Predigt Karfreitag 2025 | Hamburg-Langenhorn
Jahr für Jahr vergegenwärtigen wir uns am Karfreitag mit den Lesungen aus dem Propheten Jesaja, aus dem Hebräerbrief und aus dem Johannes Evangelium das Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Im Detail hören wir von der Verhaftung, dem Verhör, der Verurteilung und der Hinrichtung bis zum Tod.
Dabei wissen wir: Die
Leidensgeschichte ist mehr als ein bloßer Bericht. Sie ist Deutung und
Verkündigung. Sie sagt nicht nur, was geschah, sondern auch warum und wozu es
geschah. Aber was bedeutet sie für uns? Hilft es uns, wenn wir sie jedes Jahr
von neuem lesen und hören und uns das Geschehen vorstellen? Verändert sich
dadurch irgendetwas? Verändert sich dadurch etwas an dem, was damals geschah,
so furchtbar und grausam, vor bald 2000 Jahren (im Jahr 30). Verändert sich
dadurch etwas in unserer Welt heute, am Krieg in der Ukraine, im Heiligen Land,
im Sudan oder Kongo, oder wo sonst gerade Menschen brutal und grausam
hingerichtet werden? Verändert sich dadurch etwas in unserem persönlichen Leben
hier in Hamburg, in relativer Sicherheit und Frieden, vielleicht aber auch mit
Sorgen und Konflikten fragen und Krankheiten belastet?
In seiner Enzyklika „Dilexit nos“
(über die menschliche und göttliche Liebe des Herzens Jesu), erschienen im
Oktober letzten Jahres, hat Papst Franziskus dazu einige wichtige Hinweise
gegeben. Diesen Gedanken möchte ich gerne heute aufnehmen. Er schreibt über
eine einfache und intensive Frömmigkeit, die von Anfang an zum praktisch
gelebten Glauben gehörte und die sich über die Jahrhunderte erhalten hat: die
Frömmigkeit der Tröstung (DN 151ff.). Was ist damit gemeint?
Viele Menschen suchen Trost. In
den letzten Jahren machen sich Gefühle wie Ohnmacht, Wut, Trauer, und Betroffenheit
breit. Müdigkeit stellt sich ein. Das Wort „mütend“ beschreibt dieses Gefühl,
müde und wütend zu sein. Es herrscht Trostbedarf oder anders gesagt: Wir leiden
an Trostlosigkeit. Der australische Umwelt-Philosoph Albrecht Glenn hat dazu
einen Begriff geformt: er nennt es Solastalgie („so wie Allergie“). Das ist die
Trauer und das Gefühl des Verlorenseins, der Schmerz über den Verlust der
Heimat und der Umwelt.
Was kann uns trösten in diesen
Zeiten? Und wir möchten ja nicht vertröstet werden, sondern wir möchten echten
Trost, der sich gut von falschem Trost unterscheidet, dadurch, dass er tatsächlich
etwas bewirkt.
Trost ist, so die klassische
Definition von Georg Simmel, „das
merkwürdige Erlebnis, dass zwar das Leiden bestehen bleibt, aber sozusagen das
Leiden am Leiden aufgehoben wird.“
Und damit sind wir mittendrin in
dem, was Christen heute am Karfreitag feiern. Karfreitag ist der Moment, um
Jesus zu trösten. Sich daran zu erinnern, dass sein Leiden bestehen bleibt,
aber zugleich das Leiden am Leiden aufgehoben wird.
Wir versuchen heute Jesus zu
trösten, um auch selbst darin Trost zu finden und mit dem Trost, mit dem wir
getröstet werden, auch andere zu trösten.
1/ Jesus trösten
Wir hören die Leidensgeschichte
und meditieren die Selbsthingabe Jesus am Kreuz. Wir können versuchen, in
diesen Momenten, die wir erinnern, Jesus Trost zu spenden. Es geht dabei nicht
in erster Linie um Sühne oder Opfer oder Wiedergutmachung, sondern ganz
schlicht um ein liebendes Verlangen, das im Herz des Menschen entsteht, wenn
ein geliebter Mensch leidet. Der Wunsch, bei ihm sein zu wollen und ihn eben zu
trösten.
