Freitag, 10. Mai 2024

Abschied


Predigt Xti Himmelfahrt 2024

Les: Apg 1,1-11; Eph 4,1-13; Mk 16,15-20

1/ Abschied

In Hamburg sagt man Tschüss. Immer wieder im Leben heißt es Abschied nehmen: am Ende eines Berufslebens, oder wenn wir die Arbeitsstelle wechseln Abschied von den Kolleginnen und Kollegen. Wenn ein guter Freund oder eine gute Freundin umzieht in eine andere Stadt, oder wenn wir selbst den Ort wechseln, Umzug und Neubeginn, Abschied von Freunden. Wenn ein Ehrenamt endet oder wie eine Aufgabe oder Tätigkeit loslassen müssen, Dank und Abschied. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ein Familienangehöriger, ein guter Freund, müssen wir Abschied nehmen. 

Ich habe das Gefühl, dass es im Laufe des Lebens immer mehr zu Abschieden kommt, je älter man wird, aber vielleicht ist das auch nur meine Veränderung der Zeitwahrnehmung. Als Jesuit bin ich inzwischen in den verschiedenen Phasen der Ausbildung siebenmal umgezogen, schon vorher habe ich an sechs verschiedenen Orten gewohnt. Da kommt ganz schön was an Abschieden zusammen. 

Manche Kontakte bleiben, und ich trage die Menschen noch im Herzen, schreibe mal eine Karte zum Geburtstag, leider viel zu selten, aber in 95 % der Fälle sind es endgültige Abschiede. Es war eine gute Zeit oder auch eine nicht so gute Zeit, aber wir werden uns nicht wieder sehen. 

Gerade in meinem Arbeitsbereich im Generalvikariat, in der Kirche gibt es sehr viele Veränderungen, die Babyboomer gehen, sehr viele Abschiede. Immer bleibt etwas. Wenn es nichts kostet zu gehen, dann ist es kein gutes Zeichen. Denn wenn ich geliebt habe, dann bin ich auch irgendwie beteiligt, dann habe ich mein Herz geöffnet und dann geht Abschied nicht einfach so.

2/ Jesus

Das Fest Christi Himmelfahrt erinnert an den Abschied des Auferstandenen von seinen Jüngern. Jesus ist den Seinen vierzig Tage erschienen. Er hat ihn durch viele Beweise gezeigt, dass er lebt, wie die Apostelgeschichte schreibt. Er hat mit ihnen gegessen und getrunken und hat vom Reich Gottes gesprochen. Wie auch immer diese Erzählungen zu verstehen sind, symbolisch, übertragen: Es ist ein anderer, bemerkenswerter und besonderer Abschied.

Es ist nicht wieder der Abschied vor der Kreuzigung, der ganz von anderen Mächten bestimmt war und den Jesus im Leiden, in der Liebe inmitten der Verachtung, in der Hoffnung inmitten von Dunkelheit mit seinen Jüngern erlebte. 

Jetzt, nach seiner Auferstehung, ist es ein anderer Abschied. Dieser Abschied wird ein endgültiger Verlust. Fortan gilt für die Jünger: „Sie suchten ihn, weil sie ihn liebten, doch nichts von dem, was sie machen oder von dem, was sie sehen, bietet Ihnen Gelegenheit, ihm zu begegnen.“

Gleichzeitig ist dieser Abschied ein Grund zur Freude. Diesen Abschied gestaltete Jesus selbst zu einem freudigen Ereignis, und er wurde zu einer Quelle der Sicherheit, mit der seine Jünger diese Zeit der Trennung, nach seinem Abschied, bestehen sollten. 

Der Abschied von Jesus ist nicht überraschend. Er hat es lange angekündigt und seine Jünger darauf vorbereitet, auch wenn sie es nicht verstanden, schon vor Tod und Auferstehung. Immer wenn er etwas Großartiges tat oder sagte, hat er sich danach zurückgezogen. Kein Wunder, ohne dass er wieder ins Gebet geht und deutlich macht, zu wem er eigentlich gehört. Die Abschiedsreden Jesu, die die Jünger überhaupt nicht verstehen, reden von dem Geheimnis, indem er lebt. Ein Geheimnis ist ein Ort, wo man bleiben kann, wo man daheim ist. Der Abschied ist nicht überraschend für die Jünger, auch wenn sie so tun.

