26/6/22 - Predigt 13. Sonntag im
Jahreskreis C - Manresa
Jeden Tag
muss man sich entscheiden. Es gibt die kleinen, angenehmen Entscheidungen: Was
werde ich heute Abend tun? Wen werde ich treffen? Was werde ich als
Geburtstagsgeschenk für ihn oder sie vorbereiten? Wo werden wir den Urlaub
verbringen? Und es gibt die großen Entscheidungen für das Leben: Was werde ich
studieren? Werde ich heiraten? Welchen Beruf werde ich ergreifen? Soll ich die
Arbeitsstelle wechseln?
Manchmal
sind wir frei in unserer Wahl, oft gibt es Bedingungen, Umstände und
Widrigkeiten, die unsere Wahl einschränken. Wir fühlen uns dann nicht mehr
frei, sondern eher hilflos, orientierungslos. Wie können wir uns entscheiden?
Wie treffen wir gute Entscheidungen? In den heutigen Lesungen wurden uns
Menschen vorgestellt, die eine Entscheidung zu treffen haben.
Im Alten
Testament: Elischa. Der Prophet Elija ernennt ihn mit einer bedeutungsvollen
Geste zu seinem Nachfolger. Er wirft ihm seinen Mantel über. Elischa will ihm
folgen, sich aber zuvor von seinen Eltern verabschieden. Das ist verständlich.
Außerdem ist es die Pflicht eines Sohnes, sich um seine alten Eltern zu
kümmern, die nicht mehr mit ihm auf dem Feld arbeiteten. In der jüdischen
Tradition ist es das Gesetz des Mose, das im vierten Gebot vorschreibt: „Ehre
deinen Vater und deine Mutter, damit du ein langes Leben hast in dem Land, das
der Herr, dein Gott, dir gibt.“ Der Prophet Elija gewährt ihm dies, aber nicht
ohne Ironie. Er scheint über die Tatsache verärgert zu sein, dass Elischa ihm
nicht direkt folgt. Elischa verabschiedet sich nicht von seinen Eltern, sondern
veranstaltet ein Fest für die Menschen um ihn herum. Und er verbrennt das Holz
des Gespanns, sein Arbeitsinstrument. Er bricht alle Brücken hinter sich ab. Eine
seltsame Geschichte.
Im
Lukasevangelium: Drei Männer, die Kandidaten für die Nachfolge Jesu sind, um
sich der Gruppe der Jünger anzuschließen. Zwei stellen sich selbst vor: „Ich
werde dir folgen, wohin du auch gehst.“ Ein anderer wird von Jesus gerufen: „Folge
mir nach.“ Drei Situationen, in denen man sich entscheiden muss. Dreimal macht
Jesus auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die mit der Nachfolge verbunden sind.
Jesus ist auf dem Weg, der ihn zum Kreuz führen wird, und er geht ihn, den
Launen der Menschen ausgeliefert, die sich vielleicht weigern, ihn aufzunehmen.
Wer ihm nachfolgen will, muss diese Armut akzeptieren: kein Zuhause haben, in
dem man sich ruhig ausruhen kann; Verfügbarkeit, auch um den Preis des
Verzichts auf die eigene Familie, nach vorne schauen.
Werden die
drei Jesus folgen? Das wird im Evangelium nicht gesagt. Als ob das Evangelium
diese Frage an jeden von uns stellt. Wie würdest du dich entscheiden? Und zwar
nicht anstelle des einen oder anderen, sondern in der eigenen Situation. Wirst
Du Jesus nachfolgen und nichts anderes vorziehen oder dazwischenschieben?
Wie können
wir uns entscheiden? Wie trifft man gute Entscheidungen? Um auf die Frage zu
antworten, möchte ich noch einmal den Anfang des Textes lesen, weil m.E. dort
schon die Antwort des Evangeliums angelegt ist: „Als sich die Tage erfüllten, dass
er hinweggenommen werden sollte, richtet Jesus sein Angesicht fest darauf, nach
Jerusalem hinaufzugehen. Und er sandte Boten vor seinem Angesicht her; diese gingen
und kamen in ein Dorf der Samariter und wollten eine Unterkunft für ihn
besorgen. Aber man nahm ihn nicht auf, weil sein Angesicht nach Jerusalem gerichtet
war." (Lukas 9,51-53)
Dreimal in
diesem Vers verwendet der Evangelist Lukas das Wort Angesicht (griechisch
prosopon). Offensichtlich ist es für ihn sehr wichtig, uns die Blickrichtung,
die Ausrichtung Jesu zu zeigen. Was ist seine Blickrichtung? Jesus blickt nach
Jerusalem, er orientiert sich an der Passion. Seine Blickrichtung hat eine
Bedeutung für die Art und Weise, wie er heute lebt.
