Montag, 31. März 2025

Freiheit



Predigt Vierter Fastensonntag C 2025 | Hamburg „Freiheit“ 

Les: Jos 5,9a.10-12; 2Kor 5,17-21; Lk 15,1-3.11-32

1/ Freiheit

« Liberté toujours ! » Obwohl ich kein Raucher bin, hat mich diese Werbung einer französischen Zigarettenmarke immer auf eigenartige Weise angesprochen. Freiheit! Dieser Ruf, dieser Schrei von so vielen Menschen, die unterdrückt und geknechtet werden. Freiheit! Die Sehnsucht von Menschen, die in Zuständen und Situationen leben, aus denen sie ausbrechen möchten. Der Ruf schallt durch die Geschichte. Freiheit ist für die Deutschen das höchste Gut!

Doch was ist Freiheit eigentlich? Die Möglichkeit zu tun und zu lassen, was ich möchte? Auf der Liste der Länder mit der höchsten „persönlichen Freiheit“ steht Deutschland (Platz 8) gut dar, unter den ersten 10 in der Welt! Dabei zählen vor allem die Selbstbestimmungsrechte, Meinungs- und Informationszugang und die Toleranz in der Gesellschaft als Indikatoren. Aber es ist klar: Grenzenlosigkeit gefährdet die Freiheit. Es braucht Sicherheit und Ordnung, um Freiheit zu wahren, denn wenn alles toleriert wird, dann zahlt man am Ende mit der Freiheit.

Freiheit hat zwei Bedeutungen: In der negativen Bedeutung, der „Freiheit von“, bezeichnet Freiheit eine Unabhängigkeit, die Ablehnung von Zwang und Fremdbestimmung, die Negation von Einmischung und Bevormundung. Die positive Fähigkeit hingegen, „Freiheit zu“, besteht in der Fähigkeit, sich selbst Ziele zu setzen und Mittel zu wählen, also in der Fähigkeit zur Selbstbestimmung, die ein Leben nach den eigenen Vorstellungen erlaubt. Religionsfreiheit z.B. ist nicht nur eine Freiheit „von der Religion“ (niemand muss glauben), sondern auch eine Freiheit „für die Religion“ (jeder kann glauben).

Der christliche Glaube will in die Freiheit führen. „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“, so schreibt Paulus an die Galater (Gal 5,1). Dabei wird deutlich: Christliche Freiheit ist etwas, das wir schon haben, das aber zugleich noch vor uns liegt, etwas woraufhin wir leben.

2/ Pessach in Gilgal

In der ersten Lesung aus dem Buch Josua haben wir von dem Fest der Israeliten nach dem Einzug in das verheißene Land gehört. Die Paschafeier in Gilgal bildet in dieser Erzählung, die erst viele Jahre später entstanden ist, den Abschluss der Wüstenwanderung und den Neuanfang im Land Kanaan.

Nach der Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten, nach der vierzigjährigen Wüstenwanderung und der Verkündung des Gesetzes durch Mose, kommt das Volk nun unter Josua am Jordan und im gelobten Land an. Von denen, die damals aufgebrochen sind, lebt kaum jemand mehr; alle die Jahre hindurch haben sie jedoch die Erinnerung an den Aufbruch wachgehalten, an jene letzte Nacht in Ägypten, die Nacht des Vorübergangs.

„Pessach“ oder (griechisch:) „Pascha“ ist bis heute das Hauptfest des Judentums und es ist mit der Erinnerung an den Exodus verbunden, des Auszugs aus Ägypten. Es stellt die Grundlage der religiösen Identität der Juden dar. Ich möchte versuchen, es zu deuten und besser zu verstehen, worum es bei diesem Fest der Befreiung geht.

Der Name und der Termin des Festes, die Vollmondnacht des Frühlingsmonats Nisan, geht auf ein Frühlingsfest der Nomaden zurück, die in dieser Nacht zum Schutz vor Dämonen die Eingänge der Zelte mit Blut bestrichen und ein Opfermahl abhielten. Das Fest wurde später mit dem Fest der ungesäuerten Brote, dem Mazzotfest, verbunden, bei dem das Gedenken an den Auszug aus Ägypten im Mittelpunkt stand.

Das Pessach-Mahl selbst findet nach einer bestimmten Ordnung in der Familie statt. Dieses Mahl bildet den Kern des Festes und wird auch „Seder“ genannt. Es findet in der Familie am Vorabend des 15. Nisan statt. Es gibt bestimmte Speisen, wie z.B. ungesäuerte Brote, Bitterkräuter oder Fruchtmus, und es wird aus der Pessach-Haggada gelesen, die den Auszug aus Ägypten erzählt. Es werden Lieder gesungen, Gebete gesprochen.

In der letzten Nacht in Ägypten, vor ihrem Auszug und ihrer Befreiung, schlachteten die Israeliten in den Familien oder Nachbarschaften ein Lamm, nahmen etwas von dem Blut und bestrichen damit die Türpfosten und den Türsturz an den Häusern, in denen man aß. Das Fleisch sollte über dem Feuer gebraten sein, zusammen mit ungesäuertem Brot und Bitterkräutern sollten sie es essen. Nichts durften sie übriglassen. Wenn etwas übrig war, sollten sie es im Feuer verbrennen! (vgl. Ex 12)

Das Verb „passach“ bedeutet im Hebräischen „vorübergehen“ bzw. „verschonen“. Es wird im Buch Exodus gedeutet als „Vorübergang“ des Herrn“ in seiner doppelten Bedeutung: zum einen als Gegenwart des Herrn, der am Haus ganz nahe vorbeigeht, und zum anderen als Verschonung vor dem Strafgericht des Herrn, das vorübergeht, das für die Menschen im Haus eben nicht eintritt.

Das Buch Josua, das viele Jahre später erst geschrieben wurde, deutet dieses Fest bei Gilgal nun als das erste „richtige“ Pessach-Fest, denn zum ersten Mal kann für das ungesäuerte Brot das selbst geerntete und geröstete Getreide genutzt werden. [Die Vorbereitungen für dieses Fest begannen schon am 10. Tag des Monats (Jos 4,19; vgl. Ex 12,3)] Und dann gibt es kein Manna mehr, „denn sie aßen in jenem Jahr von der Ernte des Landes Kanaan.“ (Jos 5,12).

Gilgal ist der Ort der Wende. Die Wüstenwanderung ist zu Ende. Der Weg der Befreiung findet sein Ende. Die ägyptische Schande (besser: Schmach bzw. Verhöhnung), ist endgültig vorbei, die Sklaverei ist beendet. Nun, mit der Landnahme, ist die Freiheit da, will sie gelebt werden!

