Verzichts auf die eigene Familie, nach vorne schauen.

Werden die drei Jesus folgen? Das wird im Evangelium nicht gesagt. Als ob das Evangelium diese Frage an jeden von uns stellt. Wie würdest du dich entscheiden? Und zwar nicht anstelle des einen oder anderen, sondern in der eigenen Situation. Wirst Du Jesus nachfolgen und nichts anderes vorziehen oder dazwischenschieben?

Wie können wir uns entscheiden? Wie trifft man gute Entscheidungen? Um auf die Frage zu antworten, möchte ich noch einmal den Anfang des Textes lesen, weil m.E. dort schon die Antwort des Evangeliums angelegt ist: „Als sich die Tage erfüllten, dass er hinweggenommen werden sollte, richtet Jesus sein Angesicht fest darauf, nach Jerusalem hinaufzugehen. Und er sandte Boten vor seinem Angesicht her; diese gingen und kamen in ein Dorf der Samariter und wollten eine Unterkunft für ihn besorgen. Aber man nahm ihn nicht auf, weil sein Angesicht nach Jerusalem gerichtet war." (Lukas 9,51-53)

Dreimal in diesem Vers verwendet der Evangelist Lukas das Wort Angesicht (griechisch prosopon). Offensichtlich ist es für ihn sehr wichtig, uns die Blickrichtung, die Ausrichtung Jesu zu zeigen. Was ist seine Blickrichtung? Jesus blickt nach Jerusalem, er orientiert sich an der Passion. Seine Blickrichtung hat eine Bedeutung für die Art und Weise, wie er heute lebt.

Der deutsche Philosoph Heinrich Spaemann schreibt: „Was wir im Auge haben, das prägt uns, dahinein werden wir verwandelt. Und wir kommen, wohin wir schauen.“ (Heinrich Spaemann, Orientierung am Kinde. Meditationsskizzen zu Mt 18,3. Düsseldorf 1970, S. 29)

„Wir kommen, wohin wir schauen.“ Wenn ich jemanden sehe, der sehr talentiert Klavier spielt, und wenn ich ihn anschaue, wird mich dies verwandeln. Vielleicht fange ich an, das Klavierspiel zu üben und zu studieren. Wir kommen, wohin wir schauen. Das gilt auch für das Böse. Wenn ich mir oft gewalttätige Computerspiele anschaue, dann wird es mich formen und verwandeln. „Wir kommen, wohin wir schauen.“

Kehren wir zum Evangelium zurück. Jesus blickt nach Jerusalem. Er weiß, dass sein Weg nicht leicht sein wird: Schwäche, Hilflosigkeit, Scheitern. Aber er kennt auch die Freude, die Unentgeltlichkeit der Liebe Gottes zu den Armen, Vergebung, Heilung. Er weiß, dass Gottes Wille nicht durch Gewalt verwirklicht wird, sondern durch das Weitergehen und Annehmen von Grenzen; denn dadurch zeigt sich die Kraft Gottes. Wie der heilige Paulus es von Gott hörte: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist im Schwachen mächtig.“ (2Kor 12,9)

Oft blicken wir in die Vergangenheit zurück. Wie viel besser war es doch früher! Oder wir blicken auf all die nicht gewählten Optionen. Was hätte sein können? Wir blicken auf Sicherheit und Bequemlichkeit. Das ist der Blick auf mich selbst. „Es gibt ja immer noch diese leise Stimme in mir die sagt, ich soll die einfachste Alternative wählen: einen Film anzuschauen, statt meine Familie zu besuchen, die Beantwortung von Nachrichten aufzuschieben, die Verantwortungen für niemanden, außer für mich selbst zu übernehmen. Eine „Mach es dir leicht für dich selbst“-Haltung.“ Oder wir blicken auf die Traditionen und Pflichten der Gesellschaft, die durchaus gut sind. Oder wir schauen auf unsere Familien, das soziale Netzwerk, Anerkennung und Ehre. Das ist an sich nicht falsch, aber ist es das wert?

