Dienstag, 28. November 2023

Du kannst einmalig sein! Du sollst ein Segen sein für andere!

 


Vergangene Woche war ich mit einer Gruppe von Priestern in der Otto-Dix-Ausstellung in den Deichtorhallen. Beeindruckende Kunst des 20. Jahrhunderts, in vielem fremd und verstörend. Dix zeigt nicht die Schönheit des Lebens, sondern seine Abgründe. Wir wurden gemeinsam durch die Ausstellung geführt, von einem Künstler aus Altona, der bislang offenbar wenig Kontakt mit „Kirchenleuten“ hatte. Er war manchmal unsicher, was er uns zumuten könnte. Bei einem Bild jedoch war er sicher, dass wir es mit uns anschauen wollte, denn es war für ihn selbst bedeutsam. Das Bild hat den Titel „Vanitas“. Es sind zwei nackte Frauen zu sehen sind: eine fröhliche, hübsche, naive junge Frau und eine hässliche, gebeugte, abgemagerte, alte Frau. Die Jugend und der Tod, nebeneinander. Vgl. https://de.wahooart.com/@@/8XYNLX-Otto-Dix-Vanitas-(Jugend-und-Alter)

In seiner Erläuterung wies er darauf hin, dass es im Leben eines jeden Menschen einen Moment gäbe, der unausweichlich sei; bei dem man nicht wählen könne, ob es jetzt gerade passe; bei dem es keine zweite Chance gäbe; wo niemand sich entschuldigen oder dispensieren könne, nämlich der Tod. Der Tod steht als eine unausweichliche Lebensrealität und Wahrheit vor uns. Und alle Jugend sei nur deshalb so anziehend und verführerisch, weil sie vergänglich ist angesichts des Todes.

Ja, das stimmt, wir Menschen gehen auf den Tod zu, und niemand kann ihm ausweichen. Sicherlich ist der Tod eines jeden Menschen unwiderruflich. Im bestimmten Religionen glauben die Menschen zwar, dass sie in irgendeiner Form wieder geboren werden, sei es als Mensch oder in einer anderen Lebensform. Trotzdem kennen auch diese Menschen das Gefühl von Vergänglichkeit. Und wir als Christen glauben: Wir leben nur einmal. „Du hast nur ein Leben!“

Wenn ich allerdings die zeitliche Dimension unseres Lebens wirklich ernst nehme, dann ist doch eigentlich jeder Moment unwiderruflich und unwiederbringlich, oder nicht? Sicherlich kann ich manches im Leben mehrfach tun: ich kann ein schönes Konzert ein zweites Mal hören, ich kann ein gutes Buch ein zweites Mal lesen, ich kann einen guten Freund ein zweites Mal besuchen. Aber was ich im Lebe tue oder sage oder nicht tue und nicht sage - rückgängig kann ich es nicht machen.

Das Evangelium am heutigen, letzten Sonntag im Kirchenjahr stellt uns das Ende der Welt und das Weltgericht vor Augen. Es macht deutlich: Das irdische Leben in einer christlichen Perspek­tive ist einmalig und zugleich vergänglich.

Dies wird im Bild vom König ausgeführt, der auf dem Thron der Herrlichkeit sitzt. Dieser König, so heißt es, wird handeln wie ein Hirt, der Schafe und Ziegen scheidet. Das Kriterium der Entscheidung des Königs wird nachträglich genannt, als Begründung für das, was die beiden Gruppen empfangen oder nicht empfangen: das ewige Leben. Die Strafe, von der dort die Rede ist, oder auch das Feuer, ist meiner Meinung ein Bild für den Mangel an ewigem Leben bzw. das Fehlen des ewigen Lebens. Es bedeutet, das ewige Leben nicht zu empfangen.

Die Gerechtigkeit, von der in der Bibel die Rede ist, ist also nicht ein abstrakter Begriff oder eine allgemeinen Norm, sondern es ist ein Handeln, das Beziehung stiftet und dem entspricht, was Gott für alle Menschen möchte: Leben, Leben in Fülle, ewiges Leben.