3/ Das Pascha-Mysterium

Der Tod Jesu wird im Neuen Testament vom Pessachfest gedeutet, nicht nur, weil er sich im zeitlichen Kontext eines Pessachfestes in Jerusalem ereignete. Die synoptischen Evangelien stellen das letzte Mal Jesu mit seinen Jüngern als Pascha-Mahl dar und dabei Jesus in der Funktion des Hausvaters mit seinen Jüngern. Nach dem Johannesevangelium ist es etwas anders: Jesus stirbt am Nachmittag, bevor das Pascha-Mahl gefeiert wird, am Rüsttag des Paschafestes, d.h. zu jener Zeit, in der die Lämmer geschlachtet werden. Das bedeutet: Jesus ist das Paschalamm. Wie diesem wird ihm kein Knochen zerbrochen (Joh 19,36; vgl. Ex 12,36); schon am Anfang hatte Johannes der Täufer ihn als Lamm Gottes bezeichnet (Joh 1,36).

„Bei diesem Abendmahl hat sich niemand einen Platz verdient, alle waren eingeladen, oder besser gesagt, sie wurden von Jesu brennendem Wunsch angezogen, dieses Pascha mit ihnen zu essen: Er weiß, dass er das Paschalamm ist, er weiß, dass er das Pascha ist.“ (DD 4)

Ostern ist für uns Christen das neue Pessach-Fest. Es ist das Fest der Befreiung! Wir werden nicht aus der Sklaverei in Ägypten befreit, sondern aus der Sklaverei der Sünde. Wir werden aus der Unterdrückung des Bösen befreit. Wir werden der Angst vor dem Tod entrissen und in das neue gelobte Land, in das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens geführt.

Dieser Vorübergang des Herrn, seine Gegenwart und seine Gnade, dass er eben sein Strafgericht nicht ausführt, findet genau dann statt, wenn wir uns mit Gott versöhnen lassen und die Versöhnung für andere erbitten. Kurz: wenn wir seine Barmherzigkeit annehmen und weitergeben.

Wie der jüngere Sohn, der zum Vater heimkehrt und sein Erbarmen empfängt. Und wie der ältere Sohn, der die Vergebung des Vaters für den anderen Sohn hoffentlich mit Freude und Dankbarkeit angenommen hat, so sind auch wir eingeladen, das Erbarmen und die Versöhnung zu empfangen und zu schenken. Das ist der Weg in die Freiheit!

Versöhnung ist der Weg - doch entscheidend für die Freiheit ist auch, was danach kommt! Denn die Freiheit will gelebt werden. Der Weg in die Freiheit führt dazu, immer mehr eigene Entscheidungen zu treffen; nicht nur aus der Sklaverei der Sünde zu entkommen, sondern auch die Freiheit in Verantwortung zu leben; gute Früchte der Gottesliebe und der Nächstenliebe hervorzubringen und zu genießen.

Dann kann das kommende Osterfest zu einem wirklichen Pessach für uns werden, wenn wir in Weisheit und Klugheit und Solidarität mit Gottes Hilfe handeln, um ein gutes Leben zu führen, zusammen mit anderen. Also: Freiheit wird gelebt, wenn wir das Leben selbst in die Hand nehmen und diese Freiheit gestalten!

4/ Liturgie als Teilhabe am Pascha-Mysterium

Der Gottesdienst, den wir am Sonntag feiern, ist unsere Teilnahme an dem Pascha-Mysterium, die Vergegenwärtigung unserer Befreiung. Die Liturgie ist „das Staunen darüber, dass sich uns der Heilsplan Gottes im Pascha Jesu offenbart hat (vgl. Eph 1,3–14), dessen Wirksamkeit uns in der Feier der „Geheimnisse“, d. h. der Sakramente, weiterhin erreicht.“ (DD 25).

„Unsere erste Begegnung mit seinem Pascha ist das Ereignis, das das Leben von uns allen, die wir an Christus glauben, kennzeichnet: unsere Taufe. Es ist nicht ein geistiges Festhalten an seinen Gedanken oder das Unterschreiben eines von Ihm auferlegten Verhaltenskodex: es ist das Eintauchen in sein Leiden, seinen Tod, seine Auferstehung und seine Himmelfahrt.“ (DD 12)

Und danach geht es weiter: „Der Augenblick der feiernden Handlung ist der Ort, an dem das Pascha-Mysterium durch das Gedächtnis vergegenwärtigt wird, damit (wir,) die Getauften es durch ihre Teilnahme in ihrem Leben erfahren können.“ (DD 49).

Zitate: Apostolisches Schreiben DESIDERIO DESIDERAVI von Papst Franziskus über die liturgische Bildung des Volkes Gottes (29. Juni 2022)

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Herr, du kennst meinen Weg, den Weg, der hinter mir liegt, und den, der vor mir liegt. Du begleitest mich in jedem Augenblick. Du bist immer für mich da. Was erwartest du von mir? Weil du mich führst, kann ich versuchen, mich selbst zu führen, dass meine Augen und Ohren unterscheiden lernen, dass meine Hände anderen helfen lernen, dass mein Denken das Richtige findet, dass mein Herz das Rechte entscheiden lernt. Weil du mich führst, will ich meinen Weg versuchen. (Charles de Foucauld) https://ein-gebet.de/herr-du-kennst-meinen-weg/

Montag, 10. März 2025

Versuchungen


Predigt 1. Sonntag der Fastenzeit (C) – (9.3.25)

Les: Dtn 26,4-10; Röm 10,8-13; Lk 4,1-13

Zu Beginn der Fastenzeit hören wir von Schlüsselerfahrungen auf dem geistlichen Weg. Bei Jesus werden diese Erfahrungen durch die Situation von Einsamkeit und Hunger in der Wüste verstärkt, aber ich glaube, sie gehören auf die ein oder andere Weise zu jedem geistlichen Weg, zu unserem Weg zu Gott. Es geht um Versuchungen.

Was sind Versuchungen eigentlich? „Versuchungen sind Motivationen, d.h. innere Kräfte, die Gedanken und Emotionen gleichermaßen stark beeinflussen und die der Bewegung des Fortschritts auf dem Weg zu Gott entgegengesetzt sind.“ (János Lukács, Ignatian Formation. The inspiration of the Constitutions, Leominster 2016, S. 115.)

