Predigt Sonntag 15.11.2020 (33 Sonntag im Jahreskreis A), Hamburg
Liebe
Schwestern und Brüder,
vor zehn
Tagen wurde in Amerika ein neuer Präsident gewählt. Mehrere Tage haben wir in
den Nachrichten die Hochrechnungen verfolgen können, bis schließlich vor einer
Woche der Wahlsieger verkündet wurde. Noch immer gibt es kein amtliches
Endergebnis und das Ringen um den Wechsel im Weißen Haus geht weiter. Die
Situation stellt uns persönlich vor die Entscheidung, wem wir glauben: Dem
Amtsinhaber, der von Wahlbetrug spricht und behauptet, er habe die Wahl
gewonnen; alles andere sei eine Kampagne der Medien gegen ihn? Oder dem
Herausforderer, der dem die Staatschefs aller Länder zum Wahlsieg gratulieren
und der als Präsident aller Amerikaner verspricht, die Nation zu einen? Wer ist
glaubwürdig? Wem vertraue ich? Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen, man muss
sich doch nur die Wahlstimmen anschauen; die Wirklichkeit ist doch – Zählung um
Zählung - offensichtlich. Entscheidend sind doch die Fakten: derjenige sollte
Präsident werden, der nach dem amerikanischen Wahlrecht gewonnen hat. Es kommt
doch nur auf die Stimmen bzw. die Wahlmänner und -frauen an. Einfach mal
hinschauen!
Die gleiche
Frage stellt sich meines Erachtens auch im Blick auf das heutige Evangelium.
Dort geht es um drei Diener (Knechte, Sklaven), die von ihrem Herrn, der auf
Reisen ging, ein großes Vermögen anvertraut bekamen. Ein Talent entsprach
damals 60 Minen, eine Mine 1000 Denaren und ein Denar war der Tagelohn eines
Arbeiters. Das heißt ein Talent entsprach dem Lohn für 30 Jahre Arbeit! Wenn
man das auf heute überträgt, geht es bei den acht Talenten, die verteilt
werden, um etwa 4 bis 5 Millionen Euro, die an die drei Diener verteilt werden.
Dabei ist klar: Das Geld wird nicht verschenkt, sondern anvertraut. Es gehört
dem Herrn. Ihr bekommt es für einen bestimmte Zeit und könnt damit wirtschaften.
Nach langer
Zeit kommt der Herr zurück, rechnet ab, verlangt Rechenschaft. Zwei haben gut
gewirtschaftet und jeweils das Vermögen verdoppelt. Diese beiden lobt der Herr:
„Sehr gut, du treuer und tüchtiger Diener.“ Er verspricht ihnen, er werde ihnen
ein größeres Vermögen anvertrauen und vor allem lädt er sie ein, teilzunehmen
an einem Fest: Mit ihm zu sein und teilzuhaben an seiner Freude! „Komm, nimm
teil, am Freudenfest deines Herrn.“
Diese
beiden würden also von ihrem Herrn sagen: Das ist ein großzügiger,
unternehmungslustiger, lebendiger, wohlwollender Herr, der seinen Diener
einiges zutraut, sie groß werden lässt, sie lobt, Anerkennung schenkt.
Einer hat
schlecht gewirtschaftet. Er hat das Geld zwar nicht verloren, aber er hat auch
nichts dazu gewonnen. Denn er ist auf Nummer sicher gegangen und hat das Geld
vergraben. Das war zur damaligen Zeit eine nicht unübliche, aber eben doch
wenig kreative und produktive Methode, um Geld aufzubewahren. Als er von seinem
Herrn zur Rede gestellt wird, rechtfertigt er sich und sich die Schuld für
seine Mutlosigkeit nicht bei sich, sondern beim Herrn. Er sagt es offen: Er
hatte Angst vor Verlust und Versagen. Die Ursache dieser Angst sieht er beim
Herrn selbst, den er als streng und ungerecht beschreibt. Er wird vom Herrn
bestraft, indem er ihm das Vermögen abnimmt und ihn hinauswirft, in die
„äußerste Finsternis“. Die Begründung für solch drastisches Verhalten? „Du bist
böse und träge!“, so sagt ihm der Herr.
