Liebe Schwestern und Brüder,
vor zwei Wochen habe ich mit einer Gruppe von Schülern der Astronomie-AG einen Ausflug in die Eifel unternommen, um die Sterne zu beobachten. Wir hatten Glück, eine klare und kalte Nacht. Und wenn es dunkel ist, brauchen die Augen erst eine gewisse Zeit, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, etwa zehn bis fünfzehn Minuten, erst dann sieht man nach und nach die Vielzahl der Sterne und entdeckt immer mehr, bis sich das Schauen in ein Staunen verwandelt. Doch das dauert, das braucht Geduld.
Ein Bekannter erzählte mir eine ähnliche Erfahrung von einer Reise nach Island, wo er vor einiger Zeit war.[1] Dort gibt es in der vulkanischen Gegend heiße Geysire. Die Touristen strömen in Scharen zu diesen Erdlöchern. Man sieht nicht viel, es blubbert ein bisschen. Manchmal wird den Leuten dann langweilig. Sie stehen herum, machen holen das Handy heraus, andere machen Fotos. Viele werden unruhig, schauen auf die Uhr. Zwanzig Minuten nichts passiert. Die meisten wollen oder können nicht warten. Das ist doch nichts. Da passiert doch gar nichts. Sie sind mit ihrer eigenen Leere konfrontiert und begreifen nicht, warum oder besser: wie sie warten sollen. Das, was sie erwartet haben, kommt nicht; aber vielleicht ist gerade woanders etwas Spannendes, ein Event. Die meisten gehen nach einer halben Stunde weg. Wer aber ausharrt, manchmal sind es nur ganz wenige, und noch wartet, der hört es auf einmal. Wumm! Plötzlich springt der Geysir mit einem gewaltigen Satz vierzig oder fünfzig Meter hoch. Boah! Die verborgene Kraft der heißen Springquelle. Bis sich das Schauen in ein Staunen verwandelt.
So ähnlich ist es auch in der Kirche, im Gottesdienst. Die Christen erzählen von einem Gott, der unsichtbar ist und von einem Gottessohn, der von den Toten auferstanden sei. Aber man kann doch gar nichts sehen. Es passiert doch nichts Spannendes. Sie stehen da und warten und beten. Erst einmal Leere. Und wer mit seiner eigenen Leere konfrontiert wird, wer nicht gelernt hat zu warten, der wird unruhig. Er schaut auf die Uhr oder aufs Handy. Ich könnte jetzt auch woanders sein, wo etwas Spannenendes passiert. Vielleicht gibt es gerade jetzt woanders einen coolen Event, eine Party. Die meisten gehen weg. Nur ein paar wenige halten aus (an anderen Sonntagen, nicht heute!) und bleiben.
So ähnlich war es auch bei den Frauen, von denen das Evangelium erzählt. Nach dem Tod Jesu passiert nichts. Die Jünger sind verschwunden. Nur ein paar wenige sind geblieben. Die Erfahrung mit Jesus lässt sie nicht los. Noch ein letztes Mal wollen sie zum Grab gehen, um den Leichnam Jesu zu salben. Doch plötzlich und unerwartet; Das leere Grab. Der Engel, der ihnen sagt, er ist nicht hier. Jesus ist auferstanden. Er lebt.
Die Auferstehungs-Erfahrungen laden uns ein, bei Jesus, dem Auferstandenen, zu bleiben, auf ihn zu warten. Denn die Wahrheit meines Lebens findet sich nicht in Oberflächlichem, wenn wir nur schauen und herumschauen, von einem Event zum anderen, sondern wenn wir tiefer schauen, Geduld haben, warten lernen, auch die eigene Leere aushalten. Drei Beispiele möchte ich zum Schluss geben, wo ich es schon selbst erfahren habe, dass ein Aushalten und Bleiben zu ganz neuen, unerwarteten Erfahrungen führen kann.
- In der Versöhnung mit anderen. Versöhnung ist nicht leicht, in der Familie, unter Mitbrüdern, mit Kollegen. Wenn man sich gestritten hat, braucht die Vergebung Zeit. Vor allem, wenn der andere die Versöhnung scheinbar nicht will. Dann trotzdem bleiben und Frieden suchen. Und irgendwann tut sich etwas auf.
- Beim Gebet. Manchmal sitze ich da und nichts geschieht. Zwanzig Minuten, eine halbe Stunde. Das ist nur die eigene Leere, das Gebet fühlt sich an wie ein Selbstgespräch. Aber dann gibt es Momente – die Kraft der Stille, das wird jene Weite und Freiheit spürbar, die wir in der Gegenwart Gottes geschenkt bekommen, weil wir eine Ahnung von seiner Größe bekommen und von seiner Macht, von seiner Nähe.
- Und ein drittes Beispiel: In der Musik. Die Töne klingen nicht, obwohl das Instrument gestimmt ist, es ist irgendwie schief und gelingt scheinbar nicht. Und dann plötzlich tut sich etwas auf. Wird Lebendigkeit spürbar.
Wie wär’s wenn wir ab und zu mal drei Tage warten würden? Auferstehung bedeutet nicht, dass dann alles so ist wie vorher, sondern im Gegenteil, dass es anders ist, dass wir in unseren Beziehungen, in unserem Gebet und in unserem Tun schon etwas erahnen von dem Staunen und dem leben, dass Gott allen durch die Auferstehung Jesu verheißen hat. Besonders schön hat es der Jesuit Alfred Delp ausgedrückt, und damit möchte ich schließen:
„Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort.“[2]
[1] Vgl. Ludger Verst, Zeitansage Ostern: Der Weg zum Himmel führt in die Tiefe, in: Andere Zeiten – Magazin zum Kirchenjahr, 1/2018, S. 23; vgl. https://ludgerverst.wordpress.com/tag/wahrheit-des-lebens/
[2] Vgl. Alfred Delp, Kassiber 17.11.1944, zit. n. http://www.sankt-peter-koeln.de/wp/veranstaltungen/elemente-ignatianischer-spiritualitat/
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