Jesus begegnet drei Versuchungen. Es sind keine zarten Versuchungen, sondern es sind wesentliche Versuchungen. Bei Jesus sind es Fragen im Blick auf seine Identität, die der Teufel, wörtlich der „diabolos“, d.h. der Durcheinanderbringer, stellt und ihn so zu verwirren sucht. Gerade erst war Jesus bei der Taufe durch Johannes als der geliebte Sohn Gottes offenbar geworden. Er, der Mensch unter Menschen, stammt von Gott und ist mit dem Heiligen Geist begabt. Doch was bedeutet das für sein Leben? Der Teufel versucht nun, ihn falsche Konsequenzen ziehen zu lassen und ihn davon zu überzeugen, dass er alles könne, alles besitze oder ihm alle Ehre zukommen.

Bei Lukas finden Sie interessanterweise eine andere Reihenfolge als bei Matthäus, d.h. Lukas gibt den Versuchungen offenbar eine andere Gewichtung; er hat sie unterschiedlich erfahren, die heftigste Versuchung steht jeweils am Schluss.

a/ Die erste Versuchung für den von Gott geliebten Sohn: diesen Stein zu Brot werden lassen. Die Idee: Ich will, dass die Dinge jetzt genauso werden, wie ich es gerade will. Ich brauche jetzt Brot, dann soll Stein werden zu Brot. Aus der Angst, im Leben zu kurz zu kommen, entsteht der Wunsch, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, so wie ich es jetzt will. Doch anstelle des eigenen Willens, können wir Gottes Willen tun. Das ist der richtige und heilvolle Weg, nämlich seinen Willen tun, an seinem Werk mitwirken.

b/ Die zweite Versuchung für den von Gott geliebten Sohn: alle Reiche des Erdkreises zu bekommen. Die Idee: haben und besitzen. Materieller Reichtum schafft Macht und Herrlichkeit. Deshalb: alles besitzen. Aus der Angst, im Leben nicht genug zu bekommen, entsteht die Tendenz, den Hals nicht voll zu kriegen. Doch statt immer mehr zu besitzen, können wir Gott dienen. Denn sein Reich kommt. Vor ihm allein sollen wir uns niederwerfen.

c/ Die dritte Versuchung für den von Gott, geliebten Sohn: sich oben vom Rand des Tempels hinabzustürzen. Der große Bungee-Sprung ohne Netz und doppelten Boden. Die Engel fangen ihn auf. Der Applaus wäre ihm sicher. Aus der Angst, nicht gesehen zu werden, entsteht die Tendenz, die eigene Ehre zu suchen und damit letztlich Gott selbst zu versuchen und auf die Probe zu stellen. Das ist für Lukas die schwerwiegende Versuchung. Doch statt des eigenen Ansehens, können wir Gottes Ehre suchen!

Die drei Versuchungen beziehen sich auf Grunddimensionen unseres Lebens und unseres Glaubens. Deshalb beten wir auch im Vaterunser und sozusagen in umgekehrter Reihenfolge zu den bei Lukas dargestellten Versuchungen: dein Name werde geheiligt (dir gebührt die Ehre) - dein Reich komme (dir gehört der Erdkreis, dir will ich dienen) - dein Wille geschehe (deinen willen möchte ich tun).

Wir beten auf diese Weise, denn wir stehen in einem geistlichen Kampf! Wir alle, jeden Tag neu: ob wir Gott vertrauen und seinen Willen tun oder nur uns selbst vertrauen und für uns selbst leben.

Manche Gläubige tun sich heute schwer, vom Teufel zu sprechen, weil wir doch an Gott glauben. Das ist richtig: wir glauben an Gott, und wir dürfen nicht an den Teufel glauben!

Vom Bösen oder vom Teufel zu sprechen, hilft uns, Erfahrungen wahrzunehmen und benennen zu können von Verwirrung, von Motivationen und Kräften, die uns vom Weg Gottes abbringen, die der menschlichen Natur entgegenstehen, die wir alle kennen. Und die eben nicht nur aus uns selbst kommen.

Wenn wir vom Teufel reden, dann sagen wir: das kommt nicht von mir, das kommt von außen. Es geht eben gerade nicht um Schuldzuweisung oder Grübeleien, wo das Böse herkommt, sondern es geht darum, dass ich damit umgehen lerne, dass es „auf“ und „ab“ im Glauben gibt; so wie es Regen und Sturm, Sonne und Wind beim Wetter gibt.

Also: Versuchungen gehören zum geistlichen Weg dazu, entscheidend ist, wie wir damit umgehen. Ob wir die Richtung auf Gott hin beibehalten, uns an seinem Wort festhalten, so wie es Jesus tut, wenn er aus der Schrift zitiert und aus dem Vertrauen auf Gott lebt.

In der Zeit der Vorbereitung auf die Taufe gibt es bei aller Freude über den neu entdeckten Glauben, über die Gemeinschaft der Kirche, über das Licht im Leben, auch die Herausforderungen und Versuchungen. Gerade wenn jemand auf dem Weg zu Gott Fortschritte macht, scheint der Widerstand manchmal größer zu werden! Aber wie steht es in Hamburg auf einem Leihfahrrad: „Gegenwind formt den Charakter!“

Die Kirche wusste schon sehr früh, dass Menschen in diesem Moment, im Zugehen auf die Taufe, besonders des Gebets bedürfen und der Unterstützung durch die Gläubigen. So gibt es die Salbung der Katechumenen. Sie ist seit dem vierten Jahrhundert bezeugt, zuerst bei Cyrill von Jerusalem.

Das ist eine Salbung vor der Taufe; nicht zu verwechseln mit der heiligen Salbung mit dem Chrisam nach der Taufe. Die Salbung vor der Taufe soll die Katechumenen auf dem Weg zur Taufe schützen vor den Versuchungen und den Angriffen des Bösen.

Dieses Zeichen kann auch uns, die wir schon getauft sind, daran erinnern, dass wir als Kinder Gottes leben sollen und aus der Kraft des Heiligen Geistes, trotz allem, was dem entgegensteht und uns nur vor Gott niederwerfen sollen. Denn sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in alle Ewigkeit. Amen.

Montag, 24. Februar 2025

Zwischenraum



Predigt 7C 23.2.2025 Hamburg Manresa

Les: 1Sam 26, 2-23; 1Kor 15, 45–49; Lk 6, 27–38.

Vor einigen Tagen habe ich ein Foto aus Finnland gesehen. Es zeigt Menschen, die vor einem Wahllokal warten. So wie Sie es vielleicht auch heute gemacht haben. Das Besondere auf dem Foto: die Menschen stehen draußen in der Schlange mit großem Abstand, etwa 20 Menschen sind es. Die Beobachtung: jede Kultur hat ihre Eigenheiten, und in Finnland gehört es offenbar dazu, mehr Abstand („personal space“) voneinander zu halten als in anderen Ländern.

