Freitag, 30. März 2018

Unter dem Kreuz bleiben ... Predigt Karfreitag

Liebe Schwestern und Brüder,
es gehört zu meinen schönsten Aufgaben als Priester, Kindern das Kreuzzeichen beizubringen. In der Vorbereitung auf die erste heilige Kommunion z.B. gehen viele Kinder in der dritten Klasse zum ersten Mal zur Beichte. Manche können das Kreuzzeichen noch nicht, vielleicht weil ihre Eltern nicht mit ihnen beten und es ihnen noch niemand gezeigt hat, vielleicht weil sie aufgeregt sind. Dann machen wir das Kreuzzeichen gemeinsam. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Ich bin überzeugt, dass dieses Zeichen ein großes Geschenk für die Kinder ist, für ihr Leben. Das große Pluszeichen, das ihnen Richtung und Orientierung gibt.
Viele Menschen heute lehnen das Kreuzzeichen ab. Es wird in Schulzimmern und Gerichtssälen entfernt. Sie halten es für ein Folterinstrument, was es ja tatsächlich auch war, und haben Angst, dass es Kinder traumatisieren könnte, den Toten am Kreuz anzusehen. Zugegeben, ein angenehmes, ästhetisches Logo des Christentums ist es nicht. Es irritiert tatsächlich, denn es zeigt das Leiden eines Menschen, das Leiden des Sohnes Gottes. Es ist kein einfaches Zeichen und in den ersten Jahrhunderten haben die Christen es zumeist eher versteckt, weil sie sich sorgten, dass es missverstanden wird. Warum sollen wir Jahr für Jahr, Tag für Tag das Kreuzzeichen machen oder anschauen? Welchen Sinn hat es, an das Leiden Jesu zu erinnern? Sollten wir nicht lieber gleich zu Auferstehung übergehen? Das Leben feiern, statt den Tod?
Kreuz in den Alpen, 2018
Im Johannesevangelium wird schon im ersten Teil (Joh 3,1-21) eine Deutung für das Kreuz gegeben, im Gespräch mit Nikodemus. Dort heißt es: „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.“ Die Geschichte dahinter ist so: Die Israeliten hatten bei ihrem Zug durch die Wüste sich gegen Gott aufgelehnt, aus eigener Schuld den Weg verlassen und waren von Schlangen gebissen worden, deren Gift tödlich wirkte. Als einzig wirksames Gegenmittel, so erklärte Gott es dem Mose, half eine Kupferschlange, die Mose anfertigen und an einer Fahnenstange erhöht aufhängen sollte. Wer zur Kupferschlange aufblickte, wurde gerettet. Erst indem die Israeliten auf die Schlange, das heißt auf den Grund des Übels schauten und sich der Ursache wirklich bewusst wurden, konnten sie geheilt werden. Besonders gut hat es der hl. Gregor von Nazianz ausgedrückt: Quod non assumptum, non est sanatum – was nicht angenommen wurde, kann nicht geheilt werden.[i] Im Blick auf den leidenden Gottessohn gilt das Gleiche: Erst in dem Moment, in dem ich das Leiden Jesu als Teil seines Lebens und seiner Botschaft, in dem ich die Hingabe als Zeichen der Liebe zu uns Menschen annehme und zugleich das Leid und die Schuld, die Menschen an seinem Tod haben, nicht ablehne, erst in dem Moment kann ich selbst geheilt werden von der Schuld und kann die Würde und Schönheit Jesu erkennen.
Das Leid und die Schuld annehmen, weil sie zum menschlichen Leben gehören, so kann Leben wirklich gelingen. Ich habe Menschen sterben sehen mit dem Kreuz in der Hand – und selten mehr Frieden gespürt. Ich haben Menschen beten sehen mit dem Kreuz in der Hand – und sie sagen selbst, dass sie so im Gebet die Nähe Gottes erfahren. Gerade im Leid, das Jesus freiwillig auf sich nimmt, zeigt sich die für den Menschen unbedingt entschiedene Liebe Gottes. Er steht zu seinem Wort, egal was kommt, wie groß der Widerstand auch sein mag, friedlich, ohne Gewalt, aber klar und entschieden.
Wenn ich auf Jesus blicke, bete ich das Gebet, das wahrscheinlich viele von ihnen kennen: Herr, schenke mir die Gnade, das zu verändern, was ich verändern kann, das anzunehmen, was ich nicht verändern kann; und das eine vom anderen zu unterscheiden.[ii] Jeder von uns erfährt in seinem Leben Leid und Ungerechtigkeit. Doch wie gehe ich damit um? Lebe ich im Widerstand – oder kann ich es annehmen? Einige Beispiele:
Eine Großmutter stirbt. Die Familie versammelt sich und ist traurig. Die Kinder, schon im Schulalter, werden nicht mit zur Großmutter genommen – sie sollen das Leid nicht sehen. Das ist für mich völlig unverständlich, das Leid und der Tod gehören zum Leben, und erst so kann man das Leben richtig leben. – Eine Ehe ist in Schwierigkeiten – Ein Chef auf der Arbeit ist unerträglich. – Es gibt Streit mit den besten Freunden. – Eine Familie zerbricht über Erbstreitigkeiten. – Ja, jeder von uns erfährt Leid und Ungerechtigkeit. Doch wie gehen wir damit um?
Im Blick auf Jesus dürfen wir sagen: Nur, was angeschaut wird, kann auch geheilt werden. Das heißt: Nur wenn Du im Glauben und im Vertrauen auf Gott das annehmen kannst, was du nicht ändern kannst, wirst du zu einem inneren Frieden finden und das Leben gewinnen. Das sind keine Psycho-tricks, sondern das lehrt uns unser Glaube, in dessen Zentrum das Kreuz steht und in dem wir in der Nachfolge Jesu aufgerufen sind, an seinem Kreuz mitzutragen oder unser Kreuz zu tragen. Eine Liebe, die bis in den Tod hinein geht, das Leid nicht überspringt und so, indem sie auch das Leid und den Tod annimmt, uns wirklich heilen kann.
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

[i] Vgl. Eckhard Frick, Sich heilen lassen. Eine spirituelle und psychoanalytische Reflexion, Würzburg 2005 (Ignatianische Impulse, 12).
[ii] Vgl. Reinhold Niebuhr, https://de.wikipedia.org/wiki/Gelassenheitsgebet

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