Montag, 21. Dezember 2020

Wo wohnt Gott?




Predigt Vierter Adventssonntag B

 - Wo wohnt Gott? (Lk 1,26-38)

Vor Weihnachten beten wir darum, dass Gott in diese Welt kommen möge. Doch, wenn er kommt: Wo wird er bleiben? Manche sagen, Gott befinde sich an bestimmten Orten, an denen man ihm begegnen und zu ihm beten kann. Andere sagen, Gott sei überall und nirgends, d.h. an dem einen Ort ebenso gegenwärtig wie an jedem anderen. Wo wohnt Gott? Die Lesungen des heutigen Tages erzählen von der Suche nach der Gegenwart Gottes in dieser Welt.

1 König David wohnt in einem Haus aus Zedernholz. Die Lade Gottes wohnt in einem Zelt. Die Bundeslade ist der Holzkasten, in dem früher einmal die Steintafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt wurden. Sie erinnert an den Bund Gottes mit seinem Volk Israel und ist eine Gegenstand der Verehrung gewesen, eine innen wie außen mit Gold überzogene Truhe aus Akazienholz, der Ort seiner Gegenwart.

David möchte für die Lade Gottes ein Haus bauen. Er hat es gut gemeint, er wollte Gott etwas Gutes tun und ihm einen Tempel bauen. Aber Gott weist den Vorschlag zurück. Warum? Zwei Gründe halte ich für möglich.

a Nicht der Mensch macht Pläne für Gott, sondern Gott macht Pläne für den Menschen und zum Heil der Menschen. Wir müssen nicht Gott etwas Gutes tun, sondern er tut uns Gutes. Gott befiehlt den Menschen, etwas zu tun; nicht umgekehrt. So wie er den jungen Hirten David erwählt hat, um dem Volk Frieden zu schenken, so wird er ihm und seine Nachkommenschaft erwählen, um das Volk auf die Ankunft des Messias vorzubereiten. „Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor.“ (Jes 11,1). Ein Wortspiel im hebräischen Text: Denn „Haus“ bedeutet im Hebräischen zugleich Tempel bzw. Palast wie auch Dynastie.

b Die Bundeslade wird der „Thronschemel“ Gottes (Ps 132,7) genannt, denn sie ist der Ort, an dem Gott in seinem Volk auf verborgene Weise „wohnt“. Er erscheint dort in seiner „Herrlichkeit“ (hebräisch kabod, griechisch doxa). Die „Herrlichkeit“ ist der Glanz der Heiligkeit Gottes, die Dynamik seines Wesens, d.h. die Art und Weise, wie Gott in seinem Volk gegenwärtig ist. Der Diebstahl der Lade wurde als Verlust der „Herrlichkeit“ gesehen (1 Sam 4,21f.).

Herrlichkeit hat ursprünglich etwas mit Gewicht zu tun, mit Wucht. Die Bedeutung, die einer Person zukommt, der ihr zuggedachte Respekt, ihre Ehre. Aber anders als bei Gold oder Diamanten, deren Wert wird in Unzen oder Karat gemessen wird, bezeichnet Herrlichkeit nicht den vergänglichen Reichtum einer Person, sondern ihre wirkliche Pracht, den Glanz und die Schönheit, den ewigen Reichtum.

Jesaja schaut die Herrlichkeit Gottes in Gestalt von verzehrendem Feuer und Heiligkeit, die jegliche Unreinheit der Kreatur, ihre Vergänglichkeit und ihre Nichtigkeit bloßlegt – aber nicht, um sie zu zerstören, sondern um sie wieder aufzurichten. „Steh auf, werde licht, denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit des HERRN geht strahlend auf über dir.“ (Jes 60,1) – so sagt der Prophet Jesaja zum Volk. Von der Herrlichkeit Gottes geht ein Licht aus, das Israel und die Völker erleuchtet.

Von der Herrlichkeit geht Frieden aus, Glück, Heiligkeit – ihre Wirkungen sind für die Menschen in unterschiedlicher Weise erfahrbar und wahrnehmbar. Die Herrlichkeit ist aber von den Menschen nicht zu begreifen oder festzulegen. Sie ist frei und unverfügbar. Deshalb ist es gut, dass es keinen Tempel gibt. Gott wohnt unter den Menschen, aber er dieser Ort ist nicht aus Stein oder Holz, es ist kein Palast, sondern ein Zelt, der er lässt sich nicht durch die Menschen festlegen, festsetzen. Seine Wohnung ist deshalb arm, weil sie eigentlich immer auch woanders sein kann; wo wir es nicht vermuten.