Näher und Distanz sind Teil des menschlichen Lebens. Keiner kann allein leben; aber wir sind und bleiben Individuen, mit einer eigenen Geschichte und einer Persönlichkeit und mit einer persönlichen Verantwortung. Alle Menschen sehnen sich in einer gewissen Weise nach Anerkennung und nach Nähe, nach Gemeinschaft. Gleichzeitig brauchen wir unseren Freiraum, unsere Freiheit, unseren Abstand, und der ist von Kultur zu Kultur, von Mensch zu Mensch verschieden. Haben Sie schon einmal bemerkt, dass Ihnen im Gespräch jemand zu nahegekommen ist? Oder dass sie vielleicht sich mehr Nähe gewünscht hätten? Wie viel Distanz brauche ich selbst? Wieviel Nähe bin ich bereit, zuzulassen?

Aggression ist eine schlechte Weise der Annäherung. Aggredere bedeutet im Lateinischen: nahe herangehen. Man nähert sich, um den anderen zu bedrohen oder um ihm zu schaden. In diesen Tagen haben wir viel Aggression erlebt. In der Ferne, im Heiligen Land oder in der Ukraine, aber auch auf andere Weise bei uns im Wahlkampf. Gerade in den letzten Tagen ist mir aufgefallen, wie viele Wahlplakate beschmiert sind, die Gesichter verunstaltet. Auch das ist eine Form von Aggression. 

Eine gute Weise der Annäherung ist es, sich einander die Hand zu reichen. Wenn Kandidaten zum Beispiel nach der Wahl aufeinander zugehen, sich gegenseitig gratulieren, die Wahl anerkennen und sich Gedanken darüber machen, wie sie fort an Zusammenleben können. Denn darum geht es doch: wir wollen leben, und das können wir nur miteinander. Nicht gegeneinander!

Von Nähe und Distanz und einer guten Weise der Annäherung erzählen uns die heutigen biblischen Texte. Sie sind das Wort Gottes für uns.

Die Lesung aus dem ersten Samuel-Buch ist ein Meisterstück orientalischer Erzählkunst. Das Buch berichtet, wie David anstelle von Saul zum König aufsteigt. Es geht um Macht und Konkurrenz zwischen Männern, aber auch um die Frage, was es braucht, um ein guter König zu sein, und wer wirklich dazu berufen ist. 

Die biblische David-Geschichte ist keine Heldenverehrung, sie spart nicht mit Kritik an David. Aber David ist eben von Gott trotz seiner Schattenseiten auserwählt als Nachfolger von Saul; und er nimmt diese Berufung und Verantwortung an. Die Erzählung beschreibt, wie Auseinandersetzungen um die Macht ausgetragen werden sollen. Das Leben des Gegners ist wertvoll, weil das Leben in den Augen Gottes wertvoll ist.

Schauen wir auf Nähe und Distanz: David nähert sich dem Heerlager Sauls. Er nährt sich Saul, er könnte ihn mit einem einzigen Stoß mit dem Speer töten. Doch er respektiert die Grenze, die Sauls Leben und seine körperliche Unversehrtheit schützt.

Das ist der Unterschied zu einem Gewalttäter, der diese Grenze überschreitet. Psychologen sagen: Oft sind Gewalttäter aggressionsgehemmte Typen. Denn nur wer die Fähigkeit zum Konflikt und zur Auseinandersetzung entwickelt, kann für sich auch die Grenzen setzen und respektieren.

David geht, nachdem er sich Saul genähert hat, auf Distanz zum König. „David ging auf die andere Seite hinüber und stellte sich in großer Entfernung auf den Gipfel des Berges, so dass ein Zwischenraum zwischen Ihnen war.“ (1Sam 26,13). Zudem ruft er im Morgengrauen dann zunächst den Heerführer Abner an und spricht Saul nicht direkt selbst an, obwohl er weiß, dass Saul zuhört. Dieser Teil wurde in der heutigen Lesung gekürzt. Saul erkennt dann die Stimme Davids und er erkennt, dass David sein Leben kostbar war und er selbst falsch gehandelt hat, indem er David töten wollte. Es kommt zu einem Segen des Königs für David, Rache weicht der Versöhnung.

*

Im Evangelium aus der Feldrede bei Lukas stellt Jesus dar, wie er sich das Zusammenleben der Menschen vorstellt. Es geht zunächst einmal um das Zusammenleben des Volkes Israel, als des von Gott auserwählten Volkes; dann aber auch um das Zusammenleben von Völkern allgemein. Jesus zeigt eine neue Form, Nähe und Distanz zu leben.

Die Feindesliebe, die er beschreibt, ist gerade nicht nur eine unrealistische Vision, eine ferne Utopie, sondern sie zeigt meines Erachtens eine Haltung auf, wie wir in der Nähe miteinander gleichzeitig eine gute Distanz leben können. Die Feldrede ist meines Erachtens ganz praktische Lebensweisung.

Wir kennen das alle: Konflikte, Ärger, die Gedanken kreisen, ich bin verletzt worden, habe Unrecht erlitten, oder gesehen, wie Unrecht geschehen ist. Das kann ich nicht so stehen lassen! Das kann ich nicht akzeptieren! Hass und Wut entstehen. Und dann? Lieben? Wie soll das möglich sein?

Liebt eure Feinde, das ist die Perspektive, das Ziel. Und der erste konkrete Schritt dazu: segnen und beten! In dem ich den anderen oder die andere der Barmherzigkeit Gottes anempfehle, schaffe ich eine Distanz zwischen uns. Ich muss kein Urteil sprechen: du, Gott, wirst das Urteil sprechen! Ich kann nicht mehr: jetzt bist du dran, Gott! Ich will, dass es der anderen Person gut geht, dass sie lebt, aber ich werde mich nicht mehr darum kümmern, das sollst bitte du machen, Gott! Ein Segen ist immer ein Abschied und ein Abschied schafft Distanz!

Die andere Wange hinhalten oder auch das Hemd zu geben, wenn um den Mantel gebeten wird, ist vielleicht auf den ersten Blick wieder eine Form der Annäherung bzw. Aggression, die die Grenze der Gewaltfreiheit respektiert. Auf den zweiten Blick jedoch wird meine eigene Freiheit deutlich, anders zu handeln, als der Gegner es erwartet.

Das Gestohlene nicht zurückzufordern bedeutet, eine Form der Distanz zu allen irdischen Gütern zu schaffen, die letztlich nur relativen Wert haben.

Nicht richten, nicht verurteilen, Schuld erlassen, alles das schafft immer wieder Distanz. Es entsteht ein Zwischenraum, in dem Kommunikation möglich ist, in dem Gott wirken kann und Veränderung und Einsicht wachsen.

