Montag, 21. Dezember 2020

Wo wohnt Gott?




Predigt Vierter Adventssonntag B

 - Wo wohnt Gott? (Lk 1,26-38)

Vor Weihnachten beten wir darum, dass Gott in diese Welt kommen möge. Doch, wenn er kommt: Wo wird er bleiben? Manche sagen, Gott befinde sich an bestimmten Orten, an denen man ihm begegnen und zu ihm beten kann. Andere sagen, Gott sei überall und nirgends, d.h. an dem einen Ort ebenso gegenwärtig wie an jedem anderen. Wo wohnt Gott? Die Lesungen des heutigen Tages erzählen von der Suche nach der Gegenwart Gottes in dieser Welt.

1 König David wohnt in einem Haus aus Zedernholz. Die Lade Gottes wohnt in einem Zelt. Die Bundeslade ist der Holzkasten, in dem früher einmal die Steintafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt wurden. Sie erinnert an den Bund Gottes mit seinem Volk Israel und ist eine Gegenstand der Verehrung gewesen, eine innen wie außen mit Gold überzogene Truhe aus Akazienholz, der Ort seiner Gegenwart.

David möchte für die Lade Gottes ein Haus bauen. Er hat es gut gemeint, er wollte Gott etwas Gutes tun und ihm einen Tempel bauen. Aber Gott weist den Vorschlag zurück. Warum? Zwei Gründe halte ich für möglich.

a Nicht der Mensch macht Pläne für Gott, sondern Gott macht Pläne für den Menschen und zum Heil der Menschen. Wir müssen nicht Gott etwas Gutes tun, sondern er tut uns Gutes. Gott befiehlt den Menschen, etwas zu tun; nicht umgekehrt. So wie er den jungen Hirten David erwählt hat, um dem Volk Frieden zu schenken, so wird er ihm und seine Nachkommenschaft erwählen, um das Volk auf die Ankunft des Messias vorzubereiten. „Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor.“ (Jes 11,1). Ein Wortspiel im hebräischen Text: Denn „Haus“ bedeutet im Hebräischen zugleich Tempel bzw. Palast wie auch Dynastie.

b Die Bundeslade wird der „Thronschemel“ Gottes (Ps 132,7) genannt, denn sie ist der Ort, an dem Gott in seinem Volk auf verborgene Weise „wohnt“. Er erscheint dort in seiner „Herrlichkeit“ (hebräisch kabod, griechisch doxa). Die „Herrlichkeit“ ist der Glanz der Heiligkeit Gottes, die Dynamik seines Wesens, d.h. die Art und Weise, wie Gott in seinem Volk gegenwärtig ist. Der Diebstahl der Lade wurde als Verlust der „Herrlichkeit“ gesehen (1 Sam 4,21f.).

Herrlichkeit hat ursprünglich etwas mit Gewicht zu tun, mit Wucht. Die Bedeutung, die einer Person zukommt, der ihr zuggedachte Respekt, ihre Ehre. Aber anders als bei Gold oder Diamanten, deren Wert wird in Unzen oder Karat gemessen wird, bezeichnet Herrlichkeit nicht den vergänglichen Reichtum einer Person, sondern ihre wirkliche Pracht, den Glanz und die Schönheit, den ewigen Reichtum.

Jesaja schaut die Herrlichkeit Gottes in Gestalt von verzehrendem Feuer und Heiligkeit, die jegliche Unreinheit der Kreatur, ihre Vergänglichkeit und ihre Nichtigkeit bloßlegt – aber nicht, um sie zu zerstören, sondern um sie wieder aufzurichten. „Steh auf, werde licht, denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit des HERRN geht strahlend auf über dir.“ (Jes 60,1) – so sagt der Prophet Jesaja zum Volk. Von der Herrlichkeit Gottes geht ein Licht aus, das Israel und die Völker erleuchtet.

Von der Herrlichkeit geht Frieden aus, Glück, Heiligkeit – ihre Wirkungen sind für die Menschen in unterschiedlicher Weise erfahrbar und wahrnehmbar. Die Herrlichkeit ist aber von den Menschen nicht zu begreifen oder festzulegen. Sie ist frei und unverfügbar. Deshalb ist es gut, dass es keinen Tempel gibt. Gott wohnt unter den Menschen, aber er dieser Ort ist nicht aus Stein oder Holz, es ist kein Palast, sondern ein Zelt, der er lässt sich nicht durch die Menschen festlegen, festsetzen. Seine Wohnung ist deshalb arm, weil sie eigentlich immer auch woanders sein kann; wo wir es nicht vermuten.

2 Von dieser Herrlichkeit ist auch bei Paulus die Rede. Die zweite Lesung ist der eine Schlusssatz des Briefs an die Römer, ein bisschen verschachtelt und kompliziert. Es gibt nur ein Hauptwort in diesem Satz, auf das alles zuläuft: Ehre (griechisch doxa). „Ihm, dem einen, weisen Gott, sei Ehre – durch Jesus Christus in alle Ewigkeit.“ Herrlichkeit oder Ehre gehört zu den Grundworten unseres Glaubens.

3 Und auch im Evangelium kommt es vor, wenn auch etwas versteckt. Es wird uns berichtet, dass Gott selbst sich einen Ort aussucht, um bei den Menschen zu wohnen. Lukas beschreibt die besondere Erwählung Mariens als Ort der Gegenwart Gottes, wie sie sonst nur bestimmten Propheten und Königen zukommt: „Der Herr ist mit Dir.“ (vgl. 2 Sam 5,10).

Als Maria diesen Gruß des Engels hörte, „erschrak sie über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.“ (Lk 1, 29) Das Erschrecken und Überlegen ist ein Erstaunen, eine Ehrfurcht. Maria nimmt im Glauben wahr, dass es sich bei diesem Gruß um eine besondere Zuwendung des unbegreiflichen Gottes handelt, der große Dinge tut und das Niedrige erhöht. Jemand anderes hätte den Gruß vielleicht höflich und freundlich erwidert und wäre weitergegangen: „Ei, was für ein netter Gruß. Ja, mit ihnen auch, schönen Tag noch, alles Gute, auf Wiedersehen.“ Maria aber empfindet und erfährt die Gegenwart Gottes in ihrem Leben. Durch sie soll ein Kind geboren werden, das „heilig“ und „Sohn Gottes“ genannt wird (Lk 1,35).