2 Von dieser Herrlichkeit ist auch bei Paulus die Rede. Die zweite Lesung ist der eine Schlusssatz des Briefs an die Römer, ein bisschen verschachtelt und kompliziert. Es gibt nur ein Hauptwort in diesem Satz, auf das alles zuläuft: Ehre (griechisch doxa). „Ihm, dem einen, weisen Gott, sei Ehre – durch Jesus Christus in alle Ewigkeit.“ Herrlichkeit oder Ehre gehört zu den Grundworten unseres Glaubens.

3 Und auch im Evangelium kommt es vor, wenn auch etwas versteckt. Es wird uns berichtet, dass Gott selbst sich einen Ort aussucht, um bei den Menschen zu wohnen. Lukas beschreibt die besondere Erwählung Mariens als Ort der Gegenwart Gottes, wie sie sonst nur bestimmten Propheten und Königen zukommt: „Der Herr ist mit Dir.“ (vgl. 2 Sam 5,10).

Als Maria diesen Gruß des Engels hörte, „erschrak sie über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.“ (Lk 1, 29) Das Erschrecken und Überlegen ist ein Erstaunen, eine Ehrfurcht. Maria nimmt im Glauben wahr, dass es sich bei diesem Gruß um eine besondere Zuwendung des unbegreiflichen Gottes handelt, der große Dinge tut und das Niedrige erhöht. Jemand anderes hätte den Gruß vielleicht höflich und freundlich erwidert und wäre weitergegangen: „Ei, was für ein netter Gruß. Ja, mit ihnen auch, schönen Tag noch, alles Gute, auf Wiedersehen.“ Maria aber empfindet und erfährt die Gegenwart Gottes in ihrem Leben. Durch sie soll ein Kind geboren werden, das „heilig“ und „Sohn Gottes“ genannt wird (Lk 1,35).

Und wie soll das geschehen? Der Engel sagt: „Die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“ (Lk 1,35). Die „Kraft des Höchsten“ ist eine Erscheinungsweise der Herrlichkeit Gottes. Gott wird Mensch in Maria, dem jungen Mädchen aus Nazareth in Galiläa vor 2000 Jahren, und zwar so, dass die Menschen seine Gegenwart wahrnehmen können! Und seine Herrlichkeit leuchtet über ihr auf. Gott selbst macht sich begreifbar und angreifbar in Jesus Christus. Gott wird Mensch und, wie der Evangelist Johannes sagt, „wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“ (Joh 1,14) Er hat unter uns gewohnt, so wörtlich Johannes: „gezeltet“ (Joh 1,14).

4 Wo bleibt Gott? In Jesus Christus. Das ist die einfache und klare Antwort des christlichen Bekenntnisses. Und wir fügen hinzu: Alle, die auf Jesus vertrauen und ihm nachfolgen, werden zur Wohnung Gottes: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen.“ (Joh 14, 23; vgl. 1 Kor 3,16) Gott ist uns näher als wir uns selbst! Du bist der Ort, an dem Gott wohnen möchte! So beten wir heute im Tagesgebet: „Gieße deine Gnade in unsere Herzen.“ Du bist eine Herrlichkeit Gottes. Sagen Sie sich das einmal! Ich bin …

5 Diese Wochen und Monate der Pandemie führen dazu, dass wir zu Hause bleiben müssen. Wir sollen Kontakte reduzieren und erleben Ausgangsbeschränkungen. Es wird deutlich, wie bedeutsam die eigene Wohnung ist. Ist die Wohnung groß genug? Gibt es Platz zum Schlafen, Essen, Arbeiten, Spielen, Lachen? Gibt es einen Platz zum Beten und zum Nachdenken? Gibt es Platz zum Leben?

Immer wenn es eng wird, geraten wir unter Druck. Einige Familien leben auf 60 oder 70 Quadratmetern, das kann leicht zu Spannungen führen. Bei manchen stehen viele Dinge herum, die unnötig sind. Kann ich Platz machen für Neues? Ist es ein schöner Ort, wo ich gerne bin? Ist es ein Ort, an dem die Tür für Gott öffnen kann, denn er kommt bald.

Gott, der Zeit und Raum übersteigt, offenbart sich in Raum und Zeit. Seine Weise bei uns zu sein ist seine Herrlichkeit. Das sind Momente, in denen ich spüre, dass ich lebendig bin, in denen ich Kraft und Stärke spüre, Freundschaft und Liebe, Zuwendung, Freude, Frieden. Das sind Erfahrungen, die sich nicht allein durch menschliche Pläne und Anstrengung erreichen lassen. Das sind Momente, in denen wir spüren, dass ein Licht aufleuchtet, etwas Gutes entsteht, Verstehen und Verzeihen möglich wird.

Wo wohnt Gott? Er wohnt dort, wo man ihn einlässt. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in dieser Woche vor Weihnachten in Ihrer Wohnung die Tür für Gott öffnen können. Dass es bei Ihnen zu Hause Platz für das Leben gibt. Amen.