Montag, 15. Dezember 2025

Erwartungsmanagement?


2025 Predigt Dritter Adventssonntag A | Hamburg, Manresa

Les: Jes 35, 1–6b.10; Jak 5, 7–10; Mt 11, 2–11

Am ersten Adventssonntag hörten wir die Einladung Jesu, unsere prophetische Gabe zu entdecken: Sehen, was ist! Vor dem Hintergrund der Vision des Jesaja von der Wallfahrt der Völker und vom Frieden (Jes 2,1-5) mahnte Jesus seine Jüngerinnen und Jünger zu Achtsamkeit und Wachsamkeit: „Haltet euch bereit!“ (Mt 24,44). Ich habe darauf hingewiesen, dass Propheten keine Wahrsager sind, sondern dass sie auf die Gegenwart schauen und darin die Zeichen des heilsamen Handelns Gottes erkennen.

Am zweiten Adventssonntag hörten wir eine weitere große Vision des Propheten Jesaja: der junge Trieb aus der Wurzel, ein König, der die Fülle der Geistesgaben empfängt und der Welt den Frieden bringt. „Er entscheidet für die Armen, wie es recht ist.“ (Jes 11,4).

Und nun heute eine dritte, große Vision des Jesaja: Von der blühenden Wüste, so fruchtbar wie der Libanon und die Ebene Sharon. Rettung wird verheißen und Heilung und Heimkehr. Für diese Rettung und Befreiung gibt es deutliche, untrügliche Zeichen: Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Stumme sprechen. Das gibt es doch gar nicht!? Doch! Das sind die Kriterien der neuen, messianischen Zeit!

Nun mag mancher bei so vielen Visionen, bei so wunderbaren Verheißungen im Blick auf die Realität der Welt und des eigenen Lebens denken: Da wird irgendein frommes Zeugs verkündet! Schöne Worte, mehr nicht. Wo ist denn der Frieden? So viele Menschen im Krieg! Wo sind denn die blühenden Landschaften? So viele Klima- und Dürrekatastrophen! Ist das, was Jesaja angekündigt hat und woraus Jesus lebt, wirklich das, worauf wir warten sollen? Oder müssen wir auf einen anderen warten, der Recht und Gerechtigkeit, Frieden und Heil bringt?

Was ist unsere Erwartung?

Es ist ja nicht so, als ob diese Frage des Johannes (Mt 11,3), ob wir auf einen anderen warten müssen, einem Christen von heute völlig fremd wäre. Als ob nicht jede und jeder von uns angesichts der Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, schon einmal gezweifelt hat, inwieweit die Verheißungen Jesu von Frieden und vom anbrechenden Reich Gottes Wirklichkeit sind. Oder ob das nicht alles einfach eine billige Ver-Tröstung ist?

Noch vor einigen Tagen hat mir z.B. eine Erzieherin aus einer Kindertagesstätte hier in Hamburg von den katastrophalen Zuständen in der Betreuung der Kleinsten erzählt, von Personalmangel, von verantwortungslosen Eltern, von verwahrlosten Kindern, von Hass und Gewalt. Und nicht zuletzt von dem riesigen Einfluss der Medien, schon im Kindergartenalter. Und jeder kennt Geschichten aus seinem Alltag und könnte sie erzählen, wo so viel schief und krumm ist.

Ja, es braucht Geduld und die Bereitschaft Leid als Leid wahrzunehmen, um in diesen Situationen nicht zu verzweifeln! Dazu ermutigen uns die Texte der heutigen Lesungen.

So hören wir heute im Brief des Jakobus: „Haltet geduldig aus!“ – „Macht eure Herzen stark!“ – „Klagt nicht übereinander!“ – „Brüder und Schwestern, im Leiden und in der Geduld, nehmt euch die Propheten zum Vorbild, die im Namen des Herrn gesprochen haben!“ (Jak 5)

Da ist er wieder, der Rat, das Prophetische in uns zu entdecken! Denn das meint doch wohl die Aussage, uns die Propheten als Vorbild zu nehmen, oder nicht?

Die prophetische Gabe entdecken

Was ist ein Prophet? Noch einmal: Propheten sehen, was ist! Sie sehen nicht nur das, was alle sehen, das Entmutigende, das Unheil. Sie klagen nicht nur die Ungerechtigkeit und die Sünde an! Sie sehen auch in alldem die Zeichen von Rettung und Erlösung. Sie sehen Zeichen von Frieden, sie sehen den jungen, kleinen Trieb am Baumstumpf. Sie sehen den Regen, der kommt, sie sehen die Zeichen einer wunderbaren Heilung.

In der vergangenen Woche, am Donnerstag in der Frühmesse, hat eine offensichtlich psychisch stark belastete Frau zum ersten Mal die Lesung übernommen. Und wie sie die Worte des Propheten Jesaja gelesen hat, sind wir alle berührt worden. Das ist für mich ein Zeichen gewesen in dieser Woche.

Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Stumme sprechen. Bin ich bereit, wie die Propheten, auf die Zeichen zu schauen? Traue ich Gott überhaupt zu, dass die Zeichen, die im Namen Jesu geschehen, für mich eine Bedeutung haben? Dass Jesus in unserem Leben Heil und Heilung schenken kann und dass ich mich öffnen kann für seine Zeichen?

Tja, das ist so eine Sache mit der Offenheit und der Erwartung. Erwarten wir eigentlich noch wirklich etwas? Brauchen wir ein Erwartungsmanagement? Wie geht das denn, die Erwartungen erneuern? Und das prophetische, in eigenem Leben entdecken?

Ignatius von Loyola hat dafür eine Haltung oder Einstellung beschrieben, die grundlegend ist in jedem geistlichen Leben, egal, ob man große oder kleine Entscheidungen zu treffen hat. Es ist die Haltung der Gleichmütigkeit, er nennt sie Indifferenz. Das ist keine Gleichgültigkeit und Resignation („es ist eh alles egal!“), sondern eine mutige und zugleich offene, eben erwartungsvolle Haltung, bei der Gottes wirken und mein Mitwirken zusammenkommen.

