Montag, 28. April 2025

Ostern 2025


Predigt 2. Sonntag der Osterzeit C | Hamburg 2025

Les: Apg 5,12-16; Offb 1,9-11a.12-13.17-19; Joh 20,19-31

„Was für ein Osterfest!“, so schrieb mir eine Bekannte in den vergangenen Tagen. Mit dem Tod von Papst Franziskus am Ostermontag und dem Abschied von Erzbischof Werner bleiben diese Tage im heiligen Jahr hier in Hamburg für viele Menschen sicherlich in besonderer Erinnerung. Ostern 2025 - drei Gedanken dazu.

1/ persönlich und gemeinschaftlich

Vielleicht haben manche dieses kleine Video vom Mittwoch gesehen, von Schwester Geneviève Jeanningros, 82 Jahre, eine „kleine Schwester“ aus Frankreich, die mit Papst Franziskus seit vielen Jahren befreundet war und an seinem Sarg Abschied nehmen wollte. Ein blaues Ordensgewand, ein abgesetzter Rucksack, ein Taschentuch in den Händen, viel mehr sieht man nicht von ihr, aber man erkennt ihre Liebe. Sie lebte jahrelang unter Zirkusleuten, Obdachlosen, Transgender-Menschen und begleitete sie oft zur Audienz beim Papst. Sie stand am Sarg, offensichtlich laut Protokoll völlig deplatziert, hielt sich nicht an die Reihenfolge und betete. Nachher sagte sie, Franziskus sei für sie ein Vater, ein Bruder, ein Freund gewesen, und sie wollte ihm noch einmal die Menschen bringen, die ihr anvertraut sind.

Abschied, Dankbarkeit, Trauer, Freude über das neue Leben, das uns mit dem Tod und der Auferstehung Jesu geschenkt wurde, das hat stets eine gemeinschaftliche und eine persönliche Dimension!

Im Johannes-Evangelium, aus dem wir gerade gehört haben, ist die Erscheinung Jesu vor allen Jüngern am Osterabend gerahmt von zwei ganz persönlichen Begegnungen mit dem Auferstandenen. Am Morgen mit Maria von Magdala am Grab und am Sonntag nach einer Woche mit Thomas, dem Zwilling, der am Osterabend nicht dabei gewesen war. Aber auch diese beiden persönlichen Erfahrungen haben etwas mit der Gemeinschaft zu tun: Maria von Magdala geht zu den Jüngern und bringt Ihnen die Osterbotschaft. Die Begegnung mit Thomas, die persönliche Hinwendung an ihn, und wie Jesus auf seine Fragen und seine Zweifel eingeht, geschieht mitten unter den anderen.

Das ist vielleicht die erste Botschaft, die wir heute Abend hören dürfen: im Tod und im Leben, beim Abschied, in der Trauer, in der Dankbarkeit, in der Freude - in allem, was wir als bedeutsam in unserer Gottes Beziehung ansehen, brauchen wir die anderen. Ostererfahrung wird nicht im stillen Kämmerlein zuteil. Es gibt an Ostern keine private Erbauung im Wohnzimmer. Auch wenn Gebet oft in Stille geschieht, auch wenn wir manchmal den Rückzug brauchen, auch die Einsamkeit und selbst wenn wir in Trauer uns einsam und verlassen fühlen: es ist das Bild von der Versammlung der Jüngerinnen und Jünger und Jesus in ihrer Mitte (V19 und V26!), das uns Ostern werden lässt, d.h. Begegnung mit dem Herrn schenkt.

2/ Wunder und Wunden

Das Wunder der Auferstehung ist für Thomas durch die Erzählung der anderen Jünger nicht nachvollziehbar. Was wir an Ostern feiern, übersteigt unseren Verstand. Ein Mensch mit einem Leib, der durch verschlossene Türen gehen kann? Im Zentrum der Erzählung aus dem Johannes Evangelium steht aber nicht das Wunderhafte, sondern vielmehr das Wunderbare: die Wirkungen der Auferstehung. Der Auferstandene schenkt Frieden, Vergebung, Freude.

Thomas erkennt den Herrn an seinen Wunden. Die Auferstehung ist kein Wunder, dass einen reinen, neuen Leib erzeugt, sondern es bleiben die Male der Nägel, die Seitenwunde, die Erfahrungen und das Leid bestehen und werden doch verwandelt. „Durch seine heiligen Wunden, die leuchten in Herrlichkeit, behüte und bewahre uns Gott der Herr“, so beten wir beim Entzünden der Osterkerze.

