Montag, 18. November 2024

Auf der Bühne, vor dem Vorhang


Predigt Manresa, Hamburg 2024 - Dreiunddreißigster Sonntag B

Les: Dan 12,1-3; Hebr 10,11-14.18; Mk 13,23-32

In diesen Tagen geschehen auf der großen politischen Bühne viele Veränderungen, die ich nicht verstehe und nicht durchschauen kann. In Amerika wird ein Präsident gewählt, obwohl viele Intellektuelle und Manager vor ihm warnen. In Deutschland zerbricht die bisherige Regierung und es soll bald neu gewählt werden, obwohl vieles noch zu entscheiden ist in diesem Jahr. In Baku tagt die Weltklimakonferenz zum 29. Mal, obwohl nicht klar ist, welche Folgen die internationalen Entscheidungen überhaupt haben. Wer hat mit wem telefoniert? Ich weiß es nicht.

Dieser Eindruck, dass ich vieles, was auf der politischen Bühne läuft, nicht verstehe und durchschaue, kann zu unterschiedlichen Reaktionen führen. 

1/ Entweder ich bekomme Angst und sehe in all den Krisenmeldungen die Zeichen einer anbrechenden Katastrophe. Es wird alles immer schlimmer, besonders die Erderwärmung ist nicht zu stoppen. Einige spielen mit dieser Angst, wie der neue „Klimathriller“ von Dirk Rossmann und Ralf Hoppe. Doch viele verfallen in Depression, weil man mit Angst nicht gut leben kann: Öko-Angst („eco-anxiety“) ist inzwischen eine anerkannte Krankheit bei jungen Menschen.

2/ Oder ich wende mich einfach ab. Die Nachrichten interessieren mich nicht mehr. Ich kümmere mich um mein eigenes Glück und flüchte in den Konsum oder in den Genuss, und versuche darin Sinn und Erfüllung zu finden.

3/ Es gibt noch eine dritte Variante. Ich erkenne, dass das, was wir sehen, nur ein Teil der Wirklichkeit ist, dass es noch etwas anderes gibt. Dass wir etwas erahnen können, was doch ganz wesentlich unsere Zukunft bestimmt. 

Und ich meine bei dieser dritten Variante jetzt nicht die globalen Verschwörungstheorien, wonach irgendeine geheime Organisation ein weltweiten Plan mit uns verfolgt. Das ist absurd! Oder vielleicht genauer: die Verschwörungstheorien sind die Fehl-Formen einer Sichtweise, die uns tatsächlich helfen könnte. Nämlich einer gläubigen Sicht der Hoffnung!

In der Bibel ist diese Sichtweise überliefert und sie wird Apokalyptik genannt. Wir haben heute in den Lesungen gleich zwei solche apokalyptischen Texte gehört. Apokalyptik meint, dem Wort Sinn nach „Enthüllung“. Diese Schriften offenbaren, was vorher verborgen war. Es geht um Geheimnisse, die erst am Ende der Zeit für alle sichtbar werden, die aber jetzt schon von Bedeutung sind, trotz der immer schwieriger werdenden Situation, in der das Heil sich scheinbar weiter entfernt.

a/ Die erste Lesung ist aus dem Buch Daniel. Das Daniel-Buch wurde in der Zeit der Verfolgung der Juden durch den syrischen Herrscher Antiochos Epiphanes im zweiten Jahrhundert v. Chr. geschrieben. Es behauptet: Das, was die Leser bzw. Hörer im Moment erleben und in noch viel schlimmeren Ausmaß zu erwarten haben, ist nur die eine Seite. Es ist das, was auf der Bühne vor dem Vorhang geschieht: eine Zeit der Not, wie noch keine war. 

Auf der anderen Seite der Bühne jedoch geschieht etwas, das erst später offensichtlich wird: die Rettung des Volkes. Und zwar von jedem, der jetzt schon im „Buch des Lebens“ verzeichnet ist. Mit dieser Rettung geschieht auch Gerechtigkeit, denn es gibt eine Auferstehung von Toten. Gott wird Leben schaffen, wo es im irdischen Sinn keine Gerechtigkeit gab. Das Kriterium ist die Verständigkeit und die Suche nach Gerechtigkeit, jetzt und hier!

Die Pointe ist also: es gibt eine Heilsgeschichte, in die hinein wir verwoben sind; und zwar nicht nur zurück in die Vergangenheit, sondern auch voraus in die Zukunft.

b/ Ebenso gehört das Evangelium zu dieser Form von apokalyptischen Texten, denn es nutzt die Unterscheidung von dem, was man auf der Bühne vor dem Vorhang sieht und was dahinter geschieht. Vorne ist es finster: „In jenen Tagen wird die Sonne verfinstert werden, und der Mond wird nicht mehr scheinen.“ Doch verheißen wird das Licht, das die Wolken durchbricht; und eine weltweite Sammlung der Auserwählten geschieht durch die Engel.

Schon jetzt gibt es Anzeichen dieses neuen Lebens und deshalb braucht es das entsprechende Verhalten von uns. Jesus macht es durch das Gleichnis mit dem Feigenbaum deutlich: Die Zweige und die Blätter am Feigenbaum deuten auf etwas hin, dass man noch nicht sehen kann, und was doch schon verborgen da ist, das Leben in diesem Baum! 

Wie schwer fällt es uns bei all den Kriegen der Dunkelheit und der Gewalt in dieser Welt, diese Zeichen zu sehen und zu erkennen und zu deuten. Doch im Glauben wissen wir, weil wir selbst Teil einer Heilsgeschichte sind, dass nicht nur die Vergangenheit von Gott hier geheilt wird, weil Gott das Leben von Anfang an gewollt hat, sondern dass Gott auch auf Zukunft hin Leben schafft, weil er eben die Auserwählten sammeln und retten wird.

