Wir sollen auf unseren Ressourcen achten!
Das gilt im persönlichen Bereich: Die vergangenen Monate im Ausnahmezustand haben viele Menschen an die Grenzen ihrer Ressourcen gebracht: finanziell, materiell, aber auch innerlich. Die immer wieder neuen Einschränkungen und angstmachenden Botschaften sind Kräfte raubend. Jetzt genießen wir den Sommer und die neuen Möglichkeiten, uns mit Freunden zu treffen und den Tagen wieder mehr Rhythmus zu geben zwischen Alltag und Fest – und gerade dann spüren wir, wie sehr die Unsicherheit und die Erfahrung der Verletzbarkeit an unseren inneren Ressourcen zehrt. Wir wollen die Dinge gut tun und können nicht alles – wir spüren, wir sollten mehr auf unsere Ressourcen achten!
Eine erfolgreiche Tennisspielerin, Naomi Osaka, hat sich
bei den French Open überraschen aus dem Profisport zurückgezogen, um mehr auf
ihre psychische Gesundheit zu achten. Sie leidet an Depressionen und hat
bemerkt, dass die Pressekonferenzen und der Erfolgsdruck der Tennisindustrie
ihr schaden. Sie will mehr auf ihre Ressourcen achten.
Das gilt auch im gesellschaftlichen Bereich: Vor drei Tagen meldeten die Nachrichten den Weltüberlastungstag, d.h. jenem Tag im Jahr, an dem die nachhaltig erneuerbaren Ressourcen der Erde für dieses Jahr aufgebraucht sind. Von jetzt an leben wir auf Kosten der nächsten Generationen. Dieser Tag wandert immer mehr nach vorne, die Corona-Krise hat nur eine leichte Verschiebung gebracht. Die ganze Klimadiskussion läuft im Grund darauf hinaus: Wir sollten mehr auf die Ressourcen achten! Das hat inzwischen jede und jeder verstanden – ob es dann getan wird, ist eine andere Sache.
Das gilt schließlich auch im geistlichen Bereich: Wir sollen auf unsere Ressourcen achten. Auch im spirituellen Leben gibt es bestimmte Ressourcen, die notwendig sind bzw. die möglicherweise fehlen: Zeit, Vertrauen, Gebet, Hoffnung, gute Erlebnisse, Stille, Unterstützung von anderen, Impulse, eine Gemeinschaft, etc.
Der Glaube allerdings weist uns auf eine andere Dimension hin. Es geht im geistlichen Leben nicht nur um die Achtsamkeit für die Ressourcen, sondern es geht auch um die Sehnsucht und das, worauf sie hindeutet. Der Glaube lenkt Blick von den „Ressourcen“ hin zur den „Quellen“ bzw. zu der Quelle (frz. "source"), aus der wir leben und aus der die Ressourcen eigentlich kommen. Das ist das Neue, das der Glaube bringt.
Und es ist interessanterweise gerade die Erfahrung des Mangels und der Krise, die uns dabei hilft. Der Mangel selbst eröffnet eine spirituelle Dimension. Wenn uns etwas fehlt, werden wir unserer Bedürftigkeit bewusst. Und wir werden unweigerlich vor die Frage gestellt: Was fehlt uns eigentlich?
Das haben die Israeliten in der Wüste erfahren. Das Volk ist schon seit mehreren Monaten unterwegs in der Wüste. Das ist zweifelsohne ein Ausnahmezustand, ein Krisenmodus. Ihre leiblichen Bedürfnisse werden nicht ausreichend gestillt - und die erhoffte Freiheit stellt sich auch nicht ein. Der Weg wird mühsam und viele sehnen sich nach früheren Zeiten zurück. Sie wollen zurück zu „Normal“, zu den Fleischtöpfen Ägyptens. Das verursacht einen Streit unter den Israeliten und sie klagen ihre politischen Führer an. Die Krise stellt sie vor grundlegende Fragen nach dem Sinn des ganzen Unternehmens, ob es noch Hoffnung gibt. Sie fühlen sich ausgeliefert und konfrontiert mit ihrer eigenen Verwundbarkeit. Sie stellen Gott auf die Probe und fragen: Ist er wirklich für uns und mit uns, ja oder nein?