Jesus ermutigt uns zu einem anderen Blick, zu einer Ausrichtung des Lebens, letztlich zu einer Haltung: aufrecht und aufrichtig zu leben. „Wir kommen, wohin wir schauen.“ Das christliche Leben wird dann zu einem Stil, einer Lebenshaltung, die sich in den Tugenden ausdrückt. Es geht nicht darum, jeden Tag eine gute Tat zu vollbringen, wie es bei den Pfadfindern gelehrt wird: Jeder kann gute Taten vollbringen, auch Menschen mit schlechten Absichten. So wie ein schlechter Tennisspieler durch Zufall einen Punkt in einem Match gewinnen kann. Aber ein guter Tennisspieler trainiert, er ist es gewohnt, gut zu spielen, auch wenn er mal einen schlechten Tag hat. Christi nachzufolgen, bedeutet, den Blick auf das zu richten, was und zieht und führt und so zu leben, dass es eine gute Gewohnheit für uns wird: Ein entschlossener Blick, ein Blick auf Freude und Mitgefühl.

Zu diesem Blick, zu dieser Haltung werden wir von Gott befreit, durch seine Großzügigkeit und Großherzigkeit, durch seine Liberalität (vgl. Gal 5,1). Darin finden wir Freiheit. Wir werden von Gott befreit, um eine Wahl zu treffen. Jeden Tag, jeden Moment unseres Lebens können wir neu beginnen und unter der Führung des Heiligen Geistes wandeln.

Wie der norwegische Abenteurer Erling Kagge sagt: „Ein freies Leben sollte Disziplin, Aufmerksam­keit und Bewusstsein und natürlich Großzügigkeit beinhalten. Freiheit ist die Fähigkeit, „andere Menschen wirklich ernst zu nehmen und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen, völlig unsexy, Tag für Tag. […] Verantwortung und Belastungen geben dem Leben Substanz. Nur die einfachste Möglichkeit zu wählen, ist ein Rezept, dem Leben diese Substanz zu entziehen. Wenn ihr Leben für andere keinen Unterschied macht, dann wird es auf lange Sicht auch für sie keine so große Rolle spielen. Viele Menschen sagen, dass man Weisheit und Erfahrung braucht, um die richtige Entscheidung treffen zu können. Aber ich glaube manch­mal, dass wir vieles schon instinktiv wissen. Es ist die Wahl, die das schwierigste ist, egal wie alt oder Weise wir werden.“ (Erik Varden: Heimweh nach Herrlichkeit, 2021; Vorwort von Erling Kagge, Seite 10).

 

 

Sonntag, 29. Mai 2022

Einheit der Kirche?



Predigt 7. Sonntag der Osterzeit C – Hamburg, 11.30 Uhr

Einheit der Kirche - oder woher wir überhaupt wissen, dass Jesus auferstanden ist.
(Apg 7, 55-60; Ps 97; Offb 22,12-14.16-17.20; Joh 17, 20-26)

Liebe Schwestern und Brüder, 

Jesus bittet den Vater um die Einheit der Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger und aller, die an ihn glauben. „Alle sollen eins sein.“ (V 21) „Einsein ist ein Gefühl inniger Verbundenheit mit allem, was ist.“ (Bettina Wissert) Frieden. Jesus weiß, dass das nicht leicht ist und dass die Seinen das nicht von allein hinbekommen. 

Dieses Gebet Jesu gewinnt im aktuellen Kontext der Spaltung der Christenheit in verschiedene Konfessionen eine besondere Bedeutung, das ist jetzt im Ukraine-Krieg deutlich geworden. Genauso stellt sich die Frage nach der Einheit im Kontext der Auseinandersetzungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche in Deutschland. 

