Montag, 30. September 2024

Skandale

Predigt 26 So im Jahreskreis B – Manresa, 29.9.2024

Les: Num 11,25-29; Jak 5,1-6; Mk 9,38-49

"Hör auf deine Hände und sie werden Dich glücklich machen." – so lese ich auf einem Plakat eines bekannten Baumarkts. Im Evangelium lese ich das Gegenteil: "Wenn deine Hand dir Ärgernis gibt, dann hau sie ab!" (Mk 9) Was ist denn nun richtig?

Es ist ein merkwürdiger Evangeliums-Text, den wir gerade gehört haben, indem verschiedene Lehraussagen Jesu aneinandergereiht wurden. Doch ergibt sich nicht gerade in dieser Zusammenstellung durch Markus ein neuer Sinn für uns? Es sind drei Abschnitte, drei Zurechtweisungen, und sie haben alle mit einer Haltung zu tun, die im Glauben wesentlich ist.

1/ Der erste Abschnitt handelt von der Begegnung der Jünger mit einem Wundertäter, der nicht zur Gruppe von Jesus und seinen Jüngern gehört, aber im Namen Jesu Dämonen austreibt - und dies offenbar erfolgreich. Die Jünger halten das für „spirituelle Aneignung“ und versuchen, ihn daran zu hindern. Doch Jesus weist sie zurecht: „Hindert ihn nicht!“. Der Meister ist tolerant und gechillt. Schon allein aus Nützlichkeitserwägungen versucht er, sie zu bremsen. Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden! Ein ganz moderner Jesus, als wollte er sagen: Seid freigiebig! Lasst es zu! Übergebt es dem Wirken Gottes. Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden.

2/ Der zweite Abschnitt, der zunächst ja auch einladend und tolerant beginnt, weist darauf hin, dass die im Verborgenen geübte Nächstenliebe an den Mitchristen das Entscheidende ist, konkret: dem anderen einen Becher Wasser zu geben. Doch über das Stichwort der „Bedürftigkeit“ der Kleinen wird die Rede plötzlich zu einer Warnung vor der Verführung zum Bösen. Es geht um „die Kleinen, die glauben“. Sind damit Kinder gemeint? Oder neu im Glauben stehende Menschen? Oder die Gläubigen insgesamt? Es gibt dazu unterschiedliche Interpretationen. Klar ist jedoch, wovor gewarnt wird: vor dem „Ärgernis geben“, griechisch skandalon, also eigentlich „Glaubensabfall verursachen“. Es wird davor gewarnt, einen Skandal zu verursachen, so dass andere den Glauben verlieren bzw. aus der Gemeinschaft der Glaubenden hinausgedrängt werden. Gewarnt wird vor einem unglaubwürdigen Verhalten von Christen. 

Eine Aktualisierung für heute fällt nicht schwer. Der sexuelle Missbrauch in der Kirche, die Verbrechen von Amtsträgern, die Privilegien, die Ehrsucht und das Machtgehabe: Immer, wenn das Verhalten von Christen dazu führt, dass Menschen am Glauben verzweifeln und aus der Kirche austreten, handelt es sich theologisch gesprochen um einen Skandal. Wer so etwas verursacht, „für den wäre es besser“, so heißt es, „wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde“. Diese Todesstrafe war bei den Juden nicht üblich, aber ich glaube, jeder kann sich vorstellen, was damit gemeint ist.

