Montag, 22. September 2025

Rettung und Erlösung


Predigt 25. Sonntag im Jahreskreis C, Hamburg | Manresa

Les: Am 8,4-7; 1Tim 2,1-8; Lk 16,1-13

Vor einigen Wochen kam abends, nach der Maresa Messe, eine Frau zu mir. Wir standen noch auf dem Kirchplatz, bei Manresa-Night, mit einem Getränk zusammen. Sie sprach mich an, ob ich mit ihr beten würde. Sie habe es leider nicht zur Messe geschafft. So habe ich die Kirche noch einmal aufgeschlossen und wir haben dort am Taufbecken gebetet. Sie war deutlich, im Gesicht, von einer schweren Krankheit gezeichnet. 

Zunächst haben wir in Stille gebetet und dann laut gemeinsam das Vaterunser. An einer Stelle setzte sie aus: „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Das betete sie nicht mit. Ich habe sie dann gefragt, warum sie das ausgelassen habe. Sie sagte, das könne sie nicht beten, denn es sei so schwer, den Menschen zu vergeben, die ihr schweres Leid und Unrecht zugefügt hätten. Und sie verstehe nicht, warum sie erst anderen vergeben müsse, damit Gott ihr vergebe. Ich war vollkommen erstaunt. Offensichtlich gab es ein Missverständnis. Sie hat das Gebet Jesus so verstanden: in dem Maß, wie wir unseren Schuldigern vergeben, vergibt uns auch Gott.

Das steht da nicht. Und das ist auch nicht so gemeint. Es war allerdings schon das zweite Mal, dass ich diesem Missverständnis innerhalb von kurzer Zeit begegnet bin, deshalb erwähne ich es hier. 

„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ meint: in dem Maß, wie wir von Gott unsere Schuld vergeben bekommen haben, sollen wir auch anderen, die an uns schuldig geworden sind, vergeben. Also: zuerst ist die Erfahrung der Vergebung durch Gott, der uns entgegenkommt, wie der barmherzige Vater seinem Sohn, bedingungslos und mit offenen Armen. Danach und aus dieser Erfahrung der unbedingten und unwiderruflichen Liebe Gottes mögen auch wir die Kraft und den Mut erhalten, anderen zu vergeben. Das Leistungsdenken: „hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“ hat im christlichen Glauben keinen Anhaltspunkt. Wir erlösen uns nicht selbst, sondern bekommen Erlösung und Rettung von Gott geschenkt. Gott streicht die Schuld auf unserem Schuldschein aus, noch bevor wir das bei anderen tun!

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Ein anderes Missverständnis in den Gebetstexten, mit dem ich vor kurzem konfrontiert wurde: im Hochgebet der Messe heißt es beim Gedenken an die Verstorbenen: „Gedenke unserer Brüder und Schwestern, die entschlafen sind in der Hoffnung, dass sie auferstehen. Nimm sie und alle, die in deiner Gnade aus dieser Welt geschieden sind, in dein Reich auf.“ (Hochgebet II)

Ein junger Mann fragte mich, wer dort gemeint sei, bei diesen Menschen, die „in Gottes Gnade entschlafen sind“. Ob das eine bestimmte, auserwählte Gruppe sei?

Er las diesen Text als eine Einschränkung. Es gibt jene, die an Jesus Christus glauben, die getauft sind, die in der Gemeinschaft der Kirche leben und mit der Hoffnung, dass sie auferstehen. Sie werden als „Schwestern und Brüder“ bezeichnet. Und dann gibt es jene, die in der Gnade Gottes aus dieser Welt geschieden sind. Das ist aber keine Einschränkung, sondern eine Ausweitung!

Denn wer sind jene, die in der Gnade Gottes leben? Das sind doch alle Menschen! So haben wir es heute in der zweiten Lesung aus dem ersten Brief an Timotheus gehört.: „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“ (1Tim 2,4)

Es gibt die Freiheit bei Menschen, dieses Angebot des Heils durch Gott abzulehnen. Aber grundsätzlich gilt die Gnade Gottes allen Menschen! Alle sollen gerettet werden! (vgl. Tit 2,11: die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten.)