Beim Synodalen Weg und auf dem Katholikentag werden viele Fragen besprochen, wie die Reformen in der katholischen Kirche umgesetzt werden sollen. Ich bin froh, dass alle friedlich und respektvoll miteinander sprechen. Das ist der erste Schritt zu mehr Einheit. Wichtig ist auch, dass wir mit Jesus verbunden bleiben und die Größe und die Schönheit des Glaubens immer mehr erkennen – Jesus spricht von der „Herrlichkeit“. (V 22)

Es ist eine scheinbar kleine Frage aus den Diskussionen, die ich herausgreifen möchte: Soll die Amtszeit der Bischöfe begrenzt werden? Die Frage gibt es schon länger, aber sie stellt sich mit neuer Dringlichkeit, weil viele Gläubige mit der Arbeit einiger Bischöfe nicht zufrieden sind, z.B. in Köln oder Regensburg. Manch einer wünscht sich dort einen anderen Bischof und sieht mit Grauen, was ein Bischof oder Erzbischof in seiner langen Amtszeit noch anrichten wird.

Nun ist die Amtszeit der Bischöfe schon begrenzt. Mit 75 Jahren gehen sie in den Ruhestand. Aber es geht um eine zusätzliche zeitliche Begrenzung der Dauer der Amtsführung eines Bischofs. In vielen Ordensgemeinschaften ist es so, dass die Verantwortlichen für eine begrenzte Zeit gewählt werden. Auch bei den Jesuiten wird der Obere, d.h. Leiter unsere Region, der Provinzial, für sechs Jahre ernannt. Danach übernimmt ein anderer die Aufgabe. Der Generalobere der Jesuiten wird allerdings bei uns auf Lebenszeit gewählt. 

Was ist der Vorteil von einer Wahl auf Lebenszeit? Der Obere ist unabhängiger in seinen Entscheidungen, er muss nicht auf Machtinteressen schauen. Zudem gibt es mehr Stabilität, wenn nicht alle nur bis zur nächsten Wahlperiode denken. 

Was ist der Nachteil einer Wahl auf Lebenszeit? Wenn ein Oberer schlecht regiert, gibt es keine Möglichkeit nach einer gewissen Zeit einen neuen zu wählen. Zudem ergibt sich eine andere Dynamik der Ausübung von Macht, wenn alle Amtszeiten begrenzt sind. 

Nun sagen manche: Wie bei einem Politiker, der für eine bestimmte Zeit ein Dienstamt (Ministerium) hat, würde es auch für den Bischof gut anstehen, eine begrenzte Zeit zu regieren. Sozusagen Demokratie plus Evangelium. Das ist bei den evangelischen Bischöfen so. Die evangelischen Bischöfe werden deshalb auch sinnvollerweise für eine begrenzte Zeit gewählt, zum Beispiel zwölf Jahre. Sie haben allerdings faktisch keine Macht, sie repräsentieren. Die wichtigen Personalentscheidungen trifft die Synode beziehungsweise das Presbyterium. 

Andere sagen: Bischöfe sind keine Politiker. Sie haben ein geistliches Amt. Sie werden nach der Wahl und der Bestätigung durch den Papst zum Bischof geweiht. Die Weihe ist ein Sakrament, d.h. ein sichtbares und wirksames Zeichen der Liebe Gottes zu den Menschen. Dieses Zeichen gilt nicht nur für kurze Zeit. Wie bei der Ehe, die man auch nicht nur für ein paar Jahre verspricht, gehört es gerade dazu, dass es in guten und in schweren Zeiten gilt. Es kann nicht rückgängig gemacht werden, es bleibt. Es kann sein, dass der Bischof schlecht reagiert, dass er betrügt, dann wird er aus dem Amt entlassen, aber er bleibt Bischof. So wie Geschwister stets Geschwister bleiben: Man kann sich zu streiten, aber deshalb hören Sie nicht auf Geschwister zu sein. 

Die Bischofsweihe ist das eigentliche Sakrament der Weihe in der Kirche. Ein Bischof kann Priester und Diakone als Mitarbeiter weihen. Doch damit sind wir unversehens bei einer anderen Frage gelandet. Nämlich: Brauchen wir überhaupt die Weihe der Amtsträger? Ist das nicht veraltet? Auch diese Frage wird beim Synodalen Weg diskutiert.

