Predigt Manresa 21.8.2021 – 21. Sonntag im Jahreskreis C
Les: Jes 66, 18-21; Hebr 12,5-7.11-13; Lk 13,22-30
Auf seinen letzten Metern feierte ihn bei der Leichtathletik-EM letzte Woche das ganze Stadion: Nahuel Carabaña aus Andorra kam als Letzter ins Ziel, doch er bekam den meisten Applaus. Im Vorlauf über 3000 Meter Hindernis stürzte der in Führung liegende Däne Axel Vang Christensen. Carabaña lief zunächst vorbei, dann drehte er um und ging zu Christensen, versuchte ihn aufzurichten und half ihm. Er wurde dann Letzter – aber der „Sieger der Herzen“, wie die Zeitungen titelten. „Siehe, da sind Letzte, die werden Erste sein.“ (Lk 13,30).
Ich möchte etwas zum heutigen Evangelium sagen, das ja in mehrerer Hinsicht provozierend ist; nicht nur wegen dieses Schlusssatzes von den Ersten und den Letzten. Vor allem will ich etwas sagen zu dem Bemühen, zu dem wir aufgefordert werden, und zu der engen Tür, durch die viele versuchen werden, hineinzukommen. Warum gelingt es nicht? Was macht es ihnen schwer, durch die Tür zu gelangen?
In der vergangenen Woche haben 11 Erwachsene in Wentorf bei Hamburg an „Exerzitien zum Einsteigen“ teilgenommen: eine Zeit im Schweigen, mit Betrachtungen von biblischen Texten, bei denen es darum geht, sich selbst und Gott besser kennenzulernen und Sein Handeln im eigenen Leben mehr wahrzunehmen. Exerzitien sind übersetzt „geistliche Übungen“ – „zum Heil der Seele“, wie Ignatius von Loyola formuliert (EB 1). Viele der Teilnehmenden waren zum ersten Mal dabei. Sie haben eine neue Form der Meditation entdeckt und es ist ihnen in diesen Tagen viel Gutes geschenkt worden. Einige haben sich aber auch schwer getan mit den Übungen. Sie sind auf Widerstände gestoßen und gemerkt, so einfach ist das alles nicht. Warum? Woran liegt es?
In den geistlichen Übungen kommt es darauf an, das Gespräch mit Jesus zu suchen, ihn in das eigene Leben hineinzulassen und ihn in konkreten Anliegen zu bitten. Und das ist tatsächlich für manche Menschen nicht einfach! Aus der bloßen distanzierten, neutralen Zuschauerrolle herauszukommen und selbst ein betender, bittender Mensch zu werden.
Denn zu bitten, ist nicht einfach. Wir lernen von klein auf, dass wir selbständig sein sollen; dass wir dann frei sind, wenn wir von niemand anderem abhängig sind. Wer andere um etwas bitten muss, der schafft es nicht allein. Der ist zu schwach, um es selbst zu tun. Wir haben diese Verhaltensregel dann auf den Glauben übertragen: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott! Was für ein Unsinn!
Als ob wir gegenüber Gott dann freier sind, wenn wir weniger von ihm abhängig sind. Das Gegenteil ist der Fall! Wenn wir Gott bitten und uns seiner Fürsorge und der Führung Jesu anvertrauen, dann werden wir nicht weniger frei, sondern mehr. Dann ist die Bitte kein Zeichen von Schwäche, sondern von Glauben und Vertrauen.
Es ist die Angst um uns selbst, die es uns schwer macht, einem anderen zu vertrauen zu vertrauen. Es ist die Angst, die Kontrolle über das eigene Leben aus der Hand zu geben, die für uns die Tür so eng macht.
Ich selbst habe die Exerzitien erst verstanden, als ich im Noviziat, zusammen mit einem anderen Novizen, zum Pilgern geschickt wurde. Wir sind damals zu Fuß nach Taizé gepilgert, einen Monat lang, ohne Geld. Ich habe das schon einmal erzählt, es gehört für mich zu den prägendsten Erlebnissen. Ich wollte nicht betteln, ich fand das affig, völlig aus der Zeit gefallen. Außerdem war ich schon Anfang dreißig. Ich hatte mein eigenes Geld verdient. Es fiel mir schwer, andere um etwas zu bitten, um Essen, um Unterkunft zu betteln. Das war jedes Mal wieder eine Überwindung. Aber es war im Rückblick eine gute Übung.
