Vergangene
Woche war ich mit einer Gruppe von Priestern in der Otto-Dix-Ausstellung in den
Deichtorhallen. Beeindruckende Kunst des 20. Jahrhunderts, in vielem fremd und
verstörend. Dix zeigt nicht die Schönheit des Lebens, sondern seine Abgründe.
Wir wurden gemeinsam durch die Ausstellung geführt, von einem Künstler aus
Altona, der bislang offenbar wenig Kontakt mit „Kirchenleuten“ hatte. Er war manchmal
unsicher, was er uns zumuten könnte. Bei einem Bild jedoch war er sicher, dass
wir es mit uns anschauen wollte, denn es war für ihn selbst bedeutsam. Das Bild
hat den Titel „Vanitas“. Es sind zwei nackte Frauen zu sehen sind: eine
fröhliche, hübsche, naive junge Frau und eine hässliche, gebeugte, abgemagerte,
alte Frau. Die Jugend und der Tod, nebeneinander. Vgl. https://de.wahooart.com/@@/8XYNLX-Otto-Dix-Vanitas-(Jugend-und-Alter)
In
seiner Erläuterung wies er darauf hin, dass es im Leben eines jeden Menschen
einen Moment gäbe, der unausweichlich sei; bei dem man nicht wählen könne, ob
es jetzt gerade passe; bei dem es keine zweite Chance gäbe; wo niemand sich
entschuldigen oder dispensieren könne, nämlich der Tod. Der Tod steht als eine
unausweichliche Lebensrealität und Wahrheit vor uns. Und alle Jugend sei nur
deshalb so anziehend und verführerisch, weil sie vergänglich ist angesichts des
Todes.
Ja,
das stimmt, wir Menschen gehen auf den Tod zu, und niemand kann ihm ausweichen.
Sicherlich ist der Tod eines jeden Menschen unwiderruflich. Im bestimmten
Religionen glauben die Menschen zwar, dass sie in irgendeiner Form wieder
geboren werden, sei es als Mensch oder in einer anderen Lebensform. Trotzdem
kennen auch diese Menschen das Gefühl von Vergänglichkeit. Und wir als Christen
glauben: Wir leben nur einmal. „Du hast nur ein Leben!“
Wenn
ich allerdings die zeitliche Dimension unseres Lebens wirklich ernst nehme,
dann ist doch eigentlich jeder Moment unwiderruflich und unwiederbringlich,
oder nicht? Sicherlich kann ich manches im Leben mehrfach tun: ich kann ein
schönes Konzert ein zweites Mal hören, ich kann ein gutes Buch ein zweites Mal
lesen, ich kann einen guten Freund ein zweites Mal besuchen. Aber was ich im
Lebe tue oder sage oder nicht tue und nicht sage - rückgängig kann ich es nicht
machen.
Das
Evangelium am heutigen, letzten Sonntag im Kirchenjahr stellt uns das Ende der
Welt und das Weltgericht vor Augen. Es macht deutlich: Das irdische Leben in
einer christlichen Perspektive ist einmalig und zugleich vergänglich.
Dies
wird im Bild vom König ausgeführt, der auf dem Thron der Herrlichkeit sitzt.
Dieser König, so heißt es, wird handeln wie ein Hirt, der Schafe und Ziegen
scheidet. Das Kriterium der Entscheidung des Königs wird nachträglich genannt,
als Begründung für das, was die beiden Gruppen empfangen oder nicht empfangen:
das ewige Leben. Die Strafe, von der dort die Rede ist, oder auch das Feuer,
ist meiner Meinung ein Bild für den Mangel an ewigem Leben bzw. das Fehlen des
ewigen Lebens. Es bedeutet, das ewige Leben nicht zu empfangen.
Die
Gerechtigkeit, von der in der Bibel die Rede ist, ist also nicht ein abstrakter
Begriff oder eine allgemeinen Norm, sondern es ist ein Handeln, das Beziehung
stiftet und dem entspricht, was Gott für alle Menschen möchte: Leben, Leben in
Fülle, ewiges Leben.
Mit
dem Bild des gerechten Königs (und ich betone: es ist ein Bild!) wird uns hier
und heute eine Orientierung gegeben. Denn es ist klar, wer dieser König ist,
der am Ende richtet: Es ist der Menschensohn, d.h. Jesus Christus selbst.
Jesus
Christus allerdings begegnet uns nicht erst im Tod. Wir haben schon seit
einiger Zeit von ihm über Gott gehört. „Niemand hat Gott je gesehen. Der
Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.“
(Joh 1,18) Und er ruft uns schon heute zur Umkehr und zu einer neuen
Lebensweise, und zwar vermittelt durch die Menschen, mit denen er sich
solidarisiert: die Hungernden, die Obdachlosen, die Kranken, die Gefangenen,
die Geflüchteten, die Geringsten.
Damit
aber, so meine ich, relativiert der Glaube den Tod, weil deutlich wird, dass
der Tod in einem größeren Zusammenhang steht, dass es immer um das eigene Leben
geht, in dem eigentlich jeder Moment zählt, in dem ich getan oder nicht getan
habe, worauf es ankommt. Christlich gilt sicherlich: „Du hast nur ein Leben!“ Aber
zugleich heißt es: „Du kannst hören, wer du sein kannst!“ „Du kannst einmalig
sein!“ „Du sollst ein Segen sein für andere!“
Wie wäre es, jeden Tag zu leben, als wäre es der letzte? Steve Jobs sagte einmal: „Lebt
man jeden Tag, als wäre es der letzte, dann liegt man eines Tages damit
richtig.“ Vgl. Steve Jobs bei seiner Rede in Stanford: https://www.ohwr.de/uploads/media/Steve_Jobs_Rede_Stanford_2005.pdf
Vielleicht
halten es manche für morbide, wenn ich die Texte des Evangeliums als eine
Vergegenwärtigung des Todes deute. Doch ich sehe darin eine hilfreiche Übung,
bei der wir die Angst vor dem Tod verlieren können, weil wir den Moment des
Lebens wertschätzen lernen - und die Gegenwart Gottes darin in Jesus Christus.
In
der Ignatianischen Spiritualität hört man oft, man solle „Gott suchen und
finden in allen Dingen.“ Das ist gut und richtig. Aber wie zeigt sich Gott uns
denn? Zeigt er sich uns in einer Blume oder in einem schönen Sonnenaufgang? Mag
sein! In jedem Fall aber zeigt er sich uns in seinem Sohn, der sein Leben aus
Liebe für andere hin gibt und uns auffordert, es an unserer Stelle genauso zu
tun.
Ignatius
selbst begegnete Gott nicht anders als durch Jesus Christus. Er betet zu Christus
wie zu einem Freund. Bei seiner Vision in La Storta (vor Rom) hört er die Worte
von Jesus Christus am Kreuz, der zu ihm sagt: „Ich will, dass du uns dienst!“ Dieses
„uns“ ist Gott, der Dreieine, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Dieses „uns“ ist auf
den Dienst an den Menschen verwiesen: „uns dienen“, indem du den Menschen
dienst.
Das
Fest Christkönig am Ende des Kirchenjahres ist im Grunde für uns da, um uns im
Angesicht des Gekreuzigten an unseren eigenen Tod zu erinnern - und an die
Einmaligkeit und Schönheit unseres Lebens. Und um uns in diesen Dialog mit
Christus am Kreuz zu führen, in dem er selbst uns fragen lässt, „wiederum, in
dem ich mich selbst anschaue: das, was ich für Christus getan habe; das, was
ich für Christus tue; das, was ich für Christus tun soll.“ (EB 53)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen