Predigt Manresa, Hamburg 2024 - Dreiunddreißigster Sonntag B
Les: Dan 12,1-3; Hebr 10,11-14.18; Mk 13,23-32
In diesen Tagen geschehen auf der großen politischen Bühne viele Veränderungen, die ich nicht verstehe und nicht durchschauen kann. In Amerika wird ein Präsident gewählt, obwohl viele Intellektuelle und Manager vor ihm warnen. In Deutschland zerbricht die bisherige Regierung und es soll bald neu gewählt werden, obwohl vieles noch zu entscheiden ist in diesem Jahr. In Baku tagt die Weltklimakonferenz zum 29. Mal, obwohl nicht klar ist, welche Folgen die internationalen Entscheidungen überhaupt haben. Wer hat mit wem telefoniert? Ich weiß es nicht.
Dieser Eindruck, dass ich vieles, was auf der politischen Bühne läuft, nicht verstehe und durchschaue, kann zu unterschiedlichen Reaktionen führen.
1/ Entweder ich bekomme Angst und sehe in all den Krisenmeldungen die Zeichen einer anbrechenden Katastrophe. Es wird alles immer schlimmer, besonders die Erderwärmung ist nicht zu stoppen. Einige spielen mit dieser Angst, wie der neue „Klimathriller“ von Dirk Rossmann und Ralf Hoppe. Doch viele verfallen in Depression, weil man mit Angst nicht gut leben kann: Öko-Angst („eco-anxiety“) ist inzwischen eine anerkannte Krankheit bei jungen Menschen.
2/ Oder ich wende mich einfach ab. Die Nachrichten interessieren mich nicht mehr. Ich kümmere mich um mein eigenes Glück und flüchte in den Konsum oder in den Genuss, und versuche darin Sinn und Erfüllung zu finden.
3/ Es gibt noch eine dritte Variante. Ich erkenne, dass das, was wir sehen, nur ein Teil der Wirklichkeit ist, dass es noch etwas anderes gibt. Dass wir etwas erahnen können, was doch ganz wesentlich unsere Zukunft bestimmt.
Und ich meine bei dieser dritten Variante jetzt nicht die globalen Verschwörungstheorien, wonach irgendeine geheime Organisation ein weltweiten Plan mit uns verfolgt. Das ist absurd! Oder vielleicht genauer: die Verschwörungstheorien sind die Fehl-Formen einer Sichtweise, die uns tatsächlich helfen könnte. Nämlich einer gläubigen Sicht der Hoffnung!
In der Bibel ist diese Sichtweise überliefert und sie wird Apokalyptik genannt. Wir haben heute in den Lesungen gleich zwei solche apokalyptischen Texte gehört. Apokalyptik meint, dem Wort Sinn nach „Enthüllung“. Diese Schriften offenbaren, was vorher verborgen war. Es geht um Geheimnisse, die erst am Ende der Zeit für alle sichtbar werden, die aber jetzt schon von Bedeutung sind, trotz der immer schwieriger werdenden Situation, in der das Heil sich scheinbar weiter entfernt.
a/ Die erste Lesung ist aus dem Buch Daniel. Das Daniel-Buch wurde in der Zeit der Verfolgung der Juden durch den syrischen Herrscher Antiochos Epiphanes im zweiten Jahrhundert v. Chr. geschrieben. Es behauptet: Das, was die Leser bzw. Hörer im Moment erleben und in noch viel schlimmeren Ausmaß zu erwarten haben, ist nur die eine Seite. Es ist das, was auf der Bühne vor dem Vorhang geschieht: eine Zeit der Not, wie noch keine war.
Auf der anderen Seite der Bühne jedoch geschieht etwas, das erst später offensichtlich wird: die Rettung des Volkes. Und zwar von jedem, der jetzt schon im „Buch des Lebens“ verzeichnet ist. Mit dieser Rettung geschieht auch Gerechtigkeit, denn es gibt eine Auferstehung von Toten. Gott wird Leben schaffen, wo es im irdischen Sinn keine Gerechtigkeit gab. Das Kriterium ist die Verständigkeit und die Suche nach Gerechtigkeit, jetzt und hier!
Die Pointe ist also: es gibt eine Heilsgeschichte, in die hinein wir verwoben sind; und zwar nicht nur zurück in die Vergangenheit, sondern auch voraus in die Zukunft.
b/ Ebenso gehört das Evangelium zu dieser Form von apokalyptischen Texten, denn es nutzt die Unterscheidung von dem, was man auf der Bühne vor dem Vorhang sieht und was dahinter geschieht. Vorne ist es finster: „In jenen Tagen wird die Sonne verfinstert werden, und der Mond wird nicht mehr scheinen.“ Doch verheißen wird das Licht, das die Wolken durchbricht; und eine weltweite Sammlung der Auserwählten geschieht durch die Engel.
Schon jetzt gibt es Anzeichen dieses neuen Lebens und deshalb braucht es das entsprechende Verhalten von uns. Jesus macht es durch das Gleichnis mit dem Feigenbaum deutlich: Die Zweige und die Blätter am Feigenbaum deuten auf etwas hin, dass man noch nicht sehen kann, und was doch schon verborgen da ist, das Leben in diesem Baum!
Wie schwer fällt es uns bei all den Kriegen der Dunkelheit und der Gewalt in dieser Welt, diese Zeichen zu sehen und zu erkennen und zu deuten. Doch im Glauben wissen wir, weil wir selbst Teil einer Heilsgeschichte sind, dass nicht nur die Vergangenheit von Gott hier geheilt wird, weil Gott das Leben von Anfang an gewollt hat, sondern dass Gott auch auf Zukunft hin Leben schafft, weil er eben die Auserwählten sammeln und retten wird.
Das bedeutet nicht, dass es die Klimakatastrophe nicht gibt oder dass sie keine Bedeutung für uns hat. Es bedeutet auch nicht, dass uns die Kriege nicht betreffen und wir uns nicht für Frieden einsetzen sollen. Aber es bedeutet, dass Klimakatastrophe und Krieg nicht alles ist, was unser Leben bestimmt.
Jedes Mal, wenn wir her Eucharistie feiern, geschieht diese Offenbarung einer anderen Wirklichkeit. Brot und Wein der Liebe und Hingabe Jesu sind Zeichen dieses neuen Lebens, das in dieser Welt schon verborgen gegenwärtig ist. Wir brauchen keine Angst mehr zu haben!
Mit Jesus Christus wird der Vorhang im Tempel zerrissen. Wir sehen auf eine neue Weise, dass wir Teil einer großen Geschichte sind, mit Christus und mit anderen verbunden. Die Zeiten kennen wir nicht genau, aber die Zeichen erkennen wir deutlich und wir erwarten, dass es einen Sinn gibt für unser Leben und für das der anderen Menschen. Amen.