Die Weihe der Bischöfe und ihrer Mitarbeiter ist tatsächlich sehr alt. Sie gab es in der Kirche sicher schon im zweiten Jahrhundert. Die Apostel und Apostelinnen waren Zeugen der Auferstehung und haben von Jesus den Auftrag bekommen, das Evangelium zu verkünden. Als die Kirche wuchs, suchte man unterschiedliche Formen, um diesen apostolischen Auftrag zu erfüllen. 

Schon im Timotheus-Brief ist davon die Rede, dass es Episkopen, Presbyter und Diakone gab. Diese Bischöfe wurden später als die Nachfolger der Apostel gesehen. Eine Kirche ohne einen Bischof, d.h. ohne jemanden, der als Nachfolger der Apostel das Zeugnis der Auferstehung glaubwürdig verkündet und weitergibt, hängt quasi in der Luft. Ihr fehlt ihr der Grund, das Fundament, die Verbindung zu Jesus Christus. 

Zugespitzt formuliert: Eine Kirche braucht einen Bischof, damit sie Kirche ist. Das macht deutlich, warum es bei der Frage nach dem Bischof und der Bischofsweihe tatsächlich nicht nur um ein Detail geht, sondern um das sichtbare Zeichen der Einheit: die Einheit durch die Zeit hindurch mit den Christen vor uns und mit den Aposteln - und die Einheit über die verschiedenen Regionen der Welt hinweg, mit den Christen in anderen Ländern. 

Unsere Kirche ist katholisch, d.h. weltumspannend, und sie apostolisch ist, d.h. auf das Fundament der Apostel und ihrer Nachfolger gegründet. Die Bischofsweihe ist deshalb ein Zeichen, das uns hier und heute mit der menschgeworden Liebe Gottes verbindet. Dass viele Menschen heute diese Zeichen nicht mehr verstehen, mag sein. Dass die Verantwortlichen in der Kirche sich nicht immer so verhalten, dass sie dieser Würde und Aufgabe gerecht werden, mag auch sein. Bischöfe sind Menschen und machen Fehler. Aber es ist ein Ideal, auf das hin man den Bischof ansprechen kann: Lieber Bischof, das ist deine Würde und Aufgabe: Nachfolger der Apostel zu sein. Das Zeichen gibt eine Orientierung und es ist für den, der glaubt, eine Realität, die Wirklichkeit verändert und verwandelt: Ein Sakrament lässt etwas von der Herrlichkeit aufscheinen, von der Ehre, von dem Gewicht des Glaubens, von seiner Schönheit. Und es mahnt uns zur Einheit und zum Frieden. 

Jesus ist nicht mehr da. Er ist in den Himmel aufgestiegen. Er ist zum Vater gegangen. Aber wir sind noch hier. Wir leben noch auf der Erde; und selten sehen wir den Himmel offen. Doch wir haben das Zeugnis der Apostel, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Dass die Liebe, mit der Gott Jesus geliebt hat, auch unter uns lebendig ist. 

Das löst nicht die Frage, ob die Amtszeit der Bischöfe begrenzt werden soll. Es gibt meine ich, gute Argumente dafür und dagegen. Wesentlich aber scheint mir zu sein, dass wir die Bedeutung der Sakramente und die Aufgabe der Bischöfe besser verstehen und dass wir nicht aufhören, darum zu bitten, dass Gott seiner Kirche gute Bischöfe schenken möge, die im Dienst für die Einheit der Kirche wirken und als Zeichen für den Frieden in der Welt einstehen. Amen.


Sonntag, 8. Mai 2022

Du hast nur ein Leben!


Predigt am vierten Sonntag der Osterzeit C – Hamburg, Kleiner Michel

(Apg 13,14.43b-52); Offb 7,9.14b-17; Joh 10,27-30

 Liebe Schwestern und Brüder,

Vor ein paar Tagen sagte mir mein Vater am Telefon: „Du hast nur ein Leben!“ Wir sprachen über meine Krebs-Erkrankung und die notwendige Nachsorge, bei der ich nach seiner Meinung nicht sorgsam genug bin. Ich vertraue darauf, dass alles gut wird. Ich weiß nach den Erfahrungen der letzten Monate, dass ich mich mit den Ärzten zusammen bemühen soll, dass es aber so viele Unwägbarkeiten gibt und mein Leben letztlich in Gottes Hand liegt.