Die Kunst des Gebets liegt darin, davon bin ich seitdem überzeugt, sich zu überwinden und zu bitten. Nicht nur allgemein, z.B. um Frieden für alle Menschen, sondern konkret um das, was mir jetzt persönlich wichtig ist. „Du, Gott, bitte!“ Aber Vorsicht: Es könnte sein, dass etwas geschieht! „Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet.“ (Lk 11,9) – so sagt Jesus.
Das ist es zum einen, was die Tür eng macht: Die Angst um uns selbst. Die geforderte Anstrengung besteht im Vertrauen, im Glauben, der allein den Menschen zu retten vermag.
Dann gibt es noch etwas anderes, was daran hindert, durch die Tür zu kommen. Davon spricht der zweite Teil des Gleichnisses; wenn der Herr die Tür nicht mehr aufmacht. Seine Begründung lautet: „Ich weiß nicht, woher ihr seid.“ Zweimal sagt er das (Lk 13, 25.27). Und ergänzt dann beim zweiten Mal: „Weg von mir, ihr habt alle Unrecht getan!“ (Lk 13, 27)
Der fromme Leser hört: Das ist ein Zitat aus Psalm 6. Dort heißt es: „Weicht zurück von mir, all ihr Übeltäter, denn der Herr hat mein lautes Weinen gehört.“ (Ps 6,9 – EÜ 1980/2016) Übeltäter sind Menschen, die Unrecht getan haben. Es betet ein Mensch, der offenbar schwer misshandelt wurde und nun im Sterben liegt, in „Todesnot in der Nacht“, wie es in der Überschrift heißt und nun in seiner Pflege ganz von anderen abhängig ist. Er wendet sich an Gott: „Meine Seele ist tief erschrocken. Du aber, Herr – wie lange noch?“ (Ps 6,4)
Mit diesem Beter in Todesnot, mit diesem schwachen und kranken, misshandelten Menschen, identifiziert sich der Herr des Hauses, der die Tür schließt gegen über allen, die Unrecht getan haben. Es ist nicht der überhebliche, strafende, willkürlich richtende Herr, sondern der solidarische Herr, der die Schwachen schützt und aufrichtet, wer danieder liegt. Wer in sein Reich hineinkommen möchte, der muss wissen, dass er gelernt haben sollte, sich in rechter Weise zu verhalten. Dass es dort kein Unrecht mehr gibt und keine Tränen.
Das Bild von der engen Tür und der verschlossenen Tür vermittelt also eine doppelte Botschaft:
1/ Der Raum des Heils steht allen offen, hineinzukommen allerdings ist schwierig, aber nicht unmöglich. Ein Lippenbekenntnis reicht nicht aus. Noch nicht einmal reicht es aus, am Sonntag zur Messe zu gehen und im Katechismus zu lesen. Es braucht den Glauben, der sich konkret darin zeigt, Ihn in das eigene Leben hineinzulassen, ihn zu bitten, und ihm die Kontrolle über das eigene Leben anzuvertrauen. Es braucht darüber hinaus die Bereitschaft, nicht das Unrecht zu tun, d.h. bei der Missachtung und Misshandlung der armen und schwachen Menschen nicht mitzutun.
2/ Die Zeit drängt. Die enge Tür kann vom Hausherrn jederzeit verschlossen werden – und dann ist es für immer zu spät.
An den vergangenen Sonntagen wurden wir im Evangelium vor Reichtum und Selbstgerechtigkeit gewarnt, das steht weiterhin im Hintergrund; heute allerdings ist mehr im Blick, was sein wird, wie es sein wird, wenn das Reich Gottes kommt; und dass es bis dahin ein ernsthaftes Bemühen von unserer Seite braucht. Wir können uns nicht selbst retten, aber wir können in uns die Bereitschaft und die Offenheit wachsen lassen, dass der Herr uns retten kann! Und dann mit ihm zu Tisch sitzen und Mahl halten. Amen.
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