Das ist wirklich Glück, die „Lücke“ zu finden! Diesen Blick nach oben zu wagen: „euer Lohn wird groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein“. Und Gottes Blick wahrzunehmen, „denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen“.

Nähe und Distanz gehören zum Leben. Jesus zeigt uns einen Weg, wie wir auf gute Weise miteinander leben können, durch Barmherzigkeit und Vergebung. Wie Nähe und Distanz zwischen immer mehr Menschen auf dieser Erde auf eine gute Weise möglich ist. Wie wir gleichzeitig bei uns selbst bleiben und mit anderen Menschen in Beziehung treten können: Indem wir uns nach dem Bild des Himmlischen gestalten und formen lassen. Amen.

 

Montag, 13. Januar 2025

Erwartungen

 




Predigt Fest Taufe des Herrn C 2024 | Hamburg, Manresa

Les: Jes 42, 5a.1-4.6-7; Psalm 29; Apg 10, 34-38; Lk 3, 15-16.21-22

„In jener Zeit war das Volk voll Erwartung.“ (Lk 3, 15). Das neue Jahr ist nicht einmal zwei Wochen alt. Was erwarten wir im neuen Jahr? Was erwarte ich? Habe ich mir gute Vorsätze genommen? Freue ich mich auf etwas Besonderes in diesem Jahr? Erwartet unser Volk etwas? Die Bundestagswahlen stehen an, ein neuer amerikanischer Präsident, hoffentlich bald das Ende der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, …

Das Volk damals erwartete den Messias, den Gesalbten, einen König, einen machtvollen Herrscher, von dem der Prophet Jesaja verkündet hat, dass er den Nationen das Recht bringt. Dass er Gerechtigkeit schafft. Dass er das Volk in der Verbannung in die Heimat führen wird. Dass er Frieden bringen zum Licht der Nationen wird, „um blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen und die im Dunkel sitzen, aus der Haft.“ Dass er Erlösung schafft.

Auch Johannes der Täufer hat große Erwartungen an den, der nach ihm kommt. „einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen.“

Doch werden diese Erwartungen nun mit Jesus erfüllt? Jesus ist anders als der Messias, den das Volk und auch Johannes erwartet haben, das wird heute im Evangelium deutlich. An drei Punkten:

a/ Jesus kommt zusammen mit dem ganzen Volk zum Jordan. Er kommt nicht mit einem prächtigen Zug, einem großen Hofstaat oder besonders herausgehoben, sondern als einer von vielen. Er macht sich gemein. Er hätte es nicht nötig gehabt, sich taufen zu lassen, denn er war ohne Sünde, aber möchte es. So wie er Weihnachten als Mensch, wie jeder andere auch geboren wird, so geht er nun auf zu Johannes.

b/ Während der betete, öffnet sich der Himmel. Nicht während er aus dem Wasser steigt mit großem Tamtam, sondern in dem Moment, als er in die Beziehung zu seinem Vater geht, öffnet sich der Himmel. Und der Heilige Geist kommt auf ihn herab, leiblich sichtbar „in Gestalt einer Taube“, genauer „wie eine Taube“.

Tauben gehören zu den ältesten Haustieren, sie leben mit den Menschen, sie sind arglos und zutraulich und sie fliegen nicht besonders gut. Ich weiß nicht, ob sie schon einmal gesehen haben, wie Tauben fliegen bzw. landen. Ziemlich flatterhaft. Sie stürzen sich nicht wie ein Greifvogel herab, sondern landen sanft und vorsichtig.*

Es wird für alle sichtbar, dass Jesus mit dem Geist begabt ist, offen ist für die Beziehung zu Gott, von ihm beschenkt wird mit Liebe, zutraulich. Auch das ist wohl anders, als es viele erwartet haben.

c/ Und schließlich die Stimme aus dem Himmel: Jesus wird als der Sohn des Vaters offenbar, als der geliebte Sohn, an dem Gott Wohlgefallen hat. Er lebt aus der Liebe des Vaters und findet seine Identität und Sendung in dieser Beziehung, jenseits aller Erwartungen, die Menschen von Gott vorher gehabt haben.

Ist das der Messias, den das Volk erwartet hat? Ist das der Retter, den wir erwarten? Mit dessen heilvollem Handeln in unserem Leben wir wirklich rechnen, uns dafür öffnen? Glauben wir, dass sich mit Jesus in unserem Leben etwas ändert? In unserem Volk? In unserer Welt? Erwarten wir seinen Frieden und beten wir darum?

Durch Jesus, genauer durch sein Beten und seine Beziehung zum Vater, hat sich für uns der Himmel geöffnet, hat er uns den Weg zum Vater gezeigt. Mit Jesus und an seiner Seite brauchen wir keine Angst mehr zu haben, nicht vor Gott, nicht vor der Welt. Wir dürfen als seine geliebten Töchter und Sohne leben.

Wir alle sind Kinder Gottes. Auch die, die nicht getauft sind, sind von Gott geliebt und seine Kinder. Aber wir sind uns dieser Würde bewusst. Es ist eine Gabe und eine Aufgabe. Wir haben die Verantwortung, auch als Kinder Gottes zu leben.

Das ist doch mal eine Erwartung und Hoffnung für das neue Jahr: Als neue Menschen leben, geistbegabt, mit Jesus Söhne und Töchter Gottes sein, betenden Menschen werden, in der Beziehung zum Vater. Amen.

 

*Anmerkung: Helmut Röhrbein-Viehoff verdanke ich den Hinweis, dass die Taube schon bei den Sumerern, dann bei den Griechen ein beliebtes Symbol für die Liebe war. Eine Bronzetaube aus dem ersten Jahrtausend v. Chr. gehört zu einer Statue der Liebesgöttin Aphrodite auf Kreta. In der römischen Religion ist die Taube das Attribut der Göttin Venus. Das Hohelied der Bibel vergleicht die Augen der Geliebten mit zwei Tauben. (Hld 1,15)

Bild: Bronzestatue eines mit einem Peplos über dem Chiton gekleideten Mädchens, im Original in der linken Hand eine Taube, ursprünglich in der rechten eine Blume oder einen Myrtenzweig. Daraus wurde geschlossen, dass es sich bei dieser Darstellung um die Liebesgöttin Aphrodite handelt. Exponat des Nationalarchäologischen Museum Athen, Inventar-Nr. KAP 540, datiert auf 460-450  v. Chr., Fundort das Pindusgebirge im Nordwesten Griechenlands.  

