Predigt B31 Manresa 2024 (Les: Dtn 6, 2-6; Hebr 7,23-28; Mk 12,28b-34)
Es gibt nach meiner Erfahrung drei Missverständnisse, die häufig den lebendigen Glauben und die erfüllende christliche Beziehung zu Gott und der Welt verhindern.
1/ Der Glaube wird als eine Reihe von Glaubenssätzen
angesehen, als Regeln und Dogmen, die man als Christ zu akzeptieren hat, auch
wenn man sie nicht versteht. Es ist die Vorstellung, dass der Glaube gegen das
Wissen steht bzw. nichts mit der Vernunft bzw. mit dem Denken zu tun hat. „Man
muss in der Kirche den Verstand an der Garderobe abgeben“ – so befürchten
manche oder leben es so.
2/ Der Glaube wird als ein reiner Kult angesehen, als eine
Form von einem religiösem „Extra“ am Sonntag, das mit meinem Leben in Beruf und
Alltag im Grunde nichts zu tun hat. Vielleicht betrifft der Glaube noch die eigene
Ernährung oder Sexualität, aber in meiner Tagesgestaltung oder in meinem
Verhalten gegenüber anderen ist Religion doch Privatsache – so sagen manche
oder leben es so.
3/ Der Glauben wird als ein Gefühl angesehen, als das ein
Wohlfühlfaktor im Leben, als eine Form von innerem Empfinden; und wenn ich
keine besondere Erleuchtung habe, dann glaube ich nicht richtig – so denken
manche oder leben es so.
Die Botschaft, die Jesus uns heute im Evangelium wieder in
Erinnerung ruft: Gott ist einer! Und der Mensch ist einer! Der Menschen ist
Leib und Seele, Denken und Fühlen. Ganzheitliches Denken ist nicht eine
Erfindung von new age, sondern sehr biblisch! Der Mensch lebt vielleicht in
unterschiedlichen Zusammenhängen, aber er lebt nicht zerstückelt, atomisiert in
unterschiedliche Lebenswelten, sondern am Ende hat das ganze einen Sinn und
eine Richtung – oder nicht.
Und deshalb ist Religion nicht eine feine, aber überflüssige
Zutat zum Leben, das Sahnehäubchen der Wohlfühl-Oase, sondern entweder ist der
Glaube etwas, das meinen Sonntag und meinen Alltag bestimmt – oder er ist am
Ende hohl.
*
Heute erzählen uns die Lesungen vom ersten aller Gebote, dem
wichtigsten für unser Leben mit Gott und den Menschen. Und vielleicht ist Ihnen
aufgefallen, dass wir es dreimal gehört haben, jedes Mal auf eine andere Art
und Weise, mit einer etwas anderen Formulierung.
In der ersten Lesung (Buch Dtn 6,4-5): „Höre, Israel! Der
HERR, unser Gott, der HERR ist einzig (einer!). Darum sollst du den HERRN,
deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“
Im Evangelium (Mk 12,29-30) aus dem Mund Jesu: „Höre,
Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn,
deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen
Denken und mit deiner ganzen Kraft.“ - Jesus variiert etwas. Er fügt das Denken
hinzu, das mit dem Verstand durchdringen, eigentlich das Nachdenken. Die
Exegeten verweisen dabei auf den Zusammenhang mit der Frage nach dem Gesetz
bzw. den Geboten. Diese Formulierung könnte sich [weil sie sich so ähnlich
schon in der Geschichte um König Joschija (2Kön 23, 25) findet, der das ganze
Gesetz zu halten geboten hat] auf das Nachdenken über das Gesetz beziehen.
Und schließlich im Evangelium im Mund des Schriftgelehrten
(Mk 12, 32-33): „Gott allein ist der Herr und es gibt keinen anderen außer ihm und
ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den
Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und
anderen Opfer.“ Dort ist der opferkritische Aspekt hinzugefügt.