Mit dem Bild des gerechten Königs (und ich betone: es ist ein Bild!) wird uns hier und heute eine Orientierung gegeben. Denn es ist klar, wer dieser König ist, der am Ende richtet: Es ist der Menschensohn, d.h. Jesus Christus selbst.

Jesus Christus allerdings begegnet uns nicht erst im Tod. Wir haben schon seit einiger Zeit von ihm über Gott gehört. „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.“ (Joh 1,18) Und er ruft uns schon heute zur Umkehr und zu einer neuen Lebensweise, und zwar vermittelt durch die Menschen, mit denen er sich solidarisiert: die Hungernden, die Obdachlosen, die Kranken, die Gefangenen, die Geflüchteten, die Geringsten.

Damit aber, so meine ich, relativiert der Glaube den Tod, weil deutlich wird, dass der Tod in einem größeren Zusammenhang steht, dass es immer um das eigene Leben geht, in dem eigentlich jeder Moment zählt, in dem ich getan oder nicht getan habe, worauf es ankommt. Christlich gilt sicherlich: „Du hast nur ein Leben!“ Aber zugleich heißt es: „Du kannst hören, wer du sein kannst!“ „Du kannst einmalig sein!“ „Du sollst ein Segen sein für andere!“

Wie wäre es, jeden Tag zu leben, als wäre es der letzte? Steve Jobs sagte einmal: „Lebt man jeden Tag, als wäre es der letzte, dann liegt man eines Tages damit richtig.“ Vgl. Steve Jobs bei seiner Rede in Stanford: https://www.ohwr.de/uploads/media/Steve_Jobs_Rede_Stanford_2005.pdf

Vielleicht halten es manche für morbide, wenn ich die Texte des Evangeliums als eine Vergegen­wärtigung des Todes deute. Doch ich sehe darin eine hilfreiche Übung, bei der wir die Angst vor dem Tod verlieren können, weil wir den Moment des Lebens wertschätzen lernen - und die Gegenwart Gottes darin in Jesus Christus.

In der Ignatianischen Spiritualität hört man oft, man solle „Gott suchen und finden in allen Dingen.“ Das ist gut und richtig. Aber wie zeigt sich Gott uns denn? Zeigt er sich uns in einer Blume oder in einem schönen Sonnenaufgang? Mag sein! In jedem Fall aber zeigt er sich uns in seinem Sohn, der sein Leben aus Liebe für andere hin gibt und uns auffordert, es an unserer Stelle genauso zu tun.

Ignatius selbst begegnete Gott nicht anders als durch Jesus Christus. Er betet zu Christus wie zu einem Freund. Bei seiner Vision in La Storta (vor Rom) hört er die Worte von Jesus Christus am Kreuz, der zu ihm sagt: „Ich will, dass du uns dienst!“ Dieses „uns“ ist Gott, der Dreieine, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Dieses „uns“ ist auf den Dienst an den Menschen verwiesen: „uns dienen“, indem du den Menschen dienst.

Das Fest Christkönig am Ende des Kirchenjahres ist im Grunde für uns da, um uns im Angesicht des Gekreuzigten an unseren eigenen Tod zu erinnern - und an die Einmaligkeit und Schönheit unseres Lebens. Und um uns in diesen Dialog mit Christus am Kreuz zu führen, in dem er selbst uns fragen lässt, „wiederum, in dem ich mich selbst anschaue: das, was ich für Christus getan habe; das, was ich für Christus tue; das, was ich für Christus tun soll.“ (EB 53)