Und wie soll das geschehen? Der Engel sagt: „Die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“ (Lk 1,35). Die „Kraft des Höchsten“ ist eine Erscheinungsweise der Herrlichkeit Gottes. Gott wird Mensch in Maria, dem jungen Mädchen aus Nazareth in Galiläa vor 2000 Jahren, und zwar so, dass die Menschen seine Gegenwart wahrnehmen können! Und seine Herrlichkeit leuchtet über ihr auf. Gott selbst macht sich begreifbar und angreifbar in Jesus Christus. Gott wird Mensch und, wie der Evangelist Johannes sagt, „wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“ (Joh 1,14) Er hat unter uns gewohnt, so wörtlich Johannes: „gezeltet“ (Joh 1,14).

4 Wo bleibt Gott? In Jesus Christus. Das ist die einfache und klare Antwort des christlichen Bekenntnisses. Und wir fügen hinzu: Alle, die auf Jesus vertrauen und ihm nachfolgen, werden zur Wohnung Gottes: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen.“ (Joh 14, 23; vgl. 1 Kor 3,16) Gott ist uns näher als wir uns selbst! Du bist der Ort, an dem Gott wohnen möchte! So beten wir heute im Tagesgebet: „Gieße deine Gnade in unsere Herzen.“ Du bist eine Herrlichkeit Gottes. Sagen Sie sich das einmal! Ich bin …

5 Diese Wochen und Monate der Pandemie führen dazu, dass wir zu Hause bleiben müssen. Wir sollen Kontakte reduzieren und erleben Ausgangsbeschränkungen. Es wird deutlich, wie bedeutsam die eigene Wohnung ist. Ist die Wohnung groß genug? Gibt es Platz zum Schlafen, Essen, Arbeiten, Spielen, Lachen? Gibt es einen Platz zum Beten und zum Nachdenken? Gibt es Platz zum Leben?

Immer wenn es eng wird, geraten wir unter Druck. Einige Familien leben auf 60 oder 70 Quadratmetern, das kann leicht zu Spannungen führen. Bei manchen stehen viele Dinge herum, die unnötig sind. Kann ich Platz machen für Neues? Ist es ein schöner Ort, wo ich gerne bin? Ist es ein Ort, an dem die Tür für Gott öffnen kann, denn er kommt bald.

Gott, der Zeit und Raum übersteigt, offenbart sich in Raum und Zeit. Seine Weise bei uns zu sein ist seine Herrlichkeit. Das sind Momente, in denen ich spüre, dass ich lebendig bin, in denen ich Kraft und Stärke spüre, Freundschaft und Liebe, Zuwendung, Freude, Frieden. Das sind Erfahrungen, die sich nicht allein durch menschliche Pläne und Anstrengung erreichen lassen. Das sind Momente, in denen wir spüren, dass ein Licht aufleuchtet, etwas Gutes entsteht, Verstehen und Verzeihen möglich wird.

Wo wohnt Gott? Er wohnt dort, wo man ihn einlässt. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in dieser Woche vor Weihnachten in Ihrer Wohnung die Tür für Gott öffnen können. Dass es bei Ihnen zu Hause Platz für das Leben gibt. Amen.

Dienstag, 17. November 2020

Talente und Sichtweisen

 Predigt Sonntag 15.11.2020 (33 Sonntag im Jahreskreis A), Hamburg

Liebe Schwestern und Brüder,

vor zehn Tagen wurde in Amerika ein neuer Präsident gewählt. Mehrere Tage haben wir in den Nachrichten die Hochrechnungen verfolgen können, bis schließlich vor einer Woche der Wahlsieger verkündet wurde. Noch immer gibt es kein amtliches Endergebnis und das Ringen um den Wechsel im Weißen Haus geht weiter. Die Situation stellt uns persönlich vor die Entscheidung, wem wir glauben: Dem Amtsinhaber, der von Wahlbetrug spricht und behauptet, er habe die Wahl gewonnen; alles andere sei eine Kampagne der Medien gegen ihn? Oder dem Herausforderer, der dem die Staatschefs aller Länder zum Wahlsieg gratulieren und der als Präsident aller Amerikaner verspricht, die Nation zu einen? Wer ist glaubwürdig? Wem vertraue ich? Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen, man muss sich doch nur die Wahlstimmen anschauen; die Wirklichkeit ist doch – Zählung um Zählung - offensichtlich. Entscheidend sind doch die Fakten: derjenige sollte Präsident werden, der nach dem amerikanischen Wahlrecht gewonnen hat. Es kommt doch nur auf die Stimmen bzw. die Wahlmänner und -frauen an. Einfach mal hinschauen!

Die gleiche Frage stellt sich meines Erachtens auch im Blick auf das heutige Evangelium. Dort geht es um drei Diener (Knechte, Sklaven), die von ihrem Herrn, der auf Reisen ging, ein großes Vermögen anvertraut bekamen. Ein Talent entsprach damals 60 Minen, eine Mine 1000 Denaren und ein Denar war der Tagelohn eines Arbeiters. Das heißt ein Talent entsprach dem Lohn für 30 Jahre Arbeit! Wenn man das auf heute überträgt, geht es bei den acht Talenten, die verteilt werden, um etwa 4 bis 5 Millionen Euro, die an die drei Diener verteilt werden. Dabei ist klar: Das Geld wird nicht verschenkt, sondern anvertraut. Es gehört dem Herrn. Ihr bekommt es für einen bestimmte Zeit und könnt damit wirtschaften.

Nach langer Zeit kommt der Herr zurück, rechnet ab, verlangt Rechenschaft. Zwei haben gut gewirtschaftet und jeweils das Vermögen verdoppelt. Diese beiden lobt der Herr: „Sehr gut, du treuer und tüchtiger Diener.“ Er verspricht ihnen, er werde ihnen ein größeres Vermögen anvertrauen und vor allem lädt er sie ein, teilzunehmen an einem Fest: Mit ihm zu sein und teilzuhaben an seiner Freude! „Komm, nimm teil, am Freudenfest deines Herrn.“

Diese beiden würden also von ihrem Herrn sagen: Das ist ein großzügiger, unternehmungslustiger, lebendiger, wohlwollender Herr, der seinen Diener einiges zutraut, sie groß werden lässt, sie lobt, Anerkennung schenkt.

