Freitag, 1. August 2025

Den Seelen helfen


Predigt am Fest des hl. Ignatius, Hamburg 2025 „Den Seelen helfen“

Les: Jer 20,7–9; 1 Kor 10,31–11,1; Lk 14,25–33

Zusammenfassung: Ignatius hat den Zusammenhang zwischen Spiritualität und Psychologie aufgezeigt, aus seiner eigenen geistlichen Erfahrung heraus.

 

Wenn wir heute, an diesem Festtag, an den hl. Ignatius denken, dann können wir uns daran erinnern, dass Ignatius „den Seelen helfen“ wollte und so –vor nun 500 Jahren - auf den Zusammenhang zwischen Spiritualität und Psychologie hingewiesen hat, lange bevor es diese beiden Forschungs- bzw. Wissenschaftsbereiche gab.

1/ Den Seelen helfen – die Grundintuition und Sendung des hl. Ignatius

Seine Grundintention war es, „den Seelen zu helfen“, d.h. andere zu unterstützen, damit sie psychisch / seelisch gesund und heil werden, innerlich und geistlich wachsen und den Sinn ihres Lebens finden. So steht es in den Satzungen der von ihm gegründeten Ordensgemeinschaft, der Jesuiten: „Das Ziel dieser Gesellschaft ist, sich nicht nur mit der göttlichen Gnade der Rettung und Vervollkommnung der eigenen Seelen zu widmen, sondern sich mit derselben Gnade inständig zu bemühen, zur Rettung und Vervollkommnung der Seele der Nächsten zu helfen.“ (Sa 2).

Sich um das Heil und die Vervollkommnung der eigenen Seele zu sorgen, das ist jedem Christen auferlegt, den Mönchen und Ordensleuten sowieso – das ist also nichts Besonderes. Aber sich den anderen zuwenden und ihnen für ihr Heil und ihre Vervollkommnung der Seele zu helfen, das ist die apostolische Aufgabe, der Existenzgrund der Gesellschaft Jesu und ihr „sehr eigentliches Ziel.“ (Sa 603).

„Den Seelen helfen“ – diese Aufgabe ist von der Erfahrung des Ignatius in Manresa im Jahr 1522 her zu verstehen, wo er fast ein Jahr lang gebetet und gefastet hat, viele Eingebungen und Erkenntnisse hatte, viel Freude und Trost, aber auch viele Abgründe und Traurigkeit erlebte und wo er in seinen geistlichen Fragen und Nöten keine Hilfe bekam. Er fand keinen geeigneten Beichtvater und niemand, der ihm beistehen konnte, um zu verstehen, was in ihm vorging. Er erlebte sehr schwere Zeiten von Trostlosigkeit und Depression bis hin zur Verlorenheit und Selbstmordgedanken. Er hatte Hilfe und Heilung nötig.

Er ging einen sehr steinigen und – wie er im Nachhinein sagte – gnadenvollen Weg, weil ihn Gott selbst belehrte, wie ein Lehrer seinen Schüler. Er hat erkannt, was in der Seele eines Menschen vorgehen kann, der sich auf den Weg zu Gott begibt. Und er wollte, dass diese geistlichen Erfahrungen anderen zugutekommen.

Auf welche Weise wollte er den Seelen helfen? Durch Spiritualität! Dieses Wort wird heute viel verwendet. Für Ignatius meint Spiritualität das persönliche Gebet, die Hinwendung zu Gott in der Stille und im Dienst am Nächsten, an den Armen und Kranken, die geistlichen Gespräche, die Reflexion der eigenen Erfahrungen; kurz: das Wirken des Heiligen Geist in der eigenen Seele und im eigenen Leben zu erkennen und in einer persönlichen Gottesbeziehung zu leben. Gott ist da und er sorgt sich um jede und jeden einzelnen. Die Unterscheidung der Geister ist ihm dabei zu einer hilfreichen und wirksamen Methode geworden.

Selbstverständlich zu dieser Zeit gehörte die religiöse Praxis der Kirche dazu: Ignatius nahm am Leben der Kirche teil, empfing die Sakramente, hielt die Buß- und die Feiertage, respektierte das Lehramt, teilte die grundlegenden christlichen und moralischen Werte. Aber letztlich ging es ihm nicht allein um eine religiöse Praxis und Tradition, sondern es ging ihm um die persönliche geistliche Dimension des Lebens.

2/ Den Seelen helfen – Sendung heute

Der Zusammenhang zwischen Spiritualität und Psychologie wurde in den letzten Jahren in der Wissenschaft genauer untersucht. Seit der Aufklärung und nochmal stärker seit der Begründung der modernen Psychotherapie am Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine große Distanz zwischen diesen beiden Wissenschaftszweigen, ja sogar eine Ablehnung, sich mit der geistlichen Dimension des menschlichen Lebens auseinanderzusetzen. Spiritualität wurde als eine persönliche Meinung und Ansicht, vielleicht noch als eine zeitweise hilfreiche Praxis der Vertröstung angesehen; ihr wurde jedoch keine heilende Wirkung zugeschrieben; jedenfalls keine, die wissenschaftlich relevant war.