Manche übersetzen in Differenz mit „engagierte Gelassenheit“. Diese engagierte Gelassenheit nimmt wahr, was ist und verzweifelt doch nicht. Sie setzt sich ein, ohne selbst alles kontrollieren zu wollen. Sie geht mutig voran und weiß, dass Gott doch immer noch andere Wege hat, unser heil zu wirken. Sie ist geduldig und nimmt sich ein Vorbild an den Propheten, von denen Johannes der größte war, weil er Jesus kannte. Wer aber an Jesus glaubt und sein Leben mit ihm gestaltet, ist größer. Amen.

Montag, 1. Dezember 2025

Propheten


Predigt Erster Adventssonntag 2025 - Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein (Joel 3,1)

Les: Jes 2,1-5; Röm 13,11-14; Mt 24,37-44 

Wir haben die erste Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja gehört. Jesaja lebte im achten Jahrhundert vor Christus, am Königshof von Jerusalem, und seine Verkündigung enthielt eine eine politische Botschaft. Besonders bekannt und von großer Bedeutung sind seine messianischen Weissagungen geworden.

1/ Was ist das eigentlich ein Prophet? Haben Sie schon mal einen Propheten getroffen?

Ein Prophet sagt, was ist. Prophetie ist keine Wahrsagerei! Der Prophet schaut nicht in die Glaskugel und sagt die Zukunft voraus, sondern er schaut auf die Gegenwart. Er offenbart, was andere nicht sehen. Er sagt Weisheit. Er sieht in dem, was ist eine andere Dimension.

Propheten verkünden, was sie von Gott erfahren haben. Wenn sie verkünden, was nicht von Gott ist, sind es falsche Propheten.

Propheten sind von Gott berufen, berufene Rufer (Alfons Deisler). Sie rufen zur Umkehr auf, zu Gerechtigkeit, zum Widerspruch gegen die Sünde. Jesaja verkündet die nahende Gerechtigkeit und das nahende Heil. Das bedeutet, seine Botschaft ist auf die Zukunft ausgerichtet, aber er sagt das, was heute schon am Kommen ist. Propheten sagen das „Heute Gottes“ (Jon Sobrino)

2/ Was verkündet ein Prophet?

Jesaja verkündet eine Vision, das, was er „über Juda und Jerusalem geschaut hat.“ Nämlich: die Wallfahrt der Völker nach Jerusalem, zum Berg Zion, zum Tempel.

Die Nationen, d.h. die fremden Völker, sind eingeladen und nehmen Teil am Projekt Gottes mit seinem Volk. Diese Wallfahrt öffnet einen Weg zum Frieden. Die Nationen bilden die „Vereinten Nationen“, mit Gott in der Mitte. Die vielen Völker und das eine Volk Israel und sie leben in Frieden miteinander.

Diese Vision bildet den Rahmen des gesamten Jesaja-Buchs. Und sie klingt in jeder heiligen Messe an, wenn der Priester im Hochgebet über den Kelch spricht: „mein Blut, das für euch und für alle vergossen wurde“. Gemeint ist hier „für euch“, d.h. für das Volk Israel und „für alle“, d.h. für die anderen Völker, die Nationen.

Die Völker verwandeln ihre Waffen in Landgeräte. Schwerter zu Pflugscharen. Lanzen zu Winzermessern. Sie erfüllen damit eigentlich, was von Anfang an als Aufgabe der Menschen vorgesehen war: die Erde zu bauen und sie fruchtbar zu machen.

3/ Was sagt uns das?

Der Prophet ruft zur Wachsamkeit auf. Indem er verdeutlicht, wie in der gegenwärtigen Krise und Ungerechtigkeit eine Verheißung Gottes geschieht, wie die Gerechtigkeit Gottes schon im Kommen ist, d.h. nahe bevorsteht, ruft er auf, die Tiefendimension der Wirklichkeit wahrzunehmen.

Es gibt Krieg und Unfrieden? Ja, das stimmt! Aber es gibt auch das heilvolle und heilbringende Wirken Gottes, der uns jetzt schon entgegenkommt. Seht ihr es nicht?

In gleicher Weise tritt auch Jesus uns heute im Evangelium als Prophet entgegen.

Gegenüber jenen, die essen und trinken und heiraten wie in den Tagen des Noah ruft er zu Wachsamkeit. Und das nicht, weil essen und trinken und heiraten schlecht sind, sondern weil diese Menschen in der Generation des Noah nichts anderes kannten, als essen und trinken und heiraten. Er ruft zur Wachsamkeit und Achtsamkeit. Er mahnt die Jünger so zu leben, dass sie zugleich mit ihrem essen und trinken und heiraten mit der Wiederkunft des Menschensohnes rechnen. Dass sie in allem, was ist, eine tiefere, geistliche Dimension erkennen, eine unscheinbare Bewegung, die nur der sieht, der wirklich wach ist und darauf achtet.

Jesus tritt uns heute als Prophet entgegen, und er lädt uns ein, unsere prophetische Gabe zu entdecken, d.h. wach zu sein, für den Frieden und für die Gerechtigkeit einzustehen und den Verheißungen Gottes zu trauen und entsprechend zu leben.

In unserer Taufe sind wir mit Christus zu Priestern, Königen und Propheten, zu Priesterinnen, Königinnen und Prophetinnen gesalbt worden. Mögen wir diese Berufung leben! Amen.

 Bild: By 18 century icon painter - Iconostasis of Transfiguration church, Kizhi monastery, Karelia, Russia, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3235458


Montag, 10. November 2025

Gottesdienst in der Lateranbasilika

Chwalek/v. Hauff / Erzbistum Hamburg

Predigt am Weihetag der Lateranbasilika (9. 11.25): Heilige Orte

Les: Ez 47,1-2.8-9.12; 1Kor 3,9c-11.16-17; Joh 2,13.22

Ende Oktober waren wir mit der GCL in Rom, als Teil der großen Wallfahrt des Erzbistums Hamburg im Heiligen Jahr 2025. Es waren über 500 Erwachsene aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg in die Hauptstadt des christlichen Abendlandes gereist. Dazu 150 Jugendliche und junge Erwachsene. Zum Abschluss der Wallfahrt feierten wir gemeinsam die Heilige Messe in der Lateran-Basilika.