Dienstag, 14. November 2023

Öl für die Lampen

Magdeburger Dom, kluge junge Frauen

 Predigt 32 So A | Hamburg

Les: Weish 6,12-16; 1Thess 4,13-18; Mt 25,1-13

Vor einigen Tagen berichtete Dana Rosa, eine junge Frau aus Berlin, auf TikTok von ihrer Arbeitssuche. Sie hat Tränen in den Augen, ihre Stimme zittert, sie ist fassungslos und schluchzt. Sie klagt über ihr Leben: Man habe ihr immer gesagt, sie müsse studieren, dann finde sie einen besser bezahlten Job. Doch jetzt erwartet man von ihr eine 40 Stunden-Woche. Ich zitiere aus dem Video:

„Da sind Leute, die wollen dir 36.000 Euro brutto im Jahr geben – als Vollzeitangestellte, aber du kriegst auch 30 Tage im Jahr Urlaub“, berichtet sie sichtbar schockiert. „Das Schlimmste ist, die 30 Tage sind ja noch viel – im Jahr! Wir reden hier von einem ganzen Jahr! Ich weiß jetzt wirklich nicht, wie man überleben soll. Das bedeutet keine Freizeit, man sieht sich nicht mal, weil man nur arbeiten geht. Und am Wochenende wartet auf mich dann ein Haushalt und ein Einkauf, auf mich warten dann irgendwelche Freunde, die mich auch mal wiedersehen wollen, für die ich eigentlich gar keine Energie mehr hab, weil ich die ganze Zeit nur arbeiten bin. Und dann fängt alles wieder von vorne an.“

Ein einzelnes dummes Mädchen der „Generation Z“, das nie zu arbeiten gelernt hat und einen Nerven¬zusammenbruch erleidet, weil es Angst hat, dass es mit der Arbeitsbelastung nicht fertig wird? Oder ist diese Angst und dieses Gefühl von Überlastung nicht viel weiter verbreitet, als wir meinen? Die Diskussionen um eine die „work-life-balance“ zeigen, dass es nicht einfach ist seinen Platz zu finden. Denn gehört die Arbeit etwa nicht zum Leben?

Jeder wird aus der eigenen Familie oder aus dem Freundeskreis Menschen kennen, die an Arbeits-Überlastung leiden. Einige haben einen burn-out, d.h. sie haben keine Kraft mehr zum Leben. Das ist eine Krankheit, schlimm, für die Menschen selbst und für die Angehörigen, die oft hilflos dabei stehen und selbst mit gutem Willen ihnen nichts von ihrer Kraft und ihrem Lebensmut abgeben können.

Ein Mitbruder aus Göttingen, den ich sehr schätze, ein begnadeter Seelsorger und Pfarrer, engagiert und solidarisch, kreativ und geistlich, ist seit dem Sommer in Therapie. Er hat zu viel gearbeitet. Er sagte am Telefon: Es fühlt sich an, wie wenn ein Loch im Segel ist. Es geht gar nichts mehr.

An diese Menschen habe ich gedacht, als ich das heutige Evangelium las von den jungen Frauen, die kein Öl mehr haben. Sie möchten – wie die anderen auch - zur Hochzeit gehen, zur der sie eingeladen sind, aber im entscheidenden Moment fehlt der Sprit. Und der lässt sich offensichtlich auch nicht einfach besorgen oder teilen. 

Sie haben kein Öl mehr. Im Evangelium werden sie als dumme junge Frauen bezeichnet. Sie haben nicht vorgesorgt wie die anderen, die klugen jungen Frauen. In welcher Weise sind sie klug? In welchem Sinn haben sie vorgesorgt? 

Das „Öl“ für die Lampen steht im Gleichnis für die Ressourcen des Glaubens. Die einen haben auf sie geachtet, die anderen nicht. Diese Ressourcen helfen, um in das Reich Gottes einzutreten und darin zu leben. Auf die Bedeutung dieser Ressourcen habe ich schon im Rahmen der Predigtreihe vor einem Monat hingewiesen. Hier werden einige dieser Ressourcen konkret benannt. Welche sind es?

