Montag, 21. August 2023

Worüber man nicht reden kann

Predigt 20. So Jahreskreis A 2023, Manresa 19 Uhr - Hamburg zu Mt 15,21-28

„Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen“, so sagt der Philosoph Ludwig Wittgenstein. 

Die Geschichte von der Begegnung Jesu mit der kanaanäischen Frau gehört zu den irritierenden und für mich zunächst unverständlichen Erzählungen im Evangelium des Matthäus: Eine Frau hat eine kranke Tochter. Es ist offenbar eine schwere Krankheit, die das Kind am Leben hindert. Und sie bittet Jesus um Erbarmen. „eleison me, Kyrie“ – genauso, wie wir am Beginn der heiligen Messe bitten: „erbarme dich meiner, o Herr.“ Und sie nennt ihn respektvoll „Sohn Davids“, d.h. sie zeigt, dass sie weiß, dass er nicht zu ihrem Volk gehört, sondern ein Jude ist. Die Reaktion Jesu ist abweisend: „Der aber antwortete ihr nicht ein Wort.“ Schweigen. Jesus, warum sprichst du nicht mit ihr? Warum antwortest du ihr nicht? Das wäre doch wohl das Mindeste an Respekt, dass du ihr gegenüber zeigen mögest! 

Sie wird stehen gelassen, aber sie schreit hinter Jesus und seinen Jüngern hier. Sie lässt sich nicht abweisen. Ob sie das Wort Jesu an seine Jünger gehört hat, wissen wir nicht. Er signalisiert ihr jedenfalls deutlich: Ich kann bzw. will für dich nichts tun. Das ist nicht mein Auftrag. It’s not my Job. Dazu habe ich nicht die göttliche Vollmacht. Heilen kann ich nur in Israel. Nicht bei den anderen Völkern, die nicht an Gott glauben. Denn das ist ja der entscheidende Unterschied zwischen den Juden und den Kanal nähern und den anderen Völkern, die dort wohnen: Gott.

Glauben Sie an Gott? Eine erwartbare Frage in der Kirche, mögen Sie denken. Ja, klar, glaube ich an Gott. Sonst wäre ich doch nicht hier. Das bekennen wir in der Taufe, im Glaubensbekenntnis, das ist doch wohl das Mindeste. Aber so simpel ist die Frage nicht. Denn Christen Glauben an einen Gott. Ein Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat und der in allem und über alles ist. Das bedeutet zugleich, dass es keine anderen Götter geben kann: keine hinduistischen Götter, keine Naturgötter, keine griechischen Götter, keine römischen Götter - die sind alle nur ausgedacht, von Menschen gemacht. 

Die Philosophen haben das schon immer gewusst, „dass es im Grunde nur eine höchste Macht, nur einen Gott oder einen Geist, eine Schöpferkraft im Kosmos geben kann, auch wenn sie mit Rücksicht auf damalige Sitte und Tradition die Verehrung mehrerer Götter gebilligt haben. Bei fast allen Philosophen mit Ausnahme der Schule Epikurs herrscht Einigkeit, dass es eine Vorsehung gibt, und dass sie auf eine Schöpfungskraft zurückgeht, weil die Welt ohne diese eine Schöpfermacht nicht hätte entstehen und ohne deren Leitung nicht fortbestehen könnte.“ (Marco Kunz, Konstantin 2021, S. 23-24)

Mit dem, was wir meinen, wenn wir „Gott“ sagen, z.B. „Güte“, „Allmacht“, etc., ist logisch verbunden, dass ist nicht viele gibt. Um diesen Schritt kommt man nicht herum. Wir sind für die Religionsfreiheit: jeder Mensch hat das Recht, seinen Gott anzubieten, da soll es keinen Zwang geben! Aber die katholische Kirche ist genauso überzeugt davon, dass nicht jeder nach seiner Fassung selig werden kann.

Wenn wir von Gott reden, dann werden wir ihn nie ganz begreifen oder verstehen, sonst wäre es nicht Gott. „Si comprehendis, non est Deus“, hat der heilige Augustinus gesagt. Aber es ist auch nicht alles egal was man über Gott sagt. 

Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor bald 60 Jahren hat die katholische Kirche die anderen Religionen anerkannt und in ihnen „Strahlen der Wahrheit“ gefunden. Das bedeutet, dass auch Menschen in einer anderen Religion gerettet werden können, d.h. in den Himmel kommen können, dass auch in anderen Religionen etwas von Gott erkannt worden ist, wenn auch nicht in dem Maße, wie im christlichen Glauben. 

