2022 Predigt Weihnachten – am Tag, Manresa - Hamburg
Les: Jes 52,7-10; Hebr 1,1-6; Joh 1,1-18
Den Weihnachtsgruß auf schönen Karten verbinden mehrere Freunde von mir gerne mit einem Jahres-Rückblick. So erhalte ich auf ein oder zwei Seiten ihre Reflektion über das, was ihnen in den vergangenen Monaten wichtig geworden ist. Ich bin dankbar, dass ich so an den Ereignissen und Erfahrungen teilhaben darf. Vor allem freue ich mich über die Dankbarkeit und die Wertschätzung des Lebens und der Begegnungen, die ihnen geschenkt wurden, die in diesen Rückblicken deutlich wird.
Mit einem Rückblick, der auf ein oder zwei Seiten das Wesentliche der Erfahrungen zusammenfasst, haben wir es auch beim heutigen Evangelium am Weihnachtsfest zu tun. Es ist der Prolog des Johannes-Evangeliums, der in kondensierten Worten schon alles anklingen lässt, was der Evangelist dann im Weiteren als Erzählungen entfalten wird.
Es ist wie ein Überblick über die Heilsgeschichte – vom Beginn der Schöpfung bis heute. Er spricht von der Friedensbotschaft, die der Welt überbracht wird – und auf welche Art und Weise diese Botschaft überbracht wird.
„Im Anfang war das Wort.“ Von Beginn an liebt Gott diese Welt, er ist der Schöpfer, schenkt Licht und Leben. Alles ist durch sein Wort geworden. Gott liebt die Menschen und er tritt mit ihnen in Beziehung. Auf welche Art und Weise? Lange Zeit haben die Propheten sein Wort überliefert. Mose hat dem Volk das Gesetz gegeben. Johannes hat glaubwürdig davon gesprochen, wie Gott auf die Menschen zukommt und was die Menschen tun sollen, damit sie seine Botschaft hören können.
Im Brief an die Hebräer heißt es: „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern (und Müttern) gesprochen durch die Propheten.“ – Gott hat durch Mose, durch Jesaja, Jeremiah, Ezechiel, Daniel, usw. gesprochen. Sie alle waren Träger des Wortes, Boten der Freude, Vermittler der Gnade, Zeugen der Wahrheit. Ich bin mir sicher, dass diese Menschen eine besondere Beziehung zu Gott hatten, dass Gott sich Ihnen im Gebet offenbart hat, dass sie etwas von seiner Größe und seinem Heil erfahren haben und so anderen weitergeben konnten.
Nun, in der Mitte der Zeiten, wird die gleiche Botschaft allerdings auf eine neue Art vermittelt, nämlich durch den Sohn. „Am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben von allem eingesetzt.“ Das Wort, das Licht und Leben schenkt, wird nicht mehr nur überbracht, sondern es wird konkret erfahrbar, es „ist Fleisch geworden“. „Das Medium ist die Botschaft“, so könnte man sagen.
Warum spricht der Johannes-Prolog vom „Fleisch“? Warum sagt er nicht einfach das Wort ist „Mensch“ geworden? Das kommt wohl daher, dass zu der Zeit, in der dieser Text entstand, die Menschlichkeit, Jesu, seine Existenz in Fleisch und Blut, seine Geburt und seinen Tod, Gegenstand von Kontroversen und Bestreitung waren. Einige behaupteten wohl, das Wort Gottes habe sich nur einen menschlichen Umhang übergezogen, eine sterbliche Hülle angenommen, die keine weitere Bedeutung hatte.
Johannes sieht in Leben, Tod und Auferstehung Jesu, in seinem Dienst und in seinem Wirken, Gott selbst am Werk, präsentisch, vor Ort, berührbar, verständlich, nahe, ansprechbar. Gott und Mensch, ihr beide atmet die gleiche Luft. Gott macht sich verletzlich, er lässt sich anstecken von den Krankheiten und Nöten der Menschen, ohne dass er aufhört, Gott zu sein, Gnade und Wahrheit zu schenken.
Ich möchte Ihnen zum Verständnis einen Vergleich anbieten: Im vergangenen Jahr stellte sich im Blick auf die Treffen in der Gemeinde bzw. in der Glaubens¬information oder in der GCL häufig die Frage: online oder in Präsenz? Vielleicht kennen Sie diese Frage auch aus ihrem persönlichen oder beruflichen Umfeld. Die neuen Videotools haben es möglich gemacht, dass wir uns für ein digitales Treffen verabreden, bei dem jeder zu Hause vor seinem Bildschirm sitzt und die anderen Teilnehmer sehen und hören kann. Das funktioniert meist gut, nur selten gibt es noch Unterbrechungen oder Ausfälle. Fast jeder von Ihnen wird im vergangenen Jahr schon einmal an einer solchen Videokonferenz teilgenommen haben.