3/ Und schließlich der dritte Abschnitt: eine Warnung vor der Verführung zum Bösen durch sich selbst. Hier geht es nicht um andere, die Ärgernis geben oder Skandal beziehungsweise Glaubensabfall verursachen, sondern da geht es um mein eigenes Verhalten, das dazu führen kann, dass ich den Glauben an die Güte und die Allmacht Gottes verliere. Haben Sie diesen Gedanken schon einmal gehabt? Markus gibt drei konkrete Beispiele

a/ Wenn deine Hand dir Ärgernis gibt. Die Hand steht symbolisch für das Handeln der Menschen. Wenn ich stehle, wenn ich schlage, wenn ich anderen den Hals umdrehe und ihnen die Luft zum Atmen nehme, immer dann wird dieses Handeln, das nicht nach Gottes Willen ist, dazu führen, dass mein Glaube rebelliert. Soll ich dann lieber den Glauben verlieren oder lieber das Handeln radikal ändern?

b/ Wenn dir dein Fuß Ärgernis gibt. Der Fuß steht das für das Verhalten der Menschen. Wenn ich andere trete oder wenn ich den Konflikten meines Lebens aus dem Weg gehe, wenn ich vor Problemen weglaufe, wenn ich nicht den Weg in die Kirche finde, sondern lieber in die Kneipe gehe, immer dann, wenn mein Verhalten nicht nach Gottes Willen ist: Sollte ich dann lieber Gott aus dem Weg gehen oder einfach mal vor ihm stehen bleiben?

c/ Das dritte Beispiel ist das Auge. Das ist ein wohl zu uns heute sprechendes Bild. Auch wir sagen heute noch: „jemand hat begierige Blicke“. Wenn wir Angst haben, dass wir im Leben zu kurz kommen, dann schauen wir auf alles und jedes mit Neid und Missgunst. Wenn wir nur darauf achten, dass wir unsere Begierden und Wünsche befriedigt bekommen, dann „mästen“ wir unsere Herzen (Jak 5), statt nach Gerechtigkeit zu suchen. Und dann wird diese Haltung, dieser Blick auf die Welt, mit der Zeit auch unseren Glauben skandalisieren. Werde ich dann den Glauben aufgeben oder diese Haltung aufgeben? 

Gerade diese Haltung, die Angst um mich selbst, verhindert das Vertrauen in Gott! Kann ich loslassen und mich öffnen? Wir hören im Evangelium drastische Worte, die uns warnen sollen. Letztlich geht es um eine Einladung zum wirklichen, ernsthaften und beständigen Glauben.

Der heilige Ignatius gibt als Hinweis für das Vorbereitungsgebet in den Exerzitien den Hinweis: „von Gott unserem Herrn die Gnade erbitten dazu hin, dass alle meine Absichten, Handlungen und Beschäftigungen rein im Dienst und in der Verherrlichung Seiner Göttlichen Majestät geordnet seien.“ (EB 46). Denn er hat in seinem Leben mehr und mehr entdeckt, was wirklich „Glaube“ bedeutet: ein Vertrauen auf die Führung durch Gottes guten Geist. Und er hat erfahren, dass es Handlungen, Verhalten und Haltungen gibt, die den Glauben töten, und solche, die ihn fördern.

Es ist heute, in einem oft ungläubigen Umfeld, sicher nicht leicht, den Glauben zu leben. Der Heilige Geist möge Sie im Glauben stärken, dass Sie tolerant mit anderen umgehen, sorgsam den Glauben in der Kirche schützen und das eigene Verhalten, die eigenen Handlungen und Ihre Haltung immer wieder prüfen, ob sie der Beziehung, die Gott durch Jesus Christus mit Ihnen begonnen hat und vertieft, entspricht. Amen.


Sonntag, 22. September 2024

Gastfreundschaft



Predigt 25. Sonntag im Jahreskreis B | Hamburg 22.9.2024

Les: Weish 2,1.12.17-21; Jak 3,16-4,3; Mk 9,30-37

Vorletzte Woche war ich mit einer Pilgergruppe in Schweden: 26 Personen, eine Woche mit dem Bus, unterwegs an schönen Orten, auf den Spuren des heiligen Ansgar und der heiligen Birgitta, die für den christlichen Glauben im Norden eine besondere Bedeutung haben. Es waren intensive und gesegnete Tage mit vielen Begegnungen mit den Ordensgemeinschaften bzw. mit den Gemeinden vor Ort. Denn das Ziel der Reise war es, nicht nur historische Sehenswürdigkeiten zu erkunden, sondern auch das Leben der katholischen Kirche in Schweden heute kennen zu lernen. So haben wir unterwegs immer wieder Menschen getroffen, die uns von ihrem Glauben, ihren Fragen, Sorgen und Nöten und vor allem von ihrer Hoffnung berichtet haben: In Lund trafen wir einen GCL-er und eine Dominikanerin, in Vadstena eine Birgittin, in Stockholm und in Uppsala die Jesuiten, in Södertälje einen chaldäischen Bischof und in Linköping einen schwedischen Diakon mit seiner Frau. 

