Montag, 10. Mai 2021

Freunde Jesu

Predigt Manresa Hamburg  - Sechster Sonntag der Osterzeit B - 9.5.2021

Biblische Bezugstexte: Apg 10; 1Joh 4; Joh 15,9-17

Liebe Schwestern und Brüder!

Eine kleine persönliche Vorbemerkung: Dieses Evangelium gehört zu den prägenden Erlebnissen in meiner Jugend. Der Pfarrer meiner Heimatgemeinde las es bei seiner Verabschiedung vor. Er hatte die Gemeinde aufgebaut und fast 30 Jahre geleitet. Nun ging er in den Ruhestand und hatte sich für seine letzte Messe diesen Text ausgesucht. „Dies trage ich euch auf, dass ihr einander liebt.“ Ich kann mich unter anderem so genau daran erinnern, weil die Messe damals auf VHS aufgezeichnet wurde und ich sie mir später noch einmal angesehen habe. 

Wenn wir auf die gegenwärtige Zeit schauen, so gibt es ein Thema aus dem heutigen Evangelium, das viele Menschen umtreibt. Eine aktuelle Umfrage von Forsa, was Kinder in der Corona-Krise beschäftigt, zeigt, wonach sie sich am meisten sehnen: 76 % gaben an, dass sie ihre Freunde vermissen, den Kontakt zu Gleichaltrigen. Freundschaft gehört zu der tiefen Sehnsucht, die wir in uns tragen. Die Bibel bringt sie mit Jesus in Verbindung, wie wir es gerade im Evangelium gehört haben. „Ich habe euch Freunde genannt, denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.“ (Johannes 15, 15)

Es gibt so viele verschiedene Formen von Freundschaft, ja vielleicht so viele Formen wie wir Freunde haben. Es gibt Schulfreunde und Facebook-Freunde, Studienfreunde und Mitbrüder, mit denen ich befreundet bin, Pfadfinderfreunde und so weiter. Keine Freundschaft ist wie die andere. Hadwig Müller schreibt in einem Text, den Gerrit Spallek in seinem wöchentlichen Bibel Impuls geteilt hat: „Freundschaft steht im Singular. Sie gründet in nichts anderem als in diesen beiden Menschen. Keine Freundschaft ohne zwei Gesichter, die nicht aufhören, einander voll Neugier anzuschauen, angezogen von dem unauslöschlichen Fünkchen Fremdheit im anderen.“ (zit. n. Lebendige Seelsorge 71. Jahrgang 5/2020, S. 328 – 331) 

An welche Freundinnen und Freunde denken Sie? Für wen möchten Sie heute Abend beten?

Jesus nennt uns seine Freunde. Das ist unerhört - und die Jünger wussten es! Petrus spricht davon in seiner Predigt in Caesarea, aus der wir in der ersten Lesung gehört haben. Dort sagt er:

„Gott hat uns beauftragt, dem Volk zu verkünden und zu bezeugen: Jesus ist der von Gott eingesetzt der Richter der Lebenden und der Toten. Von ihm bezeugen alle Propheten, dass jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen die Vergebung der Sünden empfängt.“ (Apg 10,42)

Jesus ist der von Gott eingesetzte Richter, er ist der Sohn Gottes, er vergibt die Sünden - und ihr seid seine Freunde! Welch ein Privileg! Welch ein Geschenk! Welch eine Freiheit und Freude! Das ist die eigentliche Pointe: Jesus ist nicht irgendein Freund, es ist die Freundschaft meines Lebens, die mich freispricht von meiner Schuld.

Es ist eine Erfahrung der Intimität mit Gott, die uns durch Jesus eröffnet wird, tagtäglich. Gott hat sich in Jesus Christus selbst mitgeteilt. Jesus bringt uns nicht nur vor Gottes Angesicht, wie es die Propheten getan haben, sondern ergibt uns Zugang zu Gott, da er selbst in ihm wohnt. 