Das mag sich merkwürdig anhören,
wenn wir 2000 Jahre später mit Hilfe unserer Erinnerung versuchen, Zeit und
Raum überwinden, um bei Jesus zu sein. Aber wer schon einmal geliebt hat, ahnt
etwas von dieser Kraft der Liebe. Wirkliche Liebe ist keine Einbildung, sondern
eine Beziehung, die Raum und Zeit überwinden kann. Die Beziehung zu Gott bzw. die
Beziehung Gottes zu uns, seine liebende Zuwendung geschieht durch Raum und Zeit
hindurch bis zu uns heute und hier.
Jesus ist am Kreuz für unsere
Sünden gestorben. Das bedeutet doch, dass er sein Leben für zukünftige Sünden
hingegeben hat. Und so wie seine Vergebung von damals, uns heute erreicht, so
erreicht auch unsere Liebe und unser Glaube sein verwundetes Herz durch die
Zeiten hindurch. (DN 153)
Die Lieder „O Haupt voll Blut und
Wunden“ (GL 289) oder „Wir danken Dir, Herr Jesu Christ“ (GL 297) sind ein
Ausdruck dieser Frömmigkeit der Tröstung. Die Zuwendung zu Jesus ist viel mehr
als ein bloßes Erinnern, sondern eine wirkliche Verbundenheit. (DN 154, vgl.
KKK 1085). Wir treten mit dem lebendigen, auferstandenen, vollkommen
glücklichen Christus in Beziehung und versuchen ihn zugleich in seinem Leiden
zu trösten. (DN 155)
Papst Franziskus schreibt zu der
Frage, wie das möglich sein kann: „Bedenken wir, dass das auferstandene Herz Jesu
seine Wunde als ständige Erinnerung bewahrt und dass das Wirken der Gnade eine Erfahrung
hervorruft, die sich nicht vollständig im chronologischen Augenblick erschöpft.
Diese beiden Überzeugungen erlauben uns die Annahme, dass wir es mit einem
mystischen Weg zu tun haben, der alle Bemühungen der Vernunft übersteigt und
das ausdrückt, was das Wort Gottes selbst uns nahelegt: „Er hat uns geliebt“.
(DN 155)
2/ Getröstet werden
Jesus trösten bedeutet also, dass
ich, der Mensch, der heute lebt, mit der Erinnerung der Ereignisse in Jerusalem
erlebe, wie Christus das Kreuz für die Menschen trägt, wie es sich abmüht, leidet,
den Hass für uns Menschen trägt, damit wir heute leben können. Und damit mich
von ihm trösten lasse, der auch in seinem Leiden mich anschaut, mich kennt, für
mich da ist.
3/ Andere trösten
Trost gehört also in die
Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus hinein und hat so gleich auch eine
soziale Dimension. Wir dürfen anderen Menschen in ihrem Leiden beistehen, so dass
das Leiden am Leiden aufgehoben wird und Menschen trotz Krankheit, Tod, Angst
und Bedrängnis in ihrem Leben einen Sinn erkennen. „Tröstet, tröstet mein Volk“
(Jes 40,1) so ruft der Prophet Jesaja uns zu. (DN 162).
Die Frage, warum wir die
Leidensgeschichte hören, führt uns also zu der Frage: Wie kann ich andere
trösten? Denn der Weg Jesu zeigt uns vor allem: Wir brauchen keine dabei keine
Angst haben. Wir dürfen das Loslassen üben, auch die Angst loslassen, die Wut
und die Müdigkeit, uns nicht daran
festhalten, sondern an der Zuwendung Gottes und auf ihn vertrauen, am Ende des
Tages, am Ende des Lebens, am Ende der Welt.
Und wenn ich konkret wissen
möchte, wie ich andere Menschen trösten kann, dann helfen vielleicht diese zwei
Fragen bzw. Schritte vorher:
a/ Wie kann ich Jesus trösten?
b/ Wie möchte ich selbst
getröstet werden? Was gibt mir Trost?
Wie es Paulus im zweiten Brief an die Korinther schreibt: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.“ (2 Kor 1,3-5) Amen.
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