„Auch die Menschen, die das Evangelium noch nicht empfangen haben, gehören auf verschiedene Weise zum Volk Gottes. Das gilt in erster Linie von jenem Volk, dem der Bund und die Verheißungen gegeben worden sind und aus dem Christus dem Fleisch nach geboren ist (Röm 9, 4–5). Gott liebt dieses Volk um der Väter willen und weil er es erwählt hat; Gott nimmt seine Gaben und eine einmal ergangene Berufung nicht zurück (Röm 11, 28–29). Sein Heilswille umfasst aber auch alle, die ihn als ihren Schöpfer anerkennen. Unter ihnen sind besonders die Muslim zu nennen, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den gnädigen und barmherzigen Gott, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird. Aber auch den anderen, die in Schatten und Bildern Gott suchen, auch ihnen ist er nahe, da er allen Wesen Leben und Atem und alles gibt (Apg 17, 25–28); er ist ihr Erlöser, er will, dass alle Menschen gerettet werden (1 Tim 2, 4).“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Über die Kirche – Lumen gentium 16)

Manche mögen diese inklusive Haltung („im Grunde meinen Sie alle auch unseren Gott“) überheblich nennen; und seit vielen Jahren gibt es andere Modelle, die diskutiert werden. Aber ich glaube, in Bezug auf die Gottesfrage, kommt man nicht um her, entweder einen Gott zu bekennen oder mehrere. Tertium non datur.

Der Monotheismus von Judentum, Christentum und Islam hat deshalb eine ganz eigene Dynamik. Manche behaupten, er führe zur Gewalt. Denn mit der Voraussetzung von einem Gott ist zugleich auch die Annahme begründet, dass es eine Wahrheit gibt, nur eine. Ob der Mensch diese Wahrheit vollständig begreifen und erfassen kann, ist nochmals eine andere Frage, aber eine Wahrheit bedeutet: es gibt nicht mehrere Wahrheiten, keine Paralleluniversen, keine Beliebigkeit von Meinungen. 

Zurück zum Evangelium und dem demonstrativen Schweigen Jesu. Ich stelle es mir so vor, dass Jesus in dem Moment mit der Frau, die einen anderen Gott anbietet, nicht über den Gottesglauben diskutieren wollte. Er sah ihre Not, die kranke Tochter, ihre Verzweiflung und wollte sie nicht fragen: sag mal, glaubst du eigentlich an unseren Gott oder an einen anderen? Und wie geht das für dich zusammen? Darum: „worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“

Die überraschende Wendung der Geschichte bei Matthäus ist nun, dass Jesus mit seiner Bemerkung über den Glauben der Frau plötzlich einen anderen Fokus gibt: „Dein Glaube ist groß!“ (V28). Es geht plötzlich in dieser Situation nicht mehr um die Frage, zu welchem Volk jemand gehört, welcher Gott der richtige ist, sondern um den Glauben der Frau, beziehungsweise welcher Glaube, d.h. welche Haltung gegenüber Gott - wer auch immer er/sie/es ist, die richtige ist. Damit ist die Frage nach Gott nicht gelöst und sie wird auch sich weiterhin stellen, aber die Perspektive hat sich verändert und es wird Begegnung möglich, das Gemeinsame tritt in der Mitte.

Ganz ähnlich schon beim Propheten Jesaja, der für die Endzeit eine gemeinsame Wallfahrt von Menschen aus verschiedenen Völkern, d.h. verschiedenen Religionen, nach Jerusalem vorhersagt. Wobei Jesaja davon ausgeht, dass am Ende alle nicht nur Recht und Gerechtigkeit achten, sondern auch den einen Gott anbeten: „Und die Fremden, die sich dem HERRN anschließen, um ihm zu dienen und den Namen des HERRN zu lieben, um seine Knechte zu sein, alle, die den Sabbat halten und ihn nicht entweihen und die an meinem Bund festhalten, sie werde ich zu meinem heiligen Berg bringen und sie erfreuen in meinem Haus des Gebets.“

Zwei Dinge gibt nehme ich mit dem heutigen Evangelium:

1/ Es braucht den richtigen Moment, um über religiöse Fragen zu sprechen. „An welchem Gott glaubst du?“ Diese Frage sollte man nicht als erstes diskutieren, wenn Menschen in Not sind, sondern in dem Moment darüber lieber schweigen. Und helfen, wenn es möglich ist. Und manchmal ist mehr möglich, als ich denke.

2/ Es kann hilfreich sein, die Fragen nach Gott mal in Ruhe zu besprechen. Hilfreicher noch ist es allerdings, sie auch einmal mit anderen zu besprechen, die aus einer anderen Religion sind. Und wahrzunehmen, wie groß ihr Glaube ist, und wenn er nicht zu Gewalt, sondern zu Heilung führt, darüber zu staunen und Gott zu danken. 


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