Einer hat schlecht gewirtschaftet. Er hat das Geld zwar nicht verloren, aber er hat auch nichts dazu gewonnen. Denn er ist auf Nummer sicher gegangen und hat das Geld vergraben. Das war zur damaligen Zeit eine nicht unübliche, aber eben doch wenig kreative und produktive Methode, um Geld aufzubewahren. Als er von seinem Herrn zur Rede gestellt wird, rechtfertigt er sich und sich die Schuld für seine Mutlosigkeit nicht bei sich, sondern beim Herrn. Er sagt es offen: Er hatte Angst vor Verlust und Versagen. Die Ursache dieser Angst sieht er beim Herrn selbst, den er als streng und ungerecht beschreibt. Er wird vom Herrn bestraft, indem er ihm das Vermögen abnimmt und ihn hinauswirft, in die „äußerste Finsternis“. Die Begründung für solch drastisches Verhalten? „Du bist böse und träge!“, so sagt ihm der Herr.

Dieser Diener würde als von seinem Herrn sagen – und er tut es expressis verbis in der Geschichte: Das ist ein strenger Mann, hart und unbarmherzig. Ich habe es vorher gewusst und war deshalb ärgerlich und ängstlich-träge im Umgang mit dem anvertrauten Vermögen. Dieser Herr, der Druck ausübt und Leistung fordert, der wiederkommt und abrechet, der macht mir Angst.

Zwei so unterschiedliche Sichtweisen auf den gleichen Herrn? Kann das sein? Wer ist glaubwürdig? Wem vertraue ich? Den beiden ersten Dienern oder dem dritten? Welche Kriterien gibt es, um das zu entscheiden?

In der Geschichte nimmt der Dialog mit dem dritten Diener den größten Raum ein, das Interesse der Parabel liegt eindeutig auf seiner Person. Er wird uns als eine Gestalt angeboten, mit der wir uns vielleicht sogar identifizieren können. Aber am Ende wird er bestraft und hinausgeworfen. Was für eine verstörende Geschichte!

Das Gleichnis ist widerständig und irritierend und man kann es leicht missverstehen. Zwei meines Erachtens falsche Interpretationen möchte ich nennen.

Bertold Brecht hat in seiner Dreigroschenoper dieses Gleichnis als Rechtfertigung von Ausbeutung und Profit scharf kritisiert. Mit welcher Wirtschafts-Methode haben die beiden ersten Diener einen Gewinn von 100% machen können? Wohl wahrscheinlich mit dem Handel von Waren und der Spekulation mit Land. Und die Moral des Gleichnisses scheint eine Heiligsprechung des kapitalistischen Systems zu sein: Wer hat, dem wird gegeben und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. Das soll die Verkündigung Jesu sein? Dagegen protestiert Brecht. Aber meines Erachtens trifft er damit nicht den Kern der Aussage des Evangeliums.

Zugegeben: In diesem Gleichnis protestiert Jesus nicht gegen die Ungerechtigkeit, gegen die Armut. Und er benutzt als Bildebene mit dem Geld, mit den Talenten, einen Vergleich aus der Wirtschafts-Welt von Handel und Spekulation. Aber es geht ihm, so meine ich, um etwas anderes als um Wirtschaftshandeln.

Das zweite Missverständnis ist die verbreitete Deutung im Sinne der individuellen Selbst­ver­wirklichung. Eine Aktualisierung der Parabel in einem Religionsbuch für Siebtklässler lautet: „Du bist sprachbegabt! Warum lernst du nie deine Vokabeln? Du verstehst die Fragen! Warum machst du keine Hausaufgaben? Du hast gute Gedanken! Warum arbeitest du nicht mit? ... Beweg dich! Mach was aus dir! Nutze die Möglichkeiten! Alles liegt an dir!“ (aus: Dasein. Wege ins Leben 7, Unterrichtswerk für den Evangelischen Religionsunterricht an der Hauptschule, von Werner Haußmann (u.a.), Frankfurt a. M. 2001, 26.) Diese Deutung liegt ganz im Trend: Nutze deine Zeit. Jede und jeder hat Talente und Begabungen. Nutze sie. Dem einen ist viel gegeben, dem anderen weniger; es kommt nur darauf an, was Du daraus machst.

Diese Botschaft ist keine ungewöhnliche Ermutigung, sondern unterstützt nur das von der Gesellschaft geforderte Leistungsdenken: Du kannst Leistung bringen, dann tu es auch. Es dient alles deinem eigenen Erfolg und Fortschritt. Wenn ich das Gleichnis so verstehe, dann ist die Bestrafung des dritten Dieners für Menschen mit Angst vor Verlust und Versagen nur eine weitere Bedrohung. Auch diese Interpretation, meine ich, trifft die Aussageabsicht Jesu nicht.

Worum geht es denn dann? Ich komme nochmals zur Ausgangsfrage zurück: Wer ist glaubwürdig in dieser Geschichte? Wem vertraue ich? Es stehen sich wie gesagt, zwei Sichtweisen auf den Herrn gegenüber: Ein großzügiger, wohlwollender, Gemeinschaft stiftender Herr und ein strenger, harter, unbarmherziger Herr. Welche Sichtweise ist richtig?

Genau wie bei der Wahl in Amerika lädt Jesus uns ein: Einfach mal hinschauen, was wirklich ist. Entscheidend sind doch die Fakten. Wach werden und die Realität wahrnehmen. Der dritte Diener, um den es hier geht, hat doch ein riesiges Vermögen anvertraut bekommen. Und er zweimal sehen können, wie der Herr gegenüber den anderen Dienern reagiert: Großzügig, wohlwollend, gütig, nicht vorwurfsvoll, kleinlich. Was er schenkt ist: Teilhaben an der Freude.

Und dann kommt er an die Reihe und behauptet einfach das Gegenteil. Schon merkwürdig, oder? Ja, zugegeben, er hat Angst. Aber warum denn? Weil er in seiner Sichtweise gefangen ist. Er ist nicht fähig oder bereit auf die Wirklichkeit zu schauen. In dem Maß jedoch, indem er sich der Wirklichkeit verschließt und in Selbstrechtfertigung verfällt, glaubt er mehr seiner eigenen Angst als dem Verhalten des Herrn.

