Montag, 15. September 2025

Allein, wir sind allein

Brustkreuz von Papst JP II


Kreuzerhöhung - Sonntag, 14.9.2025, Predigt | Hamburg, Manresa

Les: Num 21,4-9; Phil 2, 6–11; Joh 3,13-17

„Die Kreuzwege des Lebens gehen wir immer ganz allein“, so singt Reinhard Mey, der Singer-Songwriter aus der Generation meiner Eltern, den ich als Jugendlicher gerne gehört habe. Ich habe seine Lieder auf der Gitarre nachgespielt. „Über den Wolken“ wird vielen von Ihnen noch vertraut sein. Das Lied „Allein“ aus seinem Album „Farben“ von 1990 ist wohl weniger bekannt. Darin blickt er zurück auf sein Leben, mit Dankbarkeit für Freundschaften und Zuneigung, für gemeinsame Erlebnisse. Und doch erkennt er schmerzlich, dass immer in den besonderen, und intensiven Momenten des Lebens die Einsamkeit an die Türe klopft.

„Allein, wir sind allein“, so heißt es im Refrain, „wir kommen, und wir gehen ganz allein. Wir mögen noch so sehr geliebt, von Zuneigung umgeben sein: die Kreuzwege des Lebens gehen wir immer ganz allein.“

Was sind diese Kreuzwege? Mey beschreibt sie in den Strophen kurz und nachvollziehbar: als kleiner Junge auf dem Schulhof, der wegen seines Aussehens und seiner Noten gemobbt wird; als mutiger Anführer einer politischen Bewegung, bei der sich viele dann im entscheidenden Moment verdünnisieren; als erfolgreicher Musiker, den alle feiern und der am Ende doch nur ein Teil der Musikindustrie ist; als Mensch, der gute Gefährten verliert, und Krankheit und Leid und Tod erfährt.

„Allein, wir sind allein. Wir kommen, und wir gehen ganz allein. Wir mögen noch so sehr geliebt, von Zuneigung umgeben sein: die Kreuzwege des Lebens gehen wir immer ganz allein.“

„Kreuzwege des Lebens“ kennt jede und jeder. Wir erfahren Sie alle in bestimmten Momenten unseres Lebens. Und dann stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen. Reinhard Mey kann bei aller Dankbarkeit für das Leben dem Kreuz letztlich keine positive Seite abgewinnen. Das Kreuz bleibt das Zeichen für Leid, für Gewalt und Grausamkeit, die Jesus erlitten hat. Am Ende bleibt nur die Einsicht, dass der Tod zum Leben gehört. Und eben auch die Einsamkeit des Menschen.

Anders klingt das Lied Nummer 275 aus dem Gotteslob, das Bernhard Schellenberger in den siebziger Jahren als Hymnus für das Stundengebet komponiert hat. Auch dieses Lied spricht von Einsamkeit und Kreuz, aber es stimmt eine ganz andere Tonart an:

„Selig, wem Christus auf dem Weg begegnet, um ihn zu rufen, alles zu verlassen, sein Kreuz zu tragen und in seiner Kirche für ihn zu wirken.“

Diese Verse beschreiben den Trost und das Glück, das sich einstellt, wenn ein Mensch in Leid und Einsamkeit, die Nähe des Auferstandenen erlebt, unterwegs, auf dem Weg. Und dann einen Ruf, einen dreifachen Anruf hört: alles zu verlassen, das Kreuz zu tragen und in der Kirche für ihn zu wirken. Ist es das eigene Kreuz, das ertragen soll oder das Kreuz Christi? Das bleibt an dieser Stelle offen.

Die Kreuzwege sind real, das Leid ist nicht einfach weg, und doch bleibt in dieser Wüstenerfahrung von Einsamkeit und Lebensverlust eine stärkende Kraft, die durch die Gegenwart Christi geschenkt wird. „Christus schenkt ihm (diesem Menschen) durch Leiden Anteil an der Freude.“ Das ist das Geheimnis des Kreuzes, das so schwer zu begreifen ist und das oft so missverstanden wird.