Im Wesentlichen jedoch wiederholen alle drei Texte den einen
Gedanken über das wichtigste Gebot der Gottesliebe und der Nächstenliebe: Dass
die Liebe geschieht mit dem Herzen, mit der Seele, mit dem Denken und Handeln.
Ich merke mir das angedeutet in den vier „Ebenen“ des
Menschen. Die Seele sitzt nach hebräischer Vorstellung in der Kehle, dort wo
wir den Atem empfangen, wo wir verletzlich sind, wo wir mit unserer Stimme
antworten: Herz – Kehle – Kopf - Hände
Gerade hat Papst Franziskus eine neue Enzyklika
veröffentlicht „über die menschliche und göttliche Liebe des Herzens Jesu
Christi“, in der er im ersten Kapitel zunächst einmal die Frage stellt: Was
meinen wir, wenn wir vom Herzen sprechen. Denn es ist ja nicht allein das
medizinische Organ, um das es hier im Glauben geht. Es geht um das seelische
und geistige Zentrum der Person, wo Denken und Fühlen zusammenkommen.
Er schreibt (DN 2): „Um die Liebe Christi auszudrücken wird
oft das Symbol des Herzens verwendet. Manche fragen sich, ob es heute noch eine
gültige Bedeutung besitzt. Aber wenn wir versucht sind, uns an der Oberfläche
zu bewegen, in Hektik zu leben, ohne letztendlich zu wissen, wozu, wenn wir
Gefahr laufen, zu unersättlichen Konsumenten werden, zu Sklaven eines
Marktsystems, das sich nicht für den Sinn unseres Lebens interessiert, dann tut
es not, die Bedeutung des Herzens wieder neu zu entdecken.“
*
Wenn jemand mich fragt, warum ich Jesuit geworden bin, dann
antworte ich meist, dass es wegen der Geistlichen Übungen, der Exerzitien sei,
die ich bei den Jesuiten kennen gelernt habe. Tatsächlich hat erst diese
Gebetsform für mich einen Weg eröffnet, dass ich meine Gedanken und Gefühle,
meine inneren Bewegungen und Vorstellungen irgendwie in einen Kontakt bringen
konnte.
Ich habe einerseits viel nachgedacht, Physik, Philosophie
und Theologie studiert, habe andererseits Meditation geübt und so gebetet;
hatte viele Wünsche und Sehnsüchte und Ideale und andererseits eine wache
Wahrnehmung von der Welt und von dem, was alles nicht gut ist. Und erst in dem
Moment, wo alles das in mir, in eine Beziehung kommen konnte, wo es miteinander
da sein durfte und Raum bekam, nicht verdrängt wurde, aber an seinem Platz im
Orchester mitspielen durfte, da konnte ich wirklich Entscheidungen treffen.
Sie kennen wahrscheinlich den Pixar-Film „Alles steht Kopf!“
(engl. inside out), wo von einem Mädchen erzählt wird, das mit seiner Familie
umzieht – und dann im Film das gezeigt wird, was innen geschieht – im Herzen,
in der Seele, im Denken und in all ihrer Kraft. Wie da die verschiedenen
Gefühle und Grunderfahrungen, wie Ressourcen und Stimmungen, wie Gedanken und Ideale
und alles das miteinander streiten – und wer dann in welchen Situationen
bestimmt. Ein wunderbarer Film.
Gott ist einer! Und der Mensch ist einer! Und am Ende werden wir auf die Liebe mehr antworten können, wenn wir das Herz als den Ort unserer Mitte wiederentdecken – weil wir geliebt sind. Daran mag uns das Herz Jesu erinnern, als das Symbol und Zeichen der unwiderruflich für den Menschen entschiedenen Liebe Gottes zu uns Menschen, die uns im Leben und Sterben und in der Auferstehung Christi begegnet ist. Das feiern wir, wenn wir Eucharistie feiern. Amen.
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