Als Gelegenheit zur Umkehr beschreibt Papst Franziskus in einem Interview am 8.4.2020 mit Austen Ivereigh die globale Virus-Krise. Jetzt sei die Zeit, von der Heuchelei zum Handeln überzugehen und einen grundlegenden Wandel in Politik, Wirtschaft und persönlichem Handeln einzuleiten. Das Interview wurde auf Spanisch aufgenommen und in der britischen Zeitung „The Tablet“ und im US-amerikanischen Magazin „The Commonweal“ veröffentlicht.
In einer der Fragen geht es um die Auswirkungen der Krise
auf die Kirche und darauf, wie sehr es notwendig sei, unsere Art und Weise des
Handelns zu überdenken.
Austen Ivereigh: Sehen Sie aus all dem eine Kirche entstehen,
die missionarischer, kreativer und weniger an Institutionen gebunden ist? Sehen
wir eine neue Art von "Hauskirche"?
Papst Franziskus: Weniger an Institutionen gebunden? Ich
würde sagen, weniger an bestimmte Denkweisen gebunden. Denn die Kirche ist
Institution. Die Versuchung besteht darin, von einer deinstitutionalisierten
Kirche zu träumen, einer gnostischen Kirche ohne Institutionen - oder einer
Kirche, die festen Institutionen unterworfen ist, was eine pelagianische Kirche
wäre. Derjenige, der die Kirche schafft, ist der Heilige Geist, der weder
gnostisch noch pelagianisch ist. Es ist der Heilige Geist, der die Kirche in einer
alternativen, ergänzenden Weise institutionalisiert, weil der Heilige Geist
durch die Charismen Unordnung provoziert, aber dann aus dieser Unordnung heraus
Harmonie schafft.
Eine Kirche, die frei ist, ist keine anarchische Kirche,
denn Freiheit ist ein Geschenk Gottes. Eine institutionelle Kirche bedeutet
eine durch den Heiligen Geist institutionalisierte Kirche.
Eine Spannung zwischen Unordnung und Harmonie: Das ist die
Kirche, die aus der Krise herauskommen muss. Wir müssen lernen, in einer Kirche
zu leben, die in der vom Heiligen Geist hervorgerufenen Spannung zwischen
Harmonie und Unordnung existiert. Wenn Sie mich fragen, welches Buch der
Theologie Ihnen am besten helfen kann, dies zu verstehen, dann wäre es die
Apostelgeschichte. Dort werden Sie sehen, wie der Heilige Geist das
entinstitutionalisiert, was nicht mehr von Nutzen ist, und die Zukunft der
Kirche institutionalisiert. Das ist die Kirche, die aus der Krise herauskommen
muss.
Vor etwa einer Woche rief mich ein italienischer Bischof an,
der etwas nervös war. Er war in den Krankenhäusern herumgegangen und wollte
denjenigen, die sich auf den Stationen des Krankenhauses befanden, vom Flur her
die Absolution erteilen. Aber er hatte mit den Kirchenrechtlern gesprochen, die
ihm gesagt hatten, dass er das nicht könne und dass die Absolution nur in
direktem Kontakt erteilt werden könne. "Was denken Sie?", hatte er
mich gefragt. Ich sagte ihm: "Bischof, erfüllen Sie Ihre priesterliche
Pflicht." Und der Bischof sagte: "Grazie, ho capito"
("Danke, ich verstehe"). Später erfuhr ich, dass er überall im
Krankenahaus die Absolution erteilt hatte.
Das ist die Freiheit des Geistes inmitten einer Krise, nicht
eine in Institutionen verschlossene Kirche. Das bedeutet nicht, dass das
kanonische Recht nicht wichtig ist: Es ist wichtig, es hilft, und bitte lassen
Sie uns davon Gebrauch machen, es ist zu unserem Wohl. Aber der letzte Kanon
besagt, dass das gesamte Kirchenrecht für die Rettung der Seelen bestimmt ist,
und das ist es, was uns die Tür öffnet, um in schwierigen Zeiten hinauszugehen
und den Trost Gottes zu bringen.
Sie fragen mich nach einer "Hauskirche". Wir
müssen auf unsere Ausgangsbeschränkungen mit all unserer Kreativität antworten.
Wir können entweder deprimiert und entfremdet werden - durch Medien, die uns
aus unserer Realität herausholen können - oder wir können kreativ werden. Zu
Hause brauchen wir eine apostolische Kreativität, eine Kreativität, die von so
vielen nutzlosen Dingen befreit ist, aber mit der Sehnsucht, unseren Glauben in
der Gemeinschaft als Volk Gottes zum Ausdruck zu bringen. Also: im Lockdown zu
sein, aber mit der Sehnsucht, mit dieser Erinnerung, die Sehnsucht und Hoffnung
weckt - das ist es, was uns helfen wird, unseren Ausgangsbeschränkungen zu
entkommen.
https://www.commonwealmagazine.org/print/41148 - Übersetzung: Christian Modemann SJ
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