Das bedeutet nicht, dass es die Klimakatastrophe nicht gibt oder dass sie keine Bedeutung für uns hat. Es bedeutet auch nicht, dass uns die Kriege nicht betreffen und wir uns nicht für Frieden einsetzen sollen. Aber es bedeutet, dass Klimakatastrophe und Krieg nicht alles ist, was unser Leben bestimmt.

Jedes Mal, wenn wir her Eucharistie feiern, geschieht diese Offenbarung einer anderen Wirklichkeit. Brot und Wein der Liebe und Hingabe Jesu sind Zeichen dieses neuen Lebens, das in dieser Welt schon verborgen gegenwärtig ist. Wir brauchen keine Angst mehr zu haben! 

Mit Jesus Christus wird der Vorhang im Tempel zerrissen. Wir sehen auf eine neue Weise, dass wir Teil einer großen Geschichte sind, mit Christus und mit anderen verbunden. Die Zeiten kennen wir nicht genau, aber die Zeichen erkennen wir deutlich und wir erwarten, dass es einen Sinn gibt für unser Leben und für das der anderen Menschen. Amen.


Donnerstag, 7. November 2024

Mit dem ganzen Herzen



Predigt B31 Manresa 2024 (Les: Dtn 6, 2-6; Hebr 7,23-28; Mk 12,28b-34)

Es gibt nach meiner Erfahrung drei Missverständnisse, die häufig den lebendigen Glauben und die erfüllende christliche Beziehung zu Gott und der Welt verhindern.

1/ Der Glaube wird als eine Reihe von Glaubenssätzen angesehen, als Regeln und Dogmen, die man als Christ zu akzeptieren hat, auch wenn man sie nicht versteht. Es ist die Vorstellung, dass der Glaube gegen das Wissen steht bzw. nichts mit der Vernunft bzw. mit dem Denken zu tun hat. „Man muss in der Kirche den Verstand an der Garderobe abgeben“ – so befürchten manche oder leben es so.

2/ Der Glaube wird als ein reiner Kult angesehen, als eine Form von einem religiösem „Extra“ am Sonntag, das mit meinem Leben in Beruf und Alltag im Grunde nichts zu tun hat. Vielleicht betrifft der Glaube noch die eigene Ernährung oder Sexualität, aber in meiner Tagesgestaltung oder in meinem Verhalten gegenüber anderen ist Religion doch Privatsache – so sagen manche oder leben es so.

3/ Der Glauben wird als ein Gefühl angesehen, als das ein Wohlfühlfaktor im Leben, als eine Form von innerem Empfinden; und wenn ich keine besondere Erleuchtung habe, dann glaube ich nicht richtig – so denken manche oder leben es so.

Die Botschaft, die Jesus uns heute im Evangelium wieder in Erinnerung ruft: Gott ist einer! Und der Mensch ist einer! Der Menschen ist Leib und Seele, Denken und Fühlen. Ganzheitliches Denken ist nicht eine Erfindung von new age, sondern sehr biblisch! Der Mensch lebt vielleicht in unterschiedlichen Zusammenhängen, aber er lebt nicht zerstückelt, atomisiert in unterschiedliche Lebenswelten, sondern am Ende hat das ganze einen Sinn und eine Richtung – oder nicht.

Und deshalb ist Religion nicht eine feine, aber überflüssige Zutat zum Leben, das Sahnehäubchen der Wohlfühl-Oase, sondern entweder ist der Glaube etwas, das meinen Sonntag und meinen Alltag bestimmt – oder er ist am Ende hohl.

*

Heute erzählen uns die Lesungen vom ersten aller Gebote, dem wichtigsten für unser Leben mit Gott und den Menschen. Und vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass wir es dreimal gehört haben, jedes Mal auf eine andere Art und Weise, mit einer etwas anderen Formulierung.

In der ersten Lesung (Buch Dtn 6,4-5): „Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig (einer!). Darum sollst du den HERRN, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“

Im Evangelium (Mk 12,29-30) aus dem Mund Jesu: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft.“ - Jesus variiert etwas. Er fügt das Denken hinzu, das mit dem Verstand durchdringen, eigentlich das Nachdenken. Die Exegeten verweisen dabei auf den Zusammenhang mit der Frage nach dem Gesetz bzw. den Geboten. Diese Formulierung könnte sich [weil sie sich so ähnlich schon in der Geschichte um König Joschija (2Kön 23, 25) findet, der das ganze Gesetz zu halten geboten hat] auf das Nachdenken über das Gesetz beziehen.

Und schließlich im Evangelium im Mund des Schriftgelehrten (Mk 12, 32-33): „Gott allein ist der Herr und es gibt keinen anderen außer ihm und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer.“ Dort ist der opferkritische Aspekt hinzugefügt.

Im Wesentlichen jedoch wiederholen alle drei Texte den einen Gedanken über das wichtigste Gebot der Gottesliebe und der Nächstenliebe: Dass die Liebe geschieht mit dem Herzen, mit der Seele, mit dem Denken und Handeln.