Das Leid ist nicht weggewischt, aber das Leiden am Leiden ist vorüber und genau das schenkt Trost. [Etymologisch gibt es zwischen Wunder und Wunden keine Verbindung, inhaltlich aber offenbar schon].

3/ anhauchen und empfangen

Und ein dritter Gedanke: die Erfahrung des auferstandenen Jesus ist damit verbunden, dass Jesus seine Jüngerinnen und Jünger anhauchte. Diese Anhauchung erinnert an das erste Anhauchen Gottes bei Erschaffung des Menschen, so wie im Buch Genesis erzählt wird: „Gott, blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ (Gen 2,7) Diese erste Hauchung war durch die freiwillig begangenen Sünden ausgelöscht worden. Nun schenkt Jesus seinen Jüngern neues Leben und er befreit sie aus der Bedrängnis.

Ob nun diese Anschauung selbst schon die Geistgabe ist (durch Jesus Christus), oder ob es die Vorbereitung auf die Geistgabe von oben ist (von Gott Vater), darum ist viel gestritten worden. In jedem Fall ist es ein Akt der Neuschöpfung: neues Leben wird geschenkt. Das neue Leben gründet dem Tod und in der Hingabe Jesu, wird im sehenden Erkennen angeeignet und im Sündennachlass weiter geschenkt. Leben empfangen und weitergeben. Das ist unser Dienst. Halleluja! Was für ein Osterfest!

Dienstag, 22. April 2025

Franziskus


Zum Tod von Papst Franziskus.

Erinnern Sie sich an den 13. März 2013? Es war der Tag der Wahl von Papst Franziskus. Am Abend trat er auf den Balkon und begrüßte nach seiner Wahl die Gläubigen auf dem Petersplatz. Ich war damals in Argentinien und ich habe das Erstaunen und die Ratlosigkeit der Mitbrüder erlebt, was diese Wahl bedeuten wird für die Kirche und für unsere Ordensgemeinschaft.

Ich bin ihm persönlich nie begegnet, aber vielen seiner Weggefährten und ich habe viele seiner Schriften mit großem Gewinn gelesen, aus seiner Zeit als Jesuit, und aus seiner Zeit als Papst. Ich denke an einen wahren Vater, ein herausforderndes Vorbild, und einen Verbündeten im Gebet.

An dem Abend nach seiner Wahl 2013, als er die Gläubigen auf dem Petersplatz begrüßte, finden wir in seinen ersten Worten bereits zwei wesentliche Dimensionen seines Dienstes: die Bedeutung des gemeinsamen Gehens, Bischof und Volk, auf einem Weg der Brüderlichkeit, Liebe, des Vertrauens und der Hoffnung; und die Zentralität des Gebets, insbesondere des Fürbittgebets.

a/ Die weltweite Bischofssynode und der Aufmerksamkeit gegenüber der Synodalität als konstitutive Dimension des Kirche-Seins, zeigt deutlich dieses „gemeinsame Gehen“. Dies vermindert in keiner Weise den Primat des Petrus oder die Verantwortung der Bischöfe; im Gegenteil, es ermöglicht, diese Verantwortung mit der bewussten Teilnahme aller Getauften, des Gottesvolkes auf dem Weg, auszuüben, indem die Anwesenheit und das Wirken des Herrn durch seinen Heiligen Geist im Leben der kirchlichen Gemeinschaft erkannt werden.

b/ Die Einladung zum Gebet, die er in jener Nacht allen Gläubigen machte, ist in unserer Erinnerung fest verankert: „Lasst uns gemeinsam beten, Bischof und Volk. Ich bitte euch, für mich zu beten, dass der Herr mich segnen möge.“ Während seines Pontifikats schloss er stets seine Reden, einschließlich des Angelus am Sonntag, mit derselben Einladung: „Bitte vergesst nicht, für mich zu beten.“ Er hörte nie auf, uns daran zu erinnern, wie das Gebet aus dem Vertrauen auf Gott und der Vertrautheit mit Ihm geboren wird. Im Gebet können wir das Geheimnis des Lebens der Heiligen entdecken.