Das Gleichnis spaltet! Es konfrontiert uns mit unserer Sichtweise auf Gott und auf das Leben. „Wir kommen, wohin wir schauen.“ (Heinrich Spaemann)

Wenn ich auf die offensichtliche Großzügigkeit und Güte Gottes schaue, erscheint mir die Welt, mein Leben, meine Begabungen, unsere Freundschaften als ein riesiger Schatz, der mir anvertraut ist und mit dem ich kreativ und produktiv umgehen kann.

Wenn ich aber Angst habe vor Gott, einen strafenden Gott vor Augen habe, gegenüber dem ich Leistung bringen muss, dann werde ich mit dieser Angst fast jedes Verhalten rechtfertigen können. Dann werde ich mich immer tiefer in mir selbst eingraben. Dann wird alles Gute, was ich tagtäglich von geschenkt bekomme, was ich erlebe, nur von dieser Angst davon geprägt sein. Dann werde ich nur auf die Mängel und die Ungerechtigkeit schauen und niemals den vermeintlichen Ansprüchen gerecht werden. Letztendlich wird mir alles aus den Händen genommen. Es bleibt nur die Angst und ich verfalle in Bosheit und Trägheit.

Das Gleichnis ist keine Einladung zum „Positiv Thinking“: Du musst nur positiv denken, dann wird alles gut. Es ist mehr eine Mahnung zum Blick auf die ganze Wirklichkeit, auf Gottes im Kern gute Schöpfung, auf die Menschen, das Leben, das uns vertraut ist. Es ist eine Einladung, die Augen auf zu machen, die Wirklichkeit wahr zu nehmen und die Angst loszulassen kann – mich auf Gott hin los zu lassen. Dass diese Sichtweise folgen hat für mein Verhalten, das brauche ich nicht zu erwähnen, oder?

„Das ist die Wahrheit unseres Lebens: Dass wir immer viel mehr geschenkt bekommen als wir geben.“ (Teresa Forcades)

 

Montag, 5. Oktober 2020

Hauskirche - eine Kirche ohne Institution?


Als Gelegenheit zur Umkehr beschreibt Papst Franziskus in einem Interview am 8.4.2020 mit Austen Ivereigh die globale Virus-Krise. Jetzt sei die Zeit, von der Heuchelei zum Handeln überzugehen und einen grundlegenden Wandel in Politik, Wirtschaft und persönlichem Handeln einzuleiten. Das Interview wurde auf Spanisch aufgenommen und in der britischen Zeitung „The Tablet“ und im US-amerikanischen Magazin „The Commonweal“ veröffentlicht.

In einer der Fragen geht es um die Auswirkungen der Krise auf die Kirche und darauf, wie sehr es notwendig sei, unsere Art und Weise des Handelns zu überdenken.

Austen Ivereigh: Sehen Sie aus all dem eine Kirche entstehen, die missionarischer, kreativer und weniger an Institutionen gebunden ist? Sehen wir eine neue Art von "Hauskirche"?

Papst Franziskus: Weniger an Institutionen gebunden? Ich würde sagen, weniger an bestimmte Denkweisen gebunden. Denn die Kirche ist Institution. Die Versuchung besteht darin, von einer deinstitutionalisierten Kirche zu träumen, einer gnostischen Kirche ohne Institutionen - oder einer Kirche, die festen Institutionen unterworfen ist, was eine pelagianische Kirche wäre. Derjenige, der die Kirche schafft, ist der Heilige Geist, der weder gnostisch noch pelagianisch ist. Es ist der Heilige Geist, der die Kirche in einer alternativen, ergänzenden Weise institutionalisiert, weil der Heilige Geist durch die Charismen Unordnung provoziert, aber dann aus dieser Unordnung heraus Harmonie schafft.

Eine Kirche, die frei ist, ist keine anarchische Kirche, denn Freiheit ist ein Geschenk Gottes. Eine institutionelle Kirche bedeutet eine durch den Heiligen Geist institutionalisierte Kirche.

Eine Spannung zwischen Unordnung und Harmonie: Das ist die Kirche, die aus der Krise herauskommen muss. Wir müssen lernen, in einer Kirche zu leben, die in der vom Heiligen Geist hervorgerufenen Spannung zwischen Harmonie und Unordnung existiert. Wenn Sie mich fragen, welches Buch der Theologie Ihnen am besten helfen kann, dies zu verstehen, dann wäre es die Apostelgeschichte. Dort werden Sie sehen, wie der Heilige Geist das entinstitutionalisiert, was nicht mehr von Nutzen ist, und die Zukunft der Kirche institutionalisiert. Das ist die Kirche, die aus der Krise herauskommen muss.

Vor etwa einer Woche rief mich ein italienischer Bischof an, der etwas nervös war. Er war in den Krankenhäusern herumgegangen und wollte denjenigen, die sich auf den Stationen des Krankenhauses befanden, vom Flur her die Absolution erteilen. Aber er hatte mit den Kirchenrechtlern gesprochen, die ihm gesagt hatten, dass er das nicht könne und dass die Absolution nur in direktem Kontakt erteilt werden könne. "Was denken Sie?", hatte er mich gefragt. Ich sagte ihm: "Bischof, erfüllen Sie Ihre priesterliche Pflicht." Und der Bischof sagte: "Grazie, ho capito" ("Danke, ich verstehe"). Später erfuhr ich, dass er überall im Krankenahaus die Absolution erteilt hatte.

Das ist die Freiheit des Geistes inmitten einer Krise, nicht eine in Institutionen verschlossene Kirche. Das bedeutet nicht, dass das kanonische Recht nicht wichtig ist: Es ist wichtig, es hilft, und bitte lassen Sie uns davon Gebrauch machen, es ist zu unserem Wohl. Aber der letzte Kanon besagt, dass das gesamte Kirchenrecht für die Rettung der Seelen bestimmt ist, und das ist es, was uns die Tür öffnet, um in schwierigen Zeiten hinauszugehen und den Trost Gottes zu bringen.