Aber der Abschied diesmal ist von Freude durchdrungen. Er tropft von Glück. Er wird in allen Poren sichtbar. Die Jünger weinen nicht, oder höchstens vor Freude, die Jünger kehren nach Jerusalem zurück, erfüllt von dieser Freude, um Gott zu loben, überglücklich aus ganzem Herzen, Dank zu sagen, für die empfangenen Gnaden.

Ist das eine unerklärliche Freude? Das Vertrauen in ihn war bisher an seine Person gebunden, an die Sehnsucht nach ihm, er als Gegenüber, als Vorbild, als Freund. Doch Petrus wird in Kürze der Menschenmenge die überraschende Benommenheit der Jünger erklären, die in ihnen seinen Geist verbreitet hat, der Geist des verherrlichten Jesus. Es ist die erste Predigt des Petrus, und sie geht über die Freude der Christen. Mit dem Abschied Jesu ist nämlich eine Freude eingezogen. Die Leerstelle ist zu einer Quelle der Freude geworden, unerwartete Erfüllung dessen, was ihnen eigentlich schon lange verheißen war.

Das mit der Leerstelle, die sich irgendwie füllt, ist etwas sehr besonders bei Abschieden im Glauben. Dietrich Bonhoeffer schreibt im Blick auf den Verlust eines lieben Menschen einen Satz, den ich gerne auf Kondolenz-Karten notiere:

„Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.“ 

3/ Erwartung

Die Erinnerung wird zur Freude – und sie wird gleichzeitig zur Erwartung des Kommenden und zu einer Verbundenheit untereinander führen. Tatsächlich wird ihre Gemeinschaft die Zeit ausfüllen, die den Weggang Jesu von seiner Rückkehr trennt. Immer wieder ist das in der Bibel zu hören, vgl. das Gleichnis von dem Mann mit der Königswürde, der zurückkommen wird; von den Talenten, die für eine bestimmte Zeit anvertraut sind; Jesus in den Abschiedsreden, die bei Johannes überliefert sind: „Ich werde wiederkommen“. Und dann eben auch hier die Apostelgeschichte, die wir gehört haben. „Was steht ihr da und starrt nach oben? Dieser Jesus, den ihr habt weggehen sehen, er wird wiederkommen!“

Die Zeit dazwischen ist eine Zeit der Liebe. „Ein neues Gebot gebe ich euch für diese Zeit: Liebt einander!“. 

Ist es so, dass diese Erinnerung an Jesus sie zusammen führt als Gemeinschaft? Oder ist es vielmehr so, dass ihre gelebte geschwisterliche Gemeinschaft die Erinnerung an Jesus wachhält? Beide Seiten sind gleichermaßen wahr, aber letztendlich verwandelt allein die Liebe die Erinnerungen in einen Quell der Freude.

Was bedeutet das nun für uns? „Er ist nicht hier!“ Das war schon die Botschaft der Engel am Grab und sie gilt auch für uns als Jüngerinnen und Jünger nach der Himmelfahrt. „Er ist nicht hier!“. Wir können Gott suchen und manchmal erahnen, aber wir finden ihn nicht, so dass wir ihn dingfest machen können. Er ist nicht der Freund in Fleisch und Blut, der an meiner Seite geht. Aber Jesus ist auf neue Weise doch da, manchmal ahnen wir es, er ist irgendwie doch ein Freund, im Suchen finden wir ihn, das ist die wichtigste Erfahrung der Christen. 

Das Warten auf den Herrn gehört zum Christentum. „Wo hältst du dich denn verborgen?“, „Ja, komm, Herr Jesus, Maranatha!“ Die Erinnerung an ihn wach halten. Indem wir ihn suchen und nicht finden, ist er doch auf eine geheimnisvolle Weise dabei, durch seinen Geist. Indem wir auf ihn warten, erfüllt er uns schon, erfüllt er, das All, wie der Epheserbrief schreibt, beherrscht er das All! Indem wir auf ihn warten, wachsen wir in der Einheit, leben wir den Glauben in diesem Dazwischen. Eine neue Form von Abschied, die Jesus uns zeigt, die Hoffnung stärkt und Freude schenkt. Durch den Geist, der in unsere Herzen ausgegossen ist. Amen.

Textidee und Zitate: Michel de Certeau SJ, Die Himmelfahrt (Meditation), erschienen in: Christus 6, Nr. 22, April 1959,211-220, übersetzt von Andreas Falkner, in: GuL (90) 2017, Heft 3, S. 312-319.

Foto von Riiana Izzietova auf Unsplash

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