Predigt Erster Adventssonntag C 2024 | Hamburg
Les: Jer 33,14-16; 1Thess 3,12-4,2; Lk 21,25-28.34-36
Der Philosoph Sören
Kierkegaard sagte einmal: „Verstehen kann man das Leben rückwärts, leben muss
man es aber vorwärts.“
Die ganze Bibel ist auf die Zukunft und die kommende Welt
hin orientiert, ohne die Zukunft vorherzusagen oder wahrzusagen. Die Propheten
im Alten Testament und die heiligen Schriften im Neuen Testament erinnern
unermüdlich daran, dass die letzte Zukunft des Menschen und des Universums in
den Händen des lebendigen Gottes liegt.
1/ Zukunft
An diesem ersten Adventssonntag hören wir aus dem Buch des
Propheten Jeremias, aus den Briefen des Apostels Paulus und aus dem Evangelium
nach Lukas. Alle drei Texte bezeugen, dass Gott seinen Verheißungen treu
bleibt, auch wenn die Ereignisse scheinbar etwas anderes nahe legen. Sie sprechen
von dem, was vor uns liegt, was kommen wird.
Was auf uns zukommt ist das Gericht! Gott wird Gerechtigkeit
schaffen. Das ist unsere Hoffnung. Das ist keine Drohung, denn Gott ist nicht
der Ankläger, sondern der Richter. Er wird aufrichten, was zerbrochen ist, er
wird die verwundeten Herzen heilen. Und er wir für Recht und Gerechtigkeit
sorgen.
Alle drei Texte sprechen von dieser Hoffnung. Im Buch
Jeremia wird Israel und Juda ein Nachfahre versprochen, der für Recht und
Gerechtigkeit im Land sorgen wird. Der Apostel Paulus spricht von der Ankunft
des Herrn mit allen seinen Engeln und Heiligen. Und das Evangelium schließlich
spricht von jenem Tag, der über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen
wird, dann nämlich, wenn der Menschensohn auf einer Wolke mit großer Kraft und
Herrlichkeit.
Wie genau jener Tag sein wird, bleibt offen. Klar ist aber,
dass es ein Augenblick der Freude ist, der Erlösung! Deshalb ist das der Blick
in die Zukunft nicht von Angst geprägt, sondern von Hoffnung. Entscheidend ist
für die Texte allerdings die Zeit bis dahin. Sie stellen uns vor die Frage: Wenn
das alles kommt, wie möchte ich dann gelebt haben - im Rückblick sozusagen? Die
Lesungen bieten uns ein paar sehr konkrete Hinweise, was helfen kann in dieser
Situation, wenn wir darauf vertrauen, dass Gott seinen Verheißungen treu
bleibt.
2/ Bis dahin: wachsen in der Liebe - und wachen und beten
Im Brief an die Gemeinde in Thessaloniki lädt Paulus die Christen ein, in der Liebe zueinander und zu allen Menschen zu wachsen. Das ist ihr eigentlicher Reichtum! Warum? Weil die Liebe die Herzen stärkt. Sie lässt unsere Herzen weit werden und stark – und das hilft dabei, aufrecht, aufrichtig vor dem Herrn zu stehen: „untadelig in Heiligkeit vor Gott unserem Vater, bei der Ankunft Jesu, unseres Herrn.“
Das Evangelium ruft uns auf, zu wachen und zu beten: Was bedeutet es eigentlich zu wachen bzw. wach zu sein?
- achtsam sein für das, was geschieht, nicht in Gedanken oder Sorgen zu versinken.
- bei mir selbst sein, nicht mich in die Arbeit oder das reine tun zu verlieren
- aufmerksam sein für den Moment und das was und wer mir begegnet; nicht zu träumen, was alles sein könnte
- kritisch zu sein und zu hinterfragen, was andere behaupten oder tun
- sich zu engagieren, innerlich bei einer Sache dabei zu sein
Das alles hört sich ziemlich anstrengend an - und dann soll
man auch noch beten! Wäre es nicht viel schöner und einfacher loszulassen den
lieben Gott einen guten Mann sein lassen? Relaxen und genießen?
Das Beten kommt aber, so glaube ich, beim Wachen nicht
zusätzlich hinzu, als sollte man zwei Dinge tun, sondern es ist mit dem Wachen
verbunden, es ist der Inhalt des Wachens und es gibt die Haltung des Wachens
an: nämlich zu vertrauen! Deshalb ist wachen und beten hier nicht doppelte
Kraftanstrengung, sondern die halbe!
Beten ist die Kunst, Gott etwas anzuvertrauen, ihm zu
vertrauen, in den Dialog mit ihm zu treten und zu wissen, dass ich nicht allein
bin.
„Beten konfrontiert uns mit der eigenen Wahrheit. Es wird
alles auftauchen, was uns innerlich bewegt. Es tauchen die Konflikte der
Vergangenheit auf, die Verletzungen und Wunden unserer Kindheit. Es kommt das
in uns hoch, was uns gerade beschäftigt: die Sorgen um die finanzielle Zukunft,
das Bangen um die Entwicklung der Kinder, das Leiden an den eigenen Ängsten,
die innere Unzufriedenheit, die Unruhe. Beten ist keine Flucht vor der
Wirklichkeit. Im Gebet wird die Wahrheit meines Lebens offenbar. Viele fliehen
vor der Stille des Gebets. Das Gebet, in dem unsere Wahrheit offenbar wird, ist
aber ein Gebet der Stille, in dem wir uns schutzlos Gott aussetzen, in dem wir
alles, was in uns ist, vor Gott bringen, damit er es verwandle und heile.“
(Anselm Grün)
3/ Advent
Der Advent ist eine Zeit, in der wir nach vorne schauen und
in der wir zurückblicken können. Wir können voll Hoffnung und Vertrauen nach
vorne blicken. Und wir können innerlich zurückblicken und uns am Beginn der
Adventszeit fragen: Wenn ich dereinst nicht mehr auf Erden bin: Wofür möchte
ich gelebt haben? Wofür möchte ich wach gewesen sein? Für wen möchte ich wach
geblieben sein? Hoffentlich mag uns das Beten dabei helfen. Amen.