Predigt Sechster Sonntag der Osterzeit B – Hamburg, Manresa – 2024
Les: Apg 10, 25-26.34-35.44-48; 1 Joh 4, 7-10; Joh 15, 9-17
Liebe Schwestern und Brüder,
das Johannes Evangelium gehört zu den besonderen Texten, mit denen man nicht zu Ende kommt: nicht leicht zu verstehen, oft sehr wiederholend und doch von grandioser Schönheit. Man hat das gefühlt schon hundertmal gehört: „Liebt einander!“
„Liebe Gott und deinen Nächsten wie Dich selbst.“ Das ist wohl tatsächlich die zentrale Botschaft des Christentums, die uns hier im Evangelium wieder einmal nahegebracht wird. Erlösung geschieht in Liebe, einfach: in dem man liebt! Und doch hat der Evangelist einige Stolpersteine ins Evangelium eingebaut, so meine ich, die uns aus unserer Komfortzone herausholen können. Drei dieser Fragen, über die ich gestolpert bin, möchte ich erwähnen:
1/ „damit eure Freude vollkommen wird.“ (Joh 15,11)
Jesus spricht hier im Evangelium von der Freude. Seine Freude, so wünscht er sich, möge in den Jüngern sein, damit ihre Freude vollkommen sei, ohne Grenze und Trübung. Gibt es das überhaupt: vollkommene Freude? In dieser Welt, wohl so viel Unfrieden und so vielen Probleme um uns herum sind? Ein bisschen Friede, eine bisschen Freude, das würde doch schon reichen, oder nicht? Muss es gleich so anspruchsvoll sein: „vollkommene Freude“?
Manche empfinden im dieser Jahreszeit Freude, wenn sie Regen und Sonne sehen, die Vielfalt der Bäume und Blumen, das Wachstum und den Segen. Dann singen Sie, dass das Herz „ausgehen“ und „Freude suchen“ möge. Freude, weil sich der Mensch als Teil der guten Schöpfung erkennt. Ich lebe in dieser schönen Welt!
Andere empfinden Freude, wenn sie Zeit mit einem geliebten Menschen verbringen, wenn sie in einem guten Gespräch ähnliche Interessen sehen oder sich verstanden fühlen oder wenn sie getröstet werden. Freunde über die Verbundenheit mit anderen Menschen. Ich bin nicht allein!
Freude ist in den Evangelien nicht definiert, aber sie ist immer eine Spur der Anwesenheit Gottes in uns. Echte Freude ist ein Gefühl in uns, dass uns auf Gottes Anwesenheit in uns und um uns herum hinweist. Deshalb wird die Freude mehr, wenn wir sie teilen.
Aber wir sind begrenzte Menschen, die Freude ist immer mit einer Sehnsucht verbunden. „Immer ist da Raum für mehr.“ Ist die Freude hier auf der Erde je vollkommen?
Jesus spricht im Moment seines Abschieds von Freude, weil er in diesen Tagen in die Jerusalem in besonderer Weise die Gegenwart Gottes erlebt und sich von seinem Vater gehalten und geführt weiß. Für ihn hat sich der Himmel geöffnet. Er erlebt die Anwesenheit Gottes auf eine neue und besondere Weise, und genau das möchte er auch seinen Jüngern vermitteln. Durch ihn hat sich für seine Jünger der Himmel geöffnet. Alles, was da geschieht, ist für ihn keine Tragödie, kein grausames Schicksal, sondern Heilsgeschichte.
Dieser erste Stolperstein führt uns vielleicht zu der Frage, ob wir das, was mit Jesus erleben, als „nice to have“ ansehen, oder ob wir darin wirklich den Sinn und die Bedeutung unseres Lebens erkennen, unsere eigene Heilsgeschichte.
2/ „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13)
Jesus gab sein Leben hin für seine Freunde. Er setzte sein Leben ein. Er hat sein ganzes Leben als einen Dienst an den Jüngern verstanden. Er hat sie „geliebt bis zum Ende“. Er hat gesehen, dass darin die Gabe des Lebens besteht, in seiner treuen und Grenzen überschreitenden Liebe.
Wenn wir auf Jesus schauen: Stimmt es dann, dass es keine größere Liebe gibt, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt? Hat nicht Jesus gelehrt, man solle sogar seine Feinde lieben? Ist das nicht eine noch größere Liebe, wenn man seine Feinde liebt? Oder geht das nicht?
Schon der heilige Bernhard von Clairvaux ist offenbar über diesen Satz gestolpert. Er sagte in einer Predigt in der Karwoche: „Niemand hat eine größere Liebe als einer, der sein Leben für seine Freunde gibt: Du, o Herr, hast eine größere gehabt: du hast es für deine Feinde hingegeben! Als wir nämlich noch Feinde waren, sind wir durch deinen Tod mit dir und dem Vater ausgesöhnt worden. […] Kaum jemand stirbt für einen Gerechten: du hast für Ungerechte gelitten und bist unsere Sünden wegen gestorben, du bist gekommen, die Sünder, ohne dass sie es verdient hätten, gerecht zu machen: Knechte zu Brüdern, Gefangene zu Miterben, Verbannte zu Königen zu machen … [Jesus liebte so,] dass er sein Leben dem Tod preisgab und die Sünden vieler trug, […] dass er sogar für die Schuldigen betete.“
Dieser zweite Stolperstein zeigt uns die Besonderheit der Liebe Jesu für uns: dass er uns als Freunde liebt, dass er uns aber sogar als Feinde liebt, wenn wir uns von ihm entfernt haben, und uns bei sich haben möchte – und vielleicht als Feinde zu Freunden liebt.
3/ „Ich nenne euch nicht mehr Knechte“ (Joh 15,15)
Hat Jesus seine Jünger je Knechte genannt? Nicht, dass ich mich erinnere! Sie haben ihn als Herrn und Meister angeredet, aber er hat sie nie als Knechte behandelt oder angesprochen. Er selbst hat sich als Knecht gesehen, als der Gottes Knecht, von dem der Prophet Jesaja gesprochen hat. Er hat Ihnen vom Reich Gottes erzählt, in Gleichnissen wie vom treuen und vom treulosen Knecht. Er hat sie aufgefordert, einander zu dienen: der größte bei euch soll euer Diener sein. Aber er hat soweit wir wissen seine Jünger nie als Knechte bezeichnet.
Dieser Stolperstein führt uns, finde ich, direkt zu der Frage, wie ich mich selbst in der Beziehung zu Jesus verstehe. Sehe ich mich als Knecht oder als Magd Jesu? Oder sehe ich mich als Freund oder als Freundin Jesu? Wer ist Jesus für mich? Ein Kumpel? Ein Bruder? Der göttliche Herr? Kann ich das Angebot der Freundschaft Jesu, dem Sohn Gottes, dem Menschensohn, annehmen? Möchte ich diese Freundschaft mit Jesus leben?
Drei Anregung, drei Stolpersteine, die uns den Reichtum des Wortes Gottes vielleicht neu und tiefer entdecken lassen, egal ob wir neu hinzukommen oder den Text gefühlt schon hundertmal gehört haben. Und die uns vermitteln können, was das sein mag: Wirklich zu lieben. Denn darin liegt unsere Erlösung. In der Liebe. Geliebt zu werden und zu lieben. Amen.
Foto von Aaron Burden auf Unsplash
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