Ich merke mir das angedeutet in den vier „Ebenen“ des Menschen. Die Seele sitzt nach hebräischer Vorstellung in der Kehle, dort wo wir den Atem empfangen, wo wir verletzlich sind, wo wir mit unserer Stimme antworten: Herz – Kehle – Kopf - Hände

Gerade hat Papst Franziskus eine neue Enzyklika veröffentlicht „über die menschliche und göttliche Liebe des Herzens Jesu Christi“, in der er im ersten Kapitel zunächst einmal die Frage stellt: Was meinen wir, wenn wir vom Herzen sprechen. Denn es ist ja nicht allein das medizinische Organ, um das es hier im Glauben geht. Es geht um das seelische und geistige Zentrum der Person, wo Denken und Fühlen zusammenkommen.

Er schreibt (DN 2): „Um die Liebe Christi auszudrücken wird oft das Symbol des Herzens verwendet. Manche fragen sich, ob es heute noch eine gültige Bedeutung besitzt. Aber wenn wir versucht sind, uns an der Oberfläche zu bewegen, in Hektik zu leben, ohne letztendlich zu wissen, wozu, wenn wir Gefahr laufen, zu unersättlichen Konsumenten werden, zu Sklaven eines Marktsystems, das sich nicht für den Sinn unseres Lebens interessiert, dann tut es not, die Bedeutung des Herzens wieder neu zu entdecken.“

https://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/20241024-enciclica-dilexit-nos.html

Wenn jemand mich fragt, warum ich Jesuit geworden bin, dann antworte ich meist, dass es wegen der Geistlichen Übungen, der Exerzitien sei, die ich bei den Jesuiten kennen gelernt habe. Tatsächlich hat erst diese Gebetsform für mich einen Weg eröffnet, dass ich meine Gedanken und Gefühle, meine inneren Bewegungen und Vorstellungen irgendwie in einen Kontakt bringen konnte.

Ich habe einerseits viel nachgedacht, Physik, Philosophie und Theologie studiert, habe andererseits Meditation geübt und so gebetet; hatte viele Wünsche und Sehnsüchte und Ideale und andererseits eine wache Wahrnehmung von der Welt und von dem, was alles nicht gut ist. Und erst in dem Moment, wo alles das in mir, in eine Beziehung kommen konnte, wo es miteinander da sein durfte und Raum bekam, nicht verdrängt wurde, aber an seinem Platz im Orchester mitspielen durfte, da konnte ich wirklich Entscheidungen treffen.

Sie kennen wahrscheinlich den Pixar-Film „Alles steht Kopf!“ (engl. inside out), wo von einem Mädchen erzählt wird, das mit seiner Familie umzieht – und dann im Film das gezeigt wird, was innen geschieht – im Herzen, in der Seele, im Denken und in all ihrer Kraft. Wie da die verschiedenen Gefühle und Grunderfahrungen, wie Ressourcen und Stimmungen, wie Gedanken und Ideale und alles das miteinander streiten – und wer dann in welchen Situationen bestimmt. Ein wunderbarer Film.

Gott ist einer! Und der Mensch ist einer! Und am Ende werden wir auf die Liebe mehr antworten können, wenn wir das Herz als den Ort unserer Mitte wiederentdecken – weil wir geliebt sind. Daran mag uns das Herz Jesu erinnern, als das Symbol und Zeichen der unwiderruflich für den Menschen entschiedenen Liebe Gottes zu uns Menschen, die uns im Leben und Sterben und in der Auferstehung Christi begegnet ist. Das feiern wir, wenn wir Eucharistie feiern. Amen.

Montag, 30. September 2024

Skandale

Predigt 26 So im Jahreskreis B – Manresa, 29.9.2024

Les: Num 11,25-29; Jak 5,1-6; Mk 9,38-49

"Hör auf deine Hände und sie werden Dich glücklich machen." – so lese ich auf einem Plakat eines bekannten Baumarkts. Im Evangelium lese ich das Gegenteil: "Wenn deine Hand dir Ärgernis gibt, dann hau sie ab!" (Mk 9) Was ist denn nun richtig?

Es ist ein merkwürdiger Evangeliums-Text, den wir gerade gehört haben, indem verschiedene Lehraussagen Jesu aneinandergereiht wurden. Doch ergibt sich nicht gerade in dieser Zusammenstellung durch Markus ein neuer Sinn für uns? Es sind drei Abschnitte, drei Zurechtweisungen, und sie haben alle mit einer Haltung zu tun, die im Glauben wesentlich ist.

1/ Der erste Abschnitt handelt von der Begegnung der Jünger mit einem Wundertäter, der nicht zur Gruppe von Jesus und seinen Jüngern gehört, aber im Namen Jesu Dämonen austreibt - und dies offenbar erfolgreich. Die Jünger halten das für „spirituelle Aneignung“ und versuchen, ihn daran zu hindern. Doch Jesus weist sie zurecht: „Hindert ihn nicht!“. Der Meister ist tolerant und gechillt. Schon allein aus Nützlichkeitserwägungen versucht er, sie zu bremsen. Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden! Ein ganz moderner Jesus, als wollte er sagen: Seid freigiebig! Lasst es zu! Übergebt es dem Wirken Gottes. Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden.

2/ Der zweite Abschnitt, der zunächst ja auch einladend und tolerant beginnt, weist darauf hin, dass die im Verborgenen geübte Nächstenliebe an den Mitchristen das Entscheidende ist, konkret: dem anderen einen Becher Wasser zu geben. Doch über das Stichwort der „Bedürftigkeit“ der Kleinen wird die Rede plötzlich zu einer Warnung vor der Verführung zum Bösen. Es geht um „die Kleinen, die glauben“. Sind damit Kinder gemeint? Oder neu im Glauben stehende Menschen? Oder die Gläubigen insgesamt? Es gibt dazu unterschiedliche Interpretationen. Klar ist jedoch, wovor gewarnt wird: vor dem „Ärgernis geben“, griechisch skandalon, also eigentlich „Glaubensabfall verursachen“. Es wird davor gewarnt, einen Skandal zu verursachen, so dass andere den Glauben verlieren bzw. aus der Gemeinschaft der Glaubenden hinausgedrängt werden. Gewarnt wird vor einem unglaubwürdigen Verhalten von Christen. 

