Dienstag, 9. Juli 2024

Scheitern



Predigt Vierzehnter Sonntag im Jahreskreis B | Hamburg 

Les: Ez 1,28b-2,5; 2Kor 12,7-10; Mk 6,1b-6 

Wer sich heutzutage für die Nachfolge Christi entscheidet, wer sich der eigenen Berufung und Erwählung bewusst wird, der wird den Glauben im Hier und Jetzt zu leben versuchen. Das bedeutet: die eigene Komfortzone verlassen, sich einsetzen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, das Gebet praktizieren, die Schrift lesen, in Gemeinschaft den Glauben bekennen.

Das alles ist in unserer Kultur und Gesellschaft keineswegs selbstverständlich. Es ist damit zu rechnen, dass es Widerstand gibt. Es wird Menschen geben, die das nicht gut finden, und es wird Kräfte geben, die das zu verhindern versuchen. So kann es sein, dass ich bei allem guten Willen und allem durchdachten Engagement persönlich scheitere, selbst wenn ich mich im Glauben bemühe.

Wenn es im zweiten Petrusbrief heißt: „Deshalb, Schwestern und Brüder, bemüht euch noch mehr darum, dass eure Berufung und Erwählung Bestand hat! Wenn ihr das tut, so werdet ihr niemals scheitern!“ (2Petr 1,10) - so ist das eine Ermutigung und eine Ermahnung zugleich, die darauf baut, dass der Glaube ein Geschenk ist, dass er etwas Großes und Kostbares ist und dass es nicht in der eigenen Macht steht, über den Glauben zu verfügen.

Das Scheitern im Glauben suche ich nicht, aber ich weiche ihm auch nicht aus. Das Scheitern gehört vielleicht dazu. Es mag vielleicht in Gottes Willen und in seiner Berufung für mich liegen. Ich weiß es nicht. 

Die Spannung zwischen Kämpfen und Scheitern gibt es bereits im Leben Jesu. Wir hören von Widerstand und Unverständnis. Und am Ende ist Jesus, jedenfalls mit irdischen Augen gesehen, gescheitert. Er wird ungerecht verurteilt und verspottet, seine Jünger verlassen beziehungsweise verleugnen ihn.

Ignatius ermutigt dazu, Gott zu suchen und zu finden in allen Lebenssituation: in Gesundheit und Krankheit, in Reichtum und Armut, in Ehre und den Schmach, in einem langen Leben und in einem kurzen. Damit verschiebt sich die Frage nach der Bedeutung von Erfolg und Scheitern. Der Erfolg ist nicht mehr zentral, sondern es geht in erster Linie darum, mit Gott in allem verbunden zu bleiben. Wer am Ende scheinbar nichts vorzuweisen hat, muss trotzdem nicht fern sein vom Reich Gottes. Wesentlich ist die Bereitschaft und die Fähigkeit zu lieben, in allem.

Die Texte des heutigen Sonntags reden vom Scheitern. Der Prophet Ezechiel, der bei der Eroberung Jerusalem mit der Oberschicht nach Babylonien deportiert wurde, wird vom Herrn berufen, zu den Söhnen (und Töchtern) Israels zu gehen, die vom Herrn abtrünnig wurden, bzw. zu den abtrünnigen Völkern: Menschen „mit trotzigen Gesicht und hartem Herzen“. Zu solchen Menschen zu reden, dazu bedarf es einer enormen Standfestigkeit. Aber sie werden letztlich nicht auf den Propheten hören! Denn sie sind „ein Haus der Widerspenstigkeit“. Der Prophet wird mit seiner Botschaft scheitern. Das ist im Grunde am Anfang des Buches schon klar. Und trotzdem wird er gesandt!