Doch stimmt die Aussage für uns Christen eigentlich: „Du hast nur ein Leben!“? Glauben wir nicht als Christen, dass wir wiedergeboren werden zu neuem Leben? Dass wir in den Himmel kommen? So wie bei einem Computerspiel ein weiteres Leben haben?

In einem zentralen Abschnitt aus der Mitte des Johannes-Evangeliums wird Jesus im Gespräch mit den Juden dargestellt, die ihn nach seiner Identität fragen: Wer bist du? Wer bist Du, dass Du behauptest Du kämest von Gott her? Wer bist Du, dass Du sagen kannst, dass Du ewiges Leben schenkst?

Das Gespräch findet am Tempelweihfest in Jerusalem statt, in der Halle des Salomo, also mitten im Tempel. Es geht um den Kern, die eigentliche Mitte der Verkündigung: Kann man Jesus glauben? Und was bedeutet es, ihm zu glauben? Welche Konsequenzen hat das für unser Leben?

Drei wichtige Hinweise gibt es in diesem Evangelium, worum es im Glauben an Jesus Christus geht. Es ist ein argumentativer Text, gleichsam die Katechese für die Jüngerinnen und Jünger, um zu entdecken, was es bedeutet: Leben von ihm zu empfangen.

1/ „Meine Schafe hören auf meine Stimme, ich kenne sie und sie folgen mir.“ (Joh 10, 27)

Glauben bedeutet auf Jesus zu hören, um unter den vielen Stimmen seine Stimme erkennen und unterscheiden zu können. Man erkennt seine Stimme am Inhalt und am Klang, denn sie ist die Stimme Gottes. Diese Stimme hat für jeden von uns einen persönlichen Klang, der zu mir passt, der das Gute in mir weckt, das, was in mir zutiefst angelegt ist. Der Klang, d.h. die Art und Weise, wie ich seine Stimme in mir höre, erzeugt eine Resonanz. Gehorsam ist dann nicht aufgezwungen und blind, sondern entspricht der eigentlichen Sehnsucht des Menschen nach dem Leben in Fülle, das Jesus schenkt. Jesus spricht zu uns durch Menschen, durch Erfahrungen, durch Gefühle. Also: Glauben bedeutet, mitten im Alltag seine Stimme unter den viele Stimmen zu entdecken und zu hören.

2/ „Ich gebe Ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zu Grunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen.“ (Joh 10,28)

Glauben bedeutet an der Hand Jesu durchs Leben gehen, vertrauensvoll, ohne Angst; sich als Teil eines größeren Ganzen erleben; eine Richtung zu finden; Gemeinschaft erleben; getröstet werden (vgl. Offb 7,19-17).

Ewiges Leben bedeutet nicht unendlich lange leben. Es ist keine Zeitangabe, sondern eine Qualität. Ewiges Leben bedeutet zu keinem Zeitpunkt vom Leben Gottes getrennt zu sein, auch im persönlichen Tod nicht. Wie gehen an der Hand Jesu im Tod nicht verloren, ja durch sein Leben ist die kritische Schwelle des Todes aufgehoben. So wie Jesus es im Gespräch mit der Samariterin am Jakobsbrunnen sagt: „Das Wasser, das ich Dir geben werde, wird zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt.“ (Joh 4,14)

Ja, es stimmt: Wir haben nur ein Leben. Das irdische Leben wird durch den Tod beendet. Es findet keine Fortsetzung über den Tod hinaus. Aber das Leben wird im Tod von Gott gewandelt und vollendet – ohne Zeit und Raum, in seiner Nähe.

