Montag, 15. Dezember 2025

Erwartungsmanagement?


2025 Predigt Dritter Adventssonntag A | Hamburg, Manresa

Les: Jes 35, 1–6b.10; Jak 5, 7–10; Mt 11, 2–11

Am ersten Adventssonntag hörten wir die Einladung Jesu, unsere prophetische Gabe zu entdecken: Sehen, was ist! Vor dem Hintergrund der Vision des Jesaja von der Wallfahrt der Völker und vom Frieden (Jes 2,1-5) mahnte Jesus seine Jüngerinnen und Jünger zu Achtsamkeit und Wachsamkeit: „Haltet euch bereit!“ (Mt 24,44). Ich habe darauf hingewiesen, dass Propheten keine Wahrsager sind, sondern dass sie auf die Gegenwart schauen und darin die Zeichen des heilsamen Handelns Gottes erkennen.

Am zweiten Adventssonntag hörten wir eine weitere große Vision des Propheten Jesaja: der junge Trieb aus der Wurzel, ein König, der die Fülle der Geistesgaben empfängt und der Welt den Frieden bringt. „Er entscheidet für die Armen, wie es recht ist.“ (Jes 11,4).

Und nun heute eine dritte, große Vision des Jesaja: Von der blühenden Wüste, so fruchtbar wie der Libanon und die Ebene Sharon. Rettung wird verheißen und Heilung und Heimkehr. Für diese Rettung und Befreiung gibt es deutliche, untrügliche Zeichen: Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Stumme sprechen. Das gibt es doch gar nicht!? Doch! Das sind die Kriterien der neuen, messianischen Zeit!

Nun mag mancher bei so vielen Visionen, bei so wunderbaren Verheißungen im Blick auf die Realität der Welt und des eigenen Lebens denken: Da wird irgendein frommes Zeugs verkündet! Schöne Worte, mehr nicht. Wo ist denn der Frieden? So viele Menschen im Krieg! Wo sind denn die blühenden Landschaften? So viele Klima- und Dürrekatastrophen! Ist das, was Jesaja angekündigt hat und woraus Jesus lebt, wirklich das, worauf wir warten sollen? Oder müssen wir auf einen anderen warten, der Recht und Gerechtigkeit, Frieden und Heil bringt?

Was ist unsere Erwartung?

Es ist ja nicht so, als ob diese Frage des Johannes (Mt 11,3), ob wir auf einen anderen warten müssen, einem Christen von heute völlig fremd wäre. Als ob nicht jede und jeder von uns angesichts der Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, schon einmal gezweifelt hat, inwieweit die Verheißungen Jesu von Frieden und vom anbrechenden Reich Gottes Wirklichkeit sind. Oder ob das nicht alles einfach eine billige Ver-Tröstung ist?

Noch vor einigen Tagen hat mir z.B. eine Erzieherin aus einer Kindertagesstätte hier in Hamburg von den katastrophalen Zuständen in der Betreuung der Kleinsten erzählt, von Personalmangel, von verantwortungslosen Eltern, von verwahrlosten Kindern, von Hass und Gewalt. Und nicht zuletzt von dem riesigen Einfluss der Medien, schon im Kindergartenalter. Und jeder kennt Geschichten aus seinem Alltag und könnte sie erzählen, wo so viel schief und krumm ist.

Ja, es braucht Geduld und die Bereitschaft Leid als Leid wahrzunehmen, um in diesen Situationen nicht zu verzweifeln! Dazu ermutigen uns die Texte der heutigen Lesungen.

So hören wir heute im Brief des Jakobus: „Haltet geduldig aus!“ – „Macht eure Herzen stark!“ – „Klagt nicht übereinander!“ – „Brüder und Schwestern, im Leiden und in der Geduld, nehmt euch die Propheten zum Vorbild, die im Namen des Herrn gesprochen haben!“ (Jak 5)

Da ist er wieder, der Rat, das Prophetische in uns zu entdecken! Denn das meint doch wohl die Aussage, uns die Propheten als Vorbild zu nehmen, oder nicht?

Die prophetische Gabe entdecken

Was ist ein Prophet? Noch einmal: Propheten sehen, was ist! Sie sehen nicht nur das, was alle sehen, das Entmutigende, das Unheil. Sie klagen nicht nur die Ungerechtigkeit und die Sünde an! Sie sehen auch in alldem die Zeichen von Rettung und Erlösung. Sie sehen Zeichen von Frieden, sie sehen den jungen, kleinen Trieb am Baumstumpf. Sie sehen den Regen, der kommt, sie sehen die Zeichen einer wunderbaren Heilung.

In der vergangenen Woche, am Donnerstag in der Frühmesse, hat eine offensichtlich psychisch stark belastete Frau zum ersten Mal die Lesung übernommen. Und wie sie die Worte des Propheten Jesaja gelesen hat, sind wir alle berührt worden. Das ist für mich ein Zeichen gewesen in dieser Woche.

Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Stumme sprechen. Bin ich bereit, wie die Propheten, auf die Zeichen zu schauen? Traue ich Gott überhaupt zu, dass die Zeichen, die im Namen Jesu geschehen, für mich eine Bedeutung haben? Dass Jesus in unserem Leben Heil und Heilung schenken kann und dass ich mich öffnen kann für seine Zeichen?

Tja, das ist so eine Sache mit der Offenheit und der Erwartung. Erwarten wir eigentlich noch wirklich etwas? Brauchen wir ein Erwartungsmanagement? Wie geht das denn, die Erwartungen erneuern? Und das prophetische, in eigenem Leben entdecken?

Ignatius von Loyola hat dafür eine Haltung oder Einstellung beschrieben, die grundlegend ist in jedem geistlichen Leben, egal, ob man große oder kleine Entscheidungen zu treffen hat. Es ist die Haltung der Gleichmütigkeit, er nennt sie Indifferenz. Das ist keine Gleichgültigkeit und Resignation („es ist eh alles egal!“), sondern eine mutige und zugleich offene, eben erwartungsvolle Haltung, bei der Gottes wirken und mein Mitwirken zusammenkommen.

Manche übersetzen in Differenz mit „engagierte Gelassenheit“. Diese engagierte Gelassenheit nimmt wahr, was ist und verzweifelt doch nicht. Sie setzt sich ein, ohne selbst alles kontrollieren zu wollen. Sie geht mutig voran und weiß, dass Gott doch immer noch andere Wege hat, unser heil zu wirken. Sie ist geduldig und nimmt sich ein Vorbild an den Propheten, von denen Johannes der größte war, weil er Jesus kannte. Wer aber an Jesus glaubt und sein Leben mit ihm gestaltet, ist größer. Amen.

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