Sonntag, 28. Januar 2024

Macht und Vollmacht


Predigt Vierter Sonntag im Jahreskreis B, Manresa | Hamburg

1/ Mose und Jesus

„Einen Propheten wie mich wird der Herr aus unserem Volk, unter unsern Geschwistern, erstehen lassen.“ (Dtn 18, 15). Mose blickt am Ende seines Lebens auf die Geschehnisse des Exodus zurück. Er erinnert sich an die Machttaten Gottes: Wie er von Gott berufen wurde, um als Mittler zwischen Gott und seinem Volk den Willen des Herrn zu verkünden. Mose hat als Prophet nur das verkündigt, was Gott ihm geboten hat, er durfte nichts Eigenes hinzufügen. Denn der Prophet hat Macht nicht aus sich selbst, sondern von Gott. Er hat Macht, damit er seine Fähigkeiten zum Nutzen des Volkes und im Sinne Gottes einsetzt. 

Jesus verkündete in der Synagoge von Kafarnaum und „lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.“ Er setzte seine Macht ein, und sie wirkte heilsam. Er befreite einen Menschen, der von einem unreinen Geist besessen war. Gleich zu Beginn seines öffentlichen Auftretens fragten sich die Leute: „Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl.“ (Mk 1,27)

2/ Macht und Vollmacht

Macht ist, so Hannah Arendt, „die menschliche Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.“ Macht ist daher etwas anderes als Zwang oder Gewalt, denn sie gründet in dem Einverständnis und der Freiheit des anderen, der diese Macht als rechtmäßig (legitim) anerkennt und entsprechend handelt. Macht ist nicht in sich gut oder schlecht. Sie ist in gewisser Weise notwendig, um das menschliche Zusammenleben zu gestalten. 

Viele Menschen fühlen sich gerade ohnmächtig angesichts der vielen Probleme bei uns und weltweit. Was kann ich persönlich eigentlich angesichts von Krieg und Klimakrise etwas tun? Wie kann ich in meinem Umfeld etwas verändern? Welche Möglichkeiten habe ich, auf die große Welt-Politik einzuwirken. Manche fordern ein Machtwort des Bundeskanzlers.

Bemerkenswert, dass viele in Deutschland gerade neu den Wert der Demokratie entdecken: Demokratie bedeutet: alle Macht geht vom Volke aus. Diese Macht ist Gabe und Aufgabe zugleich, sie gilt zu verteidigen und zu nutzen, um unser Zusammenleben einvernehmlich zu gestalten. So demonstrierten heute hier in Hamburg mehr als 60.000 Menschen „Für Vielfalt und unsere Demokratie“!

Macht kann allerdings auch missbraucht werden. Dann wird sie zum Zwang, der mit Gewalt versucht, den Gehorsam durchzusetzen. Noch einmal Hannah Arendt: „Wo Gewalt gebraucht wird, um Gehorsam zu erzwingen, hat Autorität immer schon versagt.“

Autorität leitet sich aus dem lateinischen “auctoritas“ ab: von „auctor“ – „Urheber“. Dies deutet darauf hin, dass es Autorität nicht unab¬hängig von der Person gibt. Nur ein authentischer glaubwürdig Mensch hat Autorität. Möglicher¬weise kommt das Wort auctoritas aber auch vom lateinischen „augeo“ – „wachsen lassen“. Ein Mensch, der Autorität hat, lässt andere wachsen und groß werden. Er hält nicht an seiner Macht fest, sondern ermöglicht anderen, Macht zu übernehmen. Er teilt seine Macht, und er erhält dadurch Autorität. 

Auch hier gibt es Fehlformen: ein Mensch, der Macht ausübt, aber keine Autorität hat, wird nicht selten autoritär und zwingt anderen seinen Willen auf.

Und Vollmacht? Vollmacht ist eine geliehene oder übertragene Macht. Sie können einer Person eine Vollmacht geben, dann kann sie in Ihrem Namen sprechen oder handeln. Mose hat als Prophet zum Beispiel hat von Gott die Vollmacht erhalten, in seinem Namen zu reden. 

3/ Macht, Autorität, Vollmacht im Namen Gottes

Gibt es das? Gibt es so etwas in der Kirche? Sollen wir es anerkennen? Der verstorbene Kölner Kardinal Meißner hat einmal gesagt, in der Kirche gäbe es keine Macht, sondern nur Vollmacht. Wer ihn kennt, weiß, dass er häufig sehr autoritär regiert hat. Das macht sein Wort nicht besonders glaubwürdig. Aber stimmt es sachlich? Oder ist es ein Ideal, dass es in der Kirche keine Macht gibt, sondern nur Vollmacht?

In der katholischen Kirche ist jede Macht mit einem Amt verbunden, für das ein Mensch berufen wird, dass er also, nach dem Glauben der Kirche, nicht aus eigenem Willen übernimmt, sondern aus Gottes Willen. Ein Bischof kandidiert nicht, er macht keine Wahlwerbung, sondern er wird von Gott auserwählt. Er hat eine geliehene und übertragene Macht, für deren Ausübung er vor seinem Schöpfer und Erlöser Rechenschaft wird ablegen müssen, davon bin ich überzeugt! 

Doch aus dieser Sicht von Berufung und Erwählung zu folgern, es gäbe in der Kirche keine Macht, sondern nur Vollmacht, ist ein Trugschluss – und es ist insofern naiv, als in der Kirche nicht selten sehr weltliche Dinge in der Ausübung und Organisation notwendig sind und die Einheit der Kirche gerade jener menschlichen Fähigkeit bedarf, im Einvernehmen mit anderen zu handeln. Also Macht in guter Weise auszuüben.

Und es ist insofern gefährlich, weil eben auch in der Kirche Macht missbraucht wurde und wird. Nicht nur in der katholischen, sondern, wie wir nun wissen, auch in der evangelischen Kirche. Es ist gut, wenn wir dafür aufmerksam werden! Fatal wird es allerdings dann, wenn die Verantwortlichen in der Kirche ihre Macht leugnen, beziehungsweise die Vollmacht, die ihnen mit ihrem Dienstamt übertragen wurde, nicht zum Wohl der Menschen nutzen.

4/ „… befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.“ (Röm 8,21)

Macht hat mit Freiheit zu tun. Was die Menschen seit jeher an Jesus fasziniert hat, ist seine göttliche Vollmacht, die Menschen freizumachen. „Er lehrte sie, wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.“ Er lehrt und heilt, er befreit die Menschen von aller Unreinheit und „verkündet eine neue Lehre, der sogar die unreinen Geister gehorchen.“

Was ist das Besondere an Jesus? Dass er mit seinem ganzen Leben auf die Kraft und Macht Gottes hinweist, selbst in der tiefsten Ohnmacht seines Lebens am Kreuz, und so die Menschen befreit von der Last des Todes und der Sünde. „Dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe,“ so hat die Seinen gelehrt, zu beten. Es geht ihm nicht um sich selbst, sondern um die Macht und Größe Gottes, um seine Herrlichkeit. Deshalb ist „der Heilige Gottes“, weil er auf Gott selbst hinweist und Gottes Liebe zu uns in seinem Leben erfahrbar wird: selbst in der Dunkelheit und Ohnmacht unseres Lebens, wenn wir allein sind und scheinbar mit niemandem zusammen handeln und dem Einvernehmen wirken können.

Daran dürfen wir uns erinnern, wenn wir jetzt gleich Eucharistie feiern, für das Leben und den Tod und die Auferstehung Jesu danke, der den Tod ein für alle Mal besiegt hat. „Denn dein, Gott, ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. Amen.“


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