Gott hört das Murren der Israeliten. Am Abend finden sie Wachteln, am Morgen ist der Boden mit einem süßen Tau bedeckt, etwas Feines, Knuspriges, Nahrhaftes – das die Israeliten auf ihrem ganzen Weg durch die Wüste ernähren wird. Sie nennen es „Manna“, d.h. „Was ist das?“. Ich höre daraus die Frage: Was ist das, was uns eigentlich fehlt? Was ist das, was uns eigentlich nährt? Was ist das eigentlich, was mir Leben schenkt – jenseits meiner Ressourcen?
Das Evangelium nimmt diesen Gedanken auf. Christus spricht zu den Menschen, die ihn suchen und weist sie auf eine andere Dimension hin. Die Menschen suchen Jesus in Kafarnaum, „weil sie von den Broten gegessen haben.“ Sie haben bei Jesus eine Nahrung für ihren Geist und für ihren Leib gefunden, sie sind wirklich seit langem einmal wieder satt geworden – und es ist nur zu verständlich, dass sie Jesus nachgehen und ihn suchen. Er aber ermahnt sie: Es geht im geistlichen Leben nicht nur um die Ressourcen, sondern ebenso um die Zeichen. Sie sollen sich nicht für die Ressourcen abmühen, sondern in sich selbst den Hunger und die Sehnsucht nach dem ewigen Leben entdecken, denn daher kommt die Orientierung.
Ein Zeichen ist etwas, das es wirklich gibt – das aber auf etwas anderes hindeutet, das es noch nicht gibt, oder jedenfalls nicht hier und jetzt gibt. Es ist dort, wo ich jetzt noch nicht bin. Und das Zeichen Jesu ist nicht ein Zeichen, damit wir Jesus glauben („er sagt richtige Dinge, ich kann ihm glauben“), sondern ein Zeichen, damit wir „an ihn glauben“ – weil er von Gott gesandt ist.
Ist mein Glaube eine Ressource unter anderen, die zum Leben hilft, die Trost spendet, die Orientierung und Werte vorgibt, etc.? Oder ist mein Glaube etwas, das mir hilft, mich mit den Ressourcen gerade nicht zufrieden zu geben, sondern zur Quelle zu gehen, aus der das Leben fließt?
Nicht, dass wir die Quelle schon erreicht hätten oder dass wir sie jemals zu fassen bekämen. Wir können sie nicht kanalisieren für unsere Bedürfnisse und Zwecke. Aber wir haben eine Sehnsucht in uns nach dieser Quelle, einen Durst nach dem lebendigen Gott, wir erwarten „sein Kommen in Herrlichkeit“. Das Leben besteht darin, zu hoffen und sich überraschen zu lassen, ohne das Leben besitzen zu können, weil es geschenkt ist.
Zeichen gibt es genug: Wir haben entdeckt, dass unsere Planungen sich verändern, dass wir unsere Zeit nicht bis ins letzte verplanen und kontrollieren können. Wir haben erkannt, dass Gesundheit kein Menschenrecht ist – eine gute Gesundheitsversorgung dagegen schon. Wir erfahren, wie sehr wir Solidarität brauchen und nur gemeinsam etwas erreichen können. Wir werden mit dem Tod konfrontiert und lernen ihn als Teil des Lebens anzunehmen. Wir erleben, wie gut es uns tut, neues Leben wachsen zu sehen, uns miteinander zu freuen, für andere da zu sein. Und vor allem spüren wir, wie sehr wir Menschen brauchen, die selbst aus der Quelle leben und Frieden ausstrahlen.