Dieser
Diener würde als von seinem Herrn sagen – und er tut es expressis verbis in der
Geschichte: Das ist ein strenger Mann, hart und unbarmherzig. Ich habe es
vorher gewusst und war deshalb ärgerlich und ängstlich-träge im Umgang mit dem
anvertrauten Vermögen. Dieser Herr, der Druck ausübt und Leistung fordert, der
wiederkommt und abrechet, der macht mir Angst.
Zwei so
unterschiedliche Sichtweisen auf den gleichen Herrn? Kann das sein? Wer ist
glaubwürdig? Wem vertraue ich? Den beiden ersten Dienern oder dem dritten?
Welche Kriterien gibt es, um das zu entscheiden?
In der
Geschichte nimmt der Dialog mit dem dritten Diener den größten Raum ein, das
Interesse der Parabel liegt eindeutig auf seiner Person. Er wird uns als eine
Gestalt angeboten, mit der wir uns vielleicht sogar identifizieren können. Aber
am Ende wird er bestraft und hinausgeworfen. Was für eine verstörende
Geschichte!
Das
Gleichnis ist widerständig und irritierend und man kann es leicht
missverstehen. Zwei meines Erachtens falsche Interpretationen möchte ich
nennen.
Bertold
Brecht hat in seiner Dreigroschenoper dieses Gleichnis als Rechtfertigung von
Ausbeutung und Profit scharf kritisiert. Mit welcher Wirtschafts-Methode haben
die beiden ersten Diener einen Gewinn von 100% machen können? Wohl
wahrscheinlich mit dem Handel von Waren und der Spekulation mit Land. Und die
Moral des Gleichnisses scheint eine Heiligsprechung des kapitalistischen
Systems zu sein: Wer hat, dem wird gegeben und er wird im Überfluss haben; wer
aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Die Reichen werden
immer reicher und die Armen immer ärmer. Das soll die Verkündigung Jesu sein?
Dagegen protestiert Brecht. Aber meines Erachtens trifft er damit nicht den
Kern der Aussage des Evangeliums.
Zugegeben:
In diesem Gleichnis protestiert Jesus nicht gegen die Ungerechtigkeit, gegen
die Armut. Und er benutzt als Bildebene mit dem Geld, mit den Talenten, einen
Vergleich aus der Wirtschafts-Welt von Handel und Spekulation. Aber es geht
ihm, so meine ich, um etwas anderes als um Wirtschaftshandeln.
Das zweite
Missverständnis ist die verbreitete Deutung im Sinne der individuellen Selbstverwirklichung.
Eine Aktualisierung der Parabel in einem Religionsbuch für Siebtklässler
lautet: „Du bist sprachbegabt! Warum lernst du nie deine Vokabeln? Du verstehst
die Fragen! Warum machst du keine Hausaufgaben? Du hast gute Gedanken! Warum
arbeitest du nicht mit? ... Beweg dich! Mach was aus dir! Nutze die
Möglichkeiten! Alles liegt an dir!“ (aus: Dasein. Wege ins Leben 7,
Unterrichtswerk für den Evangelischen Religionsunterricht an der Hauptschule,
von Werner Haußmann (u.a.), Frankfurt a. M. 2001, 26.) Diese Deutung liegt ganz
im Trend: Nutze deine Zeit. Jede und jeder hat Talente und Begabungen. Nutze sie.
Dem einen ist viel gegeben, dem anderen weniger; es kommt nur darauf an, was Du
daraus machst.