Wenn er uns Jesuiten ansprach, betonte er stets die Bedeutung, in unserem Leben und unserer Mission genügend Raum für das Gebet und die Aufmerksamkeit auf die geistliche Erfahrung zu reservieren. In seinem Brief vom 6. Februar 2019, in dem er seine Zustimmung und Bestätigung der Universalen Apostolischen Präferenzen mitteilte, schrieb er an unseren Generaloberen: „Die erste Präferenz (den Weg zu Gott durch die Geistlichen Übungen und die Unterscheidung zu zeigen) ist entscheidend, weil sie die Grundvoraussetzung für die Beziehung des Jesuiten zum Herrn voraussetzt, in einem persönlichen und gemeinschaftlichen Leben des Gebets und der Unterscheidung. […] Ohne diese betende Haltung werden die anderen Präferenzen keine Früchte tragen.“

Papst Franziskus hatte einen wachen Blick auf das Geschehen in der Welt, um allen ein Wort der Hoffnung zu bieten. Die außergewöhnlichen Enzykliken „Laudato Si'“ (2015) und „Fratelli tutti“ (2020) offenbaren eine klare Analyse des Zustands der Menschheit und zeigen gleichzeitig im Licht des Evangeliums die Wege auf, die Ursachen so vieler Ungerechtigkeiten zu beseitigen und Versöhnung zu fördern.

Für Papst Franziskus war der Dialog miteinander, zwischen politischen Gegnern oder zwischen Religionen und Kulturen das Mittel, um Frieden und soziale Stabilität zu fördern, ein Umfeld gegenseitigen Verstehens zu schaffen, sich füreinander zu sorgen und einander solidarisch zu unterstützen.

Unvergesslich ist mir der Abend des Gebets, zu dem er angesichts der Corona-Pandemie im März 2020 aufrief und er selbst auf dem leeren Petersplatz stand

Vorbildlich ist für mich seine ständige Sorge um den Frieden angesichts von Intoleranz und Kriegen, die das internationale Zusammenleben bedrohen und unermessliches Leid unter den Wehrlosesten verursachen

Prophetisch wirkte sein Mitgefühl mit den vielen weltweit Vertriebenen, insbesondere jenen Menschen, die gezwungen sind, ihr Leben zu riskieren, indem sie das Mittelmeer überqueren.

Wir trauern, zusammen mit vielen Menschen auf der Erde, Katholiken und andere, über das Ende des irdischen Lebens von Papst Franziskus. Wir tun dies aus einem tiefen Mitgefühl und mit der festen Hoffnung auf die Auferstehung, weil unser Herr Jesus den Menschen die Tür zum ewigen Leben geöffnet hat. Wir beklagen den Tod eines Mannes, der sich in den Dienst der Universalkirche stellte und das Petrusamt mehr als 12 Jahre lang ausübte. Als Jesuiten nehmen wir Abschied von einem Mitbruder, mit dem wir dasselbe geistliche Charisma teilten und dieselbe Art, unserem Herrn Jesus Christus nachzufolgen.

Wir sind von seinem Abschied bewegt, und dennoch entspringt eine tiefe Dankbarkeit aus unserem Herzen gegenüber Gott, dem Vater, reich an Barmherzigkeit, für so viel Gutes, das wir durch den Dienst eines ganzen Lebens empfangen haben, und für die Weise, wie Papst Franziskus die Kirche während seines Pontifikats geführt hat, in Gemeinschaft und Kontinuität mit seinen Vorgängern, im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Der Herr schenke ihm die ewige Ruhe - und das ewige Licht leuchte ihm. Herr, lass ihn ruhen in Frieden. Amen.

 

Bewegung


Predigt Ostersonntag 2025 | Hamburg -
Ostern bringt in Bewegung

Les: Apg 10,34a.37-43; Kol 3,1-3 oder 1Kor 5,6b-8; Joh 20,1-18

1/ Bewegung

Da ist etwas in Bewegung gekommen. Das Evangelium vom Ostermorgen berichtet zunächst von Maria, die am frühen Morgen, kurz nachdem sie entdeckt hatte, dass der Stein nicht mehr vor dem Grab lag, zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger lief, um Ihnen davon zu berichten. Dann laufen diese beiden Jünger zum Grab, der eine schneller als der andere. Sie beugen sich vor bzw. gehen in das Grab hinein und sehen - nichts. Nur die Leinenbinden und das Schweißtuch. Sie gehen wieder nach Hause zurück.

Maria geht zum Grab, beugt sich hinein und sieht die Engel, wendet sich um, sieht Jesus und er kennt ihn nicht. Sie spricht mit ihm und denkt, es sei der Gärtner, bis er sie beim Namen ruft. Da erkennt sie ihn. Sie geht zu den anderen Jüngern und erzählt Ihnen, was er ihr gesagt hat.