Ich glaube an ein Leben nach dem Tod. Ich glaube aber auch an ein Leben vor dem Tod: Das irdische Leben wird schon vor dem Tod gewandelt. Es verändert sich durch das Leben, das Jesus schenkt. Durch das Leben und den Tod Jesu hat das Leben gewonnen, ist der Stachel des Todes gebrochen. Der Stachel des Todes, so Paulus, ist die Sünde (1Kor 15). Sünde entsteht aus der Angst um sich selbst, nämlich dem Irrglauben, ich müsse im Leben allein klarkommen.

„Deine Sünden sind dir vergeben“, so haben wir es in der Taufe gehört. Die Last ist uns genommen, wir gehen frei durchs Leben - an der Hand Jesu. Wir gehen nicht zugrunde, sondern wir gehen ins Leben. Dieses Miteinander-Gehen aus der Gnade der Taufe ist schon das neue, ewige Leben.

3/ „Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle und niemand kann sie die Hand meines Vaters entreißen. Ich und der Vater sind eins.“ (Joh 10,29-30)

Der dritte Hinweis, was Glaube an Jesus Christus bedeutet, ist gleichsam die Begründung für die Gabe des Lebens. Jesus sagt uns, warum wir auch in schlimmen Situationen und selbst im Tod an seiner Seite keine Angst mehr zu haben brauchen: Es ist die Vertrautheit, die Lebensgemeinschaft, die Einheit Jesu mit dem Vater.

„Ich und der Vater sind eins“: diese Einheit hebt die Unterschiedlichkeit der Personen nicht auf, Gott insgesamt bleibt einzig, aber er ist nicht mehr hinter den Wolken verborgen, sondern wird in Jesus Christus sichtbar.

Es geht hier nicht um die Glaubenslehre, dass Jesus der Sohn Gottes ist, „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“. Es geht hier um eine Lebensweise, ein Lebensstil, den die Gläubigen nachahmen können. Einheit untereinander geschieht, wenn wir verbunden sind mit gemeinsamen Lebensregeln, die auf dem Willen des Herrn beruhen. Wenn wir „an einem Strick ziehen“, dasselbe wollen, das in konkreten Worten und Taten sichtbar wird. Dabei werden die Differenzen und Divergenzen nicht einfach akzeptiert und gleichberechtigt nebeneinanderstehen gelassen, nach dem Motto: jeder soll nach seiner Fassung glücklich werden beziehungsweise wir alle einigen uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.  Jesus geht es um eine Einheit, die in aller Unterschiedlichkeit im Miteinander Freude schenkt und das Leben in Fülle erahnen lässt.

Gerade haben 20 Kinder hier am Altar zum ersten Mal in ihrem Leben den Leib des Herrn empfangen. Sie haben sich darauf vorbereitet und feiern nun noch weiter; mit ihren Familien und Freunden. Sie werden friedlich miteinander feiern, sich freuen und Einheit erleben, wenn sie miteinander essen. Denn beim Festmahl nimmt nicht jeder eine Mahlzeit ein, wann er gerade Zeit hat, sondern Menschen leben miteinander und teilen Freude und Sorgen. Das ist die Einheit, die Jesus mit dem Vater lebt und die er auch den Seinen wünscht. Wenn wir diese Einheit erleben, dann stärkt das den Glauben. 

„Du hast nur ein Leben!“ Doch dieses Leben wird durch den Glauben an Jesus Christus gewandelt. Wir empfangen sein Leben, wenn wir auf seine Stimme hören. Wir empfangen ewiges Leben, wenn wir an den glauben, der Frieden und Einheit schenkt, weil er mit dem Vater eins ist. Amen. 

Montag, 18. April 2022

Sucht den Lebenden nicht bei den Toten!