Es ist nicht das gleiche „online“ oder „in Präsenz“, beides hat Vor- und Nachteile. Aber wie groß der Unterschied tatsächlich ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Der Vorteil einer Videokonferenz: sie ist für alle zugänglich, unabhängig von den Anfahrts¬wegen. Das spart Zeit und Geld. Vor allem junge Eltern, die sonst ein Baby¬sitter besorgen müssten, können abends zu Hause bleiben und trotzdem an einem Gemeinde-Treffen teilnehmen. Es gibt keine Gefahr, sich anzustecken oder zu verletzen. Jeder atmet die eigene Luft und bleibt bei sich. Ein Austausch von Gedanken, Worten, Bildern ist möglich, ein Gespräch in Kleingruppen lässt sich leicht organi¬sieren. Tatsächlich nutzen die meisten von uns diese Möglichkeiten gern, auch zum Beispiel für ein Familien oder Freunde treffen über weite Distanzen hinweg, wenn ein Teil der Familie zum Beispiel in einem anderen Land wohnt.
Der Vorteil der Treffen an einem physischen Ort: es gibt einen Hinweg und einen Rückweg, bei dem man sich innerlich auf das Treffen vorbereiten beziehungsweise die Gedanken sortieren kann. Das entschleunigt, denn ich kann normalerweise weniger Verabredungen treffen. Außerdem gibt es die Möglichkeiten für Begegnungen am Rande: die informellen Gespräche zwischen Tür und Angel, kurze Verabredungen oder Nachfragen, die Möglichkeit für Zweiergespräche. Vor allem kann ich die Körpersprache wahrnehmen, die Mimik und Gestik, die Blicke, die Anspannung und die kleinen Bewegungen. Ich komme leichter in einen Dialog, ich kann riechen, schmecken, fühlen, Begeisterung wahrnehmen. Jeder atmet die gleiche Luft und macht sich verletzlich.
Online ist nicht Präsenz. Wie gesagt, für manche ist der Unterschied nicht so bedeutend. Für andere schon. Die Information ist doch eigentlich die gleiche, oder?
Für Johannes wird mit der Geburt Jesu deutlich, dass Gott die Menschen nicht mehr nur informiert. Bisher kannten sie Gott aus Botschaften und über die Entfernung hinweg. Die Propheten haben die Begegnung auf Distanz ermöglicht. An Weihnachten feiern wir, das sein Wort in Raum und Zeit, an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit, erfahrbar, berührbar wurde. Dass bestimmte Menschen zu diesem Treffen eingeladen wurden und dabei waren. Sie haben die gleiche Luft geatmet wie der Sohn.
Sie können sagen: Das ist nur ein kleiner Unterschied, es ist eigentlich dieselbe Botschaft! Das stimmt. Doch für das Johannesevangelium ist klar: Dieses Licht, bei dem Botschaft und Medium identisch sind, vermag es, jeden Menschen zu erleuchten. Jeden, auch Dich und mich. Und so wechselt im Text das Subjekt und die Leser des Evangeliums werden hineingenommen in diese Kommunikation: „Er hat unter uns gewohnt. Wir haben seine Herrlichkeit geschaut. Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade um Gnade.“ Wir alle. Du und ich. Wir sind hineingenommen in diese Begegnung. Hier und jetzt.
Das ist eine Zeitenwende. Denn wenn wir dieser Gegenwart Gottes in Jesus Christus vertrauen, dann wir die Begegnung mit ihm für uns nicht nur zu einer Information. Sondern dann geschieht in uns selbst und durch uns in dieser Welt eine sichtbare und spürbare Veränderung.
„Jesus ist gekommen,“ so sagte der verstorbene Bischof Klaus Hemmerle, „Jesus ist wirklich gekommen, aufgebrochen aus dem Herzen Gottes selbst, her zu uns. Indem er es annahm, Mensch zu sein, nahm er uns an, so wie wir sind, und nahm zugleich an unserer Stelle und für uns Gott an, die ganze, alles fordernde Wucht eines heiligen Willens.“
Das Wort wird, wenn wir es hören und danach leben, in einem übertragenen Sinn auch in uns Fleisch - in uns und in unserem Handeln. Es wird neu Wirklichkeit, konkret erfahrbar, dort wo Menschen danach leben.
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