Ostern bringt in Bewegung. Nach dem Karfreitag, an dem die Frauen mit der Mutter Jesu beim Kreuz standen, in ihrer Trauer verharren und dabeibleiben konnten; und nach dem Karsamstag, an dem mit dem erschreckenden Tod alles zum Stillstand gekommen ist, geschieht nun plötzlich Aufbruch, Umwendung, Bewegung.

Jesus Christus, der am Kreuz starb und begraben wurde, er lebt! Der im Tod war hat den Tod überwunden! Die trauernde Maria (ihr Blick ist von Tränen getrübt), wendet sich um und hört den Klang der Stimme, die sie beim Namen ruft. Und dann erkennt sie ihn, der ihr Leben verwandelt, weil seines verwandelt ist.

2/ world changing

Kurz vor Ostern bekam ich eine E-Mail-Nachricht von einem Mann, der heute Abend getauft wird, mit dem Betreff „world changing“. In dieser E-Mail berichtet er von den Bewegungen und Veränderungen, die in seinem Leben in den vergangenen Monaten mit der Vorbereitung auf die Taufe geschehen sind. Und vielleicht geht es nicht nur ihm so, vielleicht werden auch anderen von Ihnen sagen: Meine Welt hat sich verändert; oder: ich habe einen neuen Blick auf die Dinge, oder: meine Haltung zum Leben hat sich verändert, ausgehend von der Dankbarkeit für das Leben und für alles das, was in Ihrem Leben geschieht, ohne, dass sie das selbst vollständig begreifen können.

Ich denke, sie alle, die heute getauft werden oder in die Kirche aufgenommen und gefirmt werden, werden auf die ein oder andere Weise sagen, dass sich bei Ihnen in den vergangenen Monaten etwas verändert hat. Es ist etwas in Bewegung gekommen, in ihnen, um sie herum, mit ihnen. Diese Veränderungen haben damit zu tun, dass sie sich auf die Suche gemacht haben und sich haben ansprechen lassen.

3/ Berufung

Am Anfang des Wirkens Jesu im Johannesevangelium steht die Berufung seiner Jünger mit der einfachen Frage: „Was sucht ihr?“ (Joh 1,35) Und der gleichen Fragen begegnen wir am Ende, im Osterevangelium, noch einmal. Jesus fragt Maria Magdalena: „Wen suchst du?“ (Joh 20,15) Es ist die gleiche Frage, und doch ist sie anders, verändert. Bei den Jüngern, hier bei Maria Magdalena, ist aus der unpersönlichen Sinnsuche („was suchst du?“) eine persönliche Beziehung zu einem Menschen geworden („Wen suchst du?“)

Und wie ist das bei Ihnen? Auch Sie haben etwas bzw. jemanden gesucht, sonst hätten Sie sich nicht auf den Kurs und die Vorbereitung eingelassen. Sie haben sich diese Frage stellen lassen und in den vergangenen Monaten versucht, darauf eine Antwort zu geben. Vielleicht hat sich auch bei Ihnen diese Frage in den letzten Monaten verändert. Was würden Sie heute auf diese Frage antworten? Was oder wen suchst Du?

Die Hinwendung zu Jesus Christus, die sie heute vollziehen, ist die Antwort auf Ihre Berufung. Taufe ist Berufung! Sie werden auf den Namen des dreieinen Gottes getauft- und mit ihrem Namen gerufen und gesalbt.

4/ Wandlung

Ostern ist etwas in Bewegung gekommen. Es verwandelt sich etwas. Veränderung ist nicht immer leicht, manchmal ist sie mit Trauer mit Abschied und Neubeginn, manchmal auch mit Mühe verbunden. Tatsächlich reicht das, was wir an Ostern feiern, viel tiefer, als wir verstehen können. Jesus ist bis in die Tiefen des Todesreiches hinabgestiegen. Ostern bedeutet neues Leben, aber nicht so, wie man im Computerspiel ein neues Leben bekommt und einfach von vorne beginnt. Ostern ist eine Transformation, eine Verwandlung von Leben.

Das Bild vom Schmetterling ist bekannt. Es wird oft genommen, um dieses neue Leben zu verdeutlichen: wie die Raupe sich einpuppt und dann aus dem Kokon der neue Schmetterling schlüpft, so ist auch das neue, das ewige Leben, das Jesus vom Vater geschenkt wird, eine ganz neue Wirklichkeit und nicht einfach eine Fortsetzung des gleichen.