Bildquelle: https://media.bs.ch/original_file/4dd45cc2154e73dfd1e123123ed53dcbe39d6925/ausstellungsdokumentation-unerwuenschte-gaeste.pdf

Mittwoch, 1. Januar 2025

Jahresrückblick


Ansprache am 31.12.2024 in Hattingen Gemeinde Heilig Geist nach dem Jahresrückblick

Wir haben auf die Ereignisse im Jahr 2024 in der Gemeinde Heilig Geist zurückgeblickt. Mit Dankbarkeit und mit vielen guten Wünschen geht dieses Jahr zu Ende.

Viele andere Ereignisse haben dieses Jahr für jeden und jede von uns geprägt, die eigentlich auch in einen Jahresrückblick gehören: im persönlichen Umfeld, in der Familie und mit Freunden, im Beruf, im gesellschaftlichen Umfeld in Deutschland und in Europa und weit darüber hinaus die Konflikte und Entwicklungen in der Welt. Das alles betrifft uns und vieles wäre zu nennen – aber das war jetzt hier konkret vor Ort der Jahresrückblick.

Warum ist es überhaupt wichtig einen Jahresrückblick zu halten? Und dabei nicht nur auf die Ereignisse und Fakten, sondern auch auf die persönlichen Erinnerungen, Gedanken und Gefühle, die sich damit verbinden, zu schauen? Warum nicht einfach das alte Jahr abhaken und nach vorne schauen? Dafür gibt es einen entscheidenden, geistlichen Grund.

Wir glauben, dass Gott in dieser Welt durch Jesus Christus im Heiligen Geist wirkt und gegenwärtig ist, dass wir seiner Liebe in unserem Leben begegnen und uns von ihr befreien und erlösen lassen können. Gott begegnet uns in den Ereignissen, im Alltag, in den Erlebnissen. „In allem will Gott Begegnung feiern.“ Deshalb ist es wichtig, die Ereignisse in seinem Licht ehrlich anzuschauen.

Das bedeutet: Nicht nur einfach eine Liste zu erstellen, was war gut, was war schlecht; sondern dazu auch wahrzunehmen, welche Gedanken und Gefühle sich für mich persönlich mit den Ereignissen verbinden. Was hat dieses oder jene Gespräch, was hat diese oder jene Begegnung bei mir ausgelöst? Kann ich darin Spuren der Liebe Gott und seiner Gegenwart unter uns entdecken und finden?

Nicht alles kommt von Gott und seinem Heiligen Geist. Es ist gibt auch das andere, das uns am Guten hindert, das uns von der Liebe wegbringt, das uns Angst macht, entfremdet, zum Bösen treibt. Aber es gibt eben in allem auch das gute Wirken Gott, denn er ist in allem mächtig, manchmal unscheinbar, verborgen, hilflos oder verdrängt.

Diesem Wirken Gottes auf die Spur zu kommen, es dankbar wahrzunehmen und meine Antwort darauf zu geben, darin liegt der tiefere geistliche Sinn eines Jahresrückblicks. Also: Nicht den Kontoauszug der guten Taten kontrollieren, nicht eine To-Do-Liste abhaken, sondern in allem der Gegenwart Gottes begegnen.

Vieles haben wir im vergangenen Jahr erreicht, vieles haben wir im vergangenen Jahr nicht erreicht. Beides ist am Ende nicht entscheidend. Wirklich froh und erfüllt wird unser Leben in dem Maße sein, in dem wir den Willen Gottes tun, der uns Leben in Fülle schenkt und möchte, dass wir mit seinem guten Geist mitwirken.

Entscheidend ist dieses Unterscheiden, damit wir uns von ihm führen lassen! Das macht glücklich. Das gilt besonders in Zeiten der Unsicherheit und der Veränderung, die wir gerade erleben. Umbrüche, weil das Bisherige nicht mehr weitergeht, wo Neues gewagt werden muss, wo es auch bei den Verantwortlichen in der Kirche an Leitung und geistlicher Führung mangelt und vieles selbst vor Ort entschieden und gestaltet werden soll.

Unterscheiden und gut zurückschauen: wo habe ich Freude, Liebe, Licht, Güte, kurz: Gottes guten Geist erlebt in den Begegnungen und Ereignissen – und diesem guten Geist folgen, nicht vorauslaufen. Heute Abend und im Neuen Jahr. Amen.

Anm.: „Die Kirche Heilig Geist in Hattingen-Winz-Baak [erbaut 1973; in der Kirche wurde ich gefirmt und habe meine Heimatprimiz gefeiert; C.M.] wird am Sonntag, 12. Januar 2025, außer Dienst gestellt. Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck feiert an diesem Tag um 11.30Uhr die letzte Heilige Messe an der Denkmalstraße. In einer Prozession zieht die katholische Gemeinde danach zur evangelischen Kirche in Winz-Baak, die ihre neue Heimat in Form eines „ökumenischen Zentrums“ sein wird. Für das gesamte Gelände um das katholische Kirchgebäude, das ehemalige Pfarrhaus, das Gemeindeheim und die ehemalige Kindertagesstätte gibt es Pläne eines Investors. Der Investor plant den Rückbau und möchte auf dem Areal seniorengerechten Wohnraum entstehen lassen.“ (WAZ Hattingen 31.12.24, Seite 15)


Mittwoch, 25. Dezember 2024

Im Stall


Heiligabend 2024 | Hamburg, St. Annen 17 Uhr | Predigt 

Les: Jes 9, 1-6; Tit 2, 11-14; Lk 2, 1-14

Es sind die wohlbekannten Texte, die wir in dieser Nach hören und sie erinnern uns an ein Geschehen vor mehr als 2000 Jahren: Die Geburt des verheißenen Kindes, des Messias. Die nannten ihn „wunderbarer Ratgeber, starker Gott, Fürst des Friedens.“

Diese Geschichte lesen wir heute allerdings nicht aus historischem Interesse, wir hören sie auch nicht wie Anekdoten der Großeltern über die Zeit damals, sondern das Wort Gottes spricht in unsere Zeit. Das, was damals geschah, will für uns heute eine Bedeutung gewinnen. Das Evangelium wird erzählt, für einen jeden und eine jede von uns für heute.

Doch wie kann das gehen? Wie kann ich das Wort Gottes heute Abend hören? „Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir?“ Der Weihnachtabend ist plötzlich da, aber so richtig freuen kann ich mich noch nicht. Gerade noch bin ich aus der geschäftigen Adventszeit eher unsanft hinübergestolpert und im Kopf schwirrt einem alles Mögliche herum, auch Sorgen und Angst, nur keine frommen, „besinnlichen“ Gedanken.

