Mittwoch, 19. August 2020

Ignatiusfest 2020

 

Ignatiusfest 31.7.2020 in Hamburg, Kleiner Michel 19 Uhr – Predigt
Thema: Welchen Sinn hat es, sich an den Tod eines Menschen zu erinnern?

Liebe Schwestern und Brüder,

in einer Jesuitenkommunität gibt es manchmal interessante, ungewöhnliche Gespräche. Vor einigen Wochen sprachen wir beim Mittagessen darüber, wie Ignatius 1556 in Rom eigentlich gestorben sei. Ob er bei seinem Tod alleine war und ob er die Sterbesakrament bzw. den päpstlichen Segen, um den er gebeten hatte, am Ende erhalten hat oder nicht. Wir waren in diesem letzten Punkt unterschied­licher Meinung – mein Oberer und ich. Und so nahmen wir anschließend, beim Kaffee, eines der dicken Bücher aus dem Regal und schauten nach.

Ignatius von Loyola lebte seit der offiziellen Anerkennung der Gesellschaft Jesu im Jahr 1540 als ihr allgemeiner Oberer (Generaloberer) in Rom. Im Jahr 1550 verschlechterte sich sein Gesundheits­zustand, so dass er um Ablösung bat, er blieb jedoch weiterhin im Amt. 1556 ging es ihm abermals sehr schlecht. Man vermutet heute, dass er unter Gallenkoliken litt, die jedoch nicht richtig behandelt wurden. Auch ein Aufenthalt im Landhaus in den Bergen vor Rom Anfang Juli 1556 brachte keine Besserung, so dass man ihn am 27. Juli wieder nach Rom brachte, in das Haus der Gesellschaft Jesu neben der Kirche „Il Gesu“. Er wurde von zwei Ärzten betreut, die davon ausgingen, dass er zumindest diesen Sommer noch überleben werde. Er war 64 Jahre alt.

Am Morgen des 30. Juli bat er seinen Sekretär Polanco um die Sterbesakramente und um einen päpstlichen Segen für sich und Lainez, der ebenfalls krank war. Das ist umso bemerkenswerter, da er wusste, dass der damalige Papst Paul VI. ihm nicht wohl gesonnen war. Polanco hatte an dem Tag noch viel zu tun, einige Briefe nach Spanien mussten fertig gestellt werden, und so fragte er Ignatius, ob er auch am nächsten Tage gehen könne, um den Segen zu erbitten. Ignatius war einverstanden und nach einer Beratung mit den Ärzten entschied man so.

In der Nacht auf den 31. Juli verschlechterte sich jedoch der Gesundheitszustand des Ignatius, so dass Polanco noch im Morgengrauen zum Vatikan lief, um den Segen des Papstes zu erbitten. Als er dann zurückkam, war Ignatius schon gestorben. Es gab also den päpstlichen Segen, jedoch kam er zu spät an – insofern hatten wir beide Recht, mein Mitbruder und ich.

Polanco schrieb über den Tod des Ignatius: „Er verließ diese Welt in der gewöhnlichsten Weise.“ Ignatius war bei seinem Tod nicht allein, zwei Mitbrüder waren bei ihm und haben mit ihm gebetet; aber er starb ohne letzte Ölung und ohne den päpstlichen Segen erhalten zu haben.

Soweit die Geschichte. Doch: Welchen Sinn hat es, sich an den Tod eines Menschen zu erinnern? Warum feiern wir heute den Todestag des Ignatius? Hilft uns das Nachdenken über den Tod in irgendeiner Weise für unser Leben? Der Tod als das Ende des Lebens – kann er uns ein „Bruder“ werden, wie es der hl. Franziskus einmal ausgedrückt hat? „Bruder Tod“?

Es gibt meines Erachtens zwei wesentliche Gründe, warum wir uns an den Tod eines Menschen erinnern. Erstens für unser eigenes Leben und zweitens für die Beziehung mit anderen Menschen und mit Gott.