Diese
Botschaft ist keine ungewöhnliche Ermutigung, sondern unterstützt nur das von
der Gesellschaft geforderte Leistungsdenken: Du kannst Leistung bringen, dann
tu es auch. Es dient alles deinem eigenen Erfolg und Fortschritt. Wenn ich das
Gleichnis so verstehe, dann ist die Bestrafung des dritten Dieners für Menschen
mit Angst vor Verlust und Versagen nur eine weitere Bedrohung. Auch diese
Interpretation, meine ich, trifft die Aussageabsicht Jesu nicht.
Worum geht
es denn dann? Ich komme nochmals zur Ausgangsfrage zurück: Wer ist glaubwürdig
in dieser Geschichte? Wem vertraue ich? Es stehen sich wie gesagt, zwei
Sichtweisen auf den Herrn gegenüber: Ein großzügiger, wohlwollender,
Gemeinschaft stiftender Herr und ein strenger, harter, unbarmherziger Herr.
Welche Sichtweise ist richtig?
Genau wie
bei der Wahl in Amerika lädt Jesus uns ein: Einfach mal hinschauen, was
wirklich ist. Entscheidend sind doch die Fakten. Wach werden und die Realität
wahrnehmen. Der dritte Diener, um den es hier geht, hat doch ein riesiges
Vermögen anvertraut bekommen. Und er zweimal sehen können, wie der Herr
gegenüber den anderen Dienern reagiert: Großzügig, wohlwollend, gütig, nicht
vorwurfsvoll, kleinlich. Was er schenkt ist: Teilhaben an der Freude.
Und dann
kommt er an die Reihe und behauptet einfach das Gegenteil. Schon merkwürdig,
oder? Ja, zugegeben, er hat Angst. Aber warum denn? Weil er in seiner
Sichtweise gefangen ist. Er ist nicht fähig oder bereit auf die Wirklichkeit zu
schauen. In dem Maß jedoch, indem er sich der Wirklichkeit verschließt und in
Selbstrechtfertigung verfällt, glaubt er mehr seiner eigenen Angst als dem
Verhalten des Herrn.
Das
Gleichnis spaltet! Es konfrontiert uns mit unserer Sichtweise auf Gott und auf
das Leben. „Wir kommen, wohin wir schauen.“ (Heinrich Spaemann)
Wenn ich
auf die offensichtliche Großzügigkeit und Güte Gottes schaue, erscheint mir die
Welt, mein Leben, meine Begabungen, unsere Freundschaften als ein riesiger
Schatz, der mir anvertraut ist und mit dem ich kreativ und produktiv umgehen
kann.
Wenn ich aber
Angst habe vor Gott, einen strafenden Gott vor Augen habe, gegenüber dem ich
Leistung bringen muss, dann werde ich mit dieser Angst fast jedes Verhalten
rechtfertigen können. Dann werde ich mich immer tiefer in mir selbst eingraben.
Dann wird alles Gute, was ich tagtäglich von geschenkt bekomme, was ich erlebe,
nur von dieser Angst davon geprägt sein. Dann werde ich nur auf die Mängel und
die Ungerechtigkeit schauen und niemals den vermeintlichen Ansprüchen gerecht
werden. Letztendlich wird mir alles aus den Händen genommen. Es bleibt nur die
Angst und ich verfalle in Bosheit und Trägheit.
Das
Gleichnis ist keine Einladung zum „Positiv Thinking“: Du musst nur positiv
denken, dann wird alles gut. Es ist mehr eine Mahnung zum Blick auf die ganze
Wirklichkeit, auf Gottes im Kern gute Schöpfung, auf die Menschen, das Leben,
das uns vertraut ist. Es ist eine Einladung, die Augen auf zu machen, die
Wirklichkeit wahr zu nehmen und die Angst loszulassen kann – mich auf Gott hin
los zu lassen. Dass diese Sichtweise folgen hat für mein Verhalten, das brauche
ich nicht zu erwähnen, oder?
„Das ist
die Wahrheit unseres Lebens: Dass wir immer viel mehr geschenkt bekommen als
wir geben.“ (Teresa Forcades)
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