Montag, 27. Mai 2024

Auf das Herz hören


Predigt Dreifaltigkeitsonntag 2024 Hamburg

Les: Dtn 4, 32-34.39-40; Röm 8, 14-17; Mt 28, 16-20

Vergangene Woche war ich im Kino und habe mir den Film „Sterben“ angesehen. Auf der Berlinale erhielt der Film den Silbernen Bären für das beste Drehbuch und vor wenigen Wochen wurde das Drama von Regisseur Matthias Glasner beim Deutschen Filmpreis als bester Film ausgezeichnet worden. Insgesamt war der Film in neun Kategorien nominiert; er galt als Favorit in dem Wettbewerb. Das wollte ich mir ansehen. In dem dreistündigen Film geht es um das Leben der Familie Lunies im Landkreis Harburg. Die Mutter ist krebskrank, der Vater hat Parkinson und muss ins Pflegeheim, der Sohn ein halbwegs erfolgreicher Dirigent in Berlin in einer offenen Beziehung und die Tochter eine einsame und unglückliche Lebefrau in Hamburg.

https://www.epd-film.de/filmkritiken/sterben

Ich habe den Film nicht bis zu Ende gesehen. Ich bin nach zweieinhalb Stunden rausgegangen, denn ich habe die Grausamkeit nicht ertragen. Der Film zeigt aus den verschiedenen Perspektiven die unterschiedlichen, einsamen Menschen, die eigentlich etwas Gutes wollen und gewisse Begabungen haben, ein halbwegs bürgerliches, geordnetes Leben führen, aber mit jeder Entscheidung nur noch mehr in ihr Unglück rennen. Es ist furchtbar zu sehen, was alles schief gehen kann; und wenn man denkt, es geht nicht schlimmer oder grausamer, dann hat man sich getäuscht.

Der Film ist künstlerisch anspruchsvoll, fängt faszinierende und intensive Bilder ein, erzählt eine spannende, tragische Geschichte: die Suche nach Leben und Liebe angesichts des Verfalls; und zeigt zugleich so viel Hass und Lieblosigkeit, Erbärmlichkeit und Leere. Zwischen Krankheit und Einsamkeit, Alkoholsucht und Ehebruch, Depression und Wut, Szeneleben und Bürgerlichkeit entfaltet sich die Negativdynamik der Hoffnungslosigkeit. Das Böse hat eine eigene Faszination. Die Bilder gehen nicht mehr aus dem Kopf.

Den Schlüssel für den Film findet man meines Erachtens im kurzen Prolog. Dort spricht ein Kind, ein junges Mädchen, vielleicht sechs oder sieben Jahre, eindringlich, ernsthaft, altklug, fordernd in die Kamera: »Du musst auf dein Herz hören! Du musst in die hineinhorchen, dann weist du, was du tun sollst. Du musst auf deine Natur hören! Du musst an dein Herz glauben!« Was soll das, fragt man sich. Das Mädchen kommt im Film nicht vor. Aber hier liegt meines Erachtens der Schlüssel.

Stimmen Sie der Aussage zu? »Du musst auf dein Herz hören! Du musst in die hineinhorchen, dann weist du, was du tun sollst. Du musst auf deine Natur hören! Du musst an dein Herz glauben!«

Es ist wesentlich auf das eigene Herz zu hören! Zunächst einmal in grundsätzlicher Weise: Wir müssen auf das Gewissen hören, denn sie ist die Stimme Gottes in uns! (Augustinus)

Als ganz persönliches Urteil begleitet es den Alltag und setzt manchmal als "schlechtes Gewissen" auch übel zu. Wir glauben: Der Mensch hört im Gewissen die Stimme Gottes. Der Katechismus sagt: "Der Mensch hat das Recht, in Freiheit seinem Gewissen entsprechend zu handeln, und sich dadurch persönlich sittlich zu entscheiden." Niemand darf dazu gezwungen werden, gegen das eigene Gewissen zu handeln (KKK 1782); vgl. GS 16.

Und gleichzeitig bei vielen Entscheidungen, bei den vielen Stimmen um uns ist es nicht leicht auf die Stimme des Herzens zu hören. Außerdem ist das eigene Herz manchmal unentschieden. Und wir können uns täuschen. Deshalb ist das Herz nicht das einzige „Organ“, was uns leitet. Es braucht zugleich eine Orientierung von außen, eine grundsätzliche Ausrichtung, einen groben Rahmen für die feinen Entscheidungen. Erst durch das Zusammenspiel von beidem, den äußeren Weisungen und den inneren Weisungen kommen wir zu einer realistischen und stimmigen Lebensweise.

Wenn Sie mit einem GPS-Signal beim Navi sich auf einer unbekannten Straße navigieren lassen, dann gibt es die Signale von außen. Wissen Sie, mit wie vielen Satelliten man in Verbindung sein muss, um mit deren Signal eine gute Standortbestimmung und eine gute Ausrichtung hinzubekommen? Mindestens drei.

Wir Christen glauben, dass Gott uns diesen Rahmen, diese Weisungen zur Freiheit mit den Zehn Geboten in der Geschichte seines Volkes gegeben hat. Und dass die christlichen Ethik keine Ansammlung von aufgesetzten, fremden oder überflüssigen Gebote und Regeln darstellt, sondern einen hilfreichen Rahmen der Orientierung und Weisung bietet. Dazu kommt dann die eigene Haltung und Einübung, die persönliche Überzeugung, die wir unterwegs im Laufe unsere Lebens gewissen, die wir Moral nennen. Und schließlich eben das feine Gespür der Unterscheidung im Gewissen und im Herzen.

Das Fest, das wir heute feiern, der Dreifaltigkeitssonntag, erinnert uns daran, dass Gott einer ist in drei Personen. Der Gott vor uns, der uns als Vater mit den zehn Geboten am Sinai die Weisungen geschenkt hat, die uns in die Freiheit führen sollen. Der Gott mit uns, der sich uns in Jesus Christus als die unbedingte Liebe offenbart hat und der Gott in uns, der Heilige Geist, der uns leitet und lenkt, der in uns atmet und Leben schenkt und der uns die Weite und das Vertrauen schenkt, auf unser Herz zu hören und mit ihm gute Entscheidungen zu treffen.

Ich kann ihnen nicht empfehlen, den Film „Sterben“ anzusehen; ich finde ihn, wie gesagt, zu grausam. Was ich Ihnen aber empfehlen möchte ist der Vortrag von Johannes Hartl bei der letzten MEHR-Konferenz. Dort hat er über „Realitätsverlust“ gesprochen. Sie können den Vortrag hier finden. 

https://youtu.be/99mkXk6WWu4?si=kQmREvK-gMbeVc0d

Er spricht meines Erachtens genau das an, was ihm Film dargestellt wird, und entwickelt es aus philosophischer Perspektive vor einem christlichen Hintergrund.

Auf das eigene Herz zu hören ist wichtig; aber auf die Realität zu schauen und vor allem auf die grundlegenden Weisungen Gottes, die uns darin Orientierung geben, noch viel mehr. Amen.


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