Die Kirche „San Giovanni in Laterano“, dem Allerheiligsten Erlöser geweiht, ist die älteste und wichtigste päpstliche Basilika in Rom. Sie gilt als Mutter und Haupt aller Kirchen. Sie wurde 324, also vor nun 1700 Jahren von Papst Silvester I. eingeweiht. Wir feiern heute ihren Weihetag. 

Die Kirche liegt im Innenstadtbereich an der südöstlichen Seite, nahe der alten Stadtmauer Roms. Ihren Namen erhielt sie von den Stadtpalästen der römischen Adelsfamilie, der Lateran, die sich bis ins vierte Jahrhundert in der Nähe befanden. Nachdem Sieg über Maxentius an der Milvischen Brücke schenkte Kaiser Konstantin als Dank an Gott der römischen Gemeinde ein großes Grundstück, auf dem sich eine Kaserne der kaiserlichen Garde Truppe befand. Er finanzierte zudem den Bau einer Kirche für den Bischof von Rom. 

Sie war von Anfang an groß und großartig: 100 m lang, 55 m breit, im Mittelschiff 16 rote Granitsäulen, dazu jeweils zwei Seitenschiffe, das alles im Stil einer antiken königlichen Versammlungshalle. Sie wurde nach nur drei Jahren Bauzeit eingeweiht. Ihr Baustil wurde bestimmend für alle weiteren christlichen Kultbauten. Unmittelbar angrenzend steht seit dem fünften Jahrhundert ein Baptisterium, d.h. ein eigenes Gebäude für die Taufe von Erwachsenen (und dann zunehmend auch von Kindern). 

Die Kirche wurde mehrfach umgebaut, doch die grundlegende Gestalt lässt sich bis heute bewundern. Es gab von Anfang an große Fenster oben im Mittelschiff, soviel ein indirektes, helles Licht in den prächtig geschmückten Festsaal. Der Außenbau war schmucklos, aber innen waren die Säulen aus rotem Granit, grünem und weißen Marmor. Auch der Fußboden und die Wände waren mit buntem Marmor verkleidet. Im oberen Teil gab es Wandbilder mit biblischen Szenen, Statuen der Apostel und der Engel, vergoldete Holzbalken, eine vergoldete Kassettendecke, in der Apsis ein großes Mosaik.

Die Basilika bot den Monumentalrahmen für eine feierliche Liturgie, die sich in Anlehnung an Formen staatlicher und kaiserlicher Repräsentanz bildete. Mich erfüllt es mit Staunen, wenn ich in diese Kirche komme. Dort werden die wichtigsten Reliquien verehrt: die Häupter der Apostel Petrus und Paulus. Dort residierten vom 4. bis 14. Jahrhundert, also 1000 Jahre lang, die Päpste, bis sie dann zum Petersdom zogen. Dort fanden wichtige Konzilien statt. Dort haben wir ergreifenden Gottesdienst gefeiert mit den Menschen dem Erzbistum Hamburg, zum Abschluss der Wallfahrt.

Doch inwiefern ist dieser Raum heilig? Was bewundern wir und ehren wir? Das Gebäude? Die Menschen? Die Feier? Das, was in mir drin geschieht?

Kirchen sind heraus gehobene Orte, sie sind Freiräume des Gebets und der Nähe Gottes. In gewisser Weise sind sie heilige Orte. Sie unterscheiden Sie sich von der Welt, sie sind sakrale Räume, abgegrenzt vom Profanen. Da latscht nicht jeder einfach so durch den Altarraum. Doch inwiefern sind Kirchen heilige Orte? Inwiefern ist die Lateranbasilika, deren Weihetag wir heute feiern, ein heiliger Ort? 

Kirchen sind keine Tempel! Ein Tempel ist eine Kultstätte, ein abgegrenzter, heiliger Raum, der nur bestimmten Personen vorbehalten ist.

Im Judentum gab es nur einen Tempel, und zwar in Jerusalem. Dort wurde das Allerheiligste aufbewahrt, zudem nur die Priester und nur einmal im Jahr Zugang hatten, dort war die Gegenwart Gottes, dort wurden die Opfer dargebracht. 

Der Prophet Ezechiel sieht in einer Vision den Tempel als heiligen Ort der Gegenwart Gottes. Er kritisiert das Verhalten der Könige Israels, die Unzucht betrieben, d.h. falschen Götzen anhingen. Er sieht deshalb in einer Vision einen neuen Tempel, der nicht mehr neben dem Königspalast steht, sondern auf dem Tempelberg. In ihm zieht die Herrlichkeit Gottes ein. Er bekommt genaue Angaben für den Bau des Tempels, und verkündet: Gott wird für immer dort wohnen. 

Aus diesem Tempel, von der Tempelquelle auf dem Tempelberg, wird dann Wasser fließen, so haben wir es in der Lesung gehört (Ezechiel 47). Es fließt nach Osten und Süden, d.h. in die Wüste hinein. Es fließt in die Araber hinab, d.h. in das Jordantal, und es macht das Tote Meer gesund und heil.

„Wohin der Fluss gelangt, da werden alle Lebewesen, alles, was sich regt, leben können. Und sehr viele Fische wird es dort geben. Weil dieses Wasser dorthin kommt, werden sie gesund. Wohin der Fluss kommt, dort bleibt alles am Leben.“ (Ez 47, 9) Vom Tempel geht Leben aus.

Jesus hat nicht nur den Missbrauch des Tempels in Jerusalem kritisiert, er hat nicht nur die Händler und Geldwechsler vertrieben. Er hat auch den Tempel als Institution kritisiert. Wenn wir im Johannes-Evangelium lesen: „Er meinte den Tempel seines Leibes.“ (Johannes 2,21), dann ist darin eine sehr grundsätzliche Tempelkritik offenkundig. Auch wenn er selbst zum Tempel ging: Jesus sieht die Gegenwart Gottes in seinem eigenen Leben. Sein Leben ist heilig, von Gottes Liebe erfüllt.

Die Christen glauben: seine Hingabe am Kreuz hat die Opfer des Tempels ein für alle Mal erfüllt. Er hat uns den Weg zu Gott eröffnet. Als er starb, riss der Vorhang des Tempels entzwei. Von nun an braucht es keinen Tempel mehr! Denn Gottes Tempel ist Jesus Christus, und in seiner Nachfolge sind es alle Christen. 