Eine Aktualisierung für heute fällt nicht schwer. Der sexuelle Missbrauch in der Kirche, die Verbrechen von Amtsträgern, die Privilegien, die Ehrsucht und das Machtgehabe: Immer, wenn das Verhalten von Christen dazu führt, dass Menschen am Glauben verzweifeln und aus der Kirche austreten, handelt es sich theologisch gesprochen um einen Skandal. Wer so etwas verursacht, „für den wäre es besser“, so heißt es, „wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde“. Diese Todesstrafe war bei den Juden nicht üblich, aber ich glaube, jeder kann sich vorstellen, was damit gemeint ist.

3/ Und schließlich der dritte Abschnitt: eine Warnung vor der Verführung zum Bösen durch sich selbst. Hier geht es nicht um andere, die Ärgernis geben oder Skandal beziehungsweise Glaubensabfall verursachen, sondern da geht es um mein eigenes Verhalten, das dazu führen kann, dass ich den Glauben an die Güte und die Allmacht Gottes verliere. Haben Sie diesen Gedanken schon einmal gehabt? Markus gibt drei konkrete Beispiele

a/ Wenn deine Hand dir Ärgernis gibt. Die Hand steht symbolisch für das Handeln der Menschen. Wenn ich stehle, wenn ich schlage, wenn ich anderen den Hals umdrehe und ihnen die Luft zum Atmen nehme, immer dann wird dieses Handeln, das nicht nach Gottes Willen ist, dazu führen, dass mein Glaube rebelliert. Soll ich dann lieber den Glauben verlieren oder lieber das Handeln radikal ändern?

b/ Wenn dir dein Fuß Ärgernis gibt. Der Fuß steht das für das Verhalten der Menschen. Wenn ich andere trete oder wenn ich den Konflikten meines Lebens aus dem Weg gehe, wenn ich vor Problemen weglaufe, wenn ich nicht den Weg in die Kirche finde, sondern lieber in die Kneipe gehe, immer dann, wenn mein Verhalten nicht nach Gottes Willen ist: Sollte ich dann lieber Gott aus dem Weg gehen oder einfach mal vor ihm stehen bleiben?

c/ Das dritte Beispiel ist das Auge. Das ist ein wohl zu uns heute sprechendes Bild. Auch wir sagen heute noch: „jemand hat begierige Blicke“. Wenn wir Angst haben, dass wir im Leben zu kurz kommen, dann schauen wir auf alles und jedes mit Neid und Missgunst. Wenn wir nur darauf achten, dass wir unsere Begierden und Wünsche befriedigt bekommen, dann „mästen“ wir unsere Herzen (Jak 5), statt nach Gerechtigkeit zu suchen. Und dann wird diese Haltung, dieser Blick auf die Welt, mit der Zeit auch unseren Glauben skandalisieren. Werde ich dann den Glauben aufgeben oder diese Haltung aufgeben? 

Gerade diese Haltung, die Angst um mich selbst, verhindert das Vertrauen in Gott! Kann ich loslassen und mich öffnen? Wir hören im Evangelium drastische Worte, die uns warnen sollen. Letztlich geht es um eine Einladung zum wirklichen, ernsthaften und beständigen Glauben.

Der heilige Ignatius gibt als Hinweis für das Vorbereitungsgebet in den Exerzitien den Hinweis: „von Gott unserem Herrn die Gnade erbitten dazu hin, dass alle meine Absichten, Handlungen und Beschäftigungen rein im Dienst und in der Verherrlichung Seiner Göttlichen Majestät geordnet seien.“ (EB 46). Denn er hat in seinem Leben mehr und mehr entdeckt, was wirklich „Glaube“ bedeutet: ein Vertrauen auf die Führung durch Gottes guten Geist. Und er hat erfahren, dass es Handlungen, Verhalten und Haltungen gibt, die den Glauben töten, und solche, die ihn fördern.

Es ist heute, in einem oft ungläubigen Umfeld, sicher nicht leicht, den Glauben zu leben. Der Heilige Geist möge Sie im Glauben stärken, dass Sie tolerant mit anderen umgehen, sorgsam den Glauben in der Kirche schützen und das eigene Verhalten, die eigenen Handlungen und Ihre Haltung immer wieder prüfen, ob sie der Beziehung, die Gott durch Jesus Christus mit Ihnen begonnen hat und vertieft, entspricht. Amen.


Sonntag, 22. September 2024

Gastfreundschaft



Predigt 25. Sonntag im Jahreskreis B | Hamburg 22.9.2024

Les: Weish 2,1.12.17-21; Jak 3,16-4,3; Mk 9,30-37

Vorletzte Woche war ich mit einer Pilgergruppe in Schweden: 26 Personen, eine Woche mit dem Bus, unterwegs an schönen Orten, auf den Spuren des heiligen Ansgar und der heiligen Birgitta, die für den christlichen Glauben im Norden eine besondere Bedeutung haben. Es waren intensive und gesegnete Tage mit vielen Begegnungen mit den Ordensgemeinschaften bzw. mit den Gemeinden vor Ort. Denn das Ziel der Reise war es, nicht nur historische Sehenswürdigkeiten zu erkunden, sondern auch das Leben der katholischen Kirche in Schweden heute kennen zu lernen. So haben wir unterwegs immer wieder Menschen getroffen, die uns von ihrem Glauben, ihren Fragen, Sorgen und Nöten und vor allem von ihrer Hoffnung berichtet haben: In Lund trafen wir einen GCL-er und eine Dominikanerin, in Vadstena eine Birgittin, in Stockholm und in Uppsala die Jesuiten, in Södertälje einen chaldäischen Bischof und in Linköping einen schwedischen Diakon mit seiner Frau. 

