Mittwoch, 26. Mai 2021

Glaubende


Predigt – Pfingsten 2021

Manresa - Kleiner Michel, Hamburg, 19 Uhr

Liebe Schwestern und Brüder!

Vor einigen Tagen ging ich abends spazieren, als mich unvermittelt ein Junge ansprach, etwa zehn Jahre alt. Er fragte mich ängstlich, mit seinem Mobiltelefon in der Hand: „Haben Sie Guthaben?“ Er wollte dringend telefonieren. Ich tippte die Nummer ein, die er mir mühsam diktierte. Offenbar war Deutsch nicht seine Muttersprache. Er konnte dann mit seinen Kumpels sprechen, die er verloren hatte und bald wieder treffen wollte. Später noch sah ich sie dann an einer Straßenecke stehen, die älteren Kumpels mit Zigarette im Mund.

Um mit dem Handy telefonieren oder per Whats app kommunizieren zu können, braucht man entweder Guthaben oder einen Vertrag, in jedem Fall einen Vorschuss. Wer kein Konto oder keine Kreditkarte hat oder sein Guthaben nicht im Voraus einbezahlt, der ist von der Kommunikation ausgeschlossen.

Gilt das nicht in Bezug auf jede Art Kommunikation unter uns Menschen, dass wir einen gewissen Vorschuss geben und einsetzen müssen, damit Verständigung möglich ist? Die Frage scheint mir bedeutsam im Blick auf die gegenwärtige Situation in der Welt, im Blick auf den Glauben allgemein und im Blick auf das Pfingstfest, das wir heute feiern.

1. Glauben heißt Vertrauen

Der französische Anthropologe Emil Benveniste weist darauf hin, dass es in unseren Sprachen eine große Bedeutungsvielfalt der Worte des Glaubens gibt. Wir sagen z.B.: „Ich glaube, dass es morgen regnet.“ – oder: „Ich glaube daran, dass Dortmund deutscher Meister wird.“ – oder: „Ich glaube Dir.“

Der Begriff des „Geglaubten“ (frz. croyance) in der Religion und der „Forderung“ (frz. crédit) in der Wirtschaft lassen sich nach Benveniste auf eine gemeinsame Wurzel zurückführen: den Tausch oder Austausch (échange) zwischen den Menschen und möglicherweise mit einer Gottheit als Ausdruck menschlicher Verwundbarkeit.

Im Deutschen wird diese gemeinsame Wurzel z.B. deutlich, wenn wir von einem „Gläubiger“ sprechen – das ist derjenige, der einen Kredit gewährt, im Unterschied zu einem „Glaubenden“ – das ist derjenige, der Gott Vertrauen schenkt.

Der Mensch ist in seiner Verwundbarkeit dem Leben ausgesetzt. Wir Menschen sind als verletzliche Wesen in diese Welt geworfen. Wir leben, indem wir dieser Welt mithilfe eines Urvertrauens begegnen. Ein Kleinkind zum Beispiel muss in gewissem Sinne ein „zweites Mal“ geboren werden, nämlich der Sprache und der Kultur, die es umgeben, und zuallererst seinen Eltern Vertrauen schenken. Es kann nicht vorher die Glaubwürdigkeit beziehungsweise die Kreditwürdigkeit seiner Eltern prüfen. Wir schulden unseren Eltern und unserem kulturellen Umfeld Vertrauen. Und wenn wir es geben, dann wird dieses Umfeld zu einer Quelle einer Kreativität. Das bedeutet, das erst durch das Grundvertrauen in das Leben die Subjektwerdung ermöglicht wird.

Genauso geben wir als Erwachsene unserer Kultur, unserer Gesellschaft und unserem Staat Vertrauen, zum Beispiel in die Ausbildung unserer Kinder, in die Übertragung bestimmter legitimer Gewalt etc., ohne dass wir die Lehrer und Polizisten im Einzelnen vorher hätten prüfen können.