Predigt Manresa Ostersonntag 2022

Liebe Schwestern und Brüder,
heute werden drei Erwachsene getauft und gefirmt. Sie haben sich in Gesprächen und in einem Glaubenskurs darauf vorbereitet. Sie haben die Grundlagen des christlichen Glaubens kennen gelernt, die Geschichte des Heils, wie sie uns in der Bibel überliefert ist, die Sakramente und die christliche Lebensweise. Zum Glauben braucht es auch eine Einübung in die Praxis des Glaubens, in das Gebet, die Feier der Liturgie und an der Gemeinschaft der Kirche, in den Dienst an den Notleidenden. 
Doch das alles reicht nicht, so sehr wir uns auch anstrengen, um den christlichen Glauben vollständig zu begreifen und zu erfassen. Das vergangene Jahr war ein Anfang, ein gelungener Beginn trotz mancher Schwierigkeiten; vieles werden sie erst noch entdecken und vertiefen. 
Doch so geht es wohl vielen im Glauben. Fertig ist man damit nie. Das gilt vor allem für Ostern, das Fest der Auferstehung des Herrn, die Mitte unseres Glaubens. Jesus hat den Tod überwunden. Ist das zu begreifen? Was bedeutet das für uns? Was bedeutet Ostern in diesem Jahr angesichts der vielen schrecklichen Kriegsereignisse, der Nachrichten über Verbrechen und Tod mitten in Europa, vor denen wir ratlos stehen und bestürzt. 
Von Anfang an war Ostern die große Irritation angesichts von Gewalt und Hass: Es ist ein Ereignis, das bisher nur einmal in der Geschichte der Menschheit geschehen ist, großartig, neu und das den Verstand und die Vorstellungen übersteigt. Die Frauen, die am Grab stehen, können es angesichts des grausamen Todes ihres geliebten Freundes und Meisters nicht begreifen. Sie stellen sich die Frage, welchen Sinn das alles haben kann. Sie finden nicht einmal mehr seinen Leichnam, um ihn salben und auf rechte Weise beisetzen zu können. Fremde Männer sprechen sie an. Sie erschrecken und blicken zu Boden. Die nächste furchtbare Nachricht? Was soll da noch alles kommen?
Und doch versuchen Christen von Anfang an, diese Botschaft anderen weiterzusagen, obwohl oder weil sie alles übersteigt, was sie bisher gekannt und verstanden haben. Sie versuchen zu begreifen und zu erfassen, was sich doch offenbar nur schwer verstehen lässt. Er ist nicht hier, er ist auferstanden. Sie erkennen: Es geht nicht nur um eine alte Geschichte, sondern um eine Erfahrung damals, auf die sie bauen können und die ihrem Leben eine neue Richtung gibt. Die Rettung schenkt. Sie versuchen diese Erfahrung zu verstehen und zu deuten. 
Schon bald beziehen sich Christen dabei auf den alten Mythos von Orpheus und Eurydike. Sie kennen die Geschichte vielleicht: Orpheus, der wundervolle Sänger, hatte seine geliebte Frau, die Nymphe Eurydike verloren, die kurz nach der Hochzeit durch einen Schlangenbiss starb. Sie kam, wie alle Toten, in die Unterwelt, die der Gott Hades bewachte. Und dann fängt dieser Mythos an, von einer alten Frage zu erzählen, die so alt ist wie die Menschheit, nämlich die Frage: Was ist am Ende stärker, der Tod oder die Liebe? Orpheus liebt seine Frau und er möchte, dass sie lebt. So macht er sich selbst auf den Weg in die Unterwelt und bittet darum, dass seine Frau zum Leben zurückkommt, dass er sie aus der Unterwelt und dem Reich der Schatten mitnehmen kann, zurück auf die Erde. Er trägt seine Bitte mit Gesang vor, begleitet von der Lyra. Der Gott Hades und die Göttin Persephone sind durch seinen Gesang so verzaubert, dass sie ihm die Bitte ausnahmsweise gewähren – unter einer Bedingung: Er darf sich nicht umschauen, ob seine Gattin ihm folgt, bis sie zurück im Leben sind. 