Zwei Dinge sind uns bei der ganzen Reise immer wieder besonders aufgefallen:

1/ Es ist eine kleine Kirche. Offiziell sind 1,8 % der Schweden Mitglied der katholischen Kirche, d.h. es gibt in ganz Schweden weniger Katholiken als in der Stadt Hamburg. Nach der Reformation war es dort verboten, katholisch zu sein. Das öffentliche Bekenntnis wurde bestraft, bis hin zur Todesstrafe. Im 19. Jahrhundert gab es offiziell eine erste katholische Gemeinde, erst seit 1951 gibt es in Schweden Religionsfreiheit. Seit 2001 gibt es keine Staatskirche mehr, d.h. die Schweden sind seitdem nicht mehr automatisch Mitglied der lutherischen schwedischen Kirche. So bedeutet Religionsfreiheit bis heute für die meisten Menschen in Schweden, die Freiheit von der Religion, d.h. man muss nicht unbedingt gläubig sein. Nur wenige sehen die positive Seite der Religionsfreiheit für die Religion, nämlich die Möglichkeit die eigene Religion frei leben zu dürfen.

Die Kirche lebt vom Engagement und von der Hoffnung der Menschen. Es gibt außer den Priestern und Ordensleuten quasi keine Hauptamtlichen. Die finanzielle Unterstützung durch die deutsche Kirche und insbesondere das Bonifatiuswerk wurde uns gegenüber immer wieder hervorgehoben. In der schwedischen Gesellschaft wird die katholische Kirche kaum wahrgenommen, sie ist eher arm und wirkt fremd und exotisch. Gleichzeitig bietet sie für jene, die suchen, ein anspruchsvolles und gutes Angebot, die Gemeinden wachsen, es gibt insbesondere aus der Schicht der schwedischen Intellektuellen viele Konvertiten. Sogar einige evangelische Ordensgemeinschaften sind übergetreten. Das birgt viele Fragen und Herausforderungen, macht zugleich aber deutlich, wie sehr die katholische Tradition geschätzt wird, selbst wenn die Kirche klein und oft sehr fragil ist.

2/ Wir haben zweites eine große Gastfreundschaft erlebt. Wir wurden von Menschen aus den Gemeinden und Gemeinschaften erwartet und empfangen. Türen haben sich geöffnet, und jedes Mal gab es Kaffee und Zimtschnecken und eine schlichte Herzlichkeit. Viel beeindruckender jedoch finde ich die Gastfreundschaft gegenüber den Migranten. Schweden hat eine große Zahl von Irakern aufgenommen, später auch Syrer und Afghanen. Und von den Irakern sind viele chalädisch-katholische Christen. Sie feiern ihre Gottesdienste in den römisch-katholischen Gemeinden. Auch da gibt es manchmal Spannungen, aber insgesamt ist das bewundernswert, welche Gastfreundschaft die Schweden insgesamt und besonders die katholischen Gemeinden leben.

Warum erzähle ich Ihnen das? Weil es wesentlich mit dem heutigen Evangelium nach Markus zu tun hat. Dort geht es um zwei entscheidende Haltungen, die den Jüngern Jesu in der Nachfolge vorgestellt werden: Demut und Gastfreundschaft.

Jesus möchte seinen Jüngern unterwegs etwas mitgeben, nicht einfach nur eine Info mitteilen, was in den nächsten Wochen geschehen wird, sondern er möchte sie unterweisen, er möchte sie seine Sicht der Dinge lehren. Sie verstehen es leider nicht, trauen sich aber auch nicht, ihn zu fragen. 

Und das genau ist das Problem: sie sind nicht bereit zu fragen oder zu bitten. Sie meinen, sie könnten alles allein. Sie denken, sie sind die Größten. Sie sind mächtig. Sie sind wichtig. Und genau das ist nicht der Weg Jesu! Sondern den Jüngern ist ein Schatz „in zerbrechlichen Gefäßen“ (2Kor 4) anvertraut. Jüngerinnen und Jünger Jesu wagen zu fragen und zu bitten, Gott und den Nächsten, denn sie sind sich ihrer Verletzlichkeit bewusst. Nicht die Größe ist entscheidend, sondern die Demut, d.h. der Mut zu dienen und seine eigene Bedürftigkeit nicht zu verbergen: so wie ein Kind. Klein sein dürfen, d.h. nicht sich klein machen oder sich minderwertig fühlen, sondern die eigene Verletzlichkeit annehmen und nicht auf Macht und Stärke und Größe zu setzen, sondern auf Liebe und Wahrhaftigkeit.

Und die andere Haltung, die für Jesus entscheidend ist: die Gastfreundschaft! “Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ (Mk 9,37) Gastfreundschaft um Jesu willen: weil deine Freunde, Jesus, auch meine Freunde sind!

Gastfreundschaft ist mühsam: sich bereithalten, etwas vorbereiten und einkaufen, Zeit und Raum öffnen, auf anderes verzichten. Aber sie ist in besonderer Weise bereichernd, weil sie Begegnung ermöglicht, die nicht von Gewinn und Nützlichkeit bestimmt ist, und weil sie einen Vorgeschmack gibt auf das himmlische Fest, bei dem wir alle Gäste des Ewigen sein werden.