Also: Von einer Religion aufgrund von Bedürfnissen hin zu einem Glauben aufgrund von Hoffnung. Zugegeben, das ist nicht leicht: Der Glaube fordert uns da einiges ab. Denn diese Lebensform der Sehnsucht und der Bedürftigkeit ist mit einem inneren Ringen verbunden, vielleicht auch mit einem inneren Kampf. Davon spricht Paulus an verschiedenen Stellen – und so haben wir es heute auch im Epheserbrief gehört: Legt den alten Menschen des früheren Lebenswandels ab, der sich in den Begierden des Trugs zugrunde richtet, und lasst euch erneuern durch den Geist in eurem Denken!“ (Eph 4,22-23)
Hoffentlich können wir lernen, mit einem Mangel zu leben! Und vielleicht können Sie sich in der nächsten Woche einmal fragen, wenn Sie Hunger haben (leiblichen oder geistigen Hunger): Was ist das? Was ist das, wonach ich mich eigentlich sehne? Was ist das, was mir Leben schenkt? Amen.
Das gilt schließlich auch im geistlichen Bereich: Wir sollen auf unsere Ressourcen achten. Auch im spirituellen Leben gibt es bestimmte Ressourcen, die notwendig sind bzw. die möglicherweise fehlen: Zeit, Vertrauen, Gebet, Hoffnung, gute Erlebnisse, Stille, Unterstützung von anderen, Impulse, eine Gemeinschaft, etc.
Der Glaube allerdings weist uns auf eine andere Dimension hin. Es geht im geistlichen Leben nicht nur um die Achtsamkeit für die Ressourcen, sondern es geht auch um die Sehnsucht und das, worauf sie hindeutet. Der Glaube lenkt Blick von den „Ressourcen“ hin zur den „Quellen“ bzw. zu der Quelle (frz. "source"), aus der wir leben und aus der die Ressourcen eigentlich kommen. Das ist das Neue, das der Glaube bringt.
Und es ist interessanterweise gerade die Erfahrung des Mangels und der Krise, die uns dabei hilft. Der Mangel selbst eröffnet eine spirituelle Dimension. Wenn uns etwas fehlt, werden wir unserer Bedürftigkeit bewusst. Und wir werden unweigerlich vor die Frage gestellt: Was fehlt uns eigentlich?
Das haben die Israeliten in der Wüste erfahren. Das Volk ist schon seit mehreren Monaten unterwegs in der Wüste. Das ist zweifelsohne ein Ausnahmezustand, ein Krisenmodus. Ihre leiblichen Bedürfnisse werden nicht ausreichend gestillt - und die erhoffte Freiheit stellt sich auch nicht ein. Der Weg wird mühsam und viele sehnen sich nach früheren Zeiten zurück. Sie wollen zurück zu „Normal“, zu den Fleischtöpfen Ägyptens. Das verursacht einen Streit unter den Israeliten und sie klagen ihre politischen Führer an. Die Krise stellt sie vor grundlegende Fragen nach dem Sinn des ganzen Unternehmens, ob es noch Hoffnung gibt. Sie fühlen sich ausgeliefert und konfrontiert mit ihrer eigenen Verwundbarkeit. Sie stellen Gott auf die Probe und fragen: Ist er wirklich für uns und mit uns, ja oder nein?
Gott hört das Murren der Israeliten. Am Abend finden sie Wachteln, am Morgen ist der Boden mit einem süßen Tau bedeckt, etwas Feines, Knuspriges, Nahrhaftes – das die Israeliten auf ihrem ganzen Weg durch die Wüste ernähren wird. Sie nennen es „Manna“, d.h. „Was ist das?“. Ich höre daraus die Frage: Was ist das, was uns eigentlich fehlt? Was ist das, was uns eigentlich nährt? Was ist das eigentlich, was mir Leben schenkt – jenseits meiner Ressourcen?