So kann Paulus schreiben: „Wisst ihr nicht, dass ihr der Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1Kor3, 16)

Die Kirche, also die Gemeinschaft der Glaubenden, die zum Herrn gehören (kyriake), die Herausgerufen sind, die heilige Versammlung (ekklesia), sie sind der Tempel Gottes! Nicht die Kirche als Bau ist der Tempel, sondern die Menschen!

Bedeutet das nun, dass es keine heiligen Orte ergeben soll, dass wir keine Kirchen als Orte mehr brauchen, dass es nur funktionale Versammlungsraum geben soll, wie wir es bei den Freikirchen sehen?

Das würde bedeuten, dass Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn es hilft uns Menschen, es hilft der Gemeinschaft der Kirche, sich ihrer heiligen Berufung zu erinnern, wenn wir uns in heiligen Räumen versammeln. Es hilft uns, im Leben Raum für Gott zu schaffen, wenn es einen Ort gibt, der für den Gottesdienst reserviert ist. Es hilft uns Menschen, uns an unsere ursprüngliche Heiligkeit zu erinnern. Es hilft uns, die Schönheit des Lebens zu feiern, Gott zu danken und ihn zu loben

Dom kommt vom lateinischen „domus“. Das bedeutet Haus. Es ist das Haus Gottes. Eigentlich braucht Gott ein solches Haus nicht, um bei uns Menschen zu sein, um mitten unter uns zu wohnen, aber es tut uns gut, einen solchen Ort zu haben, wo wir ihm nahekommen können. Die vielen Gotteshäuser inmitten unserer Welt erinnern uns an den Namen Gottes: „Ich bin da“ - ich bin mit euch und für euch da!

Vor einer Woche ging ein Lied aus Hamburg viral, das mit einem Video aus dem Miniatur Wunderland pfiffig inszeniert wurde: Bildschirm-Blick.

«Ich scroll' durch mein Leben, verpasse den Tag. Meine Freunde im Kreis, doch jeder starrt ins Glas. Wir posten Gefühle mit Filter und Glanz. Doch reden? Digga, keine Chance!». 

Kirchen erinnern uns daran, den Blick zu heben. Wie ein Zeigefinger steht der Kirchturm und weist auf den Himmel hin. Wie ein Vorgeschmack auf den Himmel ist die Schönheit mancher Kirchen. 


Sonntag, 5. Oktober 2025

Hochstapler?


Predigt 27C (ursprünglich französisch), Hamburg 2025

Les: Hab 1, 2–3; 2, 2–4; 2 Tim 1, 6–8.13–14; Lk 17, 5–10

Kennen Sie das Imposter-Syndrom? Ich hoffe, Sie kennen es nicht! Menschen, die unter dem Imposter-Syndrom leiden, zweifeln an den eigenen Fähigkeiten und der eigenen Leistung.

Diese Menschen leben oft in einer höheren sozialen Schicht, sie sind erfolgreich, aber sie sind überhaupt nicht zufrieden, sie sind nicht glücklich oder dankbar für ihren Erfolg, weil sie tief im Herzen glauben, dass der Erfolg nicht echt ist.

Sie lehnen daher mehr oder weniger systematisch das Verdienst ihrer Arbeit ab und schreiben den Erfolg ihrer Unternehmungen äußeren Faktoren zu, wie Glück, Beziehungen oder besonderen Umständen.

In manchen Fällen kann eine betroffene Person sich sogar als eine Art Betrüger oder Hochstapler sehen, der seine Kollegen, Freunde und Vorgesetzten täuscht und erwartet, eines Tages entlarvt zu werden.

Die Psychologie gibt Tipps, um Selbstzweifel abzubauen (vgl. Barmer)

  • Erfolge und Fähigkeiten schriftlich festhalten
  • Herausforderungen trotz der Ängste annehmen
  • mit anderen reden und andere Meinungen einholen
  • Komplimente annehmen und einfach mal „Danke“ sagen

Das ist sicherlich sinnvoll als erste Hilfe. Doch Woher kommt dieser Zweifel? Warum fällt es Menschen so schwer, die Selbstwahrnehmung mit der Wahrnehmung anderer zu vereinbaren?

Es handelt sich um ein komplexes Phänomen und es mag viele Ursachen geben, aber ich denke, die Wurzel des Problems liegt darin, zu akzeptieren, ein Mensch zu sein und nicht Gott. Ich bin ein Mensch, mit meinen Talenten und Stärken, meinen Schwächen und Fehlern. Indem ich akzeptiere, dass Gott Gott ist, kann ich als Mensch leben.

Ich muss nicht ständig gelobt werden, denn ich lebe nicht von der Anerkennung anderer. Ich lebe, weil Gott es gewollt hat und weil er mich liebt. Ich habe eine unveräußerliche Würde als Kind Gottes, egal ob ich Erfolg habe oder nicht. Ich muss keine Angst haben, Fehler zu machen, denn Gott kommt mir entgegen und vergibt mir immer, wenn ich mich ihm zuwende. Er zeigt mir den Weg. Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.

Ja, unser Selbstvertrauen und unser Glaube an diese Liebe Gottes sind manchmal sehr schwach. Und dann können wir mit den Aposteln bitten: „Stärke unseren Glauben!“ (vgl. Lk 17,5) Es wird wichtig sein, anzuerkennen, dass wir Diener sind, wir müssen unsere Aufgaben erfüllen. Wir sind nicht die Herren der Welt oder der Menschen.

Für mich ist das Beispiel dieser demütigen Liebe der heilige Franziskus von Assisi, der am 3. Oktober 1226 gestorben ist. Er lebte „die Weisheit eines Armen“ (vgl. Buch von Eligius Leclerc).

Er lebte nicht, um von den Menschen geliebt und beklatscht zu werden, sondern er lebte in Armut aus Liebe zu Gott und gab diese Liebe an alle seine Nächsten weiter. Er lebte in Armut, damit er in keiner Weise auf sich selbst zählen konnte, sondern alles von Gott erwartete. Er lebte arm, weil es für ihn der Weg war, aus Gottes Reichtum, aus seiner Barmherzigkeit zu schöpfen.