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Damit sind wir mitten in der Dynamik der heutigen zweiten Lesung aus dem ersten Brief an Timotheus. Dort geht es um eine „lehrhafte Darlegung von der Rettung aller durch das Trauen in Christus.“ (Baumert, S. 21). Das Trauen Gottes ist das große Thema in diesem Brief, in seiner doppelten Bedeutung: dass Gott den Menschen traut und dass die Menschen Gott trauen. Nicht nur vertrauen, sondern auch ihm etwas zutrauen, - weil Gott selbst sein Vertrauen in die Menschen setzt, seine Gnade und Zuwendung schenkt und dem Menschen etwas zutraut: yes, you can!

„Vertrauenswürdig ist die Botschaft!“, so setzt dieser Briefabschnitt ein, und es geht darum, dass Timotheus und seine Gemeinde aufgefordert werden, um günstige Voraussetzungen für die Annahme von der Rettung aller Menschen zu bitten. Durch Bitte, Lob, Fürbitte und Dank als den vier Formen des Gebets für alle Menschen, besonders für jene, die Verantwortung tragen für die Lebensumstände, unter denen die Gemeinde lebt. Ja, alle sollen gerettet werden und zu Erkenntnis der Wahrheit gelangen (wörtlich: „Wahrheit zu-erkennen“). 

Die Begründung, warum alle Menschen gerettet werden, ist eine dreifache:

  • Es gibt nur einen Gott. D.h. dieser Gott ist ein Gott für alle Menschen.
  • Es gibt nur einen Mittler von Gott zu den Menschen, nämlich Jesus Christus, der sich persönlich eingesetzt hatte, gleichsam als Heilmittel für alle.
  • Es gibt das Zeugnis, in diesem Fall des Paulus, mit seinen eigentümlichen Effekten und Wirkungen, je neu.

„Es geht um den Aufweis, dass die vertrauenswürdige Botschaft von der Rettung aller universale Wirkung hat.“ (Baumert, S. 15). Und eben nicht eingeschränkt wird durch gewisse identitäre Bewegungen und Ansichten.

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Erlösung und Rettung sind große Worte, und die Übersetzung vom Lösegeld, die wir aus der Einheitsübersetzung (EÜ) gehört haben, führt in die falsche Richtung.

„Christus macht sich nicht zum Lösegeld, das etwa dem Tod oder irgendwelchen Mächten, die den Menschen gefangen halten, bezahlt würde. Erst recht nicht ist an eine Bezahlung unserer Schulden an Gott gedacht, wie wenn Gott unversöhnlich wäre und von seinem Sohn besänftigt werden müsste! Vielmehr geht die Initiative zur Erlösung ja gerade von Gott aus, der einen Mittler geschickt hat, der sich persönlich engagiert und sich den Menschen als Helfer zugewandt hat. […] Wenn der Retter-Gott einen Mittler schickt, um die Menschen aus der Bindung an die Sünde zu lösen, so verkauft er den Mittler nicht an den Tod, sondern steht dieser ganz im Dienst der Lebensvermittlung an die im Tod befangene Menschheit. [Es ist …] Jesu Einsatz gemeint, mit dem er sich in seinem irdischen Leben jeweils den betreffenden Menschen zuwandte, nicht nur punktuell sein Kreuz am Tod oder seine Zuwendung im Sterben. Dies ist immer eine Einladung, als Angebot an die Menschen, selbstverständlich nicht über ihre Köpfe hinweg, sondern in Einbeziehung ihrer Freiheit.“ (Baumert, S. 25)

Dieses Heils-Handeln Gottes, geschieht durch das Zeugnis, immer wieder neu mit seinen eigentümlichen Wirkungen und Effekten, wenn es verkündet wird. Dafür sind wir heute Abend zusammengekommen! 


Literatur: Nobert Baumert / Maria-Irma Seewann, Hirte der Hirten. Übersetzung und Auslegung der Briefe an Timotheus und an Titus, Würzburg (echter) 2019.


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