Spätestens mit der Erforschung von „spiritual care“, d.h. spirituellen Sorge im Pflegebereich im Krankenhaus, wurde das Thema neu gesetzt. Heute gibt es anerkannte Forschungen darüber, dass Spiritualität, d.h. die persönlich gelebte geistige Dimension des eigenen Lebens, eine heilsame Wirkung hat. So ist z.B. nachgewiesen geworden, dass bei Menschen, die zur Depression neigen, kein anderer Faktor so nachhaltig vor Depression schützt wie eine gelebte Spiritualität. (vgl. Lisa Miller, Das erwachte Gehirn, 2022)

Es bedeutet nicht, dass spirituelle Menschen nicht depressiv werden können oder dass andere Hilfsmittel, wie z.B. Medikamente, gegen Depression nicht helfen würden. Aber viele anerkannte Studien zeigen, dass spirituelle Menschen eher vor Depressionen geschützt sind als andere.

In unserer Welt heute gibt es viele Menschen, die psychologische, seelische Hilfe suchen und Beistand brauchen. Die Zahl der psychisch kranken Kinder und Jugendlichen hat in den letzten Jahren nach Corona in Deutschland erschreckend zugenommen, viele Menschen leider unter Depressionen; in den USA nehmen ein Viertel aller Menschen während ihres Lebens Psychopharmaka, einige über viele Jahre.

Wir können uns fragen: Kann die seelische Not so vieler Menschen nicht vielleicht ein Hinweis darauf sein, dass es an geistlicher Orientierung und schlicht an Spiritualität fehlt? Hat nicht der Verlust der Religion zu einer Sinnkrise geführt, die nun in seelischer Not ihren Ausdruck findet?

Ich sage nicht, dass die fehlende Spiritualität die Ursache für alle seelischen Erkrankungen ist oder dass Spiritualität im Alltag das Allheilmittel sei. Aber könnte es nicht ein wichtiges Heilmittel sein?

3/ Zielgerichtetes und spirituelles Denken verbinden – in aller Freiheit

Spiritualität ist kein Allheilmittel. Es gibt es überall so große Not, nicht nur seelische Not, sondern auch leibliche Not, gerade heute: Die Kriege, vielen Menschen auf der Flucht, der Hunger in Afrika, die Gewalt in Lateinamerika und so fort.

In großer Notlage gilt es, tatkräftig sich einzusetzen und auch für den Leib zu sorgen, wie z.B. mit der Gründung des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in der 1980er Jahren geschah, um den Flüchtlingen aus Vietnam zu helfen, den sogenannten „boat-people“.

Den Jesuiten ist im letzten Jahrhundert immer mehr klar geworden: Vielfach braucht es überhaupt erst eine materielle Grundlage, um sich um geistliche Dinge kümmern zu können. Es braucht das Engagement für Glaube und Gerechtigkeit, für Kultur und Dialog. Den Seelen helfen, das hat oft ganz verschiedene Dimensionen.

Aber trotzdem gilt: Das Augenmerk der Jesuiten soll weiterhin darauf liegen, den Menschen so zu helfen, dass sie sich selbst helfen können, d.h. auch immer die geistliche Dimension im Blick zu haben - und „den Seelen zu helfen“.

Sie sollen also das zielgerichtete, wirksame, rationale Handeln und die spirituelle Dimension in ihrem Tun miteiandern verbinden, ganz so, wie es das Evangelium es heute beschreibt:

Wenn jemand ein Gebäude errichten will, dann betet er nicht zuerst, sondern er rechnet und überlegt er sich, ob seine Mittel reichen, ob er den Bau auch zu Ende bringen kann. Und wenn jemand in eine Auseinandersetzung geht, dann betet er nicht zuerst und sucht nach göttlichen Zeichen, sondern er überlegt sich, ob die Kräfte reichen bzw. ob es nicht bessere, z.B. versöhnlichere Alternativen gibt.

Es gibt viele Dinge im Leben, die brauchen unser zielgerichtetes, rationales Handeln, so wie wir es überall lernen und studieren können bzw. so wie uns die Gesellschaft und der Kapitalismus erziehen. Es ist nicht alles schlecht.

Aber in den entscheidenden Dingen unseres Lebens, in den Fragen nach Sinn und nach Liebe, und wofür ich bereit bin, zu leben, da braucht es auch eine andere Dimension. Wir sollen beides nutzen in der Nachfolge, unsere Spiritualität und unsere Rationalität, in aller Freiheit. Denn wir sind Menschen mit Leib und Seele. Amen.