Erst vor kurzem habe ich erfahren, wie das mit der Raupe eigentlich geschieht. Sie wird nicht einfach umgebaut, so hatte ich gedacht, so einen aus einem Bein ein Flügel wird oder so, sondern die Raupe löst sich im Kokonvölkern ständig auf, es ist nur noch eine flüssige Masse vorhanden und aus der DNA entsteht dann ein neuer Schmetterling wunderbar

Auch die Wandlung und Transformation, die mit dem Glauben verbunden ist, um als neue Menschen zu leben, ist schwieriger, manchmal aufreibender Weg. Unsere Sicht verändert sich, unser Blick unser Verstehen. Und oft erahnen wir nur, was es bedeutet, dass Gott sich aus Liebe für uns hingegeben hat. Amen.

Samstag, 19. April 2025

Frömmigkeit der Tröstung

Predigt Karfreitag 2025 | Hamburg-Langenhorn


Jahr für Jahr vergegenwärtigen wir uns am Karfreitag mit den Lesungen aus dem Propheten Jesaja, aus dem Hebräerbrief und aus dem Johannes Evangelium das Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Im Detail hören wir von der Verhaftung, dem Verhör, der Verurteilung und der Hinrichtung bis zum Tod.

Dabei wissen wir: Die Leidensgeschichte ist mehr als ein bloßer Bericht. Sie ist Deutung und Verkündigung. Sie sagt nicht nur, was geschah, sondern auch warum und wozu es geschah. Aber was bedeutet sie für uns? Hilft es uns, wenn wir sie jedes Jahr von neuem lesen und hören und uns das Geschehen vorstellen? Verändert sich dadurch irgendetwas? Verändert sich dadurch etwas an dem, was damals geschah, so furchtbar und grausam, vor bald 2000 Jahren (im Jahr 30). Verändert sich dadurch etwas in unserer Welt heute, am Krieg in der Ukraine, im Heiligen Land, im Sudan oder Kongo, oder wo sonst gerade Menschen brutal und grausam hingerichtet werden? Verändert sich dadurch etwas in unserem persönlichen Leben hier in Hamburg, in relativer Sicherheit und Frieden, vielleicht aber auch mit Sorgen und Konflikten fragen und Krankheiten belastet?

In seiner Enzyklika „Dilexit nos“ (über die menschliche und göttliche Liebe des Herzens Jesu), erschienen im Oktober letzten Jahres, hat Papst Franziskus dazu einige wichtige Hinweise gegeben. Diesen Gedanken möchte ich gerne heute aufnehmen. Er schreibt über eine einfache und intensive Frömmigkeit, die von Anfang an zum praktisch gelebten Glauben gehörte und die sich über die Jahrhunderte erhalten hat: die Frömmigkeit der Tröstung (DN 151ff.). Was ist damit gemeint?

Viele Menschen suchen Trost. In den letzten Jahren machen sich Gefühle wie Ohnmacht, Wut, Trauer, und Betroffenheit breit. Müdigkeit stellt sich ein. Das Wort „mütend“ beschreibt dieses Gefühl, müde und wütend zu sein. Es herrscht Trostbedarf oder anders gesagt: Wir leiden an Trostlosigkeit. Der australische Umwelt-Philosoph Albrecht Glenn hat dazu einen Begriff geformt: er nennt es Solastalgie („so wie Allergie“). Das ist die Trauer und das Gefühl des Verlorenseins, der Schmerz über den Verlust der Heimat und der Umwelt.

Was kann uns trösten in diesen Zeiten? Und wir möchten ja nicht vertröstet werden, sondern wir möchten echten Trost, der sich gut von falschem Trost unterscheidet, dadurch, dass er tatsächlich etwas bewirkt.

Trost ist, so die klassische Definition von Georg Simmel, „das merkwürdige Erlebnis, dass zwar das Leiden bestehen bleibt, aber sozusagen das Leiden am Leiden aufgehoben wird.“

Und damit sind wir mittendrin in dem, was Christen heute am Karfreitag feiern. Karfreitag ist der Moment, um Jesus zu trösten. Sich daran zu erinnern, dass sein Leiden bestehen bleibt, aber zugleich das Leiden am Leiden aufgehoben wird.

Wir versuchen heute Jesus zu trösten, um auch selbst darin Trost zu finden und mit dem Trost, mit dem wir getröstet werden, auch andere zu trösten.

