Predigt 26. Sonntag im Jahreskreis A, Hamburg 2023
Die Ressource: „innere Freiheit“
Les: Phil 2,1-11; Mt 21,28-32
Predigt: Liebe Geschwister
im Glauben,
im Rahmen der Predigtreihe haben
ihnen an den vergangenen Sonntagen drei Predigerinnen jeweils eine Ressource vorgestellt,
die ihnen Kraft und Mut im Glauben gibt: Sr. Klarissa die Ressource des Suchens
nach dem eigenen Weg, Martina Altendorf die Vergebung, Barbara Viehoff den Perspektivwechsel.
Heute möchte ich eine Ressource vorstellen, die mir Kraft und Mut im Glauben
gibt: die „innere Freiheit“.
Wir haben im Moment Besuch von
einem älteren Herrn, ein Bekannter von Pater Mehring, der nach einigen Irrungen
und Wirrungen im Leben schließlich Religionslehrer geworden ist und darin seine
Berufung gefunden hat. Er erzählte beim Abendessen, auf welch ungewöhnlichem
Weg er dazu gekommen ist. Die Geschichte endete damit, dass all die Ereignisse
und Begegnungen ihm deutlich gemacht haben, dass der „oberste Chef“, so drückte
er sich aus, „es so gewollt habe“. Das habe ihm eine große innere Freiheit
gegeben in diesem Beruf.
Das Evangelium, dass wir gerade
gehört haben, ist in diesem Sinne auch eine Berufungsgeschichte. Der Vater ruft
nacheinander seine zwei Söhne und bittet sie: geh und arbeite heute im
Weinberg. Die Antworten der beiden fallen unterschiedlich aus. Der eine sagt
„nein“, geht dann aber doch. Der andere sagt „ja“, geht aber nicht. Die Antwort
auf die Frage, wer den Willen des Vaters getan hat, ist jedoch einhellig: Der
erste ist schließlich der Einzige, der etwas getan hat.
Ist die Pointe der Erzählung
also, dass es mehr auf die Taten ankommt und als auf die frommen Worte? Dies
bestreiten weder die Hohepriester noch die Ältesten der Juden, mit den Jesus
diskutiert. Ignatius von Loyola würde sagen, dass man die Liebe mehr in die
Taten als in die Worte legen soll. In dem Punkt sind sie sich doch offenbar
einig. Worum geht es bei diesem Gleichnis dann eigentlich?
Eine kleine Zwischenfrage an Sie mag
uns helfen: Welcher der beiden Söhne, denken Sie, war am Ende des Tages
glücklicher? […] Derjenige, der den Tag gearbeitet hat – oder der andere?
Das Gleichnis vom willigen und
vom unwilligen Sohn hebt, so denke ich, vor allem auf die innerliche Veränderung
ab, auf das, was beim Einzelnen innerlich geschieht: auf die Umkehr und die
Reue, auf die Einsicht und die Wirkung, die damit zu tun hat, dass man auf das
Recht-behalten-wollen, verzichtet. Das ist, glaube ich, der entscheidende Punkt
in dieser Geschichte - und auch bei der Frage nach der Berufung und der inneren
Freiheit.
Berufung ist die Wahrnehmung,
dass ich etwas tue, was nicht nur auf meinem eigenen Mist gewachsen ist; dass
ich geführt werde von Gott, auf einem Weg, den ich mir selbst nicht vorgestellt
oder ausgesucht habe und den ich doch selbst gewählt habe. Berufung ist die
schrittweise Erkenntnis, dass die einzelnen Puzzle-Teile meines Lebens doch
irgendwie zusammengehören und dass es einen größeren Sinn gibt, den Gott für
mich kennt und mir zu deuten hilft.
Es geht bei Berufung nicht in
erster Linie um die Reue des Sohnes. Diese spielt sicherlich in einem Moment
auch eine Rolle: Dass er sich gedacht hat, mehr noch, dass er gespürt hat:
„Meine Antwort war nicht okay.“ Ich könnte dem Vater im Weinberg heute einmal
helfen. Warum mich der Vater bittet, das ist gut möglich und mir bricht kein
Zacken aus der Krone. Es geht bei Berufung eher um die Einsicht, dass auch eine
andere Antwort möglich geworden gewesen wäre - und um das Vertrauen, dass ich
es wagen könnte.