1. Das Nachdenken über den Tod hilft uns für unser eigenes Leben

Steve Jobs, der Erfinder und Gründer einer bekannten Computermarke, erzählte einmal vor Studenten, dass er als Jugendlicher ein Zitat gelesen habe, das ihn Zeit seines Lebens beeindruckte: „Wenn Du jeden Tag so lebst, als wäre es dein letzter, wird es höchstwahrscheinlich irgendwann richtig sein.“ Er sagte, er habe seither sein Handeln von der Frage leiten lassen, ob er das, was er sich vorgenommen habe, auch tun würde, selbst wenn es sein letzter Tag wäre: „Mich zu erinnern, dass ich bald tot sein werde, war für mich das wichtigste Werkzeug, das mir geholfen hat, all diese großen Entscheidungen im Leben zu treffen. Denn fast alles – alle äußeren Erwartungen, der ganze Stolz, die ganze Angst vor dem Versagen und der Scham – diese Dinge fallen einfach weg angesichts des Todes und lassen nur übrig, was wirklich wichtig ist. Sich zu erinnern, dass man sterben wird, ist der beste Weg, den ich kenne, um der Falle zu entgehen und zu glauben, man hätte etwas zu verlieren. Du bist vollkommen nackt. Es gibt keinen Grund, um nicht seinem Herzen zu folgen.“

Steve Jobs beschreibt eine ganz ähnliche Einsicht, wie sie offenbar auch der hl. Ignatius in den Geistlichen Übungen vermitteln wollte: Der Hinweis findet sich im Exerzitienbuch im Kontext der Wahlüberlegungen, d.h. jener Übungen, die geeignet sind, einem Menschen zu helfen, in seinem Leben eine gute und gesunde Entscheidung zu treffen bzw. seine Lebensform zu wählen. Dort heißt es, man möge aus der Perspektive vom Ende des eigenen Lebens auf sein Leben heute schauen. „Als wäre ich in meiner Todesstunde, die Form und das Maß erwägen, die ich dann in der Weise der gegenwärtigen Wahl eingehalten haben wollte. Und indem ich mich nach jener richte, soll ich in allem meinen Entschluss treffen.“ [EB 186]

2. Das Nachdenken über den Tod hilft uns in der Beziehung mit anderen Menschen und mit Gott

Gestern habe ich am Requiem für Johannes Siebner in Berlin teilgenommen. Er war der Leiter der Jesuiten für die deutsche Provinz und starb vor zwei Wochen nach schwerer Krankheit. Ich habe mit ihm einige Jahre in Bonn gelebt und gearbeitet. Er hat sein Leben im Dienst für die Menschen hingegeben. Die Erinnerung an seinen Tod verbindet uns Jesuiten und viele andere untereinander. Vor allem aber verbindet uns die Erinnerung an seinen Tod mit dem tragenden Grund seines Lebens: mit Jesus Christus, der aus Liebe zu uns Menschen gelebt hat. Jesus hat uns durch seine Hingabe gezeigt: Wir sind unbedingt von Gott geliebte Menschen.

Wenn wir an einen geliebten Menschen denken, dann erinnern wir uns an bestimmte Situationen, an gewisse Verhaltensweisen oder Ratschläge. Die Erinnerung führt dazu, dass wir miteinander verbunden bleiben und diese Menschen in uns bleibend gegenwärtig sind. Wenn wir uns an einen Menschen erinnern, der selbst auf besonders intensive Weise mit Jesus verbunden war, dann erinnern wir uns zugleich auch an Jesus und sind mit ihm verbunden. Die Kirche nennt diese Verbundenheit untereinander die „Gemeinschaft der Heiligen“.

Ob uns das Nachdenken über den Tod eines Menschen im Leben hilft oder nicht, das liegt nun m.E. vor allem daran, wie man sich an den Tod eines Menschen erinnert. Ob mit Schrecken und Schuldgefühlen, mit Verdrängung oder Bitterkeit – oder mit Liebe und Dankbarkeit. Nur mit einer inneren Freiheit und mit Liebe können wir diese Verbundenheit erleben: „Die Liebe öffnet die Augen und ermöglicht uns, den Wert eines Menschen zu sehen.“ (Papst Franziskus, AL 128) Das gilt im Leben - und auch darüber hinaus.

Wenn wir uns heute mit dem hl. Ignatius an einen Menschen erinnern, der auf besondere Weise mit Jesus verbunden war, dann lasst uns Gott um diese Liebe bitten! Gott möge die Liebe zu Ignatius in unseren Herzen entzünden, damit das Andenken an seinen Tod uns helfe: für unser eigenes Leben gute Entscheidungen zu treffen und in der Beziehung zu den anderen Menschen. Und vor allem wollen wir bitten, dass diese Liebe zu Ignatius unsere Gemeinschaft im Glauben stärke – es ist der Glaube an Jesus Christus, der für Dich und mich Mensch geworden und gestorben ist. Amen.

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