Das ist das Geheimnis des Glaubens: Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen Gott und uns. Wir sind nicht auf Augenhöhe. Und doch ist er gekommen, um uns zu suchen. Gleichheit und Solidarität können trösten und stärken. Aber sich daran zu erinnern, dass Gott viel größer ist als wir und daher viel mehr Macht und Möglichkeiten hat, kann ebenso stärkend sein (vgl. Mauritius Wilde, CiG 40/2025, S.1)

Zu verstehen, dass Gott sich weder manipulieren noch beanspruchen lässt, kann uns aus unserem engen Horizont herausholen. Das erinnert mich an die Worte eines geistlichen Liedes: „Leben wie Christus, immer der Liebe hingegeben, um seinen Lebensweg in Vertrauen, Kraft und Lobpreis zu gehen.“ Das Lob Gottes macht uns frei!

 

Dienstag, 30. September 2025

Zeitfenster

 Predigt 26. Sonntag im Jahreskreis C, Hamburg | Manresa 2025

„Das Fest der Faulenzer ist vorbei!“ Die Lesung aus dem Buch des Propheten Amos überliefert uns eine prophetische Mahnung. Wer sind die „Faulenzer“, von denen Amos spricht? Bei uns werden so nicht selten die Migranten und die Bürgergeld-Empfänger bezeichnet. Bei Amos sind die Reichen gemeint, die Sorglosen und die Selbstsicheren in Samaria, d.h. der reichen Oberschicht in der Hauptstadt des Nordreiches Israel. 

Amos wendet sich hin zum Königspalast, wo die Bewohner in Luxus schwelgen, während andere im Land schuften und in Armut leben. Er klagt nicht nur die Vergötzung des Reichtums an. Er zeigt die Gewissenlosigkeit derer, die Verantwortung tragen. Denn die Schere zwischen Arm und Reich wird im Land immer größer. Den Reichen wird die Verbannung als Strafe angedroht. Von der Form her ist sie Gerichtsandrohung, vom Inhalt her Totenklage über Israel! 

Seine Anklage ist begründet und konkret:

  • Betten aus Elfenbein, d.h. aus den Stoßzähnen Elefanten, sind ein übertriebener Luxus. 
  • Herumliegen und Faulenzen ist nicht das, was man von der Führungsschicht erwarten sollte. 
  • Lämmer aus der Herde zu holen, ist genau das, was ein guter Hirt nicht macht. Die Lämmer sind das Zukunftskapital, das nicht einfach zur eigenen Lust verbraucht werden darf. 
  • Mastkälber sind geplanter Vorrat durch das Jahr, nicht einfach zum beliebigen Verzehr bestimmt. 
  • Grölen ist der Gesang der Betrunkenen, die sich selbst nicht mehr kontrollieren können. 
  • Der Wunsch, wie der große König David zu sein, zeigt, dass die Angesprochenen jedes Maß an gesunder Selbsteinschätzung verloren haben. 
  • Den Wein aus Opferschalen zu trinken ist nicht nur Völlerei, sondern auch eine Verunglimpfung des Kults. 
  • Das Salben mit Öl dient der eigenen Schönheit.

Amos wendet sich an Menschen, die vor allem den eigenen Vorteil im Blick haben, die sich selbst groß machen, indem sie andere hassen, die Mauern und Paläste bauen, statt Brücken zu errichten, die Macht zelebrieren und willkürlich als Methode einsetzen, die sich als Elite sehen, aber in Wirklichkeit den Untergang herbeiführen. Ist das alles so weit weg?

Ich finde es bemerkenswert, dass in den vergangenen Tagen, nach der Ermordung von Charlie Kirk, mehrere deutsche Bischöfe und Verantwortliche verschiedener Couleur in der Kirche in Deutschland die Trauerfeier für Kirk und die menschenverachtende und willkürliche Politik von Präsident Trump insgesamt kritisiert haben, u.a. Stefan Oster. https://katholisch.de/artikel/64541-bischof-oster-ruegt-trumps-auftritt-bei-trauerfeier-fuer-charlie-kirk Ähnlich Klaus Mertes: https://www.katholisch.de/artikel/64590-jesuit-mertes-kritisiert-kirk-trauerfeier-als-anmassende-veranstaltung

„Ihr, die ihr den Tag des Unheils hinausschieben wollt, führt die Herrschaft der Gewalt dabei.“ (Am 6,3), so heißt es im Kontext dieser Stelle. Amos erwartet nicht, dass er mit seinen Gegenpredigten den Verblendeten die Augen öffnen kann. Doch er hofft wohl auch, „dass das absehbare Desaster nicht zu viele Unschuldige mit in den Abgrund reißt.“ 

*

Im Lukas-Evangelium hörten wir eine Beispiel-Geschichte von einem reichen Mann, dessen Namen nicht genannt wird, und von dem armen Lazarus.

Der Reiche kleidete sich stets mit einem Purpurumhang, wie in Könige tragen, und einer Tunika aus Byssus, feines Leinen oder vielleicht sogar Muschelseide, die aus Ägypten oder Indien importiert wurde. Er gab sich den Freuden des Lebens hin. So ein richtiger Hedonist. Der Arme ist dagegen nicht nur arm, hingeworfen vor die Türe, sondern auch noch krank. Von seiner Kleidung wird nicht geredet. Er ist wohl nackt und hat Geschwüre, die sich durch den Kontakt mit den Straßenkötern weiter entzünden. 

Lazarus wird von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Abraham ist der Vater der Glaubenden und der Beschützer der Gerechten. In Abrahams Schoß zu sein, ist ein jüdisches Bild für die Nähe und Verbundenheit mit Abraham beim messianischen Mahl.

Und dann ist da im Jenseits vom tiefen, unüberwindlichen Abgrund die Rede (Lk 16, 26) zwischen dem Reichen, der in der Unterwelt ist, und Abraham, der in Lazarus Schoß ruht. Über diesen Abgrund kann niemand gelangen, selbst wenn er wollte. 