Der deutsche
Philosoph Heinrich Spaemann schreibt: „Was wir im Auge haben, das prägt uns,
dahinein werden wir verwandelt. Und wir kommen, wohin wir schauen.“ (Heinrich
Spaemann, Orientierung am Kinde. Meditationsskizzen zu Mt 18,3. Düsseldorf
1970, S. 29)
„Wir kommen,
wohin wir schauen.“ Wenn ich jemanden sehe, der sehr talentiert Klavier spielt,
und wenn ich ihn anschaue, wird mich dies verwandeln. Vielleicht fange ich an,
das Klavierspiel zu üben und zu studieren. Wir kommen, wohin wir schauen. Das
gilt auch für das Böse. Wenn ich mir oft gewalttätige Computerspiele anschaue, dann
wird es mich formen und verwandeln. „Wir kommen, wohin wir schauen.“
Kehren wir
zum Evangelium zurück. Jesus blickt nach Jerusalem. Er weiß, dass sein Weg
nicht leicht sein wird: Schwäche, Hilflosigkeit, Scheitern. Aber er kennt auch
die Freude, die Unentgeltlichkeit der Liebe Gottes zu den Armen, Vergebung,
Heilung. Er weiß, dass Gottes Wille nicht durch Gewalt verwirklicht wird,
sondern durch das Weitergehen und Annehmen von Grenzen; denn dadurch zeigt sich
die Kraft Gottes. Wie der heilige Paulus es von Gott hörte: „Lass dir an meiner Gnade genügen,
denn meine Kraft ist im Schwachen mächtig.“ (2Kor 12,9)
Oft blicken
wir in die Vergangenheit zurück. Wie viel besser war es doch früher! Oder wir
blicken auf all die nicht gewählten Optionen. Was hätte sein können? Wir
blicken auf Sicherheit und Bequemlichkeit. Das ist der Blick auf mich selbst. „Es
gibt ja immer noch diese leise Stimme in mir die sagt, ich soll die einfachste
Alternative wählen: einen Film anzuschauen, statt meine Familie zu besuchen,
die Beantwortung von Nachrichten aufzuschieben, die Verantwortungen für
niemanden, außer für mich selbst zu übernehmen. Eine „Mach es dir leicht für
dich selbst“-Haltung.“ Oder wir blicken auf die Traditionen und Pflichten der
Gesellschaft, die durchaus gut sind. Oder wir schauen auf unsere Familien, das
soziale Netzwerk, Anerkennung und Ehre. Das ist an sich nicht falsch, aber ist
es das wert?
Jesus ermutigt
uns zu einem anderen Blick, zu einer Ausrichtung des Lebens, letztlich zu einer
Haltung: aufrecht und aufrichtig zu leben. „Wir kommen, wohin wir schauen.“ Das
christliche Leben wird dann zu einem Stil, einer Lebenshaltung, die sich in den
Tugenden ausdrückt. Es geht nicht darum, jeden Tag eine gute Tat zu
vollbringen, wie es bei den Pfadfindern gelehrt wird: Jeder kann gute Taten
vollbringen, auch Menschen mit schlechten Absichten. So wie ein schlechter
Tennisspieler durch Zufall einen Punkt in einem Match gewinnen kann. Aber ein
guter Tennisspieler trainiert, er ist es gewohnt, gut zu spielen, auch wenn er
mal einen schlechten Tag hat. Christi nachzufolgen, bedeutet, den Blick auf das
zu richten, was und zieht und führt und so zu leben, dass es eine gute
Gewohnheit für uns wird: Ein entschlossener Blick, ein Blick auf Freude und
Mitgefühl.
Zu diesem
Blick, zu dieser Haltung werden wir von Gott befreit, durch seine Großzügigkeit
und Großherzigkeit, durch seine Liberalität (vgl. Gal 5,1). Darin finden wir Freiheit.
Wir werden von Gott befreit, um eine Wahl zu treffen. Jeden Tag, jeden Moment
unseres Lebens können wir neu beginnen und unter der Führung des Heiligen
Geistes wandeln.
Wie der
norwegische Abenteurer Erling Kagge sagt: „Ein freies Leben sollte Disziplin,
Aufmerksamkeit und Bewusstsein und natürlich Großzügigkeit beinhalten.
Freiheit ist die Fähigkeit, „andere Menschen wirklich ernst zu nehmen und Opfer
für sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen,
völlig unsexy, Tag für Tag. […] Verantwortung und Belastungen geben dem Leben
Substanz. Nur die einfachste Möglichkeit zu wählen, ist ein Rezept, dem Leben
diese Substanz zu entziehen. Wenn ihr Leben für andere keinen Unterschied
macht, dann wird es auf lange Sicht auch für sie keine so große Rolle spielen.
Viele Menschen sagen, dass man Weisheit und Erfahrung braucht, um die richtige
Entscheidung treffen zu können. Aber ich glaube manchmal, dass wir vieles
schon instinktiv wissen. Es ist die Wahl, die das schwierigste ist, egal wie
alt oder Weise wir werden.“ (Erik Varden: Heimweh nach Herrlichkeit, 2021; Vorwort
von Erling Kagge, Seite 10).
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