Das Kreuz ist, für sich gesehen, ein Zeichen des Todes. Es ist ein grausames Folterinstrument der römischen Machthaber gewesen, deswegen seiner Unmenschlichkeit nicht für römische Bürger verwendet werden durfte. Es ist ein Zeichen der Gewalt, die Menschen anderen Menschen antun. Es ist ein Zeichen der Unterdrückung und des Hasses.

In dem Moment jedoch, wo ein Mensch auf Hass und Gewalt nicht mit Rache und Vergeltung reagiert, sondern voller Liebe und Vergebung diese Folter erduldet, durchbricht er den Kreislauf des Todes. Und wenn dieser Mensch im Frieden und dem Namen Gottes handelt, wenn er Sünden vergibt und Heilung schenkt, wenn in seinem Handeln Gott selbst gegenwärtig wird, und wenn Menschen ihn bekennen als den Sohn Gottes, dann leuchtet in seinem Sterben die Liebe Gottes auf, die stärker ist als der Tod.

Der römische Hauptmann, der sah, auf welche Weise Jesus am Kreuz starb, nämlich voller Frieden und mit den Worten: „Vater, vergib ihnen …“, dieser Hauptmann bekennt noch im selben Moment ergriffen und erschüttert: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!“ (Mk 15,39)

Nicht das Kreuz an sich ist das Zeichen des Lebens, sondern durch den Tod Jesu wird das Kreuz zum Zeichen des Lebens, zum großen Pluszeichen unseres Lebens!

Einsamkeit, Leid, Krankheit, Gewalt und Hass bleiben bestehen, aber durch diese Liebe erscheinen sie für den, dem Christus begegnet und der sich in seine Nachfolger rufen lässt, in einem anderen Licht. Einfach deshalb, weil er nicht allein ist auf dem Kreuzweg seines Lebens. Weil er einen Sinn im Leid erkennt, nämlich darin die Liebe zu leben. Das ist das Geheimnis des Kreuzes.

Der heilige Ignatius hat mit seinen Gefährten vor bald 500 Jahren eine neue Gemeinschaft gegründet, um Jesus nachzufolgen. Zunächst wollte er sie „Gesellschaft Mariens“ nennen, weil Maria mit ihrem Ja zu ihrer Berufung, mit ihrem Vertrauen auf Gott und mit der Mitwirkung am Geschenk des Lebens auf besondere Weise Gottes Willen in dieser Welt gelebt habt.

Im Ringen mit den Gefährten um die Art und Weise, den Orden zu gründen, zu sammeln, und gemeinsam auf die Weise der Apostel zu leben, hat sich ihm dann mehr und mehr der Name „Gesellschaft Jesu“ nahe gelegt. Doch Ignatius wusste lange nicht, ob das wirklich der Name sein sollte und ob er mit seinen Satzungen (Konstitutionen) auf dem richtigen Weg sei. Er hat trotz der Gefährten viel Einsamkeit und Angst in dieser Zeit erlebt. Und auf dem Weg nach Rom, wenige Meilen vor der Stadt, hatte er dann in einer Kapelle bei La Storta eine Vision, die er als Bestätigung Gottes angenommen hat. Er sah den kreuztragenden Christus und fühlte sich an seine Seite gestellt. Das war seine Berufung!

Später hörte er auch eine Stimme, die zu Jesus sagte: „Ich will, dass du diesen (gemeint ist Ignatius) zu deinem Diener annimmst.“ Und wie als Antwort den Satz Jesu an ihn selbst: „Ich will, dass du uns dienst.“ Mit Jesus sein, mit dem kreuztragenden Jesus sein, das ist die Freude und die Hoffnung und die Liebe seines Lebens!

„Selig, wem Christus auf dem Weg begegnet, um ihn zu rufen, alles zu verlassen, sein Kreuz zu tragen und in seiner Kirche für ihn zu wirken.“ Amen.

 

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