Dieser Abgrund, diese Kluft ist nicht erst im Himmel entstanden, sondern sie ist schon zu Lebzeiten entstanden. Denn es ist nicht nur die Armut der Armen, die allen Reichtum fragwürdig macht. Die Gefahr, in der der Reiche lebt, besteht schon zu Lebzeiten darin, dass der Reiche nichts anderes mehr sehen kann als seinen Reichtum. Die Kluft entsteht schon hier. Polarisierung gibt es schon hier.

Der Unterschied zum Jenseits ist dann: Die Kluft wird unüberwindlich. Das Schicksal lässt sich dann nicht mehr ändern. 

Auch Jesus findet also – wie Amos – zu einer prophetischen Kritik des Reichtums, von der besonders der Evangelist Lukas Zeugnis gibt. Und er mahnt uns, das „Zeitfenster“, das wir in diesem Leben haben, zu nutzen, um diese Kluft zu überwinden, um hinüberzugelangen.

Nichts, dass wir alle arm werden sollen. Sondern wir sollen darauf achten, dass nicht für den Reichtum Gottes, für seine Liebe und seinen Trost, in unserem Leben kein Raum mehr ist.

Es geht um den wahren Reichtum, um das, was uns wirklich reich bzw. arm macht – in diesem Leben und in dem anderen. So wie es der hl. Basilius, Bischof von Cäsarea in Kappadokien, im 4. Jahrhundert konkret und geistlich zugleich formulierte.

„Dem Hungrigen gehört das Brot, das du zurückhältst, dem Nackten das Kleidungsstück, das du im Schrank verwahrst, dem Barfüßigen der Schuh, der bei dir vergammelt, dem Bedürftigen das Silber, das du vergraben hast. Aber du bist mürrisch und unzugänglich, du gehst jeder Begegnung mit einem Armen aus dem Weg, damit du nicht genötigt wirst, auch nur ein Weniges abzugeben. Du kennst nur die eine Rede: Ich habe nichts und kann nichts geben, denn ich bin arm. Ja, arm bist du wirklich: arm an Liebe, arm an Gottesglauben, arm an ewiger Hoffnung.“ (Basilius von Cäsarea, 4. Jh.)

Was macht uns wirklich reich? Welche Haltung braucht es? Und welche konkreten Taten? „Jesus Christus, der reich war, wurde aus Liebe arm. Und durch seine Armut hat er uns reich gemacht.“ (vgl. 2 Kor 8,9)

Es geht nicht darum, „Alarm“ zu schreiben. Es geht nicht darum, die Kluft zu vergrößern, aber es geht darum, auf das „Zeitfenster“ aufmerksam zu machen, das wir haben. Auf die Entscheidung, in die hinein wir gestellt sind und auf das Vertrauen, dass für jene, die an Gott glauben und danach handeln, wahres Leben in Fülle verheißen ist.


Montag, 22. September 2025

Rettung und Erlösung


Predigt 25. Sonntag im Jahreskreis C, Hamburg | Manresa

Les: Am 8,4-7; 1Tim 2,1-8; Lk 16,1-13

Vor einigen Wochen kam abends, nach der Maresa Messe, eine Frau zu mir. Wir standen noch auf dem Kirchplatz, bei Manresa-Night, mit einem Getränk zusammen. Sie sprach mich an, ob ich mit ihr beten würde. Sie habe es leider nicht zur Messe geschafft. So habe ich die Kirche noch einmal aufgeschlossen und wir haben dort am Taufbecken gebetet. Sie war deutlich, im Gesicht, von einer schweren Krankheit gezeichnet. 

Zunächst haben wir in Stille gebetet und dann laut gemeinsam das Vaterunser. An einer Stelle setzte sie aus: „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Das betete sie nicht mit. Ich habe sie dann gefragt, warum sie das ausgelassen habe. Sie sagte, das könne sie nicht beten, denn es sei so schwer, den Menschen zu vergeben, die ihr schweres Leid und Unrecht zugefügt hätten. Und sie verstehe nicht, warum sie erst anderen vergeben müsse, damit Gott ihr vergebe. Ich war vollkommen erstaunt. Offensichtlich gab es ein Missverständnis. Sie hat das Gebet so verstanden: in dem Maß, wie wir unseren Schuldigern vergeben, vergibt uns auch Gott.

Das steht da nicht. Und das ist auch nicht so gemeint. Es war allerdings schon das zweite Mal, dass ich diesem Missverständnis innerhalb von kurzer Zeit begegnet bin, deshalb erwähne ich es hier. 

„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ meint: in dem Maß, wie wir von Gott unsere Schuld vergeben bekommen haben, sollen wir auch anderen, die an uns schuldig geworden sind, vergeben. Also: zuerst ist die Erfahrung der Vergebung durch Gott, der uns entgegenkommt, wie der barmherzige Vater seinem Sohn, bedingungslos und mit offenen Armen. Danach und aus dieser Erfahrung der unbedingten und unwiderruflichen Liebe Gottes mögen auch wir die Kraft und den Mut erhalten, anderen zu vergeben. Das Leistungsdenken: „hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“ hat im christlichen Glauben keinen Anhaltspunkt. Wir erlösen uns nicht selbst, sondern bekommen Erlösung und Rettung von Gott geschenkt. Gott streicht die Schuld auf unserem Schuldschein aus, noch bevor wir das bei anderen tun!

*

Ein anderes Missverständnis in den Gebetstexten, mit dem ich vor kurzem konfrontiert wurde: im Hochgebet der Messe heißt es beim Gedenken an die Verstorbenen: „Gedenke unserer Brüder und Schwestern, die entschlafen sind in der Hoffnung, dass sie auferstehen. Nimm sie und alle, die in deiner Gnade aus dieser Welt geschieden sind, in dein Reich auf.“ (Hochgebet II)

Ein junger Mann fragte mich, wer dort gemeint sei, bei diesen Menschen, die „in Gottes Gnade entschlafen sind“. Ob das eine bestimmte, auserwählte Gruppe sei?

Er las diesen Text als eine Einschränkung. Es gibt jene, die an Jesus Christus glauben, die getauft sind, die in der Gemeinschaft der Kirche leben und mit der Hoffnung, dass sie auferstehen. Sie werden als „Schwestern und Brüder“ bezeichnet. Und dann gibt es jene, die in der Gnade Gottes aus dieser Welt geschieden sind. Das ist aber keine Einschränkung, sondern eine Ausweitung!