Sie fragen mich nach einer "Hauskirche". Wir müssen auf unsere Ausgangsbeschränkungen mit all unserer Kreativität antworten. Wir können entweder deprimiert und entfremdet werden - durch Medien, die uns aus unserer Realität herausholen können - oder wir können kreativ werden. Zu Hause brauchen wir eine apostolische Kreativität, eine Kreativität, die von so vielen nutzlosen Dingen befreit ist, aber mit der Sehnsucht, unseren Glauben in der Gemeinschaft als Volk Gottes zum Ausdruck zu bringen. Also: im Lockdown zu sein, aber mit der Sehnsucht, mit dieser Erinnerung, die Sehnsucht und Hoffnung weckt - das ist es, was uns helfen wird, unseren Ausgangsbeschränkungen zu entkommen.

https://www.commonwealmagazine.org/print/41148 - Übersetzung: Christian Modemann SJ

 

Mittwoch, 19. August 2020

Where do you come from?

Sermon - 20th Sunday A - "Ask for something" 16.8.2020

It is not easy to ask others for something or to ask for something. I do not mean questions that are part of normal communication ("How are you?" or "How was your vacation?") or requests that do not cost anything ("Please tell me what time it is."). I mean questions like these, where we ask out of a real need. The other person is free to react. These questions are difficult because I have to acknowledge my own limitations. I cannot do everything alone I am dependent on the other.

For example, when an older person asks "Would you please help me with the shopping?" or when a younger person asks, "Would you please help me to find a job?” To a friend “Would you go on holiday with me?" "Would you take care of my pet?" - Everyone has experienced situations in life where he or she has had to ask others for something without knowing what the answer will be. The other person can say yes or no. I can experience rejection or acceptance, I can be humiliated by a condescending answer or I can be accepted and even receive more than what I asked for. Such questions require humility. I must admit that I do not have the power to decide. Therefore, in such situations I make myself vulnerable.

The formation in the Jesuit Order includes a period of pilgrimage, a month on foot and without money. I can still remember my own pilgrimage; I went to Taizé from Germany with a younger Jesuit brother. On the way, we had to ask for food and a place to sleep, we had to beg. It was a great effort, especially at the beginning; I was not used to that. We often experienced rejection: "We give nothing!" Sometimes we found people who gave us generously. Certainly, we knew that we could survive it; that we could call home in case of emergency. Nevertheless, it was a very impressive experience to have nothing and be in need.

Now I live with other Jesuits at the Kleiner Michel. Together we have an account and the vow of poverty, which means that I have to ask my superior beforehand if I have larger expenses, for example, if I want to buy clothes or a new electronic device. I still find this difficult even after years in the Society; although I know, it is good.

Can you understand why? It is a question of freedom! My freedom and the freedom of others! When I ask someone else for something, the freedom and responsibility given to people from God becomes visible.

This is exactly what happens here in the story: the woman asks Jesus to help her. She cries out after Jesus, she presses him, because she has a great need and worry: her daughter is tormented by a demon. Above all - and the disciples apparently do not see this at first - she opens herself to Jesus and speaks to him about his freedom. She calls Jesus "Lord, Son of David" - it is a short confession of faith. The woman has heard about Jesus, she trusts him; she hands over her power to him and hopes for healing from him.

At first, Jesus reacts very sharply to the woman's request. It seems to us like an insult, perhaps even racism, when he compares the Canaanite woman to a domestic dog and the people of Israel to the children of the house. Why this violent reaction of Jesus? I will go into this in a moment.

Please note the change in the history: In the end, Jesus recognizes the woman's faith, grants her the request, and gives her healing "Let it be done for you as you wish.”

When we hear the gospel, we can identify with this woman. She can be an example for us and help us on our path of faith for two reasons:

a. In our attitude towards Jesus in prayer.

She is persistent and clear, she has courage. And she is open, full of trust in Jesus; even if she does not know much about Jesus yet - she calls him Lord, Messiah. She does not rely on power and claim ("I have a right to it", "that is due to me"). She knows that she can bring nothing to Jesus but her faith and trust. She asks him and she is not afraid.

b. In our attitude towards our own faith - What does it mean to “have” faith?

The woman came from the Phoenicians, who called themselves Canaanites. They lived in the same area as the people of Israel, on the eastern shore of the Mediterranean Sea, but they did not belong to the people of the Jews. They believed in other gods, they did not know the scriptures and the law. The Phoenicians were merchants and sailors, the cities of Tyre and Sidon were rich and proud seaports. However, they did not belong to Israel, to the chosen people of God, whom he had freed from slavery and whom he loved especially, although they were unfaithful from time to time.

Jesus himself lived as a Jew, he was brought up as a Jew, he kept the Jewish law and read the Holy Scriptures, and he lived for the Jewish people and proclaimed to the Jews the message of the near Kingdom of God. He understood his mission himself in such a way that he was "sent to the lost sheep of Israel" - that is historically correct, what Matthew writes there.

Yet there was a great change through the resurrection of Christ. Not only those Christians who had previously been Jews came to believe in Jesus Christ, but also the so-called Gentiles; that means people who did not follow all the Jewish rules. May these people also belong to the Christian community, even if they obviously do not belong to the chosen people? The church where Matthew lived discussed those questions because it is precisely with them that the message of Jesus, the Christ, has found faith. Therefore, I think it is just as much the intention in Matthew that the Gentile listeners should be able to identify with the Canaanite woman. They belong to the chosen people, although in a different way.

This is what we heard in the reading from Isaiah: the foreigners from the different peoples who join themselves to the Lord will worship the Lord together with the chosen people: "My house shall be called a house of prayer for all peoples”. This vision of Isaiah is already becoming a reality among Christians!

Also with Paul: "God has imprisoned all in disobedience so that he may be merciful to all." This means that the Gentiles will take part in God's promise to his people. God has made a new covenant through Christ. The Gentiles are included through Christ in the covenant of God with his people, while the old covenant has never been revoked (John Paul II, 1980): "The gifts and the calling of God are irrevocable.” Through the new covenant, the Gentiles also belong to it - like adopted children, so to speak.

Paul has an even more beautiful image: that of the noble olive tree, in which some branches are broken out to graft the branches of a wild olive tree onto it. He writes in the same letter to the church in Rome "You do not support the root, but the root supports you.”