Und recht schnell macht sich eine Enttäuschung breit: Sollte ich als guter Christ oder als gute Christin nicht mehr erfüllt sein, mehr innerlich „brennen“, d.h. mehr Freude empfinden, über das, was wir heute Abend feiern? Warum bin ich so wenig vorbereitet, so wenig eingestimmt auf die Ankunft des Herrn? Bin ich heute Abend in der richtigen Weise hier, um Gott zu begegnen, der für mich Mensch werden will?

Am 25. Dezember 1542, also vor bald 500 Jahren, schrieb der Heilige Peter Faber in seinem geistlichen Tagebuch eine ganz ähnliche geistliche Erfahrung auf, die er am Weihnachtsmorgen gemacht hatte:

„In der ersten Messe, als ich mich vor der Kommunion kalt fühlte und betrübt war, dass meine Wohnung nicht besser bereitet sei, da überkam mich ein recht lebendiger Geist, in dem ich mit innerer und inniger Andacht … folgende Antwort vernahm: ‚Das bedeutet, dass Christus in einen Stall kommen will. Wenn du nämlich schon glühend wärest, fändest du jetzt die Menschheit deines Herrn nicht; denn du sähest geistlicherweise viel weniger einem Stall ähnlich.‘ So fand ich meinen Trost im Herrn, der in ein so kaltes Heim zu kommen geruhte.“

Faber nimmt seine innere Verfassung wahr. Die eigene Wohnung, d.h. seine Seele, in der Christus geboren werden will, ist noch nicht recht bereitet. Sie gleicht eher einem Stall. Es wäre einiges aufzuräumen, es ist manches schmutzig und recht einfach – eben für die vielen Alltagsgedanken, aber nicht für einen König.

Faber sieht seine Enge drinnen und die Weite und Größe des Ereignisses, das Heil der Welt! Und genau darin, in dieser Spannung, sieht er den Zusammenhang: Jesus wurde in einem Stall geboren, nicht in der perfekten Umgebung eines Palastes. Jesus wurde in einer Krippe geboren, in Armut und Niedrigkeit. Und genauso wie Christus diese Situation angenommen hat, wie sie ist, genauso darf auch ich meine Situation annehmen, nicht weil schon alles gut ist, sondern weil Christus es durch seine Liebe gut macht. Seine Gegenwart ist das Entscheidende, das Licht. Und dieses Leuchten in meinem Leben erkenne ich erst, wenn ich auch mein Leben ehrlich anschaue, so wie es ist.

Wie soll ich Dich empfangen? Das ist der Weg, um die Menschheit Gottes zu finden, so sagt Faber: die Welt, deine Welt so wahrzunehmen und anzunehmen, wie sie ist und sie zu lieben. Einfache Menschen und solche, die wissen, dass in ihrem Leben nicht alles perfekt ist, können das leichter als reiche Menschen. Darin finden wir die Menschlichkeit unseres Gottes. Er nimmt dich wahr, so wie du bist. Er verliert seine Göttlichkeit nicht, indem er Mensch wird, sondern er kommt als Mensch, um dich, den Menschen, zu retten und zu Gott zu führen.

Das bedeutet nicht, dass wir ohne Ehrfurcht zu ihm kommen oder dass alles egal ist. Respekt und Ehrfurcht sind wichtig. Aber sind wir jemals richtig vorbereitet, um Gott zu empfangen? In diesem Leben jedenfalls nicht, und deshalb lädt er sich selbst bei uns ein

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Papst Franziskus sagt es so: „Gott wollte unser menschliches Leben teilen und ist deswegen in Jesus, dem wahren Gott und wahren Menschen, eins geworden mit uns. Aber mehr noch und noch überraschender: Die Anwesenheit Gottes unter den Menschen ist nicht in einer idealen, idyllischen Welt passiert, sondern in dieser realen Welt, wo es so viel Gutes und Schlechtes gibt, auch Spannungen, Bösartigkeit, Armut, Arroganz und Kriege. Er wollte in unserer Geschichte wohnen, so wie sie ist; und dadurch hat er seine barmherzige und liebevolle Neigung zu den Menschen gezeigt.“ (18.12.2023)

Wie soll ich dich empfangen? Was ist die richtige Haltung? Vielleicht probieren Sie es nachher mal, wenn Sie an der Krippe stehen, eine passende Geste zu finden, die Hände zu öffnen, um den Herrn zu empfangen. Ohne Scham, ohne Angst. So als ob sie ein neugeborenes Kind in die Arme gelegt bekommen. Ich bin kein Vater und dabei meist etwas ungelenk, habe Angst, das kostbare Leben auf die Erde fallen zu lassen. Ganz vorsichtig halten – und doch festhalten!

Ein kleines Kind, das man in den Händen hält, ergreift oft den Finger. Wenn wir uns für Gott öffnen, wenn wir ihm unsere Armen öffnen, dann ergreift er uns. Er kommt selbst auf uns zu und möchte uns an sich ziehen.

Und wenn sie nachher an der Krippe stehen, dann können Sie auch überlegen, was sie ihm geben möchten. Ein Wort des Dankes, ein Lächeln, ein ehrfürchtiges Gebet, - was ist ihre Antwort heute Abend auf das Wort, das sie anspricht?


 

Andreas Knapp: des höchsten niederkunft

 

nicht als wort

kam er zur welt

nicht als fixierter text

oder blutleeres buch

sondern fleischlich

schmerzempfindsam

in jede faser

eingeschriebene

sterblichkeit

ein einziger schrei

nach liebe

 

und sein testament

nichts schriftliches

hat er hinterlassen

nicht papieren

sein vermächtnis

sondern hingabe

mit fleisch und blut

 

aus: Andreas Knapp: ganz knapp. Gedichte an der Schwelle zu Gott. Würzburg 2020

 

Sonntag, 22. Dezember 2024

Schmetterlingseffekt


Predigt Vierter Adventssonntag C 2024 | Hamburg, Manresa – Klein und Groß

Les: Mi 5,1-4a; Hebr 10,5-10; Lk 1,39-45

Der Kontrast könnte nicht größer sein: Einerseits die Freude, die uns heute in den biblischen Texten kurz vor Weihnachten begegnet. Sie sprechen von Frieden. Und andererseits die Trauer und die Furcht, die Deutschland nach dem Anschlag in Magdeburg am vergangenen Freitag ergriffen hat.