Orpheus ist getragen von der Hoffnung, doch je länger der Weg dauert und je größer die Sehnsucht nach der Geliebten ist, umso mehr sind auch die Zweifel, ob Eurydike da ist, ob sie ihm folgt, ob sich die Mühe gelohnt hat. Und so schaut sich der unvergleichliche Sänger nach ihr um – und sofort schwebt Eurydike zurück in die Unterwelt. Zum zweiten Male stirbt sie den Tod. Die Möglichkeit ist vertan, zurück bleibt der unglückliche Orpheus. Orpheus scheitert. Und die Botschaft dieses Mythos ist tragisch: Aus der Sicht des Menschen behält immer der Tod die Oberhand. 
Wenn Sie in die Domitillakatakomben gehen oder in die von Petrus und Marzellus, dann finden Sie dargestellt Christus als den liebenden Spielmann Gottes, den Christus-Orpheus, und die, die er liebt, ist Eurydike, die Menschheit. Alle biblischen Traditionen sagen, sie ist hineingeraten in Herrschaftsbereiche vielfältiger Tode – vor dem Tod, im Tod, nach dem Tod. Wie im alten Mythos taucht schon wieder die Frage auf: Ist das Schicksal der Geliebten wirklich der Tod oder ist nicht doch die Liebe stärker? Clemens von Alexandrien, der diesen Mythos kennt, erzählt: Christus steigt hinab in die Unterwelt - hinabgestiegen in das Reich des Todes. Doch anders als der griechische Orpheus scheitert der Christus-Orpheus nicht und vermag Eurydike zurückzulieben in das Land der Hoffnung und der Auferstehung. 
Drei Aspekte scheinen mir an dieser altkirchlichen Deutung von Ostern bemerkenswert. Sie helfen uns heute, das Geheimnis von Ostern mehr zu verstehen; auch wenn wir es nie ganz begreifen und erfassen werden.
1. Jesus Christus hat den Tod besiegt. Durch seine Auferstehung hat er nicht nur selbst neues Leben, sondern er führt alle, die zu ihm gehören in sein Reich. Das sagt das Bild vom Abstieg in das Reich des Todes. Da geht es um unsere Toten, unsere Familien und Freunde, die Kriegstoten in der Ukraine und letztlich auch uns selbst. Er hat den Feind ein für alle Mal besiegt. Deshalb brauchen wir keine Angst mehr zu haben. Er ist der gute Hirt, der uns liebt. Er liebt uns zu Gott. Er ist der Bruder aller Menschen. Er führt uns zu Gott, der zu uns sagt: Du bist mein geliebtes Kind, mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter. 
 2. Wie Orpheus, so hat auch Jesus Christus ein Instrument in seiner Hand, auf dem er spielt und an dem er Freude hat. Er liebt die Menschen, ohne daran zu zweifeln, dass sie ihm folgen. Clemens sagt, diese Lyra ist die Kirche. Wenn sie sich von ihm in Dienst nehmen lässt, wenn sie zu einem Instrument in seiner Hand wird, dann kann Jesus Christus die Menschen aus der Unterwelt und dem Tod führen. 
3. Und schließlich, so möchte ich ergänzen: Dieses Instrument besteht aus vielen verschiedenen Saiten, die in Schwingungen geraten. Jede einzelne und alle zusammen. Wenn wir selbst einschwingen in die göttliche Musik, die uns umgibt und die in uns ist, wenn wir mit den "good vibrations" leben, in die Christus uns versetzt, dann werden wir selbst als liebende Menschen leben und so dabei mithelfen, andere aus dem Tod zu retten. Ein Liebesgedicht von Rainer Maria Rilke endet mit diesem Vergleich: „Auf welches Instrument sind wir gespannt? Und welcher Geiger hat uns in der Hand?“ 
Um als Saite zu schwingen, braucht es die rechte Spannung (nicht zu viel und nicht zu wenig), um das Leben nach der Melodie und Tonart Jesu auszurichten. Das Leben soll stimmig werden, in der Gemeinschaft der Glaubenden; eine vielstimmige Melodie, miteinander verbunden zu einer Einheit. Das wünsche ich Ihnen, die heute getauft werden, und uns allen. Amen.