Demut und Gastfreundschaft, das sind zwei Haltungen für Jüngerinnen und Jünger Jesu, die auch oder vielleicht gerade in einer säkularisierten Gesellschaft angebracht sind, in der die Polarisierungen zunehmen: Ob mit Zimtschnecken oder ohne!


Montag, 2. September 2024

Vertrauen

Bild: https://www.ersilias.com/benjamin-gonzalez-buelta/


Statt einer Predigt am Sonntag, 1.9.24 - 22. Sonntag im Jahreskreis B

Les: Dtn 4, 1–2.6–8; Jak 1, 17–18.21b–22.27; Mk 7, 1–8.14–15.21–23


Vertrauen auf den Herrn (Ps 40,5)


Wer seine Sicherheit darauf setzt,

die Gesetze zu erfüllen, 

hat sich selbst einem Meister hingegeben,

kalt und unpersönlich, 

der unsere Komplexität straft 

wie ein Messerstich.


Wer seinen Wert darauf setzt, 

von anderen Anerkennung zu finden,

hat sich selbst den vielen Meistern hingegeben, 

die nicht zu ihm gehören, 

die ihn loben oder ihn verdammen, 

nach Lust und Laune.


Wer sein Selbstwertgefühl darauf setzt,

die eigenen Ziele zu erreichen, die er sich gibt, 

vertraut sich den dunklen Kräften an, 

die uns bewegen, aus unseren eigenen Schatten heraus.


Wer sein Vertrauen auf den Herrn setzt, 

der hat sich dem persönlichen Geheimnis hingegeben, 

das uns annimmt in unserer oft so mehrdeutigen Komplexität,

das uns wertschätzt mit einer Liebe, die immun ist gegen Enttäuschungen, 

das uns befreit von unserem dunklen Selbst,

indem es uns anbietet, kreativ seinen Plan für uns zu entwerfen,

und das eint, was durch Begrenzungen kaputt ist,

in die Gemeinschaft 

seiner unendlichen Umarmung.


(Benjamín González Buelta SJ, Confianza en el Señor; Übersetzung: Christian Modemann SJ)

Montag, 19. August 2024

Quelle des Lebens

Bild: Arseny Togulev auf unsplash

Predigt 20. Sonntag im Jahreskreis B | Hamburg

Les: Spr 9,1-6; Eph 5,15-20; Joh 6,51-58 - Exerzitien

Vergangene Woche war ich mit einer Gruppe von Menschen in Exerzitien. Es waren schöne und intensive Tage. Mit Dankbarkeit möchte ich Ihnen heute etwas davon erzählen, denn ich nehme an, dass es den einen oder die andere interessiert, was überhaupt Exerzitien sind und worum es dabei geht. Und wie nebenbei erschließen sich vielleicht die Lesungstexte des heutigen Sonntags etwas mehr.

Schon allein der Name klingt schwierig und kompliziert: „Ignatianische Exerzitien“. Wir sind schon länger auf der Suche nach einem neuen Namen für dieses Angebot der Gottsuche, für die Weise des Betens in der Tradition des Ignatius von Loyola, aber wir haben bisher noch nichts Passendes gefunden. Die Engländer sagen „retreat“ und betonen die Auszeit in einer geschützten Umgebung. Es sind Besinnungstage in einer speziellen Weise, nämlich der eigenen Übung und des Ausprobierens.

Wie joggen, Rad fahren oder schwimmen körperliche Übungen sind, so gibt es auch verschiedene Arten, die Seele achtsamer zu lassen und die inneren Dinge zu ordnen. Dabei hilft das Gebet, das Schweigen, die Ausrichtung auf Gott, einzelne Impulse und Anleitungen. Kurz: es ist wie beim Sport. Man muss es ausprobieren, um zu sehen, was hilft, was für mich passt, und wie es wirkt. Und das eben nicht nur einmal, sondern wiederholt. Nur dann merkt man die Wirkung.

Für viele ist dabei das durchgängige Schweigen zunächst die größte Herausforderung. Den ganzen Tag nicht reden?! Das Schweigen ist eine Reduktion, die vieles andere erst ermöglicht: Die vielen Geräusche um mich herum und in mir wahrzunehmen, die Gedanken, Gefühle und Träume zu ordnen, bei sich selbst bleiben zu können und sich nicht mit den Problemen von anderen zu beschäftigen. Es geht darum, in die Konzentration und in die Kraft zu finden, das Vertrauen einzuüben.

Man kann Exerzitien in einem begrenzten Rahmen auch im Alltag machen, in der gewohnten Umgebung und mit den Pflichten und Sorgen des täglichen Lebens. Eine Auszeit mit Schweigen und mit einer Tagesstruktur, die ein gemeinsames Morgenlob, eine gemeinsame Feier der Eucharistie und vier persönliche Gebetszeiten am Tag ermöglicht, ist selbstverständlich nur in einem Haus und mit der Sorge und Unterstützung von anderen möglich. 

Inhaltlich geht es darum, sich neu auf Gott auszurichten, in Gottes Licht das eigene Leben anzuschauen und in allem ihn zu suchen und zu finden. Exerzitien können dabei helfen, eine Entscheidung vorzubereiten, Übergänge zu gestalten oder sich auf einen neuen Lebensabschnitt einzustellen. Sie können aber auch einfach dazu helfen, neu den Sinn und den Geschmack des Lebens zu finden und im vielerlei der Sorgen und Nöte eine Orientierung.