Zwei Dinge sind uns bei der ganzen Reise immer wieder besonders aufgefallen:

1/ Es ist eine kleine Kirche. Offiziell sind 1,8 % der Schweden Mitglied der katholischen Kirche, d.h. es gibt in ganz Schweden weniger Katholiken als in der Stadt Hamburg. Nach der Reformation war es dort verboten, katholisch zu sein. Das öffentliche Bekenntnis wurde bestraft, bis hin zur Todesstrafe. Im 19. Jahrhundert gab es offiziell eine erste katholische Gemeinde, erst seit 1951 gibt es in Schweden Religionsfreiheit. Seit 2001 gibt es keine Staatskirche mehr, d.h. die Schweden sind seitdem nicht mehr automatisch Mitglied der lutherischen schwedischen Kirche. So bedeutet Religionsfreiheit bis heute für die meisten Menschen in Schweden, die Freiheit von der Religion, d.h. man muss nicht unbedingt gläubig sein. Nur wenige sehen die positive Seite der Religionsfreiheit für die Religion, nämlich die Möglichkeit die eigene Religion frei leben zu dürfen.

Die Kirche lebt vom Engagement und von der Hoffnung der Menschen. Es gibt außer den Priestern und Ordensleuten quasi keine Hauptamtlichen. Die finanzielle Unterstützung durch die deutsche Kirche und insbesondere das Bonifatiuswerk wurde uns gegenüber immer wieder hervorgehoben. In der schwedischen Gesellschaft wird die katholische Kirche kaum wahrgenommen, sie ist eher arm und wirkt fremd und exotisch. Gleichzeitig bietet sie für jene, die suchen, ein anspruchsvolles und gutes Angebot, die Gemeinden wachsen, es gibt insbesondere aus der Schicht der schwedischen Intellektuellen viele Konvertiten. Sogar einige evangelische Ordensgemeinschaften sind übergetreten. Das birgt viele Fragen und Herausforderungen, macht zugleich aber deutlich, wie sehr die katholische Tradition geschätzt wird, selbst wenn die Kirche klein und oft sehr fragil ist.

2/ Wir haben zweites eine große Gastfreundschaft erlebt. Wir wurden von Menschen aus den Gemeinden und Gemeinschaften erwartet und empfangen. Türen haben sich geöffnet, und jedes Mal gab es Kaffee und Zimtschnecken und eine schlichte Herzlichkeit. Viel beeindruckender jedoch finde ich die Gastfreundschaft gegenüber den Migranten. Schweden hat eine große Zahl von Irakern aufgenommen, später auch Syrer und Afghanen. Und von den Irakern sind viele chalädisch-katholische Christen. Sie feiern ihre Gottesdienste in den römisch-katholischen Gemeinden. Auch da gibt es manchmal Spannungen, aber insgesamt ist das bewundernswert, welche Gastfreundschaft die Schweden insgesamt und besonders die katholischen Gemeinden leben.

Warum erzähle ich Ihnen das? Weil es wesentlich mit dem heutigen Evangelium nach Markus zu tun hat. Dort geht es um zwei entscheidende Haltungen, die den Jüngern Jesu in der Nachfolge vorgestellt werden: Demut und Gastfreundschaft.

Jesus möchte seinen Jüngern unterwegs etwas mitgeben, nicht einfach nur eine Info mitteilen, was in den nächsten Wochen geschehen wird, sondern er möchte sie unterweisen, er möchte sie seine Sicht der Dinge lehren. Sie verstehen es leider nicht, trauen sich aber auch nicht, ihn zu fragen. 