Paulus berichtet im zweiten Brief an die Korinther von seiner Krankheit, dem „Stachel“ in seinem Fleisch. Ob es tatsächlich eine Epilepsie war, die ihn viel Kraft gekostet hat, oder eine andere böse Krankheit, ist letztlich egal. Er akzeptiert sie, weil er die Kraft Christi erkennt, die ihm in aller Schwachheit hilft. Er akzeptiert die Ohnmacht, die Misshandlung und die Nöte, die Verfolgung und Ängste, das Scheitern, dass er für Christus erträgt. Er sucht es nicht, aber er lässt es zu. Er weiß, dass es ihn nicht von der Liebe Christi trennt. Er weiß, dass sogar die Gnade Christi in diesem Moment für ihn deutlicher wird. So formuliert er, auf paradoxe Weise: „Denn wenn ich schwach bin, bin ich stark.“

Und schließlich Jesus Christus selbst. Er kann in seiner Heimatstadt, in Nazareth, am Sabbat in der Synagoge zwar lehren, und die Menschen staunen darüber, aber er kann dort bis auf einige Ausnahmen keine Machttaten tun, denn der Unglaube steht den Menschen im Weg. Die Menschen erkennen nicht, dass Jesus von Gott kommt, sondern sie reduzieren ihn auf seine leibliche Familie und auf seine Geschichte. Jesus scheitert in Nazareth. Aber interessant, dass er sich darüber nicht grämt oder mutlos wird, sondern dass er sich darüber wundert - und weiterzieht.

Kämpfen und Scheitern, das gehört offenbar im Glauben zusammen, es gehört zur Liebe, und es soll uns nicht erschrecken. Zum einen, weil wir im Glauben immer wieder neu anfangen dürfen; weil wir von Gott, Vergebung und Neubeginn geschenkt bekommen und den „Zauber des Anfangs“ immer wieder erleben dürfen: das Staunen und das Wundern. Zum anderen aber auch, weil wir im Kreuz erkennen, dass nichts uns von der Liebe Gottes trennen kann, ja sogar: dass manchmal im Scheitern noch mehr von seiner Gnade deutlich wird.

Sie, liebe N.N., sind schon lange ihren Weg im christlichen Glauben gegangen. Sie haben sich mit ganzem Herzen und mit all ihrer Kraft in der evangelischen Kirche engagiert und haben sich für andere eingesetzt. Sie haben den Glauben in der Gemeinschaft gelebt und praktiziert. Und haben doch letztendlich nicht das gefunden, was sie gesucht haben. Sie haben aber nicht aufgegeben, sie sind nicht mutlos geworden, sondern Sie sind weitergezogen. Sie haben weitergesucht und neu begonnen, in einer anderen Konfession. Die Feier heute ist das sichtbare Zeichen ihres Neubeginns.

Das Bild, das der heilige Ignatius für ein Leben in der Nachfolge Christi, mit seiner Spiritualität vom Kämpfen und Scheitern, am häufigsten verwendet, ist das Bild des Arbeiters im Weinberg des Herrn. So sieht er sich selbst am Ende seines Lebens: nicht mehr als Pilger oder Soldat, sondern als Arbeiter im Weinberg des Herrn. Er ist durch die Exerzitien zu dieser Sicht gelangt und sucht Gefährten für die Arbeit im Weinberg des Herrn, wir würden heute sagen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Sie haben dieses Bild von den Arbeitern im Weinberg des Herrn in einem unserer Gespräche gebraucht und mir gesagt, dass sie von nun an „auf der anderen Seite im Weinberg des Herrn“ mitarbeiten. Das ist ein sehr schönes Bild.

Ich wünsche Ihnen, dass sie hier, in der katholischen Kirche, auf dieser Seite des Weinbergs, ihren Platz und ihre Aufgabe finden. Und dass Sie sich darum bemühen, dass ihre Berufung und Erwählung Bestand hat. Und dass Sie immer wieder die Freude erfahren, dass wir so einen gültigen und treuen Herrn haben, dem wir in dem einen Weinberg dienen. Und den wir lieben. Amen.

Christian Modemann SJ, nach einer Idee von Hermann Kügler SJ

https://www.jesuiten.org/news/kaempfen-scheitern-lieben-die-ignatianische-spiritualitaet



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