„Pourqoui non?“ - „Warum nicht?“
Diese Frage steht unter einem Marienbild, dass bis heute in der Kapelle der
heimatlichen Burg derer von Loyola hängt. Die Frage ist erfunden die Antwort
Mariens auf die Botschaft des Engels, ob sie bereit ist, ein Kind zu erwarten,
ob sie bereit ist, die Mutter Gottes zu werden. Warum nicht? Das wird auch die
Antwort des ehrgeizigen, jungen Basken Inigo sein, als er in sich den Ruf
spürt, eine Wallfahrt nach Jerusalem zu unternehmen, allein und zu Fuß.
Warum nicht? Das ist eine Antwort
auf eine mögliche Berufung. Was braucht es dafür, um eine solche Antwort geben
zu können? Man soll nicht naiv zu allem „ja“ und „amen“ sagen; nicht jeden
Dienst übernehmen, den andere einem antragen; nicht auf jeden Zug aufspringen,
egal wohin er fährt.
Drei Dinge sind wichtig, um gut
unterscheiden zu können.
1/ Es braucht das grundlegende
Vertrauen, dass der, der mich ruft, es gut mit mir meint. Er ist der Vater, und
ich bin sein geliebter Sohn, seine geliebte Tochter. Ich bin von ihm gesehen
und in seinen Augen wertvoll.
2/ Es braucht die Offenheit, dass
Veränderung möglich ist, dass ich in den Augen Gottes wachsen kann. Er traut
mir etwas zu, und ich kann „hören, wer ich sein kann“.
3/ Es braucht die Hoffnung auf
eine größere Gerechtigkeit, auf einen größeren Sinn, der Orientierung schenkt.
Manche nennen das Werte. Ich würde es eher Demut nennen; weil es nämlich um die
Bereitschaft geht, auf das Recht-behalten-wollen und das Bescheid-Wissen zu
verzichten und einfach zu dienen, ohne die erste Geige zu spielen.
Das hört sich vielleicht etwas
abstrakt oder kompliziert an: Vertrauen, Offenheit für Veränderung, Hoffnung
auf eine größere Gerechtigkeit, aber ich sehe darin tatsächlich die drei
Grundbausteine einer Berufung, auf die sich bauen lässt.
Wenn sie es kürzer und einfacher
haben möchten: neu anfangen ist möglich. Im Glauben sind wir alle Anfänger,
weil Gott neu mit uns anfängt, jeden Tag. Und es kommt auf deine Antwort an,
nicht nur im Wort, sondern auch in der Tat.
Ganz schön beschreibt Paulus
diese Haltung in dem Brief an die Gemeinde in Philippi. In Philippi, im Norden
Griechenlands, an der Grenze zu Mazedonien, liegt eine von Paulus gegründete
Gemeinde. Es ist seine Lieblingsgemeinde, zu der er eine besonders enge
Beziehung hatte. Die Gemeinde ist im Evangelium verwurzelt. Die Botschaft vom „Trauen
Gottes“ ist klar, aber es gibt Probleme bei der Umsetzung, es gibt
Auseinandersetzungen untereinander.
In dieser Situation bringt er die
Berufung des Christ-Seins auf einen zentralen Punkt: dem anderen den Vorrang
einräumen bzw. aufs Recht-behalten-wollen zu verzichten. (vgl. Norbert Baumert,
Der Weg des Trauens, Paulus neu gelesen, Würzburg, 2009).
Paulus ist in Gefangenschaft und
er wünscht sich von der Gemeinde, die er sehr schätzt, ein Zeichen der
Ermutigung und des Trostes. Und er bittet sie: „Macht meine Freude vollkommen,
dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig. Dass ihr
nicht aus Streitsucht und nicht aus Prahlerei heraus handelt. Sondern in Demut
schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf
das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen.“
„Eines Sinnes sein“, das bedeutet
nicht eine Gleichschaltung der Gedanken, sondern eine gemeinsame Ausrichtung:
in der gleichen Liebe zu Gott ein gutes Miteinander pflegen: ohne Rivalitätsdenken,
ohne Missgunst und Neid. Und dabei jeweils die anderen so einschätzen, dass sie
vor euch selbst den Vorrang haben. Ganz selbstverständlich im alltäglichen
Umgang miteinander schlicht und ohne gekünstelte Manieren! Eine innere Haltung
den anderen gegenüber.
Achtung: nicht Höherbewertung!
Nicht den anderen für besser halten. Es geht nicht ums Urteilen „der andere ist
moralisch besser als ich“ – das Urteilen ist allein Gottes Sache. Es geht um
Zuvorkommenheit, um Respekt, dem anderen den Vorrang zu geben.
Konkret: dem anderen das größere
Tortenstück zu überlassen. Oder in der Kommunität bereit zu sein, auch einmal
das Klo zu putzen. Oder im Gemeinderat dem anderen den Vorsitz zu überlassen. Oder
beim Dank einmal nicht an erster Stelle genannt zu werden. Das kratzt am Ego.