Und das genau ist das Problem: sie sind nicht bereit zu fragen oder zu bitten. Sie meinen, sie könnten alles allein. Sie denken, sie sind die Größten. Sie sind mächtig. Sie sind wichtig. Und genau das ist nicht der Weg Jesu! Sondern den Jüngern ist ein Schatz „in zerbrechlichen Gefäßen“ (2Kor 4) anvertraut. Jüngerinnen und Jünger Jesu wagen zu fragen und zu bitten, Gott und den Nächsten, denn sie sind sich ihrer Verletzlichkeit bewusst. Nicht die Größe ist entscheidend, sondern die Demut, d.h. der Mut zu dienen und seine eigene Bedürftigkeit nicht zu verbergen: so wie ein Kind. Klein sein dürfen, d.h. nicht sich klein machen oder sich minderwertig fühlen, sondern die eigene Verletzlichkeit annehmen und nicht auf Macht und Stärke und Größe zu setzen, sondern auf Liebe und Wahrhaftigkeit.

Und die andere Haltung, die für Jesus entscheidend ist: die Gastfreundschaft! “Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ (Mk 9,37) Gastfreundschaft um Jesu willen: weil deine Freunde, Jesus, auch meine Freunde sind!

Gastfreundschaft ist mühsam: sich bereithalten, etwas vorbereiten und einkaufen, Zeit und Raum öffnen, auf anderes verzichten. Aber sie ist in besonderer Weise bereichernd, weil sie Begegnung ermöglicht, die nicht von Gewinn und Nützlichkeit bestimmt ist, und weil sie einen Vorgeschmack gibt auf das himmlische Fest, bei dem wir alle Gäste des Ewigen sein werden.

Demut und Gastfreundschaft, das sind zwei Haltungen für Jüngerinnen und Jünger Jesu, die auch oder vielleicht gerade in einer säkularisierten Gesellschaft angebracht sind, in der die Polarisierungen zunehmen: Ob mit Zimtschnecken oder ohne!


Montag, 2. September 2024

Vertrauen

Bild: https://www.ersilias.com/benjamin-gonzalez-buelta/


Statt einer Predigt am Sonntag, 1.9.24 - 22. Sonntag im Jahreskreis B

Les: Dtn 4, 1–2.6–8; Jak 1, 17–18.21b–22.27; Mk 7, 1–8.14–15.21–23


Vertrauen auf den Herrn (Ps 40,5)


Wer seine Sicherheit darauf setzt,

die Gesetze zu erfüllen, 

hat sich selbst einem Meister hingegeben,

kalt und unpersönlich, 

der unsere Komplexität straft 

wie ein Messerstich.


Wer seinen Wert darauf setzt, 

von anderen Anerkennung zu finden,

hat sich selbst den vielen Meistern hingegeben, 

die nicht zu ihm gehören, 

die ihn loben oder ihn verdammen, 

nach Lust und Laune.


Wer sein Selbstwertgefühl darauf setzt,

die eigenen Ziele zu erreichen, die er sich gibt, 

vertraut sich den dunklen Kräften an, 

die uns bewegen, aus unseren eigenen Schatten heraus.


Wer sein Vertrauen auf den Herrn setzt, 

der hat sich dem persönlichen Geheimnis hingegeben, 

das uns annimmt in unserer oft so mehrdeutigen Komplexität,

das uns wertschätzt mit einer Liebe, die immun ist gegen Enttäuschungen, 

das uns befreit von unserem dunklen Selbst,

indem es uns anbietet, kreativ seinen Plan für uns zu entwerfen,

und das eint, was durch Begrenzungen kaputt ist,

in die Gemeinschaft 

seiner unendlichen Umarmung.


(Benjamín González Buelta SJ, Confianza en el Señor; Übersetzung: Christian Modemann SJ)