Das Evangelium nimmt diesen Gedanken auf. Christus spricht zu den Menschen, die ihn suchen und weist sie auf eine andere Dimension hin. Die Menschen suchen Jesus in Kafarnaum, „weil sie von den Broten gegessen haben.“ Sie haben bei Jesus eine Nahrung für ihren Geist und für ihren Leib gefunden, sie sind wirklich seit langem einmal wieder satt geworden – und es ist nur zu verständlich, dass sie Jesus nachgehen und ihn suchen. Er aber ermahnt sie: Es geht im geistlichen Leben nicht nur um die Ressourcen, sondern ebenso um die Zeichen. Sie sollen sich nicht für die Ressourcen abmühen, sondern in sich selbst den Hunger und die Sehnsucht nach dem ewigen Leben entdecken, denn daher kommt die Orientierung.
Ein Zeichen ist etwas, das es wirklich gibt – das aber auf etwas anderes hindeutet, das es noch nicht gibt, oder jedenfalls nicht hier und jetzt gibt. Es ist dort, wo ich jetzt noch nicht bin. Und das Zeichen Jesu ist nicht ein Zeichen, damit wir Jesus glauben („er sagt richtige Dinge, ich kann ihm glauben“), sondern ein Zeichen, damit wir „an ihn glauben“ – weil er von Gott gesandt ist.
Ist mein Glaube eine Ressource unter anderen, die zum Leben hilft, die Trost spendet, die Orientierung und Werte vorgibt, etc.? Oder ist mein Glaube etwas, das mir hilft, mich mit den Ressourcen gerade nicht zufrieden zu geben, sondern zur Quelle zu gehen, aus der das Leben fließt?
Nicht, dass wir die Quelle schon erreicht hätten oder dass wir sie jemals zu fassen bekämen. Wir können sie nicht kanalisieren für unsere Bedürfnisse und Zwecke. Aber wir haben eine Sehnsucht in uns nach dieser Quelle, einen Durst nach dem lebendigen Gott, wir erwarten „sein Kommen in Herrlichkeit“. Das Leben besteht darin, zu hoffen und sich überraschen zu lassen, ohne das Leben besitzen zu können, weil es geschenkt ist.
Zeichen gibt es genug: Wir haben entdeckt, dass unsere Planungen sich verändern, dass wir unsere Zeit nicht bis ins letzte verplanen und kontrollieren können. Wir haben erkannt, dass Gesundheit kein Menschenrecht ist – eine gute Gesundheitsversorgung dagegen schon. Wir erfahren, wie sehr wir Solidarität brauchen und nur gemeinsam etwas erreichen können. Wir werden mit dem Tod konfrontiert und lernen ihn als Teil des Lebens anzunehmen. Wir erleben, wie gut es uns tut, neues Leben wachsen zu sehen, uns miteinander zu freuen, für andere da zu sein. Und vor allem spüren wir, wie sehr wir Menschen brauchen, die selbst aus der Quelle leben und Frieden ausstrahlen.
Also: Von einer Religion aufgrund von Bedürfnissen hin zu einem Glauben aufgrund von Hoffnung. Zugegeben, das ist nicht leicht: Der Glaube fordert uns da einiges ab. Denn diese Lebensform der Sehnsucht und der Bedürftigkeit ist mit einem inneren Ringen verbunden, vielleicht auch mit einem inneren Kampf. Davon spricht Paulus an verschiedenen Stellen – und so haben wir es heute auch im Epheserbrief gehört: Legt den alten Menschen des früheren Lebenswandels ab, der sich in den Begierden des Trugs zugrunde richtet, und lasst euch erneuern durch den Geist in eurem Denken!“ (Eph 4,22-23)
Hoffentlich können wir lernen, mit einem Mangel zu leben! Und vielleicht können Sie sich in der nächsten Woche einmal fragen, wenn Sie Hunger haben (leiblichen oder geistigen Hunger): Was ist das? Was ist das, wonach ich mich eigentlich sehne? Was ist das, was mir Leben schenkt? Amen.
Predigt inspiriert von dem Brief von Christoph Theobald an
alle, denen der christliche Glaube nicht egal ist, Paris 2021 (vgl. https://centresevres.com/publication/et-le-peuple-eut-soif-lettre-a-celles-et-ceux-qui-ne-sont-pas-indifferents-a-lavenir-de-la-tradition-chretienne/)
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