1/ Jesus trösten

Wir hören die Leidensgeschichte und meditieren die Selbsthingabe Jesus am Kreuz. Wir können versuchen, in diesen Momenten, die wir erinnern, Jesus Trost zu spenden. Es geht dabei nicht in erster Linie um Sühne oder Opfer oder Wiedergutmachung, sondern ganz schlicht um ein liebendes Verlangen, das im Herz des Menschen entsteht, wenn ein geliebter Mensch leidet. Der Wunsch, bei ihm sein zu wollen und ihn eben zu trösten.

Das mag sich merkwürdig anhören, wenn wir 2000 Jahre später mit Hilfe unserer Erinnerung versuchen, Zeit und Raum überwinden, um bei Jesus zu sein. Aber wer schon einmal geliebt hat, ahnt etwas von dieser Kraft der Liebe. Wirkliche Liebe ist keine Einbildung, sondern eine Beziehung, die Raum und Zeit überwinden kann. Die Beziehung zu Gott bzw. die Beziehung Gottes zu uns, seine liebende Zuwendung geschieht durch Raum und Zeit hindurch bis zu uns heute und hier.

Jesus ist am Kreuz für unsere Sünden gestorben. Das bedeutet doch, dass er sein Leben für zukünftige Sünden hingegeben hat. Und so wie seine Vergebung von damals, uns heute erreicht, so erreicht auch unsere Liebe und unser Glaube sein verwundetes Herz durch die Zeiten hindurch. (DN 153)

Die Lieder „O Haupt voll Blut und Wunden“ (GL 289) oder „Wir danken Dir, Herr Jesu Christ“ (GL 297) sind ein Ausdruck dieser Frömmigkeit der Tröstung. Die Zuwendung zu Jesus ist viel mehr als ein bloßes Erinnern, sondern eine wirkliche Verbundenheit. (DN 154, vgl. KKK 1085). Wir treten mit dem lebendigen, auferstandenen, vollkommen glücklichen Christus in Beziehung und versuchen ihn zugleich in seinem Leiden zu trösten. (DN 155)

Papst Franziskus schreibt zu der Frage, wie das möglich sein kann: „Bedenken wir, dass das auferstandene Herz Jesu seine Wunde als ständige Erinnerung bewahrt und dass das Wirken der Gnade eine Erfahrung hervorruft, die sich nicht vollständig im chronologischen Augenblick erschöpft. Diese beiden Überzeugungen erlauben uns die Annahme, dass wir es mit einem mystischen Weg zu tun haben, der alle Bemühungen der Vernunft übersteigt und das ausdrückt, was das Wort Gottes selbst uns nahelegt: „Er hat uns geliebt“. (DN 155)

2/ Getröstet werden

Jesus trösten bedeutet also, dass ich, der Mensch, der heute lebt, mit der Erinnerung der Ereignisse in Jerusalem erlebe, wie Christus das Kreuz für die Menschen trägt, wie es sich abmüht, leidet, den Hass für uns Menschen trägt, damit wir heute leben können. Und damit mich von ihm trösten lasse, der auch in seinem Leiden mich anschaut, mich kennt, für mich da ist.

3/ Andere trösten

Trost gehört also in die Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus hinein und hat so gleich auch eine soziale Dimension. Wir dürfen anderen Menschen in ihrem Leiden beistehen, so dass das Leiden am Leiden aufgehoben wird und Menschen trotz Krankheit, Tod, Angst und Bedrängnis in ihrem Leben einen Sinn erkennen. „Tröstet, tröstet mein Volk“ (Jes 40,1) so ruft der Prophet Jesaja uns zu. (DN 162).

Die Frage, warum wir die Leidensgeschichte hören, führt uns also zu der Frage: Wie kann ich andere trösten? Denn der Weg Jesu zeigt uns vor allem: Wir brauchen keine dabei keine Angst haben. Wir dürfen das Loslassen üben, auch die Angst loslassen, die Wut und die Müdigkeit, uns nicht daran festhalten, sondern an der Zuwendung Gottes und auf ihn vertrauen, am Ende des Tages, am Ende des Lebens, am Ende der Welt.

Und wenn ich konkret wissen möchte, wie ich andere Menschen trösten kann, dann helfen vielleicht diese zwei Fragen bzw. Schritte vorher:

a/ Wie kann ich Jesus trösten?

b/ Wie möchte ich selbst getröstet werden? Was gibt mir Trost?

Wie es Paulus im zweiten Brief an die Korinther schreibt: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.“ (2 Kor 1,3-5) Amen.