All of us who are here today do not belong to the Jewish people and do not observe the rules of faith of the Jewish law. We are all, biblically spoken, Gentiles - no matter whether we come from (England, the US, India, the Philippines, Uganda or Tanzania, from Ireland or Germany)

The gospel invites us to adopt this attitude in faith, no matter where we come from: We all came to be a part of. Faith is given to us. It is not a claim, not a power that we have, no heritage, but grace and encounter in freedom.

Thus, what seemed to be violent, racist reaction of Jesus, becomes an argument or a fundament against racism: we are all foreigners and taken up in communion with the people of God - through Christ and his life, death and resurrection.

In communion of faith no one has all the truth, no owners, no power, but we all live entirely from trust in God, Jesus Christ is the truth and wants to meet us in this celebration. He is at the centre. Him we ask and praise. Amen.

Ignatiusfest 2020

 

Ignatiusfest 31.7.2020 in Hamburg, Kleiner Michel 19 Uhr – Predigt
Thema: Welchen Sinn hat es, sich an den Tod eines Menschen zu erinnern?

Liebe Schwestern und Brüder,

in einer Jesuitenkommunität gibt es manchmal interessante, ungewöhnliche Gespräche. Vor einigen Wochen sprachen wir beim Mittagessen darüber, wie Ignatius 1556 in Rom eigentlich gestorben sei. Ob er bei seinem Tod alleine war und ob er die Sterbesakrament bzw. den päpstlichen Segen, um den er gebeten hatte, am Ende erhalten hat oder nicht. Wir waren in diesem letzten Punkt unterschied­licher Meinung – mein Oberer und ich. Und so nahmen wir anschließend, beim Kaffee, eines der dicken Bücher aus dem Regal und schauten nach.

Ignatius von Loyola lebte seit der offiziellen Anerkennung der Gesellschaft Jesu im Jahr 1540 als ihr allgemeiner Oberer (Generaloberer) in Rom. Im Jahr 1550 verschlechterte sich sein Gesundheits­zustand, so dass er um Ablösung bat, er blieb jedoch weiterhin im Amt. 1556 ging es ihm abermals sehr schlecht. Man vermutet heute, dass er unter Gallenkoliken litt, die jedoch nicht richtig behandelt wurden. Auch ein Aufenthalt im Landhaus in den Bergen vor Rom Anfang Juli 1556 brachte keine Besserung, so dass man ihn am 27. Juli wieder nach Rom brachte, in das Haus der Gesellschaft Jesu neben der Kirche „Il Gesu“. Er wurde von zwei Ärzten betreut, die davon ausgingen, dass er zumindest diesen Sommer noch überleben werde. Er war 64 Jahre alt.

Am Morgen des 30. Juli bat er seinen Sekretär Polanco um die Sterbesakramente und um einen päpstlichen Segen für sich und Lainez, der ebenfalls krank war. Das ist umso bemerkenswerter, da er wusste, dass der damalige Papst Paul VI. ihm nicht wohl gesonnen war. Polanco hatte an dem Tag noch viel zu tun, einige Briefe nach Spanien mussten fertig gestellt werden, und so fragte er Ignatius, ob er auch am nächsten Tage gehen könne, um den Segen zu erbitten. Ignatius war einverstanden und nach einer Beratung mit den Ärzten entschied man so.

In der Nacht auf den 31. Juli verschlechterte sich jedoch der Gesundheitszustand des Ignatius, so dass Polanco noch im Morgengrauen zum Vatikan lief, um den Segen des Papstes zu erbitten. Als er dann zurückkam, war Ignatius schon gestorben. Es gab also den päpstlichen Segen, jedoch kam er zu spät an – insofern hatten wir beide Recht, mein Mitbruder und ich.

Polanco schrieb über den Tod des Ignatius: „Er verließ diese Welt in der gewöhnlichsten Weise.“ Ignatius war bei seinem Tod nicht allein, zwei Mitbrüder waren bei ihm und haben mit ihm gebetet; aber er starb ohne letzte Ölung und ohne den päpstlichen Segen erhalten zu haben.

Soweit die Geschichte. Doch: Welchen Sinn hat es, sich an den Tod eines Menschen zu erinnern? Warum feiern wir heute den Todestag des Ignatius? Hilft uns das Nachdenken über den Tod in irgendeiner Weise für unser Leben? Der Tod als das Ende des Lebens – kann er uns ein „Bruder“ werden, wie es der hl. Franziskus einmal ausgedrückt hat? „Bruder Tod“?

Es gibt meines Erachtens zwei wesentliche Gründe, warum wir uns an den Tod eines Menschen erinnern. Erstens für unser eigenes Leben und zweitens für die Beziehung mit anderen Menschen und mit Gott.

1. Das Nachdenken über den Tod hilft uns für unser eigenes Leben

Steve Jobs, der Erfinder und Gründer einer bekannten Computermarke, erzählte einmal vor Studenten, dass er als Jugendlicher ein Zitat gelesen habe, das ihn Zeit seines Lebens beeindruckte: „Wenn Du jeden Tag so lebst, als wäre es dein letzter, wird es höchstwahrscheinlich irgendwann richtig sein.“ Er sagte, er habe seither sein Handeln von der Frage leiten lassen, ob er das, was er sich vorgenommen habe, auch tun würde, selbst wenn es sein letzter Tag wäre: „Mich zu erinnern, dass ich bald tot sein werde, war für mich das wichtigste Werkzeug, das mir geholfen hat, all diese großen Entscheidungen im Leben zu treffen. Denn fast alles – alle äußeren Erwartungen, der ganze Stolz, die ganze Angst vor dem Versagen und der Scham – diese Dinge fallen einfach weg angesichts des Todes und lassen nur übrig, was wirklich wichtig ist. Sich zu erinnern, dass man sterben wird, ist der beste Weg, den ich kenne, um der Falle zu entgehen und zu glauben, man hätte etwas zu verlieren. Du bist vollkommen nackt. Es gibt keinen Grund, um nicht seinem Herzen zu folgen.“

Steve Jobs beschreibt eine ganz ähnliche Einsicht, wie sie offenbar auch der hl. Ignatius in den Geistlichen Übungen vermitteln wollte: Der Hinweis findet sich im Exerzitienbuch im Kontext der Wahlüberlegungen, d.h. jener Übungen, die geeignet sind, einem Menschen zu helfen, in seinem Leben eine gute und gesunde Entscheidung zu treffen bzw. seine Lebensform zu wählen. Dort heißt es, man möge aus der Perspektive vom Ende des eigenen Lebens auf sein Leben heute schauen. „Als wäre ich in meiner Todesstunde, die Form und das Maß erwägen, die ich dann in der Weise der gegenwärtigen Wahl eingehalten haben wollte. Und indem ich mich nach jener richte, soll ich in allem meinen Entschluss treffen.“ [EB 186]