Es gibt also bei allen Menschen, ob sie gläubig sind oder nicht, einen elementaren Akt, eine Energie, einen „Mut zum Sein“ in der Form des Grundvertrauens, nämlich als ein Vertrauen in das Leben, in das Geheimnis unserer Existenz – mit der Hoffnung, damit nicht zum Verlierer zu werden, sondern am Ende mehr zurückzubekommen.

Glaube ist ursprünglich etwas, was alle Menschen teilen. Er zeigt sich, wenn Menschen offen wahrnehmen, dass sie verwundbar sind. Er zeigt sich, wenn sie nach Orientierung in der Welt suchen und nach dem Sinn des Lebens fragen, ohne darüber verfügen zu können.

Glaube ist also zunächst nicht der Glaube an Gott oder an Jesus Christus, sondern die Haltung eines Menschen, dem Leben „Kredit“ zu geben. In der Hoffnung, dass das Leben sein Versprechen hält und es Wert ist, es zu leben, ermutigt der Glaube in den schwierigen Momenten eine gewisse Haltung zu bewahren. Dieser Glaube trägt unsere Beziehungen.

2. Pfingsten als Gabe des Heiligen Geistes an die Glaubenden

Christen teilen diese Erfahrung des Glaubens als Vertrauen in das Leben mit Nicht-Christen. Zusätzlich erleben und deuten Christen den eigenen Glauben im Rückblick oft als einen Akt der Selbstenteignung oder der Hingabe. Sie lassen dem Geheimnis das erste Wort und sagen etwa: „Das Geheimnis zieht mich an, schafft in mir Vertrauen und erlaubt es mir – in meiner Verwundbarkeit - in Wahrheit „ich“ zu sagen.“

Das feiern wir an Pfingsten: Gott hat die Apostel (und in Jesu Nachfolge auch uns) mit dem Heiligen Geist beschenkt, der in uns glaubt und betet und uns in Leben führt. Mit anderen Worten: Das Vertrauen und den Glauben, den wir schenken, haben wir in Wahrheit nicht aus uns selbst, sondern von Gott. Wir haben ein Guthaben, mit dem wir mit Gott kommunizieren können, das ist riesig, weil es von ihm selbst gegeben ist.

3. Pfingsten als Wunder der Kommunikation

Die Frage nach dem Glauben und dem Vertrauen ist schließlich auch in unserem Alltag von großer Bedeutung. In unserer täglichen Kommunikation braucht es diesen Vertrauensvorschuss, genauer: das Bemühen, den anderen gut verstehen zu wollen, weil ich darauf vertraue, dass es sich lohnt, weil er etwas Gutes sagen möchte.

Der heilige Ignatius nennt das in seinen Exerzitien „die Aussage des anderen zu retten“: Jeder gute Christ soll zunächst einmal bereit sein, die gute Aussageabsicht des anderen anzunehmen und versuchen, ihn zu verstehen – und nicht gleich zu verdammen. Und wenn man etwas schlecht versteht, dann frage man nach bzw. verbessere den anderen mit Liebe. (vgl. EB 22)

Ich erlebe in diesen Zeiten der digitalen Kommunikation sehr viele Missverständnisse, die leicht zu Misstrauen und Missgunst werden. Wie schnell habe ich in einer E-Mail den Unterton nicht richtig verstanden? Wie schnell deutet jemand etwas hinein in meine schnell geschriebene Antwort, das gar nicht so gemeint war?

Pfingsten feiern wir die Gabe des Geistes Jesu an seine Jünger, die sie dazu befähigte, Zeuginnen und Zeugen zu sein. Die Apostelgeschichte berichtet, dass sie es wie ein Wunder erfahren haben, dass eine Verständigung unter den Menschen verschiedener Sprachen und Kulturen möglich war: „Sie hörten sie in fremden Sprachen reden“ – „Denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden“ – „Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören?“ - „Wir hören Sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.“

Sie konnten es, weil sie sich selbst bewusst geworden sind, welch großes Guthaben sie von Gott geschenkt bekommen haben. Halleluja!

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