1/ Die klugen jungen Frauen leben in der Freude auf das, was kommt. Der Glaube ist wie die Vorfreude auf eine Hochzeit. Oder wie der kleine Löffel bei einem guten Essen, den manche den Propheten nennen, weil er vom Nachtisch kündet: Das Beste kommt noch! Diese Freude zeigt sich z.B. in der Hoffnung auf Frieden für alle. Wenn ich es angesichts der angespannten Weltlage und der immer neuen Katastrophenmeldungen in den Nachrichten mit der Angst zu tun bekomme, dann kann es sein, dass ich diese Hoffnung verliere und ich es Gott nicht mehr zutraue, dass er die Welt zu einem guten Ende führt. Dann geht mir das Öl aus. (zeitliche Dimension)

2/ Die klugen junge Frauen leben in der Achtsamkeit sowohl in der Beziehung zu Gott wie zu anderen Menschen, weil sie die Gegenwart nicht aus dem Blick verlieren. Ihr Warten ist nicht einfach ein Absitzen der Zeit. Nicht wie ein Mensch, der einfach alles auf morgen verschiebt und nichts mehr tut. Es ist andererseits auch nicht so, dass sie krampfhaft wach bleiben und fromme Höchstleistungen vollbringen. Das Gleichnis erzählt: Alle zehn schlafen ein, als die Zeit lang wird. Christlicher Glaube ist nicht angestrengte Verbissenheit, sondern Gelassenheit: ein waches Gespür dafür, wann ich bereit sein muss: Wenn es gilt ein Geschenk der Liebe anzunehmen oder die Chance zu sehen, ganz für einen anderen Menschen da zu sein. (mitmenschliche Dimension)

3/ Die klugen jungen Frauen leben schließlich in der Bereitschaft, ein kleines bisschen mehr zu tragen, als es auf den ersten Blick nötig erscheint, nämlich auch noch die Krüge mit dem Öl mitzunehmen. Das war nicht angenehm für sie. Doch sie sind sich bewusst, dass nicht alles im Leben eine reine Freude ist, dass es auch Durststrecken und Kreuzwege gibt und dass das Leben trotzdem einen Sinn hat. (mitleidendene Dimension)

Das bedeutet keinesfalls, dass man alles ertragen soll. Opfer braucht es keine mehr, seit der Herr sich für uns hingegeben hat. Wir sollen nicht alles tragen, sondern müssen etwas zurücklassen, müssen uns abzugrenzen. Aber die Liebe hat auch etwas mit Leidenschaft zu tun hat, weil wir den Glauben in zerbrechlichen Gefäßen tragen, weil wir Menschen sind und die Sünde in dieser Welt noch ihre Macht hat.

Seit Monaten werden wir mit Tod und Leid konfrontiert – vor allem durch Bilder aus Israel und der Ukraine. Die Menschen, die Zuflucht suchen, können nicht alle aufgenommen werden. Kann ich in dieser Situation etwas mehr tragen als es mir gerade bequem erscheint? Einen kleinen Krug Öl mehr?

Ich habe keine Lösung für Dana Rosa anzubieten und ich will ihr keinen Ratschlag geben, was sie tun soll. Vielleicht ist ein Vollzeitjob im Büro einfach nicht das richtige für sie. Vielleicht gibt es etwas, wo sie glücklich wird, wo sie eine Tätigkeit findet und erfüllt und gut leben kann. Ich würde die Angst nicht einfach übergehen. 

Und auch bei einem Burn-out kann ich Ihnen hier keine einfache Lösung bieten. Das entscheidende Kriterium für ein erfülltes und gutes Leben ist es aber, so bin ich überzeugt, dass ich einen Sinn finde, dass ich eine Orientierung finde, dass ich eine Ahnung davon bekomme, wofür sich das alles lohnt.

Glaube, Liebe, Hoffnung – diese drei Tugenden, Grundhaltungen, die wir entdecken und in die wir uns einüben können, sind Ressourcen des Glaubens, das Öl in unseren Lampen auf dem Weg zur Hochzeit. Ich hoffe, wir sehen uns - beim Fest! Und bis dahin: Im Gebet verbunden!