2. Das Nachdenken über den Tod hilft uns in der Beziehung mit anderen Menschen und mit Gott

Gestern habe ich am Requiem für Johannes Siebner in Berlin teilgenommen. Er war der Leiter der Jesuiten für die deutsche Provinz und starb vor zwei Wochen nach schwerer Krankheit. Ich habe mit ihm einige Jahre in Bonn gelebt und gearbeitet. Er hat sein Leben im Dienst für die Menschen hingegeben. Die Erinnerung an seinen Tod verbindet uns Jesuiten und viele andere untereinander. Vor allem aber verbindet uns die Erinnerung an seinen Tod mit dem tragenden Grund seines Lebens: mit Jesus Christus, der aus Liebe zu uns Menschen gelebt hat. Jesus hat uns durch seine Hingabe gezeigt: Wir sind unbedingt von Gott geliebte Menschen.

Wenn wir an einen geliebten Menschen denken, dann erinnern wir uns an bestimmte Situationen, an gewisse Verhaltensweisen oder Ratschläge. Die Erinnerung führt dazu, dass wir miteinander verbunden bleiben und diese Menschen in uns bleibend gegenwärtig sind. Wenn wir uns an einen Menschen erinnern, der selbst auf besonders intensive Weise mit Jesus verbunden war, dann erinnern wir uns zugleich auch an Jesus und sind mit ihm verbunden. Die Kirche nennt diese Verbundenheit untereinander die „Gemeinschaft der Heiligen“.

Ob uns das Nachdenken über den Tod eines Menschen im Leben hilft oder nicht, das liegt nun m.E. vor allem daran, wie man sich an den Tod eines Menschen erinnert. Ob mit Schrecken und Schuldgefühlen, mit Verdrängung oder Bitterkeit – oder mit Liebe und Dankbarkeit. Nur mit einer inneren Freiheit und mit Liebe können wir diese Verbundenheit erleben: „Die Liebe öffnet die Augen und ermöglicht uns, den Wert eines Menschen zu sehen.“ (Papst Franziskus, AL 128) Das gilt im Leben - und auch darüber hinaus.

Wenn wir uns heute mit dem hl. Ignatius an einen Menschen erinnern, der auf besondere Weise mit Jesus verbunden war, dann lasst uns Gott um diese Liebe bitten! Gott möge die Liebe zu Ignatius in unseren Herzen entzünden, damit das Andenken an seinen Tod uns helfe: für unser eigenes Leben gute Entscheidungen zu treffen und in der Beziehung zu den anderen Menschen. Und vor allem wollen wir bitten, dass diese Liebe zu Ignatius unsere Gemeinschaft im Glauben stärke – es ist der Glaube an Jesus Christus, der für Dich und mich Mensch geworden und gestorben ist. Amen.

Samstag, 9. Mai 2020

Nuestra Señora de los Milagros de Santa Fe (Argentina) 2020



Mensaje en el día de Nuestra Señora de los Milagros de Santa Fe (Argentina) 2020

En momentos de crisis tenemos que recordar lo bien que hemos recibido y mirar hacia el futuro con paciencia y esperanza. Eso es lo que veo en la imagen de Nuestra Señora de los Milagros. Tengo una copia en mi cuarto puesta en la pared a lado de la puerta junto con la cruz.

Me acuerdo especialmente de los momentos cuando partimos de viaje con los alumnos del colegio de los distintos niveles. Siempre nos quedamos en un momento de silencio a los pies de la virgen y rezamos por el viaje con ella. Porque ella tiene la mirada puesta en la luz que es Cristo, nuestro redentor. Ella tiene el corazón lleno del Espíritu para ver más allá. Ella puede animarnos dar un paso más para vivir el magis, para ser hombres para los demás.

Les deseo una buena fiesta de la virgen. ¡Que Dios les bendiga!

Un saludo desde Hamburgo. Soy Padre Christian, sacerdote jesuita de Alemania.

 