Gottes Licht in das eigene Leben scheinen zu lassen, meint zunächst einmal: mit Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit wahrzunehmen, was ich geschenkt bekommen habe, was gut ist, wofür ich dankbar bin. Und es bedeutet, sich zu öffnen für das Wort Gottes, die Zuwendung durch die biblischen Texte bzw. durch Jesus selbst, der mich persönlich in meiner Lebenssituation anspricht. Je mehr ich diesem Gott vertraue, umso leichter kann ich mich innerlich loslassen und mich mit meinen Absichten, Handlungen und Betätigungen, mit meinen Gedanken und Gefühlen ihm anvertrauen. In unserem Alltag sind wir oft zu viel im Kopf, in den Gedanken. Jetzt geschieht es vielleicht, dass wir auch die Gefühle annehmen können, auf das Herz hören, den ganzen Menschen wahrnehmen.

Die Exerzitien diesmal standen unter dem Psalmwort: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens.“ (Ps 36). Die eigenen Ressourcen spielen im Leben eine große Rolle und darauf zu achten, sich daran zu orientieren, was ich habe und was ich gut kann, ist oft eine große Hilfe. Gleichzeitig bleibt im Glauben die Einladung, egal welche Ressourcen ich habe, immer wieder zur Quelle selbst zu gehen und daraus zu schöpfen. Die Texte des heutigen Sonntags höre ich wie eine große Einladung an sie alle, das einmal auszuprobieren.

1/ In der ersten Lesung die Einladung der Weisheit in die Stadtburg, gerade an die unerfahrenen und unwissenden, zu einem Festmahl: sich geistlich näheren zu lassen und Einsicht zu gewinnen.

2/ In der zweiten Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Ephesus, die Mahnung, das Leben klug zu führen, die Zeit zu nutzen und den Willen Gottes zu suchen. „Lasst euch vom Geist erfüllen!“ Was gibt es Schöneres, um ins Leben zu finden, als sich von Gottes Geist erfüllen zu lassen?!

3/ Und im Evangelium schließlich die Frage bzw. der Streit darüber, ob und wie Jesus das Brot des Lebens für die seinen ist, wie er sein Fleisch geben kann. „Das Wort ist Fleisch geworden“: das meint für den Evangelisten Johannes, dass Gott uns in Jesus Christus, in unserer Geschichte, d.h. ganz konkret und menschlich, in Fleisch und Blut, nahe gekommen ist. Glaube das ist nicht irgendeine Idee oder Fantasie, sondern das hat etwas mit der Geschichte hier auf der Erde zu tun, mit unserem Miteinander, mit unserem Alltag. Exerzitien wollen dabei helfen, dass das Wort Fleisch werden kann, d.h. dass mein Glaube und mein Leben zusammenfinden, dass der ganze Mensch Christ wird und nicht nur ein frommer Teil, dass der Glaube lebendig wird in der Beziehung zu Jesus.

Für den Evangelisten Johannes ist klar, dass dieses auf besondere, sakramentale Weise in der Eucharistiefeier am Sonntag geschieht, wenn wir seinen Leib und sein Blut empfangen. Aber er sagt das eben nicht explizit, weil es um eine geistliche Deutung geht, um einen lebendigen Glauben an seine Gegenwart, nicht um einen magischen Glauben. Exerzitien können dazu helfen, Glauben und Leben miteinander zu verbinden. Davon konnte ich mich letzte Woche einmal mehr überzeugen lassen.

Pater Görtz hat mit dem Gemeindeteam eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um im nächsten Jahr „Exerzitien in der Stadt“ anzubieten, d.h. hier vor Ort in Hamburg und ohne große Häuser, aber doch mit der Motivation, eine persönliche Suche durch Übungen und Gebet anzuleiten. Bitten wir den Herrn, dass diese Initiative Frucht bringen möge und dass Menschen, den Mut finden im Gebet und in den Übungen den Herrn zu suchen und zu finden. 

„Geistliche Übungen anzubieten bedeutet, zu einer Gotteserfahrung einzuladen, zu einer Erfahrung seiner Liebe und seiner Schönheit. Wer die Exerzitien authentisch erlebt, erfährt die Anziehungskraft, die Faszination Gottes und kehrt erneuert, verwandelt in das Alltagsleben, in seinen Dienst, in die alltäglichen Beziehungen zurück und bringt den Wohlgeruch Christi mit. Die Menschen unserer Zeit brauchen die Begegnung mit Gott und eine Kenntnis nicht nur vom Hörensagen.“ (Papst Franziskus, 3.3.2014)


Montag, 12. August 2024

So I'm here today because God kept me

Predigt Neunzehnter Sonntag im Jahreskreis B 2024 | Hamburg

Les: 1 Kön 19,4-8; Eph 4,30-5,2; Joh 6,41-51

Yemisi Ogunleye, 2024

Die Goldmedaillengewinnerin im Kugelstoßen, Yemisi Ogunleye gab auf der Pressekonferenz nach ihrem Olympiasieg am Samstagabend eine Kostprobe ihrer Gesangsfähigkeiten. Der Song heißt "I almost let go". "Ich hätte beinahe hingeschmissen." Sie habe diesen Song gesungen, nachdem sie beim ersten Versuch gestürzt war. Das habe ihr Kraft gegeben, erklärte die 25-Jährige. Ogunleye hat glücklicherweise nicht aufgegeben, weder nach dem Sturz im Finale, noch nach zwei Kreuzbandrissen als Nachwuchstalent. Der Kehrvers lautet: „So I'm here today because God kept me. I'm alive today only because of His grace. Oh, He kept me, God kept me. He kept me, God kept me.“