Christus begleitet ausnahmslos jeden von uns, er geht den Weg mit uns, er geht an unserer Seite. Der Richter ist unser Freund - und zwar zurecht, weil er es so gewollt hat. „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.“

Es kann sein, dass uns diese Botschaft innerlich berührt und eine tiefe Freude und Sehnsucht in uns wachruft und uns öffnet für die Menschen um uns, die auch eine tiefe Sehnsucht nach Freundschaft in sich tragen. 

„Ich habe euch dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht.“ Das bedeutet: nicht auf dem Sofa sitzen bleiben, nicht in den bekannten Zirkeln die Kontakte pflegen, von denen man hofft, dass sie einem irgendwann einmal nützlich sein können, sondern hinausgehen: auf die Menschen zu, die noch keine Freunde Jesu sind, aber trotzdem einen Glauben in sich tragen.

Der Freundschaft mit Jesus entspricht deshalb in besonderer Weise die Gastfreundschaft anderen Menschen gegenüber. 

Gastfreundschaft meint im Deutschen zunächst die Tugend, den anderen als Gast freundschaftlich aufzunehmen, d.h. Gastfreundschaft als Gastgeber gewähren. Eigentlich meint es aber genauso auch die andere Bewegung und Erfahrung: Gast sein, als Gast beim anderen eintreten und als Gast dem Gastgeber die Freundschaft anzubieten. Denn Freundschaft ist immer beidseitig.

Der Gastgeber nimmt den Gast in sein Haus auf und gewährt im Schutz. Er lässt ihn eintreten in das, was ihm zu eigen ist und eröffnet ihm etwas von seinem Leben. Der Gast lässt sich auf die Begegnung ein, er interessiert sich für das Leben des anderen und liefert sich ihm aus in seiner Verletzlichkeit und Bedürftigkeit. 

Und dort, wo wir unsere Schwäche, unsere Verletzlichkeit und Bedürftigkeit zeigen können, werden wir viel leichter zu Brüdern und Schwestern, als wenn meinen, uns gegenseitig unsere Stärke beweisen zu müssen. Gastfreundschaft macht also eine Begegnung möglich, in der das Wirken Gottes im eigenen Leben entdeckt werden kann. 

Jesus selber hat Gastfreundschaft gelebt. Er war immer wieder bei Menschen zu Gast, die ihn aufgenommen haben: Maria und Martha, Simon der Pharisäer, Matthäus/Levi, Zachäus, und so weiter. Nach seinem Tod und seiner Auferstehung haben die Jünger genauso gelebt. Sie sind umhergezogen und wurden gastfreundlich aufgenommen. Mission als heilige Gastfreundschaft!

Es ist nach Corona an der Zeit, dass wir uns gegenseitig besuchen! In den Anweisungen für das Leben im Alltag der Christen im Hebräerbrief heißt es: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ (Hebr 13,2)

Nach Corona ist die Zeit, dass wir uns einladen. Jetzt schon können wir uns darauf vorbereiten, in dem wir die Freundschaft mit Jesus wirklich leben, ihn bei uns aufnehmen und unser Leben von ihm gestalten lassen, d.h. uns der Erwählung durch ihn und seine Freundschaft bewusst werden. Amen.

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Mission als heilige Gastfreundschaft - „Der in der Diaspora lebende Christ […] nimmt die geistliche Situation seiner Zeitgenossen erst dann richtig wahr, wenn er diese aus seiner unerhörten, durch Christus eröffneten Erfahrung der Intimität Gottes betrachtet, die in ihm auch die Sehnsucht wachruft, das, was er tagtäglich erfährt, mit „Jedermann“ zu teilen, und dies vor allem bei anderen in einer jeweils unerwarteten Gestalt zu erspüren.“ (Vgl. Christoph Theobald, Christentum als Stil. Für ein zeitgemäßes Glaubensverständnis in Europa, Freiburg 2018, S. 106-107).


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