In der Mitte steht ein Wort aus dem Hebräerbrief: Keine weiteren Opfer mehr, bitte! Keine Schlacht- und Speiseopfer mehr, keine Brand- und Sündopfer; keine Opfer von Anschlägen und Terrorangriffen, keine Opfer von Krieg und Gewalt, keine Opfer von Hass und Fremdenfeindlichkeit, keine Opfer von Rache mehr, bitte! Sondern einfach den Willen Gottes tun. So einfach ist das. Und so klar. Und doch offenbar so schwierig.

Wie kann in dieser Welt Frieden werden? Hören wir heute auf die Worte der Bibel, der Heiligen Schrift, wie der Friede in diese Welt kommt!

Predigt:

1/ Eines der bekanntesten englischen Weihnachtslieder beginnt mit dem Vers: „Oh Little Town of Bethlehem“. Bethlehem, die Geburtsstadt Jesu, war wirklich eine kleine Stadt. Sie liegt etwa 10 km südlich von Jerusalem im Gebiet Juda und war ursprünglich bedeutsam, denn es war der Heimatort des Königs Davids. Das ist allerdings damals schon fast 1000 Jahre her und Bethlehem war zur Zeit Jesu eine kleine Stadt von etwa 1000 Einwohnern. Ein Marktplatz, wenige öffentliche Gebäude. Es war wirklich nicht bedeutsam, jedenfalls nicht im Vergleich mit der großen Stadt Jerusalem, die etwa 50.000 Einwohner hatte. Bethlehem-Efrata ist für Jerusalem ungefähr das, was Henstedt-Ulzburg für Hamburg ist! Es gibt Leute, die da wohnen, aber sonst ist da eigentlich nichts los.

Doch der Prophet Micha kündigt dieser kleinen Stadt Bethlehem etwas Großes an, den Messias, den Herrscher über Israel. Ein Nachkomme Davids, aber seine Ursprünge liegen in ferner Vorzeit, d.h. in der Geschichte Gottes mit seinem Volk, als Gott ihm noch nahe war. Der, der kommen wird, wird auftreten und für das Volk Israel ein guter Hirte sein, der in der Kraft Gottes der Welt den Frieden bringt, der ganzen Welt! Er wird retten vor aller Gewalt. Sie werden in Sicherheit wohnen und in Frieden! „Er wird der Friede sein“. Welch eine Verheißung. So eine kleine Stadt und so eine großartige Verheißung.

 

2/ Im Evangelium haben wir gehört, dass sich Maria auf den Weg zu ihrer Verwandten Elisabeth machte. Sie ging zu ihr, weil der Engel Gabriel ihr kurz zuvor eine völlig ungewöhnliche und unerwartete Schwangerschaft verkündet hat. Er hat ihr die Geburt Jesu angekündigt. Als Zeichen für das besondere Wirken Gottes hat er ihr die ungewöhnliche Schwangerschaft ihrer Verwandten Elisabeth als genannt, die noch in hohem Alter ein Kind erwartete. „Denn für Gott ist nichts unmöglich.“ (Lk 1,37)

Maria geht zu Elisabeth: Möchte sie prüfen, was der Engel gesagt hat? Oder ist ihre eigene Freude so groß, dass sie sich zusammen mit ihrer Verwandten über den unverhofften Nachwuchs freuen will? Oder möchte sie in der Zeit der Schwangerschaft für Elisabeth da sein und ihr helfen? Es ist jedenfalls nur dieses eine kleine Wort des Engels, dass Maria auf dem Weg nach Juda bringt.

Maria grüßt die ältere Elisabeth und in dem Moment hüpft das Kind im Leib von Elisabeth. Elisabeth freut sich. Der kleine Johannes, obwohl noch im Mutterleib freut sich. Elisabeth wird vom Heiligen Geist erfüllt und begreift, ohne dass Maria irgendetwas erklären müsste, welch besonderer Moment das gerade ist, dass nämlich nicht nur sie schwanger ist, sondern dass auch Maria schwanger ist und dass sie die Mutter ihres Herrn die Mutter Gottes wird.

Es ist ein kleines Zeichen, diese Freude der Mutter und des Babys, und es ist eine kleine Begegnung unter Frauen, irgendwann vor 2000 Jahren, und doch ist in diesem Moment zum ersten Mal das Zeichen göttlicher Allmacht und Größe für andere Menschen offenbar, die Ankunft des Erlösers als Mensch. Elisabeth segnet Maria: „Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.“ (Lk 1,42).

 

3/ Kleine Zeichen, große Wirkung. In dieser Welt scheinen Hass und Gewalt grenzenlos und angesichts der Aufgaben und der Herausforderung verzweifeln viele Menschen. Furcht greift um sich. Wir bauen Mauern und Zäune, um uns zu schützen. Die Politiker greifen zu großen Gesten und zu großen Waffen. Doch das ist nicht der Weg zum Frieden. Der Frieden beginnt klein, im Kleinen, mit kleinen Zeichen, auf die wir achten sollten und denen wir vertrauen sollten. Selig ist die, die geglaubt hat, was der Herr ihr sagen ließ.

Als ich heute früh in St. Annen die hl. Messe feierte, flog während der Predigt ein Schmetterling durch den Raum, der sich offenbar im Weihnachts-Baum versteckt hatte. Welch eine wunderbare Veranschaulichung von dem, was ich sagen wollte. Physikalisch kennt man den Schmetterlingseffekt. Er beschreibt genau dies, dass kleine Veränderungen eine große Wirkung haben können. Ein Flügelschlag eines Schmetterlings im Amazonasgebiet kann einen Wirbelsturm bei uns auslösen. Das ist nicht neu.

Und ja, auch kleine Gesten des Hasses und der Gewalt können große Wirkungen haben. Ein Verrückter genügt, damit 5 Menschen sterben, 200 verletzt sind und ein ganzes Land in Trauer und Angst versinkt. Das ist schlimm, aber kein Zeichen Gottes!

Gott möchte keine Opfer! Keine Schlacht- und Speiseopfer mehr, keine Brand- und Sündopfer; keine Opfer von Anschlägen und Terrorangriffen, keine Opfer von Krieg und Gewalt, keine Opfer von Hass und Fremdenfeindlichkeit, keine Opfer von Rache mehr, bitte! Sondern einfach, dass wir seinen Willen tun und auf seine Zeichen achten und ihnen trauen. So einfach ist das. Und so klar. Und doch offenbar so schwierig.

Weihnachten, das ist das kleine Kind in der Krippe, dass den Frieden bringt für die ganze Welt. Denn für Gottes nichts unmöglich. Die Spannung zwischen klein und groß ist da, vielleicht auch manchmal der Glaubens-Zweifel, aber vor allem auch die Ermutigung, dass die kleinen Worte und Gesten eine große Wirkung haben können, wenn sie in Gottes Geist geschehen.