Brig, Simplonpass – Gastfreundschaft
100 Jahre Kapelle der Schwestern von St. Ursula auf dem Simplonpass
Predigt 16 So C 2025 | Les: Gen 18, 1–10a; Kol 1, 24–28; Lk 10, 38–42
1/ Heilige Gastfreundschaft
Gastfreundschaft ist ein hohes Gut, in vielen Kulturen und Religionen. Es bedeutet einen (fremden) Besucher aufzunehmen, zu bewirten und zu beherbergen. In Israel (Lev 19,33-34 / Ex 23,9) wird daran erinnert, dass das Volk in Ägypten selbst in der Fremde gelebt hat. Deshalb soll man den Fremden mit Gastfreundschaft aufnehmen. So wird die Erfahrung der Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten zum eigentlichen Grundmotiv der Gastfreundschaft.
Im Neuen Testament wird für Gastfreundschaft das griechische Wort φιλοξενία verwendet. Es bedeutet „Liebe (zum) Fremden“ oder „Fremdenliebe“. Zur Gastfreundschaft wird im Neuen Testament immer wieder ermahnt und ermuntert. Gastfreundschaft wird zu den Werken der Barmherzigkeit gezählt, nämlich Fremde aufzunehmen.
Was Gastfreundschaft bedeutet, haben wir in der ersten Lesung gehört. Abraham geht seinem unerwarteten und überraschenden Besuch entgegen und empfängt ihn bei sich. Er lässt Wasser holen, so können sie sich die Füße waschen. Er kümmert sich um Essen und Trinken, holt das Beste, was es gibt. Den Gästen gebührt der Ehrenplatz im Schatten. Abraham selbst bediente die Gäste.
Der Jesuit Christoph Theobald beschreibt in seinem Buch „Christentum als Stil“ den christlichen Glauben als „heilige Gastfreundschaft“. Er nimmt Jesus als Vorbild und sagt: „Der Stil Jesu lässt sich als Gastfreundschaft und bedingungslose Bereitschaft, Leute zu empfangen, beschreiben. Im Neuen Testament ist die Gastfreundschaft ein zentrales Thema. Im Brief an die Hebräer findet sich diese großartige Aussage: «Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.» (Hebr 13,2)“
Und weiter: „In der französischen Sprache wird das Wort «hôte» (»Gast») sowohl für den Gastgeber wie für den Gast verwendet. Dieser Doppelsinn ist von tiefer Bedeutung, denn im Bezug zur Gastfreundschaft betont sie eine Symmetrie zwischen dem Gastgeber und dem Gast. Gastfreundschaft meint dann, beim Gast zu Gast sein, denn erstens ist ein Loslassen von sich selbst damit verbunden und zweitens geht es darum, für jedermann da zu sein, hier und jetzt anwesend und gegenwärtig zu sein.“
2/ Der bessere Teil
Im heutigen Evangelium geht es in Auseinandersetzung zwischen Marta und Maria um die Frage, was Gastfreundschaft konkret bedeutet. Jesus kommt in das Haus seiner Freunde. Die eine, Marta, nimmt ihn freundlich auf: Sie sorgt und müht sich um das Essen, um die Getränke, dass alles schön hergerichtet ist, vielleicht um Blumen und Tischschmuck. Die andere, ihre Schwester Maria, setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte ihm zu.
Wer von den beiden lebt nun wirklich die „heilige Gastfreundschaft“? Einerseits Marta, denn sie kann von sich selbst loslassen, bereitet das Essen für den Gast. Anderseits auch Maria, denn sie ist für Jesus da, ist anwesend und gegenwärtig, eröffnet dem Gast den Raum des Zuhörens und der Zuwendung, damit er schenken kann, was er hat: seine Worte, seine Liebe.
Falsch ist es nun, das eine gegen das andere auszuspielen. Beide Teile gehören zur Gastfreundschaft, eben auch die Offenheit und Bereitschaft zu empfangen und zuzuhören. Darin findet die Gastfreundschaft ihren Sinn. Ohne diese Offenheit wird das Sorgen der Gastfreundschaft zur Selbstbeschäftigung.
In dem Moment, als sich Marta darüber beklagt, dass Maria ihr die ganze Arbeit allein überlässt, ist die Waage schon gekippt. Für Marta scheint die „notwendige“ häusliche Arbeit das eigentlich Wichtige, das Entscheidende bei der Gastfreundschaft zu sein. Diesen Fehler korrigiert Jesus, wenn er sagt, dass der andere Teil der „notwendige“ Teil ist, nämlich die Offenheit und die Bereitschaft, den Gast zu empfangen. Das ist der „gute Teil“ den Maria gewählt hat; nicht als ob der Teil von Marta schlecht wäre. Aber es ist der wichtige Teil, der entscheidende Teil, „bessere Teil“, wie es früher in der Einheitsübersetzung hieß (EU 1980).
3/ Leib und Geist
Zum geistlichen Leben gehört beides „ora et labora“. Abgesehen davon, dass es die höchste Kunst ist, wenn die tätige Nächstenliebe selbst zum Gebet wird („contemplativus in actione“). Aber auch dann wird es auch immer wieder Zeiten von Sorge und Mühe geben, neben der Hingabe und der Freude in der Beziehung zu Jesus.
Manchmal wird das geistliche Leben mehr „ora“ sein, manchmal mehr „labora“. Das Entscheidende aber ist das „et“, dass eben im eigenen Leben beides vorkommt.
Denn wir Menschen sind Leib und Geist. Das eine gibt es nicht ohne das andere. Sicherlich kommt es im geistlichen Leben vor allem auf die geistliche Beziehung zu Jesus an. Wir sollen auf ihn hören. Die Aufmerksamkeit des Herzens, die geistliche Offenheit, das ist der eigentliche Sinn des Glaubenslebens. Aber dazu braucht es eben auch die Sorge und die Mühe, die leibliche Anstrengung.
Abbas Agathon sagte: „Der Mensch gleicht einem Baum. Das Blattwerk bedeutet Mühsal (labor) des Leibes, die Frucht bedeutet die innere Aufmerksamkeit. Im Hinblick auf diese Frucht müssten wir uns vollkommen der Aufmerksamkeit des Herzens hingeben. Aber der Schutz und die Kraft der Blätter, d.h. der leiblichen Anstrengungen, sind nicht minder notwendig.“ (Apophtegmata 8, zitiert nach: Louf, André, In uns betet der Geist (Beten heute 5), Einsiedeln, Trier 1989)
Zitate aus: Christoph Theobald, Es lohnt sich Europäer zu sein: https://www.kath.ch/newsd/es-lohnt-sich-europaeer-zu-sein/