Darum geht es.
Das setzt gerade das Wissen um
die eigene Würde voraus! Nur wenn ich nichts verteidigen muss, weil ich in Gott
geborgen bin, nur wenn ich keine Angst mehr habe um mich selbst, kann ich
anderen den Vortritt lassen, kann ich aufhören Recht behalten zu müssen.
Die Interessen der anderen
berücksichtigen, d.h. eine andere Perspektive einnehmen. Und zwar aufgrund der
eigenen Christusbeziehung dem anderen Vorrang zu geben. Und auch die eigenen
Schwächen einzugestehen. In der Schwachheit werden wir einander Geschwister!
Das bedeutet nicht, immer
zurückzustehen und sich zu verkriechen. Das Beispiel Jesu ist angezielt. Der
hat sich nicht vorgedrängelt, er kannte allerdings klare Worte und deutliche
Positionen. Er hat seinen Platz eingenommen als Lehrer, als Meister!
Selbstverständlich: Gott hat
immer den Vorrang. Sein Auftrag an den Menschen hat Vorrang. Keine falsche
Unterwürfigkeit und Duckmäuserei. Aber in der Entschiedenheit eine bestimmte
Haltung der Freiheit, um die geht es hier. Um eine Haltung des Dienens, vgl. Lk
22,27b („Ich bin unter euch als einer der dient.“)
Das Beispiel Jesu wird dabei
leitend (vgl. V5): So habt ihr bei Euch und unter Euch die Gesinnung, die man „in
Christus Jesus“ haben sollte. Das heißt nicht: dieselbe Gesinnung haben wie
Christus (sich kreuzigen lassen), sondern es heißt eine der eigenen
Christusbeziehung entsprechende, angemessene Gesinnung zu haben: Wenn ich in
Beziehung zu Christus stehe, dann der andere doch auch! Seine Freunde sind auch
meine Freunde, oder nicht?
Wie sich also Jesus Christus als
Mensch unter Menschen verhielt (vgl. V6): „Er, der in seinem irdischen Leben
von Gottes Wesensgestalt war -, hat es nicht (triumphierend) wie einen Raub
betrachtet, sich so zu verhalten, wie es Gott entspricht, sondern hat sich
selbst völlig zurückgenommen“, d.h. er hat darauf verzichtet, seine göttliche
Macht zu gebrauchen – obwohl er es hätte tun können.
Einige, die diese Stelle gut
kennen, hören dort von der Übersetzung her eine zeitliche Reihenfolge: als ob
der Sohn, vor aller Zeit beim Vater, bei der Menschwerdung gesagt hat: naja,
dann lasse ich das Gott-Sein mal für eine kurze Zeit bleiben und werde Mensch
und gehe auf die Erde. Jesus als ein Avatar, der jetzt unter den Bedingungen
des Menschseins agiert, d.h. nicht Gott ist, und dann wieder zu Gott
zurückkehrt und seine Kräfte wiederbekommt.
Nein, das ist nicht gemeint bei
Paulus. Ausgangspunkt ist wörtlich „Christus Jesus“, d.h. der konkrete,
historische Mensch Jesus von Nazareth. Der ist schon Mensch und Gott zugleich
und dann hat er auf etwas verzichtet. Er hat etwas losgelassen in seinem Leben.
Kenosis ist also nicht, dass Jesus sich seiner Gottheit bei der Menschwerdung
oder beim Sterben entäußert hätte, sondern es ist der Verzicht des Menschen
Jesus auf die Ausübung seiner göttlichen Macht, besonders in seiner letzten
Phase, in der Hingabe seines Menschseins in den Tod.
Der Satz „er entäußerte sich /
und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich“ ist nicht eine Abfolge.
Richtig übersetzen müsste man dort mit einer zeitlichen Nachordnung: „er nahm
sich zurück, nachdem er eine Sklavengestalt ergriffen hatte.“ D.h. er war schon
als Mensch geboren und hat dann auf etwas verzichtet: In der entscheidenden
Konfrontation der Menschen mit seiner Sendung verzichtet er bewusst auf alle
göttliche Wunderkraft und auf alle menschlichen Machtmittel (Besitz,
Anhängerschaft, Beziehungen, Verhandlungen, etc.) – und vertraut allein auf die
Liebe.
Das ist Berufung meines
Erachtens: neu anfangen, aufs Recht behalten wollen verzichten, bereit sein zu
dienen – und zu vertrauen, nur auf die Kraft der Liebe, nicht auf menschliche
Machtmittel. Das schenkt innere Freiheit. Warum nicht?
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