Samstag, 11. April 2020

Karfreitag2020


Karfreitag 2020 - Hamburg, im leeren Kleinen Michel

Liebe Schwestern und Brüder,
die vergangenen Wochen waren für viele Menschen eine ganz andere Fastenzeit, als sie es gewohnt sind oder erwartet haben. Die Welt ist krank. Das gilt auch trotz des schönen Wetters und der blühenden Natur um uns herum. Die Welt ist krank - und das verändert unsere Wahrnehmung.
1 - In der Unterbrechung ihres alltäglichen Lebens erleben sich viele Menschen auf eine andere, ungewohnte Weise. Sie entdecken in sich eine Menge von Emotionen, Gedanken, und Ängsten, die sonst gut verborgen sind. Das irritiert und macht viele dünnhäutiger, verletzlicher.
2 - In dieser Fastenzeit sprechen uns die biblischen Texte von Heil und Heilung manchmal viel unmittelbar an. Die biblischen Texte geben Trost und Halt, vor allem aber öffnen sie Menschen für die Gemeinschaft im Glauben über die Jahrhunderte hinweg, wie es sonst nur selten in der Fastenzeit geschieht.
3 - Es wird uns plötzlich bewusst, wie verletzlich unser Leben ist. Wie vergänglich die Sicherheiten, die wir aufgebaut haben. Gegen einen Virus ließ man sich impfen oder installierte einen Virenscanner. Und jetzt geht es „um Leben und Tod“, sagen und die Politiker. Einige gewinnen einen Blick für das Geschenk des Lebens und für das, was wirklich wichtig ist.
4 - Wir sehen das Leiden von Menschen. Zuerst in China, Italien und Spanien, und nun auch bei uns. Wir sehen Menschen in den Krankenhäusern, in den überfüllten Flüchtlingscamps, in den Slums der Mega-Städte dieser Welt. Wir sehen ungerechtes Leiden, den Tod von unschuldigen Menschen, den Tod von Menschen, die wir lieben. Warum? Warum so viel Leid? Warum dieser Tod?
Es ist diese Frage, die uns mit der Passionserzählung der Christen von vor 2000 Jahren verbindet. Warum so viel Leid? Warum dieser Tod? Diese Fragen stelle ich auch an Johannes, der dieses Evangelium schrieb, das wir gerade gehört haben, im Blick auf den Tod Jesu. Denn hier stirbt ein unschuldig Gerechter auf grausame Weise. Was hat das für einen Sinn? Warum kann Gott dies zulassen?
Man kann nach Gründen suchen, und wird sie auch finden. Damals waren ist der religiöse Starrsinn der führenden Männer der Juden, die keine andere Interpretation des Gesetzes duldeten, gemischt mit einer brutalen politischen Ordnung, die durch Korruption funktionierte und Störungen nicht zulassen wollte. Heute ist es der verrückte Wahnsinn des Handels mit Wildtierfleisch, der den Schrei der Schöpfung nicht hört, gemischt mit einer globalen wirtschaftlichen Ordnung, die durch Korruption funktioniert und Störungen nicht zulassen will.
Doch diese Suche nach Ursachen und Gründen hilft uns nicht im Blick auf das unschuldige Leiden eines einzelnen Menschen. Sie tröstet uns nicht, und sie beantwortet nicht unsere Fragen angesichts des Todes: Wie sollen wir reagieren? Welche Haltung können wir im Glauben annehmen? Wo finden wir Trost?
In der langen Passionserzählung des Johannes, die den ganzen Weg Jesu von der Verhaftung, über die zwei Verhöre vor Hannas und Pilatus bis zur Verurteilung und Hinrichtung detailliert berichtet, fehlt merkwürdigerweise die Reaktion auf den Tod Jesu. Jesus neigt das Haupt und gibt seinen Geist auf und dann … nichts. Kein Schrei, kein Erdbeben, kein Donner, kein Tempelvorhang, der zerreißt, kein Weinen, … nichts. „Es ist vollbracht“ oder - wie Fridolin Stier übersetzt - „Es ist ans Ziel gekommen.“ Danach wird nur noch berichtet, wie der Leichnam Jesu vom Kreuz abgenommen und bestattet wird. Merkwürdig. Warum diese Leerstelle in der Erzählung. Warum erzählt Johannes nicht weiter?
In den anderen Evangelien wird die Reaktion von Menschen berichtet, wie zum Beispiel jene des römischen Hauptmanns, der Jesus sterben sah und angesichts der Art und Weise seines Todes ausrief: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.“ (Mk 15,39)
Warum gibt uns Johannes nichts, dass wir wenigstens eine Idee bekommen, wie wir uns angesichts des Leidens und Todes verhalten können, d.h. welche Haltung wir einnehmen können?
Doch, er tut es. Ich habe es zunächst übersehen. Zwei Menschen stehen unter dem Kreuz: Johannes und Maria. Jesus spricht sie an. In dem Wort, das er spricht, gründet er die Kirche als eine neue Gemeinschaft, in der die familiären Banden überschritten werden. In der wir einander Bruder, Schwester und Mutter werden.
Vor allem aber lädt uns Johannes mit diesen zwei Menschen zu einer Haltung gegenüber dem Kreuz ein. Stehen. Nicht knien, nicht sich verneigen, nicht sitzen, sondern stehen, aufrecht, aufrichtig, und nicht weglaufen. Wenn wir so das Kreuz betrachten, werden wir eine Haltung auch zu der Frage nach dem ungerechten Leiden einnehmen können. Ich will in drei Punkten erläutern, was für mich diese Haltung charakterisiert.
1 - Wenn du Jesus stehend anschaust, dann nimmst du die gleiche Haltung ein wie er. Du kannst ihm in die Augen schauen und du wirst du sehen, er ist wie du. Er ist ein Mensch, er kennt die Schmerzen und das Leid. Er kennt die Grenzen und die Versuchung. Er hat einen Leib und er kann fühlen und denken wie du. Er ist wie du.
2 - Wenn du unter dem Kreuz stehst, wirst du sehen, wie er den Schmerz annimmt. Er hat sich gewehrt, er hat gekämpft, er hat zum Vater gebetet und gefleht. Im entscheidenden Moment aber lässt er die Angst los und nimmt den Schmerz an. Im Vertrauen auf Gott.
3 - Wenn du unter dem Kreuz stehen bleibst, wirst du sehen: die Liebe ist stärker als der Tod. Denn dieser Tod ist ungerecht, aber er geschieht in Liebe. Jesus Christus stirbt nicht in ein Nichts, sondern er ist in Gott selbst hinein gestorben. Die Art und Weise, wie er den Tod auf sich genommen hat, übersteigt jeden Egoismus, jede falsche Ruhmsucht, jede Angst um sich selbst. Es siegt das Leben, denn es siegt die Liebe.
„In der Stille des Mitleidens verstehen wir besser, warum Jesus gekreuzigt gestorben ist“, so sagte der Dominikaner Pierre Claverie, Bischof von Oran, der 1996 in Algerien umgebracht wurde. „In der Stille des Mitleidens verstehen wir besser, warum Jesus gekreuzigt gestorben ist. Er hat die Arme ausgebreitet, um Erde und Himmel zu versöhnen und die verstreuten Kinder Gottes zu versammeln. Er stellt unsere Kirche auf eine der Linien der Brüche der Menschlichkeit, zerrissen durch seine Berufung zur universellen Versöhnung und von der Hoffnung auf Auferstehung.“[1] Das Kreuz, so Claverie, ist wie ein Balken, der die Brüche und Risse unserer Welt überwinden kann und Versöhnung stiftet, untereinander und mit Gott.
Wir werden gleich, im Anschluss an diese Predigt, hier im Kleinen Michel das Kreuz verehren. Wir werden uns niederknien vor dem Kreuz. Ich lade Sie ein, dass Sie jetzt ein Kreuz, das sie ihrer Wohnung haben, anschauen. Und dass Sie eine eigene Haltung suchen, in der sie sie sich dem Kreuz nähern und das Kreuz verehren möchten. Der Evangelist Johannes lädt uns zum aufrechten Stehen ein. Amen.


[1] Vgl. Pierre Claverie, Faim-Développement Magazine n°112, Mars 1995, p. 22.