Im heutigen Evangelium, einem Abschnitt aus der so genannten Brot-Rede in der Synagoge von Kafarnaum, in der sich Jesus vor seinem Volk offenbart, in der er zum ersten Mal öffentlich nach dem Zeichen der Brotvermehrung und dem Seewandel, seine Botschaft und seine Sendung darlegt, spricht Jesus von seiner Sendung vom Vater. Er sagt, dass seine Liebe lebensnotwendig ist für die Menschen, wie das Brot vom Himmel in der Wüste, das die Israeliten gegessen haben. Denn er schenkt das wahre, das ewige Leben: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot ist, wird in Ewigkeit leben.“ (Joh 6,51)

Aber wie kommen die Menschen dazu, an ihn zu glauben? Warum wollen Menschen dieses Brot empfangen? Warum wollen sie seine Botschaft hören? Warum bekehren sich Menschen? Was ist ihre Motivation, an Jesus zu glauben und ihm nachzufolgen? Ist es die Suche nach Wahrheit? Oder der Wunsch nach Leben? Hat es mit einer Hoffnung zu tun, oder eher mit Liebe? Geht es darum, die christlichen Werte zu leben oder zu einer Gemeinschaft zu gehören?

In der Brot-Rede gibt Jesus einen Hinweis darauf, dass für ihn der Glaube alles andere als selbstverständlich ist: „Niemand wird zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht.“ (Joh 6,41) 

Der Glaube, das wird in diesen Texten angedeutet, ist nicht in erster Linie eine freie Entscheidung des Menschen, sondern die Initiative geht von Gott aus, der zieht. Ist das unfair? Es ist jedenfalls eine Spannung in dem Text, auf die ich Sie hinweisen möchte. 

Das alte Wort dafür ist Gnade. Der Glaube als ein unverfügbares Geschenk. Schon die Vorbereitung des Menschen auf den Empfang der Gnade ist ein Werk der Gnade (KKK 2001) Der heilige Augustinus sagt: „Gott beginnt, in dem er bewirkt, dass wir wollen. Er vollendet, indem er mit unserem schon bekehrten Wollen mitwirkt.“

Wir sind fähig und frei, eine Antwort, auf das Handeln Gottes zu geben. Wir können ihn erkennen, unser Herz und unser Leben für ihn öffnen, das Leben empfangen, dass er in Jesus Christus schenkt. Er selbst hat die Sehnsucht nach dem wahren und guten Leben in uns hinein gelegt, und er bewirkt bzw. ermöglicht durch seine Gnade, dass wir auf ihn hören können: vor aller Leistungen trotz aller Schuld. Der Glaube ist also das Zuvorkommen Gottes und unsere freie Antwort darauf.

Wenn unser Glaube ein Geschenk ist, dass liegt es letztlich nicht in unserer Hand, ob andere Menschen glauben. Wie die heilige Bernadette Soubirous nach ihrer Vision in Lourdes dem zuständigen Bischof von Tarbes sagte: „Ich bin damit beauftragt worden, es Ihnen zu sagen, nicht, Sie davon zu überzeugen (bzw. wörtlich „de vous faire croire“: ihnen den Glauben daran zu vermitteln)!“

Der freie Wille des Menschen gehört dazu. Der Akt des Glaubens ist eine bewusste Entscheidung und damit abhängig von der menschlichen Mitwirkung, wie etwa einer richtigen und vernünftigen Unterweisung. Auch eine Reform der Kirche, die Beseitigung von Missständen und sündigen Gewohnheiten, die falsche Ansichten aufkommen lassen, kann dazu helfen, aber sie wird nicht automatisch gedankenlose Christen in „geistliche“ Katholiken verwandeln. Der Kern bzw. das Lebendige der Kirche ist die unergründlichen Beziehung zwischen Gott und seinen Erwählten.

Was bedeutet das nun für uns? Drei Punkte

1/ Wenn wir einen lebendigen Glauben in uns haben, wenn wir zu Gott beten können und in Jesus Christus einen Sinn und eine Orientierung für unser Leben sehen, dann dürfen wir Gott jeden Tag und aus ganzem Herzen danken, dass er uns dieses „Lebensmittel“ geschenkt hat. Das ist alles andere als selbstverständlich!

2/ Wenn wir uns manchmal geistlich ausgetrocknet fühlen, wie abgeschnitten von der Liebe Gottes, dann können wir mit unserer Sehnsucht nach Glaube, Liebe, Hoffnung versuchen, mehr auf Gott zu hören, uns zu ihm zu bekehren, seine Wahrheit zu sehen. Und darum beten, dass er uns anrühre wie Elija in der Wüste, dass in uns die Gnade der Berufung erneuere. „Machen“ können wir’s nicht, aber achtsam sein darauf und zustimmen, unsere Antwort geben, aus freiem Willen und mit den notwendigen Konsequenzen: aufzustehen und weiterzugehen!

3/ Schließlich sollten nie über einen anderen Menschen urteilen, nicht mal über uns selbst, ob wir das Geschenk des Glaubens endgültig empfangen haben oder nicht. Ob Sie oder Sie oder Sie oder ich in Gottes Gnade stehen oder nicht. Die Gnade ist übernatürlich, sie entzieht sich unsere Erfahrung, sie ist nicht allein in Gefühlen oder in Werten zu fassen. „An den Früchten wird man sie erkennen.“, sagt Jesus: an unserem Lebensstil. Das Verhalten eines Menschen können wir beurteilen, wie sehr er von Gott geliebt ist, ist das sein Geheimnis bzw. das Geheimnis Gottes, der diesem konkreten Menschen jetzt und hier das Leben schenkt, das Leben hier auf Erden und das ewige Leben. Amen.