Denn wer sind jene, die in der Gnade Gottes leben? Das sind doch alle Menschen! So haben wir es heute in der zweiten Lesung aus dem ersten Brief an Timotheus gehört.: „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“ (1Tim 2,4)

Es gibt die Freiheit bei Menschen, dieses Angebot des Heils durch Gott abzulehnen. Aber grundsätzlich gilt die Gnade Gottes allen Menschen! Alle sollen gerettet werden! (vgl. Tit 2,11: die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten.)

*

Damit sind wir mitten in der Dynamik der heutigen zweiten Lesung aus dem ersten Brief an Timotheus. Dort geht es um eine „lehrhafte Darlegung von der Rettung aller durch das Trauen in Christus.“ (Baumert, S. 21). Das Trauen Gottes ist das große Thema in diesem Brief, in seiner doppelten Bedeutung: dass Gott den Menschen traut und dass die Menschen Gott trauen. Nicht nur vertrauen, sondern auch ihm etwas zutrauen, - weil Gott selbst sein Vertrauen in die Menschen setzt, seine Gnade und Zuwendung schenkt und dem Menschen etwas zutraut: yes, you can!

„Vertrauenswürdig ist die Botschaft!“, so setzt dieser Briefabschnitt ein, und es geht darum, dass Timotheus und seine Gemeinde aufgefordert werden, um günstige Voraussetzungen für die Annahme von der Rettung aller Menschen zu bitten. Durch Bitte, Lob, Fürbitte und Dank als den vier Formen des Gebets für alle Menschen, besonders für jene, die Verantwortung tragen für die Lebensumstände, unter denen die Gemeinde lebt. Ja, alle sollen gerettet werden und zu Erkenntnis der Wahrheit gelangen (wörtlich: „Wahrheit zu-erkennen“). 

Die Begründung, warum alle Menschen gerettet werden, ist eine dreifache:

  • Es gibt nur einen Gott. D.h. dieser Gott ist ein Gott für alle Menschen.
  • Es gibt nur einen Mittler von Gott zu den Menschen, nämlich Jesus Christus, der sich persönlich eingesetzt hatte, gleichsam als Heilmittel für alle.
  • Es gibt das Zeugnis, in diesem Fall des Paulus, mit seinen eigentümlichen Effekten und Wirkungen, je neu.

„Es geht um den Aufweis, dass die vertrauenswürdige Botschaft von der Rettung aller universale Wirkung hat.“ (Baumert, S. 15). Und eben nicht eingeschränkt wird durch gewisse identitäre Bewegungen und Ansichten.

*

Erlösung und Rettung sind große Worte, und die Übersetzung vom Lösegeld, die wir aus der Einheitsübersetzung (EÜ) gehört haben, führt in die falsche Richtung.

„Christus macht sich nicht zum Lösegeld, das etwa dem Tod oder irgendwelchen Mächten, die den Menschen gefangen halten, bezahlt würde. Erst recht nicht ist an eine Bezahlung unserer Schulden an Gott gedacht, wie wenn Gott unversöhnlich wäre und von seinem Sohn besänftigt werden müsste! Vielmehr geht die Initiative zur Erlösung ja gerade von Gott aus, der einen Mittler geschickt hat, der sich persönlich engagiert und sich den Menschen als Helfer zugewandt hat. […] Wenn der Retter-Gott einen Mittler schickt, um die Menschen aus der Bindung an die Sünde zu lösen, so verkauft er den Mittler nicht an den Tod, sondern steht dieser ganz im Dienst der Lebensvermittlung an die im Tod befangene Menschheit. [Es ist …] Jesu Einsatz gemeint, mit dem er sich in seinem irdischen Leben jeweils den betreffenden Menschen zuwandte, nicht nur punktuell sein Kreuz am Tod oder seine Zuwendung im Sterben. Dies ist immer eine Einladung, als Angebot an die Menschen, selbstverständlich nicht über ihre Köpfe hinweg, sondern in Einbeziehung ihrer Freiheit.“ (Baumert, S. 25)

Dieses Heils-Handeln Gottes, geschieht durch das Zeugnis, immer wieder neu mit seinen eigentümlichen Wirkungen und Effekten, wenn es verkündet wird. Dafür sind wir heute Abend zusammengekommen! 


Literatur: Nobert Baumert / Maria-Irma Seewann, Hirte der Hirten. Übersetzung und Auslegung der Briefe an Timotheus und an Titus, Würzburg (echter) 2019.


Montag, 15. September 2025

Allein, wir sind allein

Brustkreuz von Papst JP II


Kreuzerhöhung - Sonntag, 14.9.2025, Predigt | Hamburg, Manresa

Les: Num 21,4-9; Phil 2, 6–11; Joh 3,13-17

„Die Kreuzwege des Lebens gehen wir immer ganz allein“, so singt Reinhard Mey, der Singer-Songwriter aus der Generation meiner Eltern, den ich als Jugendlicher gerne gehört habe. Ich habe seine Lieder auf der Gitarre nachgespielt. „Über den Wolken“ wird vielen von Ihnen noch vertraut sein. Das Lied „Allein“ aus seinem Album „Farben“ von 1990 ist wohl weniger bekannt. Darin blickt er zurück auf sein Leben, mit Dankbarkeit für Freundschaften und Zuneigung, für gemeinsame Erlebnisse. Und doch erkennt er schmerzlich, dass immer in den besonderen, und intensiven Momenten des Lebens die Einsamkeit an die Türe klopft.

„Allein, wir sind allein“, so heißt es im Refrain, „wir kommen, und wir gehen ganz allein. Wir mögen noch so sehr geliebt, von Zuneigung umgeben sein: die Kreuzwege des Lebens gehen wir immer ganz allein.“

Was sind diese Kreuzwege? Mey beschreibt sie in den Strophen kurz und nachvollziehbar: als kleiner Junge auf dem Schulhof, der wegen seines Aussehens und seiner Noten gemobbt wird; als mutiger Anführer einer politischen Bewegung, bei der sich viele dann im entscheidenden Moment verdünnisieren; als erfolgreicher Musiker, den alle feiern und der am Ende doch nur ein Teil der Musikindustrie ist; als Mensch, der gute Gefährten verliert, und Krankheit und Leid und Tod erfährt.

„Allein, wir sind allein. Wir kommen, und wir gehen ganz allein. Wir mögen noch so sehr geliebt, von Zuneigung umgeben sein: die Kreuzwege des Lebens gehen wir immer ganz allein.“

„Kreuzwege des Lebens“ kennt jede und jeder. Wir erfahren Sie alle in bestimmten Momenten unseres Lebens. Und dann stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen. Reinhard Mey kann bei aller Dankbarkeit für das Leben dem Kreuz letztlich keine positive Seite abgewinnen. Das Kreuz bleibt das Zeichen für Leid, für Gewalt und Grausamkeit, die Jesus erlitten hat. Am Ende bleibt nur die Einsicht, dass der Tod zum Leben gehört. Und eben auch die Einsamkeit des Menschen.

Anders klingt das Lied Nummer 275 aus dem Gotteslob, das Bernhard Schellenberger in den siebziger Jahren als Hymnus für das Stundengebet komponiert hat. Auch dieses Lied spricht von Einsamkeit und Kreuz, aber es stimmt eine ganz andere Tonart an:

„Selig, wem Christus auf dem Weg begegnet, um ihn zu rufen, alles zu verlassen, sein Kreuz zu tragen und in seiner Kirche für ihn zu wirken.“

Diese Verse beschreiben den Trost und das Glück, das sich einstellt, wenn ein Mensch in Leid und Einsamkeit, die Nähe des Auferstandenen erlebt, unterwegs, auf dem Weg. Und dann einen Ruf, einen dreifachen Anruf hört: alles zu verlassen, das Kreuz zu tragen und in der Kirche für ihn zu wirken. Ist es das eigene Kreuz, das ertragen soll oder das Kreuz Christi? Das bleibt an dieser Stelle offen.

Die Kreuzwege sind real, das Leid ist nicht einfach weg, und doch bleibt in dieser Wüstenerfahrung von Einsamkeit und Lebensverlust eine stärkende Kraft, die durch die Gegenwart Christi geschenkt wird. „Christus schenkt ihm (diesem Menschen) durch Leiden Anteil an der Freude.“ Das ist das Geheimnis des Kreuzes, das so schwer zu begreifen ist und das oft so missverstanden wird.

Das Kreuz ist, für sich gesehen, ein Zeichen des Todes. Es ist ein grausames Folterinstrument der römischen Machthaber gewesen, deswegen seiner Unmenschlichkeit nicht für römische Bürger verwendet werden durfte. Es ist ein Zeichen der Gewalt, die Menschen anderen Menschen antun. Es ist ein Zeichen der Unterdrückung und des Hasses.

In dem Moment jedoch, wo ein Mensch auf Hass und Gewalt nicht mit Rache und Vergeltung reagiert, sondern voller Liebe und Vergebung diese Folter erduldet, durchbricht er den Kreislauf des Todes. Und wenn dieser Mensch im Frieden und dem Namen Gottes handelt, wenn er Sünden vergibt und Heilung schenkt, wenn in seinem Handeln Gott selbst gegenwärtig wird, und wenn Menschen ihn bekennen als den Sohn Gottes, dann leuchtet in seinem Sterben die Liebe Gottes auf, die stärker ist als der Tod.

Der römische Hauptmann, der sah, auf welche Weise Jesus am Kreuz starb, nämlich voller Frieden und mit den Worten: „Vater, vergib ihnen …“, dieser Hauptmann bekennt noch im selben Moment ergriffen und erschüttert: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!“ (Mk 15,39)

Nicht das Kreuz an sich ist das Zeichen des Lebens, sondern durch den Tod Jesu wird das Kreuz zum Zeichen des Lebens, zum großen Pluszeichen unseres Lebens!

Einsamkeit, Leid, Krankheit, Gewalt und Hass bleiben bestehen, aber durch diese Liebe erscheinen sie für den, dem Christus begegnet und der sich in seine Nachfolger rufen lässt, in einem anderen Licht. Einfach deshalb, weil er nicht allein ist auf dem Kreuzweg seines Lebens. Weil er einen Sinn im Leid erkennt, nämlich darin die Liebe zu leben. Das ist das Geheimnis des Kreuzes.

Der heilige Ignatius hat mit seinen Gefährten vor bald 500 Jahren eine neue Gemeinschaft gegründet, um Jesus nachzufolgen. Zunächst wollte er sie „Gesellschaft Mariens“ nennen, weil Maria mit ihrem Ja zu ihrer Berufung, mit ihrem Vertrauen auf Gott und mit der Mitwirkung am Geschenk des Lebens auf besondere Weise Gottes Willen in dieser Welt gelebt habt.

Im Ringen mit den Gefährten um die Art und Weise, den Orden zu gründen, zu sammeln, und gemeinsam auf die Weise der Apostel zu leben, hat sich ihm dann mehr und mehr der Name „Gesellschaft Jesu“ nahe gelegt. Doch Ignatius wusste lange nicht, ob das wirklich der Name sein sollte und ob er mit seinen Satzungen (Konstitutionen) auf dem richtigen Weg sei. Er hat trotz der Gefährten viel Einsamkeit und Angst in dieser Zeit erlebt. Und auf dem Weg nach Rom, wenige Meilen vor der Stadt, hatte er dann in einer Kapelle bei La Storta eine Vision, die er als Bestätigung Gottes angenommen hat. Er sah den kreuztragenden Christus und fühlte sich an seine Seite gestellt. Das war seine Berufung!

Später hörte er auch eine Stimme, die zu Jesus sagte: „Ich will, dass du diesen (gemeint ist Ignatius) zu deinem Diener annimmst.“ Und wie als Antwort den Satz Jesu an ihn selbst: „Ich will, dass du uns dienst.“ Mit Jesus sein, mit dem kreuztragenden Jesus sein, das ist die Freude und die Hoffnung und die Liebe seines Lebens!

„Selig, wem Christus auf dem Weg begegnet, um ihn zu rufen, alles zu verlassen, sein Kreuz zu tragen und in seiner Kirche für ihn zu wirken.“ Amen.