Predigt 7C 23.2.2025 Hamburg Manresa
Les: 1Sam 26, 2-23; 1Kor 15, 45–49; Lk 6, 27–38.
Vor einigen Tagen habe ich ein
Foto aus Finnland gesehen. Es zeigt Menschen, die vor einem Wahllokal warten.
So wie Sie es vielleicht auch heute gemacht haben. Das Besondere auf dem Foto:
die Menschen stehen draußen in der Schlange mit großem Abstand, etwa 20
Menschen sind es. Die Beobachtung: jede Kultur hat ihre Eigenheiten, und in
Finnland gehört es offenbar dazu, mehr Abstand („personal space“) voneinander
zu halten als in anderen Ländern.
Näher und Distanz sind Teil des
menschlichen Lebens. Keiner kann allein leben; aber wir sind und bleiben
Individuen, mit einer eigenen Geschichte und einer Persönlichkeit und mit einer
persönlichen Verantwortung. Alle Menschen sehnen sich in einer gewissen Weise
nach Anerkennung und nach Nähe, nach Gemeinschaft. Gleichzeitig brauchen wir
unseren Freiraum, unsere Freiheit, unseren Abstand, und der ist von Kultur zu
Kultur, von Mensch zu Mensch verschieden. Haben Sie schon einmal bemerkt, dass
Ihnen im Gespräch jemand zu nahegekommen ist? Oder dass sie vielleicht sich
mehr Nähe gewünscht hätten? Wie viel Distanz brauche ich selbst? Wieviel Nähe bin
ich bereit, zuzulassen?
Aggression ist eine schlechte
Weise der Annäherung. Aggredere
bedeutet im Lateinischen: nahe herangehen. Man nähert sich, um den anderen zu
bedrohen oder um ihm zu schaden. In diesen Tagen haben wir viel Aggression
erlebt. In der Ferne, im Heiligen Land oder in der Ukraine, aber auch auf andere
Weise bei uns im Wahlkampf. Gerade in den letzten Tagen ist mir aufgefallen,
wie viele Wahlplakate beschmiert sind, die Gesichter verunstaltet. Auch das ist
eine Form von Aggression.
Eine gute Weise der Annäherung
ist es, sich einander die Hand zu reichen. Wenn Kandidaten zum Beispiel nach
der Wahl aufeinander zugehen, sich gegenseitig gratulieren, die Wahl anerkennen
und sich Gedanken darüber machen, wie sie fort an Zusammenleben können. Denn
darum geht es doch: wir wollen leben, und das können wir nur miteinander. Nicht
gegeneinander!
Von Nähe und Distanz und einer
guten Weise der Annäherung erzählen uns die heutigen biblischen Texte. Sie sind
das Wort Gottes für uns.
Die Lesung aus dem ersten Samuel-Buch
ist ein Meisterstück orientalischer Erzählkunst. Das Buch berichtet, wie David
anstelle von Saul zum König aufsteigt. Es geht um Macht und Konkurrenz zwischen
Männern, aber auch um die Frage, was es braucht, um ein guter König zu sein,
und wer wirklich dazu berufen ist.
Die biblische David-Geschichte
ist keine Heldenverehrung, sie spart nicht mit Kritik an David. Aber David ist
eben von Gott trotz seiner Schattenseiten auserwählt als Nachfolger von Saul;
und er nimmt diese Berufung und Verantwortung an. Die Erzählung beschreibt, wie
Auseinandersetzungen um die Macht ausgetragen werden sollen. Das Leben des
Gegners ist wertvoll, weil das Leben in den Augen Gottes wertvoll ist.
Schauen wir auf Nähe und Distanz:
David nähert sich dem Heerlager Sauls. Er nährt sich Saul, er könnte ihn mit
einem einzigen Stoß mit dem Speer töten. Doch er respektiert die Grenze, die
Sauls Leben und seine körperliche Unversehrtheit schützt.
Das ist der Unterschied zu einem
Gewalttäter, der diese Grenze überschreitet. Psychologen sagen: Oft sind
Gewalttäter aggressionsgehemmte Typen. Denn nur wer die Fähigkeit zum Konflikt
und zur Auseinandersetzung entwickelt, kann für sich auch die Grenzen setzen
und respektieren.
David geht, nachdem er sich Saul
genähert hat, auf Distanz zum König. „David ging auf die andere Seite hinüber
und stellte sich in großer Entfernung auf den Gipfel des Berges, so dass ein
Zwischenraum zwischen Ihnen war.“ (1Sam 26,13). Zudem ruft er im Morgengrauen
dann zunächst den Heerführer Abner an und spricht Saul nicht direkt selbst an,
obwohl er weiß, dass Saul zuhört. Dieser Teil wurde in der heutigen Lesung
gekürzt. Saul erkennt dann die Stimme Davids und er erkennt, dass David sein
Leben kostbar war und er selbst falsch gehandelt hat, indem er David töten
wollte. Es kommt zu einem Segen des Königs für David, Rache weicht der
Versöhnung.
*
Im Evangelium aus der Feldrede
bei Lukas stellt Jesus dar, wie er sich das Zusammenleben der Menschen
vorstellt. Es geht zunächst einmal um das Zusammenleben des Volkes Israel, als
des von Gott auserwählten Volkes; dann aber auch um das Zusammenleben von
Völkern allgemein. Jesus zeigt eine neue Form, Nähe und Distanz zu leben.
Die Feindesliebe, die er
beschreibt, ist gerade nicht nur eine unrealistische Vision, eine ferne Utopie,
sondern sie zeigt meines Erachtens eine Haltung auf, wie wir in der Nähe miteinander
gleichzeitig eine gute Distanz leben können. Die Feldrede ist meines Erachtens
ganz praktische Lebensweisung.
Wir kennen das alle: Konflikte,
Ärger, die Gedanken kreisen, ich bin verletzt worden, habe Unrecht erlitten,
oder gesehen, wie Unrecht geschehen ist. Das kann ich nicht so stehen lassen!
Das kann ich nicht akzeptieren! Hass und Wut entstehen. Und dann? Lieben? Wie
soll das möglich sein?
Liebt eure Feinde, das ist die
Perspektive, das Ziel. Und der erste konkrete Schritt dazu: segnen und beten! In
dem ich den anderen oder die andere der Barmherzigkeit Gottes anempfehle,
schaffe ich eine Distanz zwischen uns. Ich muss kein Urteil sprechen: du, Gott,
wirst das Urteil sprechen! Ich kann nicht mehr: jetzt bist du dran, Gott! Ich
will, dass es der anderen Person gut geht, dass sie lebt, aber ich werde mich
nicht mehr darum kümmern, das sollst bitte du machen, Gott! Ein Segen ist immer
ein Abschied und ein Abschied schafft Distanz!
Die andere Wange hinhalten oder
auch das Hemd zu geben, wenn um den Mantel gebeten wird, ist vielleicht auf den
ersten Blick wieder eine Form der Annäherung bzw. Aggression, die die Grenze
der Gewaltfreiheit respektiert. Auf den zweiten Blick jedoch wird meine eigene
Freiheit deutlich, anders zu handeln, als der Gegner es erwartet.
Das Gestohlene nicht zurückzufordern
bedeutet, eine Form der Distanz zu allen irdischen Gütern zu schaffen, die
letztlich nur relativen Wert haben.
Nicht richten, nicht verurteilen,
Schuld erlassen, alles das schafft immer wieder Distanz. Es entsteht ein
Zwischenraum, in dem Kommunikation möglich ist, in dem Gott wirken kann und
Veränderung und Einsicht wachsen.
Das ist wirklich Glück, die „Lücke“
zu finden! Diesen Blick nach oben zu wagen: „euer Lohn wird groß sein und ihr
werdet Söhne des Höchsten sein“. Und Gottes Blick wahrzunehmen, „denn auch er
ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen“.
Nähe und Distanz gehören zum
Leben. Jesus zeigt uns einen Weg, wie wir auf gute Weise miteinander leben
können, durch Barmherzigkeit und Vergebung. Wie Nähe und Distanz zwischen immer
mehr Menschen auf dieser Erde auf eine gute Weise möglich ist. Wie wir
gleichzeitig bei uns selbst bleiben und mit anderen Menschen in Beziehung
treten können: Indem wir uns nach dem Bild des Himmlischen gestalten und formen
lassen. Amen.
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