22.1.2023 - Predigt 3. Sonntag im Jahreskreis A, Manresa – Hamburg
Les: Jes 8,23b-9,3; 1 Kor 1,10-13.17; Mt 4,12-23
"Gregor Eisenhower, geboren 1960, hat Germanistik und Philosophie studiert. Er lebt als freier Schriftsteller in Berlin und schreibt Nachruf, unter anderem für den Tagesspiegel. Ja, sie haben richtig gehört: seit über zehn Jahren schreibt Gregor Eisenhower, Nachrufe. Nicht auf berühmte Männer und Frauen der Zeitgeschichte, sondern auf ganz normale Menschen. Er sagt, es sei eine Aufgabe, die sein Leben veränderte. Seine Besuche in den Leben der anderen zeigten ihm, was am Ende wichtig ist, und zählt: nicht die Karrierestationen oder die Urlaube, nicht die Sonne, nicht. Die Summe des ersparten oder des vergoldeten bringen unser Leben auf den Punkt, sondern unsere Bindungen zu anderen Menschen und unser Verhältnis zu uns selbst."
Er hat ein Buch über seine Arbeit geschrieben, es heißt: "Die zehn wichtigsten Fragen des Lebens". Darin ermutigt er, die Leser, "Rechenschaft abzulegen, bevor es zu spät ist. Denn es gibt keine Chance, es das nächste Mal besser zu machen!" (Klappentext)
Vielleicht fragen Sie sich jetzt, was denn die zehn wichtigsten Fragen des Lebens nach Eisenhauer sind, doch vielleicht lohnt es sich, selbst zu überlegen: Was würde ich einen Menschen fragen, wenn ich sein Leben in einem kurzen Artikel oder Nachruf beschreiben sollte? Welche Frage, die ich für wichtig erachte, würde ich mir selbst über mein Leben stellen? Wie gesagt, Eisenhower hat entdeckt, dass es vor allem Fragen sind, bei denen es um unsere Bindungen zu anderen Menschen und um das Verhältnis zu uns selbst geht.
Ich selbst würde unter meinen zehn wichtigsten Fragen notieren: Was bedeutet Umkehr für dich? Oder: Ist Veränderung möglich?
Diese Frage beschäftigt mich schon lange, sie ergibt sich unmittelbar aus dem heutigen Evangelium. Zwischen dem Bericht von dem Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa, zwischen den Zitaten aus dem Propheten Jesaja und der Erfüllung der alten Verheißung, zwischen den Berufungserzählungen ersten Jünger, den beiden Brüderpaaren, Petrus und Andreas, Jakobus und Johannes, ist fast unscheinbar das erste öffentliche Wort der Jesus-Verkündigung eingefügt: „Von da an begann Jesus zu verkünden: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“ (Mt 4,17) Jesus nimmt die prophetische Verkündigung Johannes des Täufers wortwörtlich auf (vgl. Mt 3,2: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“)
1/ Umkehr
Metanoia, ursprünglich Sinnesänderung, bezeichnet (einerseits) eine Ablehnung der Sünde, ein Bereuen. Diese Reue, die sich auf die Vergangenheit richtet, geht gewöhnlich zusammen mit einer Bekehrung, durch die sich der Mensch (andererseits) Gott zu wendet und zu einem neuen Leben verpflichtet. Diese beider einander ergänzenden Seiten in ein und derselben Bewegung des Herzens werden im biblischen Wortgebrauch nicht immer unterschieden. Bereuen und bekehren sind die notwendige Voraussetzung, um das Heil zu empfangen, dass durch das Reich Gottes gebracht wird.
Der Umkehr-Ruf Johannes des Täufers wird wieder, wie gesagt, aufgenommen von Jesus, aber auch von seinen Jüngern, später auch von Paulus.
„Kehrt um“ ist also nicht nur ein moralischer Appell. Tatsächlich hört man Ähnliches in diesen Tagen in wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Fragen immer wieder: Wir müssen uns Leben ändern, wenn wir das Klima schützen wollen, wenn wir gerechtere Lebensbedingungen für alle schaffen wollen, etc. Das stimmt. Wir müssen heute, in der „Zeitenwende“ sogar die friedenspolitische Agenda neu denken. Da ist viel Umdenken notwendig.
Bereuen hat manchmal auch mit Scham zu tun, über eine Handlung, ein Wort oder einen Gedanken, die ich am liebsten ungeschehen machen würde.
Doch das Umdenken bei Jesus hat noch eine Dimension mehr. Es geht nicht nur um eine Kehrtwende im Sinne des Bereuens, sondern es geht eine Bekehrung im Sinne der Ausrichtung und des Denkens.
„Metanoiete!“ – verändert Euer Denken, das bedeutet wortwörtlich: Denkt darüber hinaus, denkt größer. Denkt größer vom Menschen und vor allem: Denkt größer von Gott. Traut ihm etwas zu, lasst ihn in euere Leben hinein, denn er ist schon nahegekommen – sein Reich ist schon nahegekommen. Traut ihm Vergebung zu, Erbarmen. Er hat tausend Mal mehr Möglichkeiten, Euer Leben zum Guten zu wenden, als ihr selbst machen und planen können.
In Evangelii Gaudium (EG 178) schreibt Papst Franziskus: „Der Heilige Geist verfügt über einen für den göttlichen Geist typischen unendlichen Erfindungsreichtum und findet die Mittel, um die Knoten der menschlichen Angelegenheiten zu lösen, einschließlich der kompliziertesten und undurchdringlichsten.“
Deshalb – weil es auch um das Gottesbild geht - ist der zweite Teil der Botschaft genauso wichtig: Das Himmelreich ist nahe!
2/ Himmelreich
Matthäus sagt „Himmelreich“ statt Gottesreich, um nach jüdischem Brauch den ehrfurchtgebietenden Namen Gottes durch einen bildhaften Ausdruck zu umschreiben. „Himmelreich“ bezeichnet das Königtum Gottes über das erwählte Volk und durch dieses Volk über die Welt. Diese Vorstellung bildete bereits das Zentrum des Alten Testaments; nun steht sie im Mittelpunkt der Verkündigung Jesu. Das Himmelreich umfasst ein Reich von Menschen, die mit Gott verbunden sind, deren Gott wahrhaft König sein wird, weil seine Königsherrschaft von Ihnen in der Erkenntnis und der Liebe anerkannt wird.
Dieses Königtum wurde durch den Aufstand der Sünde infrage gestellt, durch eine souveräne Tat Gottes und seines Messias soll es wieder hergestellt werden. Diese Tat verkündet Jesus, wie Johannes der Täufer, als „nahegekommen“. Und er vollzieht sie, nicht in Form einer kriegerischen, nationalistischen Erhebung, wie es die Masse des Volkes erwartete, sondern auf eine ganz unkriegerische Weise, als Menschensohn und als Gottesknecht, durch sein Erlösungswerk, das die Menschen dem Herrschaftsbereich Satans, des Widersachers, entreißt.
Vor der endgültigen, eschatologischen Verwirklichung, bei der die Erwählten in der Freude des himmlischen Festmahls beim Vater leben werden, fängt das Gottes Reich klein und unauffällig, geheimnisvoll, unter Widerständen an. Es erscheint als eine Realität, die bereits angebrochen ist und sich äußert in Jesu heilendem und befreienden Handeln, und die sich langsam auf Erden, durch die Kirche, entfaltet.
In dieser Zeit gegenwärtig als das Reich des Menschensohnes Jesus Christus, wird es in der ganzen Welt durch die apostolische Sendung verkündet. Beim Endgericht wird das Reich Gottes durch die glorreiche Wiederkunft Christi endgültig aufgerichtet und dem Vater zurückgegeben. Bis dahin zeigt es sich als reine Gnade, die von den Geringen und von denen, die sich selbst entsagen, angenommen, von den Hochmütigen und Selbstsüchtigen aber verworfen wird. Eingang findet man nur mit dem hochzeitlichen Gewand des neuen Lebens. Es gibt solche, die ausgeschlossen werden. Man muss wachen, um bereit zu sein, wenn es unversehens kommen wird.
„Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“ Diese Botschaft hören die Menschen in Kafarnaum, am See von Genezareth, in der Provinz, in Dithmarschen. Das ist für Matthäus wichtig, ebenso wie die nähere Beschreibung der Menschen, die Jesus zuerst und vor allem anspricht: Fischer, einfache, stinkende, arbeitende Menschen, die verwurzelt sind mit der Erde und doch eine große Sehnsucht im Herzen tragen, nach dem Licht, nach der Begegnung mit Gott, nach Befreiung und Erlösung.
Es gibt eine Art und Weise zu leben, wenn ich umkehre, d.h. bereue, loslasse und mich auf Gott ausrichte, mich Neuem zuwende, die eine unfassbare Freiheit und Freude beinhaltet. Das hören bzw. erahnen die Fischer am See von Genezareth in ihrem Alltag. Und das fasziniert sie so, dass sie alles liegen und stehen lassen und Jesus folgen. Ein Anruf – eine Berufung, die Mut macht, die herausfordert, die verändert – zuerst unser Gottesbild und dann unser Menschenbild und vor allem das Bild von uns selbst. Denn wenn Gott größer wird, dann werden wir nicht kleiner. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Gottes Möglichkeiten unsere Freiheit beschneiden würde. Im Gegenteil: Die Freiheit Gottes und die Freiheit des Menschen wachsen im gleichen Maße.
Wo möchte ich umkehren, größer denken, anders denken? Wo ahne ich im Herzen, dass eine Veränderung eine größere Freiheit und eine größere Freude bedeuten kann? Wo bin ich bereit, etwas loszulassen, um etwas Neues zu beginnen? Diese Fragen – so scheint mir – gehören zu den wichtigsten Fragen im Leben eines Menschen. Und wie glücklich